[489] Philosophie (die) ist eine Wissenschaft, welche aus dem angestrengten Forschen der Menschen nach den Gründen oder dem Wesen der Dinge sich gebildet hat und von dem Erhabensten, was die menschliche Vernunft als die Bedingung alles Seins und Wissens oder der Welt anerkennt und der Glaube voraussetzt, die für uns erreichbar höchste Erkenntniß zu erlangen sich bestrebt. Diese philosophische Erkenntniß hält sich daher nicht blos an das in Raum und Zeit Gegebene, sondern sucht die Gründe des Vorhandenen und noch Möglichen und die Nothwendigkeit desselben zu erforschen und, so weit es angeht, selbst bis in das Gebiet des Übersinnlichen zu verfolgen. Das Mittel dazu ist diejenige beharrliche und angestrengte innere Geistesthätigkeit, welche philosophiren genannt wird und im vernünftigen Nachdenken über die Gegenstände der Philosophie und der Darstellung der auf solche Art gefundenen Vernunftideen in klaren Begriffen besteht. Wie jede höhere menschliche Thätigkeit bedarf auch das Philosophiren eine günstige Naturanlage zu seiner glücklichen Ausübung, die aber keineswegs der sorgfältigen Ausbildung und entsprechenden Anregung durch mündliche Vorträge über Philosophie und Lesen ausgezeichneter philosophischer Schriften entbehren darf. Die Philosophie fodertgleichsam von Jedem, der sich ihrer bemächtigen will, vom Äußern abzusehen, das ihn umgibt, und auf sein Inneres, sein eigentliches Ich zu achten, um vor allen Dingen sich selbst, d.h. sein Vermögen, die Gesetze und Schranken seiner gesammten Thätigkeit, kennen zu lernen. Wer dies anhaltend und ernstlich genug gethan hat und sonst geistiger Befähigung nicht entbehrt, wird dadurch ein höheres, weiter sehendes Wissen in sich erzeugt haben als jenes gemeine, welches alle Menschen von Natur besitzen und sich mittels desselben von dem Wie und Warum alles Dessen, was ihn als vernünftiges Wesen interessirt, eine Rechenschaft geben können, welche ihn selbst und auch wol Andere zufrieden stellt. Er [489] wird dadurch ein klares, ruhiges, festes, in sich selbst harmonisches Bewußtsein von sich, von der Außenwelt, von seinen Rechten und Pflichten in dieser, von seinen Aussichten und Hoffnungen in Bezug auf jene Welt gewonnen haben, daher mit sicherm Schritte der Zukunft entgegengehen und gern sein Schicksal einer höhern Hand überlassen, die Alles trägt und hält und lenkt. Wer es aber durch sein Forschen und Denken dahin gebracht hat, ist ein Philosoph, d.h. nach der griech. Abstammung des Ausdrucks, Einer, der die Wahrheit liebt und die Weisheit sucht, wie denn auch Philosophie die Liebe oder das Streben nach Weisheit bedeutet. Die Benennung Weltweisheit erhielt die Philosophie im Mittelalter im Gegensatze zur Offenbarung oder christlichen Religion.
Bei den Versuchen, die Idee der Philosophie zu verwirklichen, ist es die natürliche Folge der verschiedenen Ausbildung der Philosophirenden, ihrer verschiedenen Befähigung und der auf sie einwirkenden Umstände der Zeit und Örtlichkeit, daß sie zu mannichfaltigen Gestaltungen der philosophischen Erkenntniß führten, welche in Bezug auf ihren wissenschaftlichen Charakter philosophische Systeme genannt werden. Der Idee nach kann es zwar nur ein solches System, nur eine Wahrheits- und Weisheitslehre geben, die nach Inhalt und Form überall vollkommen und darum allgemein gültig wäre; allein dieses Ziel vermag die Philosophie nur annähernd zu erreichen, weil sie stets im Fortbilden begriffen und für den menschlichen Geist eine unendliche Aufgabe ist. Von der zeitlichen Folge und dem innern Zusammenhange jener verschiedenen Systeme gibt die Geschichte der Philosophie Nachricht. Indem aber die Philosophie die Lösung der höchsten, Allem zum Grunde liegenden Fragen unternimmt, gibt sie zugleich jeder andern Wissenschaft ihren Boden und ihre Richtung; denn durch das von jener als Höchstes in Allem Anerkannte wird bei dem Zusammenhange unter den Dingen der Welt nothwendig das Höchste jeder besondern Wissenschaft bedingt und man nennt sie daher auch die Urwissenschaft oder Wissenschaft der Wissenschaften zumal sie auch die Gesetze aller wissenschaftlichen Form in ihrem Ursprunge auffaßt und aufstellt. Um vom Inhalt und Umfang der Philosophie so viel möglich einen Gesammtüberblick zu erhalten, hat man dieselbe von jeher in mehre philosophische Wissenschaften zerlegt oder eingetheilt; allein da die Philosophen über den Begriff der Philosophie im Ganzen nicht einer Meinung sind, gilt dasselbe natürlich auch von ihren Theilen. Die bei den Alten gewöhnliche Eintheilung war die in Logik, Physik und Ethik, wozu Manche noch die Politik gesellten, und Aristoteles scheint zuerst dazu noch die Theilung in theoretische (Logik und Physik) und praktische Philosophie (Ethik und Politik) aufgestellt zu haben. In neuerer Zeit sind Logik (Denklehre) und Metaphysik (Erkenntnißlehre) zum theoretischen, die philosophische Rechtslehre (Naturrecht), wovon Staats- und Völkerrecht und Politik nur angewandte Wissenschaften sind, die Moral oder Sittenlehre und auch wol die anthropologischen Wissenschaften (s. Anthropologie) zum angewandten Theile der Philosophie und die Ästhetik (s.d.) zum einen oder andern gerechnet worden.
