Nigerĭa

[688] Nigerĭa, Name für die englisch-afrikan. Besitzungen am Niger, umfaßt nach der 1900 angebahnten und 1903 zum Abschluß gekommenen Entwickelung außer Lagos das Gebiet der Royal Niger Company oder Nigergesellschaft (Nord- oder Upper Nigeria) und das des Nigerküsten-Protektorats (Süd- oder Lower Nigeria). Vgl. die betreffenden Artikel. Außer einem Gouverneur in Lagos setzten die Briten je einen Oberkommissar für Nord- und Südnigeria (die Gebiete jener obengenannten Gesellschaften) ein. An Areal und Bevölkerung ergibt sich für: Lagos (s. d.) 69,000 qkm mit 1,300,000 Einw. (18 auf 1 qkm), Südnigeria 134,000 qkm mit 2,400,000 Einw. (18 auf 1 qkm), Nordnigeria 732,000 qkm mit 20 Mill. Einw. (27 auf 1 qkm) oder für die Nigerbesitzungen zusammen: 935,000 qkm mit 23,700,000 Einw. (25 auf 1 qkm). – Nordnigeria zerfällt in 16 Provinzen (mit je drei Residenten): Ilorin, Kabba, Mittelnigergebiet, Niederbinuë, Oberbinuë, Nupe, Kontagora, Borgu, Saria, Bassa, Muri, Bautschi, Yola, Sokoto, Katsena und Kano. Sklaverei ist abgeschafft. Der Handel, der von der Seeseite über Lagos und Südnigeria geht, ergab (aber sehr steigerungsfähig) für 1902: 81,684 Pfd. Sterl. an Einfuhr (Baumwoll- und Eisenwaren, Lebensmittel, Salz), 68,442 Pfd. Sterl. an Ausfuhr (Butter, Palmöl und -Nüsse, Erdnüsse, Gummi, Zucker, Elfenbein, Fälle und Kolanüsse). Außerdem wird auf den Karawanenstraßen nach Salaga, Tripolis, Marokko, der Sahara, Tsadsee und Wadai großer Handel getrieben. Die Eisenbahn von Zungeru-Wushishi ist nach Bari-Juko geführt (vielleicht weiter zum Niger), die von Lagos-Ibadan soll zum Niger geleitet werden, auf dem Niger verkehren sechs Dampfer; Telegraph führt von der Westgrenze nach Jebba, Lokoja und Binuë aufwärts nach Ibi; eine Seitenlinie nach Bid(d)a, Zungeru und Saria. Kriegerische Unternehmungen, wie der Zug gegen den Sultan von Bida, die Eroberung von Benin zur Strafe für die Ermordung einer englischen Gesandtschaft, die Demütigung von Nupe und Ilorin (1897), ferner das planmäßige Einschreiten gegen Sklavenjagden und die damit verbundenen Kämpfe gegen Bida (1901), Bautschi (1902) und Burmi (1903) machten die Engländer nach und nach zu Herren im Nigerlande. Den Ausbau der Kolonie verdankt Großbritannien namentlich dem Obersten Morland und dem Oberkommissar Lugard (s. d.). Morland nahm 2. Sept. 1901 Yola, die Hauptstadt des Emirs von Adamaua, im Sturme. Danach fand im Juni eine geschickte Verständigung der Briten mit Fad el-Allah (s. d.), dem Sohne Rabehs von Bornu, statt, bis dieser 23. Aug. gegen die Franzosen fiel, was eine starke Verstimmung in England hervorrief. Um weitern Übergriffen Frankreichs vorzubeugen, wurde in der Haussastadt Saria ein britischer Resident eingesetzt, nach Ilorin eine Besatzung gelegt. Ende März gelang die Gefangennahme des Emirs von Kontagora, der nach einer Niederlage im Februar 1901 nach Kano geflüchtet war. Mitte Mai wurde durch Einsetzung eines Residenten in Kuka die Besitznahme von Bornu durch England Tatsache. Die Absteckung der in den Verträgen mit Deutschland 1885, 1886, 1890 und 1893 erst angedeuteten Grenze gegen die deutsche Ecke am Tsadsee war die Aufgabe einer deutsch-englischen Kommission (Frühjahr 1903), während die genauere Feststellung der schon 1898 gezogenen Grenze am Nigerbogen nördlich und westlich von Sokoto durch eine englisch-französische Kommission besorgt wurde. Inzwischen war durch die Einnahme von Kano (3. Febr. 1903) und von Sokoto (s. d.), die im März erfolgte, die britische Eroberung Nigeriens vollendet worden. Doch wurde noch 14. Febr. 1906 eine englische Kompanie aus Sokoto bei Satiru vernichtet, und im März empörte sich der Emir von Hadedsha (östlich von Kano). – Südnigeria, getrennt von Nordnigeria durch eine Linie Ogpesefluß über Egpeni, Iduani, Ogpe, Idda, Ashaku zur deutschen Grenze, ist von wilden, dem Kannibalismus ergebenen Völkern bewohnt, den Jakri, Idgo, Ibo, Alpa, von denen einige Viehzucht treiben; die Unterwerfung der westlich vom Croßfluß wohnenden Arostämme machte vom Dezember 1901 bis März 1902 Schwierigkeiten. Das Land, flach und morastig, bringt bei heiß-feuchtem Klima (23–30°) Palmöl und -Kerne, Zucker, Elfenbein u.a. hervor, die auch zur Ausfuhr gelangen, 1903 im Werte von 1,431,984 Pfd. Sterl. gegenüber einer Einfuhr von 1,492,748 Pfd. Sterl. Sitz der Regierung ist Altkalabar; außerdem kommen in Betracht die Häfen Wari, Burutu, Akassa Braß, Degama, Bonny (5000 Einw.), Opobo. Die Militärmacht besteht aus 1250 Eingebornen (Infanterie). Mission üben drei britische (evangelische) und zwei französische (katholische) Gesellschaften, die auch Schulen halten. Telegraphenstationen sind Altkalabar, Bonny, Braß. Vgl. P. C. Meyer, Erforschungsgeschichte und Staatenbildung des Westsudân (Ergänzungsheft 121 zu »Petermanns Mitteilungen«, Gotha 1897); Robinson, N.; our latest protectorate (Lond. 1900); Mockler-Ferryman, British N. (das. 1902); Morel, Affairs of West Africa (das. 1903); Wallis, Advance of our West African empire (das. 1903); Hazzledine, The white man in N. (das. 1904); Lady Lugard, A tropical dependency: an outline of the ancient history of the Western Soudan (das. 1905, unzuverlässig).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 14. Leipzig 1908, S. 688.
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