[570] Beichte (althochd. pigihti, bigihti, mittelhochd. bîhte), dem Wortsinn nach jedes Geständnis, im kirchlichen Sinn aber das Sündenbekenntnis, das der Christ vor dem Geistlichen ablegt, ursprünglich in der Absicht, mit der Kirche, die er durch Übertretung ihrer Gebote beleidigt, wieder ausgesöhnt und vereint zu werden. Schon in den ersten Jahrhunderten der christlichen Kirche ward es Gebrauch, daß ausgeschlossene Gemeindeglieder, um wieder aufgenommen zu werden, als Anfang ihrer Buße das Vergehen, um deswillen sie exkommuniziert waren, vor der versammelten Gemeinde bekannten. Aber auch die Mitglieder der Kirche selbst pflegten bald vor dem Genuß des Abendmahls sich durch Sündenbekenntnisse zu erleichtern, und einzelne Bischöfe hatten im 3. und 4. Jahrh. zum Behuf der Entgegennahme solcher Bekenntnisse einen besondern Bußpresbyter (Presbyter poenitentiarius) angenommen. Dies die Entstehung der Privatbeichte und der priesterlichen Absolution. Die seit Abschaffung des Bußpresbyters (etwas andres ist der spätere Poenitentiarius) erfolgte Ermächtigung eines jeden Priesters zur Absolution vermehrte nur die Anzahl der Beichtiger; aber auch noch bei Leo d. Gr. (440461) bezieht sich dieses geheime Bekenntnis nur auf schwere Sünden, und es erscheint der Priester, dem bekannt wird, nur als Fürbitter vor Gott, dem die Sünde vorher und vor allem zu bekennen ist. Bald aber wurden auch sündliche Zustände und Gedankensünden in den Kreis der Privatbeichte hereingezogen, und die letztere gewann in demselben Maß an Bedeutung, als die Vorstellung sich ausbildete, daß die Kirche das ausschließlich berechtigte Organ der göttlichen Sündenvergebung sei, d. h. daß der Priester als Richter an Stelle Gottes selbst die Sünden zu vergeben und entsprechende Bußleistungen zu bestimmen habe. Dies die sogen. Ohrenbeichte (confessio auricularis). 1215 wurde auf der vierten Lateransynode verordnet, daß jeder katholische Christ, subald er die Entscheidungsjahre (anni discretionis) erreicht habe, jährlich wenigstens einmal seinem Priester ein geheimes Bekenntnis aller seiner Sünden ablegen und im Unterlassungsfall aus der Kirchengemeinschaft ausgeschlossen und eines christlichen Begräbnisses verlustig gehen solle. Als notwendiger Bestandteil des Sakraments der Buße (s. d.) wird ein solches geheimes Bekenntnis aller schwerern Sünden (peccata mortalia), seien sie in Gedanken, Worten oder Werken begangen, gefordert, das Bekenntnis der geringern Vergehen (peccata venialia) aber nur für heilsam, nicht für notwendig erklärt. Durch eine wissentlich verschwiegene schwere Sünde wird der Beichtakt nichtig und das Sakrament entweiht. Nur ein geweihter Priester, der dabei im Namen Gottes und der Kirche fungiert, kann die B. abnehmen und Absolution erteilen. Strenge Verschwiegenheit ist ihm zur Pflicht gemacht. Geistliche, Mönche und Nonnen sollen öfters zur B. gehen. Insbesondere soll bei einer bevorstehenden Todesgefahr, oder wenn man irgend ein Sakrament empfangen will und eine Sünde auf dem Gewissen hat, gebeichtet werden. Der Ort der B. ist der Regel nach die Kirche (s. Beichtstuhl). Sie erfolgt kostenlos; freiwillige Gaben (Opferpfennige, Opfergroschen) sind indes zulässig. In der griechisch katholischen Kirche hat man sich im Laufe der Zeit die wesentlichen Bestimmungen der abendländischen Lehrweise angeeignet. Unter den schismatischen Parteien der griechischen Kirche haben die monophysitischen Jakobiten in Syrien die strengste Beichtpraxis, während die nestorianischen Christen die B. ganz aufgegeben haben. Die Maroniten und Armenier fordern nur Bekenntnis des Mordes, Ehebruchs und Diebstahls. Die Raskolniken der russischen Kirche verwerfen wenigstens die priesterliche Absolution.
Die lutherische Kirche hat sich zwar von Anfang an gegen die Ohrenbeichte als nicht in der Heiligen Schrift begründete »Gewissensmarter« erklärt, wollte jedoch die Privatbeichte, die je nach Bedürfnis zum Bekenntnis bestimmter Sünden übergehen kann, im Zusammenhang mit der dem Predigtamt zustehenden Gewalt der Schlüssel beibehalten wissen, so daß also niemand ohne diese B., außer in besondern Notfällen, zum Abendmahl zugelassen werden sollte. Es war dies eine erzieherische Maßregel, welche die Bestimmung hatte, die Massen die sittlich-religiöse Autorität der Kirche empfinden zu lassen. Indes wich man in einzelnen Ländern gleich anfangs hiervon ab, und anderswo ist die Privatbeichte zur bloßen Formel geworden. Als der Pietist J. C. Schade, Prediger zu Berlin, 1695 das ganze bisherige Beichtwesen, das allerdings zu der protestantischen Geltung der Rechtfertigungslehre in auffallendem Kontrast steht, verwarf, traf man infolge des hierdurch hervorgerufenen Streites für das Kurfürstentum Brandenburg die Bestimmung, daß es einem jeden freistehen solle, ob er vor der Kommunion beichten wolle oder nicht. Seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts wurde bei weitem in den meisten lutherischen Ländern eine allgemeine B. üblich, gewöhnlich darin bestehend, daß der Geistliche ein allgemeines Bekenntnis der Sündhaftigkeit vorträgt und, nachdem sich die Gemeinde dazu bekannt hat, die Absolution verkündigt. Die Privatbeichte dagegen wurde erst neuerdings wieder seitens der restaurationslustigen Kirchlichkeit angestrebt. Die reformierte Kirche bestritt jederzeit die Notwendigkeit der Privatbeichte, aber ihre Vorbereitung zur Kommunion ist wenigstens einer allgemeinen B. gau; ähnlich. Die englische Episkopalkirche hat keine besondere Vorbereitungsandacht auf den Genuß des Abendmahls, sondern nimmt eine allgemeine B. und Absolution in den sonntäglichen Gottesdienst auf. Die schottische Presbyterialkirche verwirft jedes stehende Sündenbekenntnis, alle B. und Absolution.[570] Eine Art von B. findet sich auch bei den Juden, indem bei ihnen sowohl beim öffentlichen als beim Privatgottesdienst eine kleinere und eine feierliche größere Beichtformel, z. B. am Vorabende des großen Versöhnungstages, angewendet zu werden pflegt. Vgl. Steitz, Das römische Bußsakrament (Frankf. 1854); Kliefoth, Die B. und Absolution (Schwerin 1856); E. Fischer, Zur Geschichte der evangelischen B. (Leipz. 1902, Teil 1).