Palestrīna [2]

[328] Palestrīna, Giovanni Pierluigi, nach seinem Geburtsort, der Stadt Palestrina, da P. (lat. Petraloisius Praenestinus) genannt, wurde wahrscheinlich 1514 oder 1515 (nach andern erst 1524 oder 1529) in Palestrina geboren und starb 2. Febr. 1594 in Rom. Er war 1544–51 Organist an der Hauptkirche seiner Vaterstadt und wurde 1551 zum Magister puerorum (Lehrer der Singknaben) an der Peterskirche in Rom ernannt und noch in demselben Jahre zum Kapellmeister befördert. In dieser Stellung erfreute er sich der besondern Gunst des Papstes Julius III., der ihn 1555 in das Sängerkollegium der Sixtinischen Kapelle berief, ebenso des Papstes Marcellus II. Da aber des letztern Nachfolger Paul IV. Anstoß daran nahm, daß P. nicht dem geistlichen Stand angehörte und sogar verheiratet war, so mußte er seinen Posten verlassen; doch erhielt er kurze Zeit darauf die eben erledigte Kapellmeisterstelle an San Giovanni im Lateran und 1561 die besser besoldete an Santa Maria Maggiore. In diese Zeit fallen seine achtstimmig für zwei Chöre geschriebenen Improperien (s. d.), die 1560 am Karfreitag zum erstenmal ausgeführt wurden und einen so tiefen Eindruck machten, daß der Papst Pius IV. deren bis heute festgehaltene regelmäßige Ausführung durch die sixtinische Kapelle in der Karwoche anordnete. Mit diesem Werk beginnt die durch P. bewirkte tatsächliche Lösung der Frage, wie die polyphone Musik zu gestalten sei, um die kirchliche Erbauung zu fördern. Die Gefahr, daß das Tridentiner Konzil die Kunstmusik ganz aus der Kirche verbannte, wurde durch drei Messen Palestrinas abgewendet, in denen (besonders in der dritten, die er in dankbarer Erinnerung an seinen Gönner, den Papst Marcellus II., »Missa Papae Marcelli« benannte) neben kunstvollster Stimmenverflechtung die Hauptbedingungen einer wirkungsvollen Vokalmusik, Deutlichkeit der Melodie und Verständlichkeit der Textesworte, so vollständig erfüllt waren, daß die Beibehaltung der Kunstmusik in der Kirche von seiten[328] des Konzils einstimmig beschlossen wurde. Infolge dieser rettenden Tat wurde P. zum Komponisten der päpstlichen Kapelle, 1571 (nach dem Tod Animuccias) auch wieder zum Kapellmeister der Peterskirche ernannt. Daneben war P. noch Lehrer an Naninos (s. d.) Musikschule und als Komponist für F. Neris (s. d.) Andachtsübungen tätig. Die letzten Jahre seines Lebens beschäftigte sich P. im Auftrage Gregors XIII. mit der Revision des Gregorianischen Chorals. Sein Leichnam ward in der Peterskirche beigesetzt und sein Grab durch die Inschrift »Musicae princeps« gekennzeichnet. Palestrinas zahlreiche Werke, mit Ausschluß zweier Bücher weltlicher Madrigale sämtlich für die Kirche geschrieben (93 Messen bis zu 8 Stimmen, 139 Motetten bis zu 12 Stimmen, Lautationen, Hymnen, Magnifikats etc., geistliche Madrigale), erschienen zu seinen Lebzeiten nur teilweise im Druck und der damaligen Sitte gemäß nur in Stimmenausgaben. In neuerer Zeit, nachdem sie zuerst durch Cherubini in weitere Kreise eingeführt worden, erschienen sie auch in Partitur (von Alfieri, einzelne Werke in Proskes »Musica divina«). Eine Gesamtausgabe der Werke, herausgegeben von Haberl u.a., erschien 1862–94 in 34 Bänden bei Breitkopf u. Härtel in Leipzig. Ausgewählte Motetten und Messen mit Vortragsbezeichnung gab H. Bäuerle heraus. Vgl. Baini, Memorie storico-critiche della vita e delle opere di Giovanni Pierluigi da P. (Rom 1828, 2 Bde.; in verkürzter Fassung deutsch von Kandler und Kiesewetter, Leipz. 1834); Bäumker, P., ein Beitrag zur kirchenmusikalischen Reform (Freiburg i. Br. 1877); Cametti, Cenni biografici di Giov. Pierl. da P. (Mail. 1895); Félix, P. et la musique sacrée 1594–1894 (Brüssel 1895); M. Brenet, Palestrina (Par. 1906). Ein Briefwechsel Palestrinas mit dem Herzog Wilhelm Gonzaga von Mailand siehe in Haberls »Kirchenmusikalischem Jahrbuch«, 1886.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 15. Leipzig 1908, S. 328-329.
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