[841] Zahnlücker (zahnarme, fälschlich zahnlose Säugetiere, Edentata, Bruta; hierzu Tafel »Zahnlücker I u. II«), eine trotz ihrer wenigen lebenden Vertreter doch sehr formenreiche Ordnung der Säugetiere. Charakteristisch ist zunächst für sie das Gebiß, das in[841] einzelnen Fällen gänzlich fehlt, bei allen, mit einer einzigen Ausnahme, der Vorderzähne entbehrt, bei einigen hingegen sich durch die große Anzahl der Backenzähne (bis zu 100) auszeichnet. Die Zähne werden nicht gewechselt (mit Ausnahme von Orycteropus, der ein Milchgebiß hat) und haben keinen Schmelz. Die Zahl der Halswirbel ist gleichfalls nicht konstant; so hat z. B. Bradypus tridactylus 9, Choloepus nur 6 statt der für die Säugetiere gültigen 7. Nach Gestalt und Ernährungsweise lassen sich zwei Gruppen unterscheiden. Die einen (Erdschweine, Ameisenfresser, Schuppen- und Gürteltiere) sind Insektenfresser (Entomophaga) mit langgestrecktem, spitzem Kopf, schwachen Kiefern und kurzen Beinen, deren wenig bewegliche Zehen kräftige Scharrkrallen tragen. Die Haut ist häufig mit großen, wie Dachziegel angeordneten Hornschuppen oder mit einem gegliederten knöchernen Panzer bedeckt. Die andern (Faultiere) nähren sich von Blättern, haben einen runden Affenkopf mit kurzen, hohen Kiefern, einen ungemein schwerfälligen Körper und sehr lange, mit Sichelkrallen bewaffnete Vorderbeine, die beim Klettern gute Dienste leisten; die Haut ist mit grobem Haar bedeckt. Das Gehirn der Zahnarmen steht in mancher Beziehung dem der Huftiere nahe, ist aber noch einfacher und häufig (bei den meisten kleinern Arten) an der Oberfläche ganz ohne Windungen. Sehr entwickelt sind die Speicheldrüsen; bei den Faultieren erinnert der Magen an denjenigen der Wiederkäuer. Die Hoden liegen in der Bauchhöhle. Die Gebärmutter ist meist einfach, hat jedoch bei einzelnen Gattungen einen doppelten Muttermund. Die Z. sind träge, stumpfsinnige Tiere, bewegen sich langsam, klettern oder graben Höhlen. Die lebenden 13 Gattungen (mit etwa 40 Arten) sind auf Südamerika beschränkt, nur Manis und Orycteropus sind in Afrika und Asien zu Hause. Auch die fossilen Formen, darunter Tiere von der Größe des Elefanten, so die Riesenfaultiere (Megatherium, Mylodon) scheinen hauptsächlich in Amerika gelebt zu haben, wo man sie im Diluvium gefunden hat; aus Europa kennt man nur Verwandte des Orycteropus, der heute in Südafrika lebt. Die Einteilung der Z. ist zurzeit noch nicht befriedigend, da die einzelnen Gruppen sehr weit voneinander geschieden sind und auch durch fossile Zwischenformen noch nicht recht verbunden werden. Man unterscheidet:
I. Tillodontier (Tillodontia). Nur fossil, aus dem Eocän der Vereinigten Staaten, bilden vielleicht die Vorfahren der heutigen Zahnlücker.
II. Riesenfaultiere (Gravigrada). Ebenfalls nur fossil, in den Knochenhöhlen Nordamerikas und Brasiliens gefunden.
Im wesentlichen den heutigen Faultieren ähnlich, jedoch mit geschlossenem Jochbogen, mit 45 Zehen an den Vorder- und 34 an den Hinterfüßen und mit starkem Schwanz. Hierher unter andern: Megatherium (s. Tafel »Diluvium I«, Fig. 3) aus dem Diluvium Südamerikas, von Elefantengröße, Mylodon (s. ebenda, Fig. 12), von demselben Fundort, aber auch von Nordamerika, Scelidotherium aus Süd-, Megalonyx aus Nordamerika etc. S. Megatherium.
