Buße

[655] Buße, eigentlich Ersatz, Entschädigung. Schon diese mittelalterliche Übersetzung des lateinischen Wortes poenitentia (des griechischen metanoia, d. h. »Sinnesänderung«) weist auf weitgehende Verflachung und Veräußerlichung eines dem Christentum von Haus aus eignen und unentbehrlichen Begriffs hin (s. Bekehrung). Das religiöse Verhältnis mußte erst als ein gesetzlich formuliertes Rechtsverhältnis und die Sünde lediglich als Störung desselben gefaßt sein, ehe diese Störung als durch bestimmte Leistungen oder Entbehrungen ausgleichbar, die Sünde als abbüßbar gelten konnte. Die evangelische Kirche behielt daher zwar das einmal in den kirchlichen Sprachgebrauch aufgenommene Wort bei, aber in dem Sinne der neutestamentlichen »Sinnesänderung«, als ein in Sündenerkenntnis, Reue und ernstlichem Willen, mit der Sünde zu brechen, bestehendes Selbstgericht, während die katholische Kirche den Begriff der B. so bestimmt, daß er die Zerknirschung des Herzens (contritio cordis), das Bekenntnis des Mundes (confessio oris) vor dem Priester und die Genugtuung (satisfactio operis), Übernahme gewisser Strafen zur Abbüßung (poenae canonicae), in sich begreift. Diese drei Stücke bilden seit dem 11. Jahrh. das Sakrament der B. seiner Materie nach, während die Form desselben nach dem Beschluß des Konzils von Florenz 1439 in den Worten des Priesters: »Ego te absolvo« besteht. Dabei herrscht die von den Viktorinern Hugo und Richard im 12. Jahrh. ausgebildete Theorie, daß die ewigen Strafen, die alle Todsünden verdienen, durch priesterliche Absolution in zeitliche verwandelt werden, die ebenso wie die Strafen für läßliche Sünden in freiwilliger Übernahme der vom Priester auferlegten Leistungen abgebüßt werden können. Unter solchen Voraussetzungen war es freilich naheliegend, daß die von der Kirche auferlegten Strafen auch von der Kirche erlassen oder durch andre der Kirche annehmbare Leistungen (gute Werke) ausgeglichen und ersetzt, ja von andern Personen und für andre übernommen werden konnten. Daher jene Veräußerlichung des Bußwesens, als deren Extreme der Ablaßhandel und die Geißelbrüderschaften erscheinen, die sich aber nicht minder in den Büßerorden, den Bußbüchern, Bußtalern etc. darstellt. Daß die Apologie der Augsburgischen Konfession (1530) die B. noch als ein Sakrament neben Taufe und Abendmahl behandelt, hängt mit der Modifikation zusammen, die das römische Bußsakrament in der lutherischen Beichte (s.d.) fand. Als rein innerliche Sache zwar, aber doch in unnatürlich forcierter Weise wurde die B. von den Pietisten und Methodisten betont und geübt (s. Bußkampf).

Im Strafrecht versteht man unter B. die Genugtuung, auf die im Strafverfahren zugunsten des durch eine strafbare Handlung Verletzten erkannt wird. Dieses Recht auf Genugtuung ist ein höchst persönliches Recht des Verletzten. Zur Zahlung der B. kann nur der Täter verurteilt werden. Stirbt er jedoch nach Eintritt der Rechtskraft des auf Zahlung einer B. lautenden Urteils, so wird das Urteil in den Nachlaß vollstreckt. Eine solche B. wird nur auf besondern Antrag des Verletzten zuerkannt. Dieser Antrag ist in Privatklagesachen mit der Privatklage zu verbinden und in denjenigen Fällen, in denen die Staatsanwaltschaft mit der öffentlichen Klage vorgeht, von dem Verletzten mittels einer Nebenklage zu stellen. Der Verletzte muß sich zu diesem Zweck der öffentlichen Klage des Staatsanwalts als Nebenkläger anschließen. Die Verurteilung zu einer B. setzt voraus, daß der Beschuldigte überhaupt in eine Strafe genommen wurde. Im entgegengesetzten Falle gilt auch der Antrag auf Zuerkennung einer B. für erledigt. Hat das Gericht es abgelehnt, auf eine B. zu erkennen, so bleibt dem Verletzten die Geltendmachung seines vermeintlichen Schadenersatzanspruchs im Wege des bürgerlichen Rechtsstreites übrig. (Vgl. Bürgerliches Gesetzbuch, § 823ff. [unerlaubte Handlungen].) Hat der Verletzte eine B. zuerkannt erhalten, so kann er weitere Entschädigungsansprüche mittels einer Zivilklage nicht geltend machen. Das deutsche Strafgesetzbuch statuiert eine solche B. nur für alle Fälle der Körperverletzung und bei Beleidigungen, wenn diese nachteilige Folgen für die Vermögensverhältnisse, den Erwerb oder das Fortkommen des Beleidigten mit sich bringen. Aber auch bei Eingriffen in das Urheberrecht, das Recht des Markenschutzes und das Patentrecht ist die B. zugelassen. Ihr Maximum beträgt bei Verletzungen des Patentrechts, des Warenzeichenrechts und des Gebrauchsmusterrechts und bei Verurteilungen wegen unlautern Wettbewerbes 10,000 Mk., in allen sonstigen Fällen 6000 Mk. Vgl. Deutsches Strafgesetzbuch, § 186- 188,231,340; Deutsche Strafprozeßordnung, § 414 bis 446,495; Reichsgesetze von 1876, betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste (§ 16), betreffend den Schutz der Photographien (§ 9) und betreffend das Urheberrecht an Mustern und Modellen (§ 14); Reichspatentgesetz von 1891 (§ 36); Gebrauchsmustergesetz von 1891 (§ 11); Warenbezeichnungsgesetz von 1894 (§ 18); Gesetz gegen den unlautern [655] Wettbewerb von 1896 (§ 14) und Reichsgesetz, betreffend das Urheberrecht an Werken der Literatur und Tonkunst, von 1901 (§ 40). Auch die Landesgesetzgebung kann auf dem ihr zugeteilten Gebiete B. zulassen. Im weitesten Umfange verwendet übrigens das Bürgerliche Gesetzbuch den Begriff der B. im § 847, indem es dem an seinem Körper oder an seiner Gesundheit oder Freiheit Geschädigten und der Frauensperson, an der ein Verbrechen oder Vergehen wider die Sittlichkeit verübt worden, oder die durch Hinterlist, Drohung oder unter Mißbrauch eines Abhängigkeitsverhältnisses zur außerehelichen Beiwohnung bestimmt wurde, auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld gewährt. Vgl. Strauß, Die B. des deutschen Strafrechts und der Ersatz des nichtvermögensrechtlichen Schadens im Bürgerlichen Gesetzbuch (Freib. 1901).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1905, S. 655-656.
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