[615] Aphrodite, die griech. Göttin der Liebe und Schönheit. In ihrem Wesen sind schon früh hellenische Vorstellungen mit orientalischen, namentlich phönikischen verschmolzen, wie sich dies in den abweichenden Sagen von ihrer Herkunft ausspricht. Homer nennt sie Tochter des Zeus und der Dione; aber schon früh erscheint sie als die aus dem Meeresschaum Geborne (Aphrogeneia, s. Uranos), aus dem Meeresschoß Aufgetauchte (Anadyomene) und bei dem seit Urzeit von Phönikern kolonisierten Kypern aus Land Gestiegene oder bei dem gleichfalls vorzeiten von Phönikern besiedelten Kythera auf einer Muschel Gelandete. Schon bei Homer führt sie die Namen Kypris und Kythereia. Die gewöhnliche Auffassung als Liebesgöttin bezieht sich nur auf ihr Walten im Menschenleben; sie ist eine in Luft und Wasser und auf der Erde wirkende Naturkraft. Als Göttin der Lüfte und Himmelserscheinungen ist sie A. Urania, die himmlische, die vielfach in Asien und Griechenland auf Bergen verehrt wurde; als Gewittergöttin wurde sie wie in Sparta und Kythera bewaffnet dargestellt. Die moralische Auffassung der A. Urania als Göttin der edlern, namentlich ehelichen Liebe, bildete sich erst später. Als Göttin des Meeres und Seeverkehrs, namentlich der glücklichen Fahrt (Pontia und Thalassia), wurde sie an Küsten und in Häfen vielfach verehrt. Auf Erden ist A. Göttin der Gärten und Haine, des Frühlings und seiner Gaben, namentlich der zarten Gewächse und Blumen, wie Myrte und Rose, daher sie besonders in dieser Jahreszeit verehrt wurde, in der auch ihr Geburtsfest in Paphos auf Kypern gefeiert wurde. Als Göttin der Liebe übt sie ihre Macht über Götter und Menschen: sie entflammt Liebe und weiß Widerstrebende zu strafen. Ihr Gefolge bilden ihr Sohn Eros, die Horen, Chariten, Peitho (Überredung), Pothos und Himeros, die Personifikationen des Verlangens und der Sehnsucht. Als Stifterin des Liebesbundes ist sie auch Gottheit der Ehe, des Familienlebens und der darauf beruhenden Gemeindeverbindung. In letzterm Sinne führte sie früher in Athen den Namen Pandemos (d.h. sich auf die ganze Gemeinde erstreckend); durch eine Einrichtung Solons erhielt der Name eine ganz andre Bedeutung und bezeichnete sie als Göttin der Prostitution. In manchen Gegenden erhielt ihr Kult nach Art orientalischer Liebesgöttinnen immer unsittlichere Formen, besonders in Korinth, wo große Scharen von Hierodulen zugleich der Prostitution dienten. An einzelnen Orten erscheint sie als Gattin des Hephästos, an andern als die des Ares (s. d.); letztere Vorstellung gewann allmählich die Herrschaft. Auch mit Sterblichen pflegte sie der Liebe, so mit Anchises, von dem sie als Mutter des Äneas galt. Hauptkultstätten waren Paphos, Amathus und Idalion auf Kypern, Knidos, Korinth, Kythera, der Eryx auf Sizilien. Heilig waren ihr als Urania die Schildkröte, als Meergöttin Schwan, Delphin, Muschel, als Vegetationsgöttin namentlich Myrte, Rose, Granate, der Apfel, als Liebesgöttin Widder, Ziegenbock, Hase, Kaninchen, Taube, Sperling und andre Tiere verliebter Natur. Die Römer stellten A. der italischen Venus (s. d.) gleich. Vgl. Roschers Lexikon der Mythologie, Bd. 1, Sp. 390 ff.;, Pauly-Wissowa, Realenzyklopädie, Bd. 1, Sp. 2729 ff.
A. gehört zu den von der alten Kunst am häufigsten dargestellten Gottheiten. Die erste Blütezeit der griechischen Kunst (Pheidias) stellte sie bekleidet dar, die zweite (Skopas und Praxiteles) wagte die Göttin halb bekleidet oder ganz nackt zu zeigen, aber mit Motivierung der Nacktheit durch das Bad. Mit der Zeit stellte man sie so nur um ihrer Schönheit willen dar, bis man endlich alles Göttliche abstreifte und sie nur noch als schönes Weib erscheinen ließ. Entsprechend stieg auch die Gesichtsbildung vom Ernsten und Würdigen zum Lieblichen u. Anmutigen, ja zum Sinnlichen u. Koketten herab. Dem spätern Ideal der A. ist das anmutige Oval des Gesichts, das Lächeln und besonders das schmale, schwimmende, Liebessehnsucht ausdrückende Auge eigen. Statt der zierlichern Körperformen dieser jüngern Zeit bildete die ältere A. mit kräftigern Formen von junonischer Fülle und großartiger Erscheinung.
So war die berühmteste Statue, die knidische A. des Praxiteles, aufgefaßt, von der Münzbilder und Statuen des Vatikans eine Vorstellung geben, während die Münchener Kopie (s. Abbildung) schon zärtlicher gestaltet ist. Hochberühmt war auch des Apelles Gemälde der A. Anadyomene (s. d.). Unter den erhaltenen Statuen behauptet den ersten Rang die durch Hoheit der Auffassung ausgezeichnete A. von Melos (s. Tafel »Bildhauerkunst V«, Fig. 1) im Louvre, die Rechte faßte das herabfallende Gewand, die ausgestreckte Linke hielt wahrscheinlich[615] einen Apfel (vgl. Furtwängler, Meisterwerke der griechischen Plastik, Leipz. 1853). Nächst ihr sind die berühmtesten: die das Motiv der A. von Milo wiederholende, nach ihrem Fundort benannte A. von Capua in Neapel; die kapitolinische A. in Rom, die einem Original des Praxiteles nachgebildete A. von Arles im Louvre und die mediceische A. in Florenz (früher in der Villa Medici zu Rom, s. Tafel »Bildhauerkunst V«, Fig. 4 u. 7), beide mit den Händen Brust und Scham bedeckend; die im Bade kauernde A. im Vatikan, ein Beispiel der genrehaften Auffassung. Vgl. Bernoulli, Aphrodite (Leipz. 1874).
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