Was die geschichtliche Entwickelung der Philosophie betrifft, so erhielt dieselbe von den Griechen die erste eigenthümliche und selbstbewußte Ausbildung, indem namentlich die ältern philosophischen Lehren und Aussprüche der Morgenländer nicht Ergebnisse regelmäßigen Nachdenkens, sondern mehr der religiösen Begeisterung waren. Schon um 600 v. Chr. soll Thales zu Milet, der größten Stadt von Ionien, die erste philosophische Schule gestiftet haben, wie man jeden freiwilligen Verein von Philosophen nennt, welche sich zu übereinstimmenden philosophischen Ansichten bekennen und diese mündlich oder schriftlich zu verbreiten suchen. Man benennt diese Schulen bald nach den Ländern, Städten oder andern Orten, wo sie gestiftet wurden, daher die obige die ionische heißt, bald nach ihren Stiftern, wie die Pythagorische um 540 n. Chr. entstandene vom Pythagoras (s.d.). Erst durch die Eroberung Griechenlands wurden die Römer mit griech. Philosophie bekannt, welche von ihnen nur aufgenommen und verbreitet wurde. Nachdem aber die heidnischen Philosophenschulen durch das zur Herrschaft gelangte Christenthum im röm. Reiche verdrängt waren, wurde die Philosophie in den von der Kirche gegründeten christlichen Lehranstalten nur als Nebensache behandelt. Diese untergeordnete Stelle behielt sie auch seit dem Aufkommen der Scholastik oder scholastischen Philosophie im 9. Jahrh., welche vorzugsweise dazu diente, die gegebenen Lehren der Kirche der Vernunft so annehmlich wie möglich zu machen. Eine mehr selbständige Richtung erhielten im 13. Jahrh. die philosophischen Bestrebungen durch den von Spanien und Portugal aus sich geltend machenden Einfluß der, griech. Philosophie und hauptsächlich die des Aristoteles verbreitenden Araber, deren literarische Blüte in das Mittelalter fällt und mit deren Arbeiten die christliche Welt vornehmlich durch jüdische Gelehrte bekannt wurde. Mit der Wiederherstellung der alten classischen Literatur und der bald darauf folgenden Reformation der Kirche beginnt im 16. Jahrh. auch die Periode der neuern Philosophie, deren zunehmend freiere und selbständige Forschung sie immer unabhängiger von der Theologie und zugleich der Herrschaft der Scholastik ein Ende machte; völlig beseitigt aber wurde diese keineswegs und findet sich noch jetzt in vielen katholischen, namentlich in den von Jesuiten geleiteten Schulen, die sie am tauglichsten für ihre Zwecke finden. Der Bekämpfung der Scholastik, bei der man sich auf die alte griech. Philosophie in ihrer Reinheit stützte, folgten die Aufstellung neuer Ansichten und Versuche zu ihrer Begründung, indem man, wie die engl. Philosophen Baco, Baron von Verulam, geb. 1561, gest. 1626, der unter Jakob I. die höchsten Staatswürden bekleidete, sie aber wegen seiner Bestechlichkeit verlor, zu der ihn Prachtliebe und Verschwendung verleiteten, und der spätere Locke (s.d.), die Erfahrung als Hauptquelle der Erkenntniß betrachtete, während dagegen der Franzose Descartes oder Cartesius (s.d.) die Philosophie auf ihrem eignen Boden, jedoch nicht ohne willkürliche Voraussetzungen zu begründen suchte und z.B. gewisse angeborene Ideen annahm. Unter die hervorragendsten philosophischen Köpfe des 17. Jahrh. gehört auch Spinoza (s.d.) aus Amsterdam, auch traten nun endlich in Deutschland, das bisher seine Aufmerksamkeit mehr auf Das gerichtet zu haben schien, was im Auslande für die Philosophie geschah, geisteskräftige Männer auf, die mit Jenen wetteiferten. Leibnitz (s.d.) wurde gewissermaßen Begründer der deutschen Philosophie, indem noch kein Deutscher mit solcher Originalität, [490] Gelehrsamkeit und so viel Geschmack auf diesem Gebiete gewirkt hatte; ein jüngerer Zeitgenosse desselben aber, Christian