Reliqion

[669] Reliqion ist ein aus dem Lateinischen stammendes Wort, dessen Bedeutung die innere Verbindlichkeit gegen ein Höheres, Göttliches ist, worin auch im Allgemeinen der Begriff der Religion nach seinen zwei wesentlichen Merkmalen, der Anerkennung einer übermenschlichen Macht und Wirksamkeit in der Natur und im Menschenleben, und einer ihr unterwürfigen und sie ehrenden Gesinnung im Menschen enthalten ist. Nach den Vorstellungen über die Beschaffenheit des Göttlichen selbst, sein Wesen, seine Eigenschaften und sein Verhältniß zur Welt, gewinnt auch der Begriff der Religion an innerer Vollkommenheit, der auf der höchsten Stufe der Glaube an ein allervollkommenstes Wesen ist, welchem der Mensch sein Leben in Ehrfurcht und Liebe hingegeben fühlt und das er als die Quelle alles Guten und als das Ziel seiner höchsten Wünsche und Hoffnungen betrachtet. Die Religion ist kein Wissen, sondern Glaube und wie sie den Menschen in das Gebiet des Übersinnlichen versetzt, so ist auch die Erkenntniß göttlicher Dinge, die sie in sich schließt, zwar Vernunfterkenntniß, der aber das Zeugniß der Sinne abgeht, und die darum nur eine unmittelbare, nicht mittelbare Gewißheit haben kann. Obgleich nun die Vernunft eine allgemein menschliche Anlage ist, so ist der Mensch doch nur in dem Maße zur Religion befähigt, als die Vernunft in ihm zum Bewußtsein der Anerkenntniß und der höhern Einsicht eines Göttlichen außer und über ihm erwacht ist. Menschen, deren Vernunft noch nicht zu diesem höhern Bewußtsein gekommen ist, oder die in der vorherrschenden Richtung der Sinnlichkeit und des Verstandes jedes Gefühl eines höhern Vernünftigen verwahrlosten und unterdrückten, hoben keine Religion. Sie sind immer die Unglücklichsten; denn ohne den Glauben an Das, was dem Menschen ein Gefühl seiner höhern Würde gibt, ihn zur Tugend und Rechtschaffenheit hintreibt, im widrigen Schicksal ihm Trost und Erhebung finden und am Rande des Grabes noch die Fortdauer jenseit desselben hoffen läßt, ist niedere Selbstsucht mit allem Ungestüm der Leidenschaften das Gut, wofür sie kämpfen, und der in eigner Rath- und Thatlosigkeit das Leben oft selbst sich zur Sättigung dahingibt. Der Mangel an Religion, der Unglaube, von dem der Indifferentismus (s.d.), die Gleichgültigkeit gegen die Religion sich nicht sehr unterscheidet, ist deshalb eine Krankheit des Geistes, die sein edelstes Leben vergiftet und für jede Richtung der Thätigkeit desselben von den nachtheiligsten Folgen ist. Wie demnach jede Anlage des Menschen der besondern Ausbildung bedarf, so ist es besonders die Anlage zur Religion, die er von frühester Jugend an und mit der größten Sorgfalt entwickeln und veredeln muß, und es ist ein grobes Vorurtheil, wie es bei Vielen stattfindet, wenn man glaubt, daß diese Sorge zunächst Die angehe, welche sich dem Dienst der Religion gewidmet haben. Der religiöse Unglaube heißt Gottesleugnung, wenn er selbst das Dasein Gottes und allen Inhalt der Religion für falsch und unzureichend erklärt, inwiefern er aber blos den Einfluß des Glaubens an Gott aufs Leben verleugnet, wird er Gottlosigkeit oder Gottesvergessenheit genannt. Wegen der Unbescheidenheit, welche sich von den Regeln, nach welchen man sonst über wahr und falsch zu urtheilen pflegt, losreißt, sobald sie auf die Religion angewendet werden, heißt der Unglaube auch die Freidenkerei oder Freigeisterei, welche also der Fehler ist, wo man sich über die Gesetze des Denkens und Urtheilens, [669] welche man sonst gelten läßt, bei der Religion willkürlich und eigenmächtig hinwegsetzt. Sie wird Religionsspötterei, wenn man die Überzeugungen, welche Andere von Gott haben und Alles, was sich auf seine Verehrung bezieht, lächerlich zu machen gewohnt ist. Dem Mangel des Religiösen im Menschen stehet entgegen die Verwerfung und Ausartung desselben, wie dies auf verschiedene Weise im Aberglauben, Mysticismus, Pietismus und Fanatismus (s.d.) vorliegt. Nach verschiedenen Gesichtspunkten gibt es verschiedene Eintheilungen der Religion, von denen die hauptsächlichsten folgende sind. Macht man das Subject oder den Träger derselben, den Menschen, zum Eintheilungsgrunde, so gewinnt man die Eintheilung der Religion in eine subjective und objective. Jene ist die Religiosität, die Richtung und Bestimmung des Gemüths, sich in seinem Thun und Handeln von den Geboten und Vorschriften der Religion leiten zu lassen, worin zugleich das Religiöse seine Erklärung findet; dagegen diese nach einer doppelten Seite entweder der Inbegriff gewisser religiöser Vorstellungen und Lehren eine Religionslehre ist, oder der Ausdruck der religiösen Gesinnung und zur Erweckung und Belebung derselben eine Summe heiliger Gebräuche und Handlungen, die Religions- oder Gottesverehrung, Cultus. Sieht man auf Das, was in der Religion zur Anerkennung und Verehrung kommt, ihr Object oder ihren Gegenstand, so findet man in aufsteigender Ordnung alle Stufen des religiösen Erkennens von den niedrigsten Formen des Fetischismus, d.h. Naturdienstes oder der Anbetung sinnlicher Gegenstände, wie der Berge, Flüsse, Bäume, Thiere, Menschen, Gestirne u.s.w., des Politheismus oder der Vielgötterei, des Dualismus oder der Verehrung zweier feindlich sich gegenüberstehenden Wesen, eines guten und bösen, bis hinauf zum Glauben an den einen wahren Gott ohne Bild und unter einerlei Gestalt gedacht und verehrt, dem Monotheismus.

