Hungertuch

1. Am Hungertuch nagen, macht schwächlich zu schlagen.Fischart, Gesch., in Kloster, VIII, 408.

»Der hungerig Wolff muss den lären Magen mit Sand füllen, dass er gewichtig sei ein Pferd niederzuziehen.« (Fischart, Gesch., in Kloster, VIII, 408.)


*2. Am Hungertuche nagen.Grimmelshausen, Vogelnest, II; Ayrer, IV, 2419, 9; Schottel, 1112a; Wurzbach II, 103; Eiselein, 335; Körte, 3054c; Meinau, 103; Braun, I, 1570; für Tirol: Schöpf, 282.

Sich höchst armselig behelfen, kümmerlich leben müssen, am Nothwendigsten Mangel leiden. Frisch leitet diese Redensart von dem schwarzen Tuche ab, womit in einigen Gegenden zur Fastenzeit der Altar behangen wird, was eine Anspielung auf die um diese Zeit in der katholischen Kirche übliche Enthaltung von allem Fleische sein soll. Vielleicht ist sie aber eher von der schrecklichen Erfahrung abzuleiten, welche man an bereits begrabenen Scheintodten machte, die in der wirklichen Todesangst im Sarge das Leichentuch in den Mund steckten, um nur bald aus diesem Schreckenszustande zu kommen. – Eiselein weiss keine befriedigende Erklärung dieser Redensart. – Stöber (Sagen des Elsasses, S. 63) sagt: »Im Jahre 1347 herrschte eine furchtbare Hungersnoth im ganzen Lande (Elsass) und war grosses Elend. Zur Erinnerung daran wurde das grosse Hungertuch gemacht, welches noch heutzutage von Aschermittwoch bis zum Sonntag nach Ostern über den Hauptaltar gespannt wird, um die Ornamente desselben zu verhüllen. Davon kommt der sprichwörtliche Ausdruck: Am Hungertuche nagen.« »Dich soll lehren das Hungertuch, so man aufspannt (am Aschermittwoch vor dem Altarbilde) Abstinenz und Fasten.« (Geiler.) – » ... Den nechsten Sonntag darnach gibet man der Fassnacht vrlaub verbutzet vnd verhüllet sich aber, trinken sich voll, spielen vnd rasseln zuletzt. Alsdan folget die trawrige Fassnacht, darin essen sie (die Römischen) viertzig Tag kein Fleysch, auch nicht Milch, Käss, Eyer, Schmaltz, dann vom Römischen Stuel vnd gnad erkaufft. Da beichten die Leut nach ordnung. Da verhüllet man die Altar vnd Heiligen mit tuch vnd lässt ein Hungertuch herab, das die sündigen Leuth die Götzen nicht ansehen noch die heiligen Bilder die Sünder« u.s.w. (Franck, Weltbuch, CXXXa.) – »So müssens offt am Hunger gnagen.« (Waldis, IV, 42, 74; Ayrer, IV, 2571, 25.) (S. Hungerpfote.)

Lat.: Cum exossis suum rodit pedem. (Philippi, I, 102.)


*3. Am Hungertuche nehen.Fischer, Psalter, 112a.

»Vnd muss am hunger Thuch selb nehen.« (H. Sachs, II, XXII, 2; XXXVII, 1; LXXX, 2; IV, CXIII, 1.)


*4. Das Hungertuch auf hängen.

»Der wegen wil ich auch bald im Anfange der gewöhnlichen Fastenzeit das rechte Hungertuch auffhengen.« (Herberger, I, 2, 257.) – »In etlichen Städten pflegt man in der Fasten nach Alter weise das Chor (der Kirche) mit einem grossen Hungertuche zu schliessen, daran ist das gantze Passion gemalet, damit haben vnsere Vorfahren gleich also wollen sagen: Schawe, lieber Christ, wiltu das glauben, was allhier von deinem Herrn Jesu abgemalet ist, so wirst du offt müssen ins Hungerland ziehen vnd am Hungertuche nagen, aber sey getrost, so geschwind kan der Herr das Hungertuch spannen, so bald kan ers auch wieder abnehmen.« (Herberger, I, 305.) – »Man soll in der Marterwochen nicht das Hungertuch, Palmschiessen, Bilderdecken und was des Gaukelwerks mehr ist, halten.« (Luther's Werke, III, 303.)


*5. De Hungerdôk is follen.Dähnert, 200b.

Das in den Kirchchören ausgehangene Tuch zum Zeichen der angegangenen päpstlichen Fasten ist eingezogen, die Fasten sind beendigt.

Quelle:
Karl Friedrich Wilhelm Wander (Hrsg.): Deutsches Sprichwörter-Lexikon, Band 2. Leipzig 1870, Sp. 921.
Lizenz:
Faksimiles:
Kategorien:
Ähnliche Einträge in anderen Lexika