[214] Böōtien, alte Landschaft Griechenlands, zwischen Megaris, Attika, dem Kanal von Euböa, dem opuntischen Lokris, Phokis und dem Korinthischen Busen gelegen, zerfällt in fünf Hauptteile: die Kopaische Niederung, die Thebäische Ebene (Aonion Pedion), das Talland des Asopos und die Küstenstriche am Euböischen und Korinthischen Meer (s. Karte »Alt-Griechenland«). Die Kopaische Niederung, ein Gebirgskessel, wird durch den Helikon (s.d.) und seine Ausläufer, im N. durch die Gebirge Akontion (jetzt Darduvana) und Hyphantion (jetzt Mavrovum, 543 m), die Opuntischen Berge und die sie fortsetzende Hügelreihe so vollkommen abgeschlossen, daß sie mit dem Euböischen Meer nur durch unterirdische Kanäle zusammenhängt. Aus Phokis tritt bei Chäroneia als Hauptstrom des Landes der Kephisos (s.d.) ein. Er bildet mit mehreren Flüßchen den See Kopais (s.d.), dessen Wasser durch ca. 20 unterirdische Schlünde (Katabothren) dem Euböischen Meer zugeführt wurde. Um den See zu verringern und die anliegenden Ländereien vor Überschwemmungen zu schützen, verwendeten schon in uralter Zeit die Minyer, Einwanderer aus dem Orient und vortreffliche Wasserbaumeister, große Sorgfalt auf Reinhaltung der Katabothren und Erhaltung mächtiger, zugleich als Verbindungswege dienender Dämme, die kürzlich bei den französischen Arbeiten zur Trockenlegung des Sees zum Vorschein gekommen sind. Alexander d. Gr. aber ließ durch Krates ein künstliches Emissar, einen Stollen mit senkrechten Luftschächten, anlegen und zwar von der nordöstlichen Spitze in der Richtung nach Larymna. Seit dem Verfall dieser Werke ist hier bis in die neueste Zeit alles versumpft und verpestet gewesen. Südlich vom Phönikion und Hypaton liegt die Hylische und Thebäische Ebene, erstere mit dem Hylikesee (jetzt Ano-Likeri), der mit der Kopais unterirdisch zusammenhängt, letztere ein schönes Gartenland, bewässert von dem Ismenos und der Dirke. Das Gebiet des Asopos (s.d.) beginnt mit der Hochebene von Platää und begreift die gegen den Kithäron an der attischen Grenze aufsteigende Parasopia, ostwärts die schöne und fruchtbare Tanagräische Ebene. Der Küstenstrich am Euböischen Meer wird durch die Gebirge Messapion (jetzt Ktypa, 1025 m) und Ptoon (jetzt Skroponeri, 726 m) vom Binnenland Böotiens geschieden. Das Land am Korinthischen Meerbusen und dem Halkyonischen Meer, vom Helikon und Kithäron begrenzt, enthält den Fluß Oëroë und den Permessos, der unterhalb Thisbe sich in Sümpfen verliert. Das Klima des Landes ist im ganzen rauher als im übrigen Griechenland und die Luft namentlich um die Kopais ungesund, der Sommer schwül, der Winter oft sehr schneereich und stürmisch. Erdbeben sind nicht selten. Hauptprodukte waren schwarzer und grauer Marmor, seine, weiße Töpfererde bei Aulis, Salz, Eisen, Bauholz aller Art, Getreide, besonders trefflicher Weizen, Gemüse und Obst, Wein (am besten auf dem Kalkboden Tanagras), Flötenrohr aus dem Kopaissee, Helleborus. Herrliche Triften mit zahlreichen Rinder- und Schafherden und den besten Pferden Griechenlands fanden sich um Orchomenos, Theben und Thespiä; auch Wild aller Art gab es sowie Purpurmuscheln (bei Anthedon).
Als die ältesten Bewohner werden am häufigsten genannt die Minyer, deren Hauptstadt Orchomenos war, und die Kadmeier, die oft als Phöniker bezeichnet werden, Pelasger, Leleger u. a.; im südlichen B. ließen sich auch Jonier nieder. Zu einer Einheit mit Theben als Vorort zusammengefaßt wurde die Bevölkerung der Landschaft, als um 1124 v. Chr. die von den Thesprotern aus Thessalien verdrängten äolischen Böotier einwanderten und B. ihren Namen gaben. Freilich dauerte es lange, bis sie der Reste der alten Bewohner Herr wurden, und auch als der Bund gegen Ende des 6. Jahrh. geschlossen war, war der Zusammenhalt der einzelnen Städte (13, später 7, unter denen Theben, Orchomenos, Koroneia, Tanagra, Lebadeia, Platää die bedeutendsten waren) ziemlich locker und auch die Verfassung verschieden, in Theben fast stets aristokratisch. An der Spitze des Bundes standen die (7) Böotarchen (seit dem 4. Jahrh. unter einem Archon), die für die vier Ratsversammlungen, welche die Entscheidung trafen, die Beschlüsse vorzubereiten hatten. Ein allgemeines Fest, die Pamböotia, bei dem Tempel der itonischen Athene in der Nähe von Koroneia gefeiert, sollte den Zusammenhang des Bundes befestigen, doch wurde er nicht selten zerrissen, wenn Theben allzuschroff die Bundesgenossen behandelte. In den Perserkriegen hielten die Böotier meist zu den Persern, nur Platää unterstützte schon bei Marathon Athen und blieb ihm auch in der Folge treu, was es freilich mit der Zerstörung der Stadt im Peloponnesischen Krieg 427 büßte; denn B. gehörte in ihm zu den erbittertsten Feinden Athens. Seine mächtigste Entwickelung und durch sie vorübergehend[214] die Hegemonie in Griechenland erhielt der Böotische Bund unter Epameinondas und Pelopidas 379362. Auch kämpfte er zuletzt rühmlich gegen Makedonien. Der Bund wurde 171 v. Chr. von den Römern aufgelöst, wenn er auch dem Namen nach noch in der römischen Kaiserzeit fortdauerte; das Land wurde nach dem letzten Freiheitskampfe von den Römern der Provinz Achaia einverleibt und verödete in den Bürgerkriegen. Im Mittelalter und unter der türkischen Herrschaft war Livadia die Hauptstadt, nach der auch die Landschaft genannt wurde.
Die Böotier galten im Altertum, besonders in Athen, für derb, schwerfällig (wie auch ihr Dialekt), geistig stumpf und unempfänglich für das Schöne, und da sie aus Eifersucht gegen Athen wiederholt mit Nationalfeinden sich verbündeten, so wurden sie viel verspottet und verhöhnt. Sie waren der Natur ihres Landes gemäß vorzugsweise ein Ackerbau und Viehzucht treibendes Volk, das den höchsten Wert auf körperliche Kraft und Tüchtigkeit legte, wissenschaftlichen und künstlerischen Bestrebungen nur einen untergeordneten Rang anwies und selbst den Handel wenig begünstigte; dabei machten sich bei ihnen eine Neigung zum Übermaß und ein aristokratisch-kastenhafter Hochmut bemerklich. Doch entbehrten die Künste keineswegs aller Pflege, namentlich nicht die Musik. Die Dichter Hesiodos und Pindaros waren Böotier.