[148] Euböa (neugriech. Evvia oder Egripos, bei den Italienern Negroponte), griechische, im Altertum wichtige Insel im Ägäischen Meer, dicht an der Ostküste von Mittelhellas (s. Karte »Griechenland«), von der sie durch große Längsbrüche abgetrennt wurde, mit 3775 qkm Fläche größte Insel des Königreichs Griechenland. Schmal und langgestreckt, ist sie vom nördlichen Vorgebirge Pondikonisi bis zur Südspitze Mandelon (dem alten Geröstos) 158 km lang; ihre größte Breite von 50 km hat sie beim Euripos (Negroponte). Im NW. wird E. durch den Kanal von Trikeri von Thessalien, im W. durch den Kanal von Atalanti (im Altertum Euböischer Meerbusen) und die an der schmalsten Stelle nur 35 m breite, daher hier schon im Altertum überbrückte Meerenge Euripos vom Festland (Attika, Böotien und Lokris) geschieden. Die Gebirge von E. setzen das Küstengebirge von Thessalien fort und bestehen im N. aus Kreide- und Tertiärgesteinen, im S. aus den kristallinischen Gesteinen Attikas. Sie gliedern sich in drei Gruppen und teilen die Insel in drei Teile, denen die[148] politische Einteilung in Eparchien entspricht. In der Mitte (Eparchie Chalkis, mit gleichnamiger Hauptstadt) erhebt sich das meist aus Tonschiefer bestehende Dirphysgebirge (jetzt Delphi, 1745 m), noch heute reich mit Kiefern, Eichen, Tannen, Kastanien und Platanen bewachsen. Von ihm gegen NO. zieht sich das Mavrovunigebirge (1122 m), mit bedeutenden Braunkohlenlagern beim Städtchen Kumi (ehemals Kyme). Im wild durchschluchteten Süden liegt in der Eparchie Karystia der Oche (Hagios Ilias, 1475 m), dessen weißer, grün gestreifter Zwiebelmarmor (Cipollino) einst für die Bauten Roms gesucht war. Der im Altertum hier gefundene Asbest scheint erschöpft zu sein. Die alten Anwohner des Oche trieben starke Purpurfischerei, dazu Eisen- und Kupferbergbau. Der Norden (Eparchie Xerochorion) ist wohlbewaldet und wasserreich und von den Verzweigungen des Glimmerschiefergebirges Galtsades (985 m) erfüllt, unter dem Namen Telethrion bei den Alten wegen seiner vielen Arzneipflanzen berühmt. Außerdem erhebt sich zwischen letzterm und dem Dirphys bis zu 1209 m Höhe das Makistos- (jetzt Kandili-) Gebirge. Im N. bei Ädipsos befinden sich warme, schwefelhaltige Quellen, die noch jetzt von Hautkranken, Gichtischen etc. viel besucht werden. Nach O. stürzt E. steil ab, die Küste ist mit Felsenriffen und Klippen umgürtet und hat wenig Landungsplätze. Die Westseite fällt allmählicher ab. Sie enthält schöne Wälder und die fruchtbare, von klaren Flüßchen bewässerte Ebene Lelanton, die im Altertum E. zu Athens Kornkammer machte und noch jetzt Getreide, Öl, Feigen und Wein im Überfluß hervorbringt. Hauptbeschäftigung der Bewohner (1896: 103,265) bildet die Zucht von Schweinen, Schafen und Ziegen, die auf den kräuterreichen Weiden vortreffliche Nahrung finden. Auch sehr geschätzter Honig kommt in den Handel. Während der Norden und die Mitte der Insel nur von Griechen bewohnt werden, ist die Bevölkerung des Südens mit Albanesen gemischt. Mit den nördlichen Sporaden Skyros, Skiathos, Skopelos, Chiliodromia u. a. bildet E. einen Nomos des Königreichs Griechenland, der auf 4199 qkm (76,2 QM.) 1896: 115,515 Einw. zählt und in die vier Eparchien Chalkis, Xerochorion, Karystia und Skopelos zerfällt. Als die ältesten Bewohner Euböas werden die illyrischen Abanten, im N. die Hestiäer und Hellopen und im S. am Ochegebirge die Dryoper genannt. Diese Unterschiede unter der Bevölkerung verschwanden, als die Ionier (s.d.) einwanderten, sich über die ganze Insel verbreiteten und ihre Sprache zu der herrschenden machten. Der Handel war schon in früher Zeit blühend und wurde durch zahlreiche Kolonien auf der Halbinsel Chalkidike, an der thrakischen Küste, in Italien (Cumä, Rhegium) und auf Sizilien befördert. Die Fruchtbarkeit des Landes und die Industrie der Einwohner, die ihr Kupfer und Eisen selbst verarbeiteten, lieferten den Schiffen ihre Ladung. Das euböische Münzsystem war sogar in Sizilien eingeführt. Künste und Wissenschaften standen in hoher Achtung. Von den 70 Städten und Ortschaften der Insel waren Karystos an der Südküste (durch seinen Marmor und Asbest berühmt), Chalkis und Eretria die wichtigsten; zu einem engern Bündnis unter ihnen ließ es teils eigne Eifersucht, teils das Streben Athens, seinen Einfluß über die Insel auszudehnen, nicht kommen. Schon 507 v. Chr. bemächtigte es sich der Stadt Chalkis, um dort 4000 Kolonisten anzusiedeln, und seit den Perserkriegen stand E., nachdem Eretria 490 von den Persern wegen der Unterstützung der aufständischen Ionier zerstört und seine Einwohner nach Babylon fortgeführt waren, unter seiner Herrschaft; eine Empörung wurde von Perikles 445 unterdrückt. 411 fiel die Insel von neuem ab und wurde nach dem Peloponnesischen Krieg von Sparta, dann aber wieder von Athen abhängig, das um 376 die ganze Insel abermals beherrschte. Seit der Schlacht bei Leuktra, nach der sich die Euböer den Thebanern angeschlossen hatten, wechselte die Herrschaft fortwährend unter Bürgerkriegen und fremden Eingriffen, bis die Schlacht bei Chäroneia 338 die Insel König Philipp von Makedonien mit dem übrigen Griechenland unterwarf. 196 von den Römern für frei erklärt, bildeten die Städte der Insel einen unabhängigen Bund, der sich bis 146 behauptete, wo E. dem römischen Reich einverleibt wurde. 1204 n. Chr. wurde die Insel den Byzantinern entrissen und kam zunächst unter die Herrschaft lombardischer Großen, die am vierten Kreuzzug teilgenommen hatten; doch erlangte die Republik Venedig bald die Oberhoheit und um 1351 die ausschließliche Herrschaft über E. Unter türkische Herrschaft kam die Insel 1470 und blieb unter derselben, bis sie 1821 auf den Ruf der Modena Maurogenia das Banner der Freiheit erhob. Später ward sie dem neugebildeten Königreich Griechenland einverleibt. Vgl. Geyer, Topographie und Geschichte der Insel E. (Berl. 1903).