[335] Brüssel, Haupt- und Residenzstadt des Königreichs Belgien, bis 1830 zweite Hauptstadt des Königreichs der Niederlande, liegt in einer der fruchtbarsten Gegenden von Brabant an der Senne und mehren schiffbaren Kanälen, ist mit Mecheln durch eine Eisenbahn verbunden und hat 112,000 Einw.
B. steht auf so unebenem Boden, daß im Mittelpunkte der Stadt eine steinerne Doppeltreppe von 50 Stufen die Verbindung zwischen den hoch und tief gelegenen Theilen erleichtert, ist aber im Ganzen schön gebaut, hat acht große Plätze, unter denen der Königs-, Michaelis- und Sandplatz die vorzüglichsten sind und ist reich an ausgezeichneten Gebäuden. Besonders erwähnenswerth sind: das große kön. Schloß; das neue Schauspielhaus; die Paläste der Herzoge von Aremberg und des Prinzen von Ligne; die St.-Gudulakirche aus dem 13. Jahrh. mit 16 Kapellen und herrlichen Malereien; das umstehend abgebildete Rathhaus u.s.w. Letzteres wurde von 1380–1442 erbaut und die Sage läßt seine Grundpfeiler auf Unterlagen von Ochsenhäuten ruhen; auch soll sich sein Baumeister aus Verzweiflung erhängt haben, weil der 364 F. hohe Thurm, dessen Spitze eine 12 F. große kupferne und vergoldete Statue des h. Michael ziert, nicht in die Mitte zu stehen gekommen ist. Eine besondere Zierde der Stadt ist ferner der eine halbe Stunde im Umfange haltende geschmackvoll angelegte Park hinter dem kön. Schlosse, in welchem sich vorzüglich die mit weißen Marmorstatuen gezierte sogenannte grüne Allee auszeichnet; auch wird dort ein steinerner Brunnen mit einer Inschrift gezeigt, laut der Peter der Große darin ein gezwungenes. Bad genommen haben soll. Unter den öffentlichen Bildungsanstalten [335] steht die am 20. Nov. 1834 eröffnete Universität oben an; ferner bestehen hier ein Lyceum, Schulen für Maler, Bildhauer, Baumeister, für Musik und Gesang, ein Conservatorium der mechanischen Künste und Gewerbe, Gesellschaften zur Aufmunterung der schönen Künste und zur Beförderung der Nationalindustrie, eine 1823 errichtete Bank mit 50 Mill. Gulden Stammcapital, welches auf Actien zu 5000 Gulden zusammengeschossen wurde, gelehrte und literarische Vereine verschiedener Art, eine Bibliothek von 90,000 Bänden, eine Sternwarte, ein Naturaliencabinet, eine öffentliche Gemäldesammlung, ein botanischer Garten u.s.w. Unter den zahlreichen Erzeugnissen des Fabrikwesens gehören Spitzen, goldene und silberne Tressen, seidene, baumwollene, wollene Waaren, Kutschen, Hüte und Tapeten zu den vorzüglichsten und werden, sowie Getreide, Kleesamen, Bausteine und andere Landesproducte von B. zum Theil über Antwerpen (s.d.) in Menge ausgeführt. Ein wichtiger Erwerbszweig ist auch der Nachdruck franz. Bücher und Zeitschriften, welcher in B. im Großen betrieben wird und seine Producte selbst nach Frankreich abzusetzen weiß. Alle 50 [336] Jahre wird in B. zu Ehren der 1370 durch Juden verhöhnten Hostie das Kirchenfest vom h. Sacrament gefeiert, zu dem sich im Jul. 1820 gegen 30,000 Fremde einfanden. Dreiviertel Stunde von der Stadt und durch schöne Alleen mit derselben verbunden, liegt auf einer sanft ansteigenden Höhe bei dem gleichnamigen Dorfe das kön. Sommerresidenzschloß Laeken, von dem aus man B. und die an freundlichen Ortschaften und schönen Landsitzen reiche Umgegend überblickt und. dessen Park ein Sammelplatz der brüsseler eleganten Welt ist.
B. verdankt seine Entstehung dem h. Gerald, Bischof von Cambray, der hier auf einer Insel in der Senne zu Ende des 7. Jahrh. eine Kapelle erbaute, welche bald der Kern eines ansehnlichen Ortes wurde. Im 11. Jahrh. bekam B. Mauern und ward Residenz der Herzoge von Brabant, doch erst im 14. Jahrh. begann die eigentliche Blüte der Stadt, deren Bewohner gleich denen aller großen niederländ. Städte sich von jeher durch Behauptung ihrer Freiheiten und Rechte, vorzüglich in Bezug auf Religion und Abgabenbewilligung, auszeichneten. Die geringste Beeinträchtigung derselben reizte sie bis zur Selbsthülfe, die oft in Verhaftung des Regenten bestand, bis die allgemeine Beschwerde gehoben war, was auch die deutschen Kaiser Maximilian I. und Karl V. erfuhren. Unter der Regierung des span. Königs Philipp II. (1556–98) wurde B. der Sitz des Statthalters und der der Regierung; der Herzog von Alba (s.d.) ließ hier die patriotischen Grafen Egmont und Hoorn hinrichten und während des Aufstandes der Niederlande (1572–1648) war B. der Hauptwaffenplatz der Spanier. Die Kämpfe Ludwig XIV. mit Spanien und Ludwig XV. mit Östreich schlugen B. tiefe Wunden, die Revolutionskriege aber brachten es schon 1792 in die Gewalt der Franzosen. Zwar eroberten es im März 1793 die Östreicher wieder und Kaiser Franz II. empfing hierauf als Herzog von Brabant im Apr. die Huldigung der Stände, allein im Jul. 1794 besetzten es die Franzosen von Neuem, behielten es im Frieden von Campo Formio und B. war nun die Hauptstadt des Dyledepartements, bis es nach dem Aufhören des franz. Kaiserthums mit ganz Belgien dem Königreich der Niederlande zufiel. Die entstandene und lange genährte Unzufriedenheit mit dieser Vereinigung brach nach der franz. Juliusrevolution im J. 1830 in B. zuerst in offenen Aufstand gegen die Holländer aus, und nachdem in der Nacht des 25. Aug. die Druckerei des der Regierung befreundeten Libry-Bagnano, die Paläste des Ministers van Maanen, des Policeidirectors und anderer hohen Beamten gestürmt worden waren, ward von den Belgiern überall das oranische Wappen vernichtet; doch erst ein neuer Aufstand in B. am 20. Sept. und die blutigen Kämpfe mit den Truppen des Prinzen von Oranien in den Straßen der Stadt vom 22–26. Sept. vollendeten gewissermaßen die belgische Revolution und führten die Errichtung des Königreichs Belgien (s.d.) herbei.