Warschau

Warschau

[655] Warschau, poln. Warszawa, die Hauptstadt des russ. Königreichs Polen und der Woiwodschaft Masovien, liegt in einer weiten, sandigen Ebene an dem hier hohen, linken Ufer der Weichsel und hat gegen 130,000 Einw., wovon mehr als 26,000 Juden sind.

Die eigentliche Stadt wird in die Alt- und Neustadt eingetheilt und hat mit mehren Vorstädten, unter welchen sich Krakau und die neue Welt durch regelmäßige Bauart und schöne Gebäude auszeichnen, einen Umfang von 31/2 poln. Meilen, wobei jedoch viele Gärten und sogar Felder mit eingeschlossen sind. Die Gassen der alten Stadttheile sind zum Theil eng und waren vordem unglaublich schmuzig; doch hat sich in dieser Hinsicht das Ansehen der Stadt in der neuesten Zeit sehr vortheilhaft [655] verändert. Die Straßen sind gut gepflastert und des Nachts beleuchtet und der Stroh-und Schindeldächer, denen man hier neben den glänzendsten Palästen begegnete, werden immer weniger. Überhaupt gab W. in dieser Hinsicht ein treffendes Bild der allgemeinen frühern Verhältnisse des Landes, indem der höchste Prunk und großer Reichthum hier neben dem größten Schmuze und der bittersten Armuth auf. trat. Befestigt ist die Stadt nicht, jedoch mit Linien umgeben und seit 1832 ist an der Nordseite dicht an der Weichsel eine sehr starke Feste, die Alexandercitadelle, aufgeführt worden. Von den zahlreichen öffentlichen Gebäuden sind anzuführen: das von König Sigismund III. zu Anfang des 17. Jahrh. erbaute königl. Schloß auf einer Höhe und ziemlich im Mittelpunkte der Stadt, mit ansehnlichen Gärten und der vergoldeten, ehernen Bildsäule seines Erbauers, der sächs. Palast; der vormals Krasinski'sche und jetzige Gouvernementspalast mit einem öffentlichen Garten; der vormalige Radziwillsche Palast; die Münze; das Rathhaus; Zeughaus; die Börse mit dem Zollamt und mehren hundert Kaufmannsläden; das Gebäude der 1816 gestifteten und 1832 wieder aufgehobenen Universität; die Akademie, vor welcher die 1830 errichtete eherne Bildsäule des Kopernikus nach Thorwaldsen steht; die Post, mehre Casernen und viele Paläste adeliger Familien; die St.-Andreaskirche; die seit 1820 aus den zu einem Triumphbogen, welcher zum Andenken des ersten Einzugs Kaiser Alexander I. aufgeführt werden sollte, gesammelten Beiträgen erbaute, hier dargestellte Alexanderkirche; die nach dem Muster des röm. Pantheon erbaute deutsche protestantische Kirche; die Kathedrale zu St.-Johannis. Von den früher sehr zahlreichen Klöstern sind noch immer mehre der Aufhebung entgangen. Unter die öffentlichen Denkmale gehört auch die vergoldete Bildsäule König Sigismund II., der W. zur Residenz der poln. Könige machte, vor dem krakauer Thore, sowie die 1830 in der krakauer Vorstadt dem bei Leipzig 1813 gebliebenen Fürsten Poniatowski errichtete Reiterstatue. In W. ist der Sitz der russ. Landesregierung und die Residenz des Statthalters, sowie des Erzbischofs und Primas von Polen. Von höhern Bildungsanstalten bestehen noch eine Akademie und einige Gymnasien; an die Stelle der 150,000 Bände starken, 1832 nach Petersburg entführten ehemaligen Universitätsbibliothek soll jetzt eine neue öffentliche Bibliothek von ungefähr 30,000 Bänden eingerichtet werden. Die Industrie ist von großer Bedeutung, namentlich bestehen große Wagen-, Leder-, Taback- und Tuchfabriken und noch wichtiger ist der Handel zu Wasser, indem an 2000 Weichselkähne jährlich hier anlegen, sowie zu Lande; auch bestehen hier eine Nationalbank und zwei jährliche Messen. Gegenüber von W. am rechten Weichselufer und jetzt durch eine stehende Brücke verbunden liegt das befestigte Praga mit 3000 Einw., was zuweilen als eine Vorstadt betrachtet wird und eine traurige Berühmtheit durch die am 4. Nov. 1794 von den Russen unter Suwoross vorgefallene Erstürmung erlangt hat. Der Ort zählte ehemals 15,000 Einw., von denen beinahe 12,000 jeden Alters und [656] Geschlechts von den Siegern niedergemacht wurden. Die Kosacken spießten Kinder mit ihren Lanzen auf und warfen sie einander zu und selbst eine Anzahl preuß. Kriegsgefangener wurden für Polen angesehen und mit ermordet, die Stadt aber eingeäschert. – Die Begründung von W. wird dem Herzoge Konrad von Masovien zugeschrieben und in das Jahr 1269 versetzt; Sigismund II. August verlegte in der zweiten Hälfte des 16. Jahrh. die königl. Residenz von Krakau dahin. Nach der dritten Theilung von Polen war es die Hauptstadt von Südpreußen, seit 1807 die des neuen Großherzogthums Warschau und seit 1815 wieder des russ. Königreichs Polen (s.d.).

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 655-657.
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