III. Faultiere (Bradypodidae, Tardigrada). Kopf rundlich, Jochbogen nicht geschlossen, Gesicht ähnlich dem der Affen; Arme sehr lang; Zitzen an der Brust; Schwanz äußerst kurz oder gar nicht vorhanden; Vorderfüße mit 23, Hinterfüße mit 3 Zehen; Körper mit grauem Haar bedeckt; Gebiß m 5/5 oder 5/4; Magen zusammengesetzt, ähnlich dem der Wiederkäuer. Leben nur auf Bäumen, wo sie sich mit ihren langen, sichelförmigen Krallen festhalten und sich langsam, aber sicher fortbewegen, während sie auf dem Boden äußerst unbehilflich sind. Zwei lebende Gattungen mit 12 Arten, nur in den großen Wäldern von Guatemala bis Brasilien und Ostbolivia: Bradypus, das dreizehige Faultier (s.d.), und Choloepus, das zweizehige Faultier oder der Unau (Tafel II, Fi. 1). Fossil aus den brasilischen Knochenhöhlen: Coelodon und Sphenodon.
IV. Gürteltiere (Panzertiere, Loricata, Armadille, Dasypodidae). Kopf und Schnauze spitz; Hinterbeine fünfzehig und länger als die meist vierzehigen Vorderbeine; Ohren meist groß; Backenzähne meist zahlreich, aber klein, Schneidezähne nur bei zwei Gattungen vorhanden; Zunge nicht weit vorstreckbar; Rücken mit einem Panzer von beweglichen Knochenplatten, oft auch Kopf und Schwanz mit Schildern; Zitzen an der Brust. Sechs lebende Gattungen mit 17 Arten, nur in Amerika, von Texas bis zu den Ebenen Patagoniens; hierher unter andern: Dasypus, das Gürteltier (Tafel I, Fig. 1), mit Schneidezähnen, Prionodontes, das Riesengürteltier, von 1,5 m Länge, Chlamydophorus, das Panzertier, mit lederartigem Rückenpanzer und kaum sichtbaren Ohren. Fossil aus den Knochenhöhlen Brasiliens außer echten Gürteltieren auch die Gattungen Chlamydotherium von der Größe eines Nashorns, Glyptodon (s. Tafel »Diluvium I«, Fig. 1) von der Größe eines Elefanten; sie haben im Knochenbau einige Verwandtschaft mit den Riesenfaultieren.
V. Schuppentiere (Manididae). Körper mit Hornschuppen und Haaren bedeckt; Kiefer zahnlos; Schwanz lang; Füße fünfzehig; Zunge weit vorstreckbar. Nur die Gattung Manis mit mehreren Arten, im westlichen und südlichen Afrika sowie in Südasien bis nach China hin und auf Java, Borneo etc. (Tafel I, Fig. 2).
VI. Ameisenfresser (Myrmecophagidae). Körper mit Haaren bedeckt; ohne Zähne; Zunge weit vorstreckbar; Schwanz lang. Drei lebende Gattungen mit 5 Arten, nur in den Wäldern Südamerikas; hierher Myrmecophaga, der Ameisenfresser (s.d.u. Tafel II, Fig. 2). Fossil die Gattung Glossotherium aus Brasilien.
VII. Erdschweine (Orycteropidae). Körper mit langen Borsten bedeckt; Ohren lang; Schwanz kurz; Kiefer mit kleinen, gleichartigen Zähnen; Vorderfüße mit 4, Hinterfüße mit 5 langen Krallen. Nur eine lebende Gattung, Orycteropus, das Erdschwein (Tafel I, Fig. 3), am Kap sowie im nördlichen Afrika. Von Fossilien gehören vielleicht hierher Ancylotherium und Macrotherium aus dem europäischen Miocän.
Vgl. Ball, Edentata (Lond. 1836); Rapp, Anatomische Untersuchungen über die Edentaten (2. Aufl., Tübing. 1852).