[414] England (Geschichte). (Geschichte.) Eine Insel vom Meer umgürtet ist es, an die schon seit den Römerzeiten Europa's Interesse geknüpft wird, deren Geschichte in der des Welttheils, ja später des Erdkreises, eine oft bedeutungsvolle Rolle gespielt und sich mit strahlendem Glanz umgeben hat. Von dort her weheten die elegisch-düsteren Lieder des caledonischen Sängers Ossian (s. d.), von dort her[414] kam die romantische Sage vom König Arthur (s. d.) und seiner Tafelrunde, von dort die Kunde vom heldenmüthigen Richard Löwenherz und seinem Blondel; die Tage seiner ruhmvollen Vorzeit hat uns Walter Scott in seinen romantischen Dichtungen, die Parteienkämpfe einer drangvollen Periode Shakespeare in seinen gigantischen Dramen geschildert. Früh schon durchkreuzten Britanniens Flotten die Meere, kühne Männer zerrissen den Schleier, der bis dahin Erdtheile umwoben hielt, seine Waffen eroberten Reiche von kolossaler Größe, muthige Reisende durchforschten die glühenden Wüsten Afrika's und die eisigen Meere des Nordpols, nach allen Seiten der Windrose lenkten sie den Kiel, theils Handel treibend, mit dem Reichthum fremder Zonen sich belastend, theils Erdstriche entdeckend und Kolonien gründend. Es beherrscht die Meere und beherrscht durch die Meere oft den Continent. England ist das Land des Großartigen, der gewaltigen intensiven Kräfte, und dabei auch der Contraste. Hier erblicken wir die schreiendste Armuth neben dem glänzendsten Reichthum; eine ungebundene Freiheit, eine Erhabenheit des Gesetzes und dabei eine Vieldeutigkeit der Gesetze neben barbarischen Gebräuchen des Mittelalters, wie z. B. der öffentliche Verkauf der Weiber. England ist das Land der Maschinen, der höchsten technischen Fertigkeiten, das Land einer glänzenden Aufklärung, und doch ist die Masse des niedern Volkes roh, der Patriotismus, Egoismus, die Freiheit ein Vorrecht, die Armuth ein Laster. In manchen Punkten gemahnt es an China, in der Universalbildung aber steht es auf gleicher Stufe mit Deutschland und Frankreich, in den Gewerben über beiden. In der Großartigkeit von Bauten, von Errichtung der Canäle, Eisenbahnen, Dampfschiffe etc. kann nur das jugendfrische Nordamerika mit ihm in die Schranken treten Hier eine ehrwürdige Masse tiefer, abstracter und praktischer Gelehrsamkeit, hier eine verschwenderische Liebe zu den bildenden Künsten und fast keine Künstler, hier viele große Dichter, wenig mittelmäßige[415] Maler und kaum einen Tonsetzer von Bedeutung! Englands Lage ist Englands Größe, seine ringsum fluthenden Meere sind die Quellen seines Reichthums. Die Wogen tragen gehorsam unter Albions Flagge die Schätze aller Zonen in die britannischen Hafen und diese fließen hier wie aus dem Herzen das Blut in die Adern, so nach allen Weltgegenden in verschiedener Richtung. Das Land der Industrie, des Handels, des praktischen Lebens, der politischen Demonstration ist aber auch jetzt nicht ganz arm an romantischem