In Ansehung ihrer Quelle wird die Religion eingetheilt in die natürliche, die sich der Mensch im eignen Nachdenken über sich und die ihn umgebende Natur selbst gebildet hat, und die geoffenbarte, ein von Gott durch erleuchtete Männer an die Menschen ergangener, höherer Unterricht. (S. Offenbarung.) Letztere wird auch positiv genannt, weil sie auf dem unmittelbaren Ansehen Gottes und seiner Gesandten beruht, wie die jüdische, christliche und mohammedanische Religion. In dem durch die Vernunft bedingten Glauben an die Offenbarung charakterisirt sich der Rationalismus, im unbedingten der Supernaturalismus (s.d.); dagegen der Naturalismus auf den Glauben an eine höhere Offenbarung Gottes Verzicht leistet. Wahr ist die Religion, wenn die Vorstellungen des Menschen von Gott und seiner Verehrung der Natur Gottes und seines Verhältnisses zur Welt angemessen sind; falsch, wo dieses nicht der Fall ist. Da die h. Schrift hierüber die besten Aufschlüsse ertheilt, so wird unter wahrer Religion auch die in ihr geoffenbarte schlechthin verstanden.

Von der Religion als Bekenntniß und That unterscheidet sich die Religionswissenschaft als eine gelehrte Kenntniß oder Darstellung der Religionswahrheiten. Sie sucht geschichtlich die Versuche in Begründung und Darlegung der Religionswahrheiten oder der Veränderung der Vorstellungen von ihnen darzulegen, gibt die Grundsätze der Beurtheilung dieser Veränderungen an die Hand und erörtert die letzten Gründe, worauf die Geltung der Religionswahrheiten beruht. Dagegen ist die Religionsphilosophie die gelehrte Kenntniß oder Darstellung Dessen, was die menschliche Vernunft aus sich selbst über die religiösen Ideen aussagt. Die von ihr zu verschiedenen Zeiten aufgestellten Systeme gehören entweder dem Deismus (s.d.) oder dem Atheismus an, der den religiösen Ideen keine Geltung beimißt, oder nur in so weit, als sie in dem Menschen vorhanden sind. Hierher gehören noch, der Materialismus, welcher außer der sichtbaren Natur nichts Wirkliches annimmt, und Alles nach einem physischen Naturmechanismus erfolgen läßt; ferner die verschiedenen Formen des Pantheismus (s.d.).

Da der Mensch erst in der Erkenntniß Gottes und seines durch Christus geoffenbarten Willens zur rechten Einsicht seines Verhältnisses zu ihm und seiner Bestimmung zur Tugend gelangt, und hiervon sein zeitliches und ewiges Wohl, der Friede seines Gewissens und jeder Trost im Unglück abhängt, so ist der Religionsunterricht oder die zweckmäßige Anweisung zur Erkenntniß Gottes und seines Willens, verbunden mit dem eifrigen Bestreben, demselben gemäß zu leben und zu handeln, der beiweitem wichtigste Gegenstand der Unterrichtskunst. Ist dem Menschen die Anlage zur Religion angeboren und zeigt er sich schon in frühester Jugend für die erhabenen Eindrücke derselben empfänglich, so gelangt der Religionsunterricht zu seiner Bestimmung zugleich in der Entwickelung und Ausbildung dieser Anlage. Eine der kindlichen Fassungskraft angemessene Zergliederung des religiösen Begriffs führt noch keineswegs zu diesem Ziele. Wie hierdurch der Religionsunterricht eine bloße Verstandes- und Gedächtnißübung wird, die Religion aber zumeist ihre Gewalt auf das menschliche Herz offenbart, so ist es beiweitem wichtiger, daß die Vorstellung des Begriffs zugleich auch eine Wirksamkeit seines Inhalts für dieses werde, wozu es dann freilich von Seiten des Lehrers eines von den Wahrheiten des Christenthums durchdrungenen Herzens, der Gewandtheit, das Gegebene durch Wort und Beispiel zu veranschaulichen und der Kenntniß des Menschen und des Kindes insbesondere bedarf. Bei der Vorliebe des Kindes für Geschichte muß auch der erste Religionsunterricht einen geschichtlichen Gang nehmen, d.h. durch Erzählungen und Thatsachen das Göttliche in ihm zur Ahnung gebracht und das Verständniß desselben, unabhängig von der Geschichte, vorbereitet werden. Hierzu dienen die biblischen Geschichten, die gleichsam eine fortgesetzte Geschichte der Offenbarung, des Unterrichts Gottes an die Menschheit enthalten. Bei fortgeschrittener Fassungskraft beginnt dann der eigentliche Religionsunterricht, der gewöhnlich nach einem der vorhandenen Lehrbücher, in welchen die Wahrheiten des Christenthums in einer zweckmäßigen Aufeinanderfolge vorgetragen sind, ertheilt wird. Unter den verschiedenen Methoden des Unterrichts hat die katechetische (s. Katechetik) den beiweitem größten Beifall gefunden, die auch, auf die vorerwähnte Weise angewandt, ihren großen Werth hat.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 669-670.
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