Wolf, gest. 1754, führte dieselbe in die Hörsäle der deutschen Universitäten ein und erwarb sich durch seine Bemühungen, der Philosophie innere Haltung zu geben, sowie um die Verbreitung philosophischer Bildung in Deutschland die wichtigsten Verdienste. Seine Einwirkung bildet gleichsam die Mittelstufe, von welcher die Deutschen mittels der von David Hume's (s.d.) philosophischen Ansichten angeregten Untersuchungen eines der ersten Denker aller Zeiten, Immanuel Kant's (s.d.), und der von ihm bewirkten Umwälzung auf dem Gebiete der Philosophie und der Wissenschaften überhaupt, zu einer vorher unerreichten wissenschaftlichen Höhe fortschritten. Es bildete sich seitdem eine ganz eigenthümliche Philosophie in Deutschland aus, die man anfangs die kritische (s. Kritik) nannte, allein die durch einzelne mehr und weniger befähigte Denker mannichfaltigen Umgestaltungen unterlegen ist. Zugleich stellten sich mehre neuere Bearbeiter der Philosophie die Aufgabe, sie mit Religion und Leben in nähere Verbindung zu bringen, und die vereinten Bestrebungen jener Männer (Fichte, Fries, Hegel, Jacobi, Krug, Schelling), zu denen auch der noch in Göttingen lehrende und eine selbständige Stellung einnehmende Joh. Jak. Herbart (geb. 1776 zu Oldenburg) gehört, haben sowol für allgemeine Bildung in Deutschland die wichtigsten Folgen gehabt, als insbesondere auf dem Gebiete der Philosophie eine Thätigkeit herbeiführen helfen, wodurch die deutsche Philosophie die anderer Länder weit überflügelt hat. – Philosophische Facultät wird auf Universitäten diejenige Abtheilung der Lehrer genannt, welche vorzugsweise Philosophie vorzutragen haben, der aber allmälig auch Mathematik, Physik, Geschichte, Geographie, Philologie und Alles zugewiesen wurde, was nicht in den gewöhnlich daneben bestehenden drei übrigen Facultäten (s. Universitäten) gelehrt wird. – Philosophumene oder Philosopheme sind einzelne philosophische Lehren oder Aussprüche.
Adelung-1793: Philosophie, die
Brockhaus-1809: Transcendental-Philosophie · Die Philosophie · die kritische Philosophie
Brockhaus-1911: Peripatetische Philosophie · Mechanische Philosophie · Schottische Philosophie · Philosophie · Englische Philosophie · Deutsche Philosophie · Griechische Philosophie · Französische Philosophie
DamenConvLex-1834: Philosophie
Eisler-1904: Praktische Philosophie · Positive Philosophie · Theoretische Philosophie · Philosophie · Vedische Philosophie · Philosophie der Geschichte · Geschichte der Philosophie · Erste Philosophie · Katholische Philosophie · Philosophie · Negative Philosophie
Eisler-1912: Vedische Philosophie
Herder-1854: Philosophie · Römische Philosophie · Schottische Philosophie · Peripatetische Philosophie · Deutsche Philosophie · Französische Philosophie · Griechische Philosophie
Kirchner-Michaelis-1907: patristische Philosophie · Philosophie · Protestantismus und Philosophie · Geschichte der Philosophie · Ionische Philosophie · Katholizismus und Philosophie
Mauthner-1923: primitive Philosophie
Meyers-1905: Indische Philosophie · Philosophie · Alexandrinische Philosophie · Attische Philosophie
Pierer-1857: Attische Philosophie · Französische Philosophie · Aristotelische Philosophie · Akademische Philosophie · Alexandrinische Philosophie
Buchempfehlung
Die beiden betuchten Wiener Studenten Theodor und Fritz hegen klare Absichten, als sie mit Mizi und Christine einen Abend bei Kerzenlicht und Klaviermusik inszenieren. »Der Augenblich ist die einzige Ewigkeit, die wir verstehen können, die einzige, die uns gehört.« Das 1895 uraufgeführte Schauspiel ist Schnitzlers erster und größter Bühnenerfolg.
50 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.
456 Seiten, 16.80 Euro