Gerichtsgebäude

[639] Gerichtsgebäude (hierzu Tafel »Gerichtsgebäude I und II«). Während in ältesten Zeiten unter freiem Himmel Gericht gehalten zu werden pflegte, besaßen bereits die Kulturvölker des Altertums, insbesondere Rom in seinen Basiliken (s. Basilika u. Rom), eine Art von Gerichtsgebäuden. Im Mittelalter mit seiner an die Person des Herrschers geknüpften Staatsgewalt, seinen städtischen, geistlichen und Patrimonialgerichtsbarkeiten gab es keine eigentlichen G., diese sind vielmehr erst das Ergebnis der staatlich geordneten Rechtspflege der Neuzeit (s. Gericht). Das Deutsche Reich besitzt seit 1877 eine einheitliche Gerichtsverfassung, und seitdem hat sich auch das Gerichtsbauwesen in Deutschland nach bestimmten Grundsätzen geregelt. Von dem kleinen bescheidenen Geschäftsgebäude für einen Amtsrichter durchläuft das G. alle Stadien bis zum riesigen Justizpalast. Man baut Amtsgerichte für 1–5 und mehr Richter, Landgerichte, vereinigte Land- u. Amtsgerichte, Oberlandesgerichte, die unter Umständen auch mit geringern Gerichten, z. B. Amtsgerichten, vereinigt werden, und bei örtlichem Bedürfnis große G., in denen bald nahezu jede Art von Gerichtspflege ihr Unterkommen findet (z. B. Köln und München), bald nur ein bestimmter Zweig derselben seine Stätte hat (z. B. Berlin: Kriminalgericht und das neue Land- und Amtsgericht 1). Als Sitz des höchsten Gerichtshofes endlich ist das Reichsgerichtsgebäude in Leipzig (s. Tafel »Leipziger Bauten«) eine Bauanlage von höchster monumentaler Bedeutung. Ein Beispiel für ein Amtsgericht kleinsten Umfanges für nur einen Richter gibt Tafel I, Fig. 1. Das Obergeschoß wird durch die Figur erklärt. Im Erdgeschoß sind Zellen für acht Gefangene nebst Spülzelle und die Wohnung des Gefangenaufsehers untergebracht, im Keller eine Strafzelle, ein Baderaum und Wirtschaftsräume. Erhält der Amtsrichter Dienstwohnung, so wird diese ins Obergeschoß gelegt, den Geschäftsräumen wird das Erdgeschoß zugewiesen und für das Gefängnis ein besonderer Flügel angebaut (Fig. 2). Fig. 3 gibt ein Beispiel der häufig vorkommenden Amtsgerichte für zwei Richter. Im Erdgeschoß liegen Zellen und die Gerichtsdienerwohnung, im zweiten Stock der Schöffensaal mit Zubehör und der zweite Richter mit seinem Bureau. Bei dem für vier Richter erbauten Amtsgericht in Marburg enthält das Erdgeschoß die Räume für einen Richter, das Grundbuch und die Kastellanswohnung. Im zweiten Stock befinden sich die Räume des dritten und vierten Richters, die Registratur und ein Parteienzimmer. Für das Gefängnis ist hier ein besonderes Gebäude errichtet. Für die Landgerichtsgebäude ist der Typus bestimmter. Sie enthalten: a) für das gewöhnliche gerichtliche Verfahren Sitzungssäle für die Zivil-, Handels- und Strafkammern von je 90–100 qm Grundfläche, die dazu gehörigen Beratungszimmer für je 3–5 Richter, Arbeitszimmer für den Präsidenten und die Direktoren des Landgerichts sowie für einige kommittierte Richter, Zeugen- und Parteienzimmer, Zimmer für Rechtsanwalte und Gerichtsdiener, endlich die erforderlichen Gerichtsschreibereien, die Registratur, Kanzlei und Bibliothek;

Land- und Amtsgericht I in Berlin. Erdgeschoß.
Land- und Amtsgericht I in Berlin. Erdgeschoß.

b) für das Schwurgericht einen Sitzungssaal von 150–170 qm Grundfläche, Beratungszimmer für 3–5 Richter, ein desgl. für 12 Geschworne mit Vorzimmer, ein Zeugenzimmer und einige Detentionszellen; c) für die Staatsanwaltschaft mehrere Arbeitszimmer für die Staatsanwalte nebst Expedition, Kanzlei, Registratur und einem Raum für Überführungsstücke. Fig. 5 gibt ein bezeichnendes Beispiel. Die schematische Einrichtung des Schwurgerichtssaales, der auch die der Strafkammersäle tunlichst folgt, gibt Fig. 6. Die Eingänge für Richter, Geschworne, Zeugen, Angeklagte und Publikum sind zu trennen. Auf eine abgesonderte Vorführungstreppe ist Wert zu legen. Als gutes Beispiel für ein Land- und Amtsgericht kann Fig. 7 gelten. Die Räume des Amtsgerichts pflegen bei dieser Verbindung ins Erdgeschoß gelegt zu werden, ebenso die Zimmer der Untersuchungsrichter mit ihren Bureaus und einigen [639] Zellen. Im zweiten Stockwerk finden die Staatsanwaltschaft, die im ersten Stock nicht unterzubringenden Bureaus des Landgerichts und die Zimmer für kommittierte Richter Platz. Oberlandgerichtsgebäude erhalten ähnliche Einrichtung wie die Landgerichtsgebäude, nur fallen bei ihnen die Räume für das Schwurgericht fort (Fig. 8). Die Abbildungen Tafel I, Fig. 9, und Tafel II, Fig. 1 u. 2, geben die Hauptgeschosse großer, weitverzweigter und architektonisch monumental behandelter G., Fig. 2 der Tafel II einen vielgenannten Vertreter der Justizpaläste des Auslandes. Im Sinne solcher Justizpaläste werden neuerdings auch die großen preußischen Gerichtsgebäude (z. B. in Berlin und Vororten, in Magdeburg, Halle etc.) erbaut, wobei besonderes Gewicht auf die Entwickelung großartiger Treppenhäuser und Wandelhallen gelegt wird (s. Textfigur, S. 639). Vgl. auch die auf den Tafeln: »Berliner, Hamburger und Münchener Bauten« enthaltenen Abbildungen.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 7. Leipzig 1907, S. 639-640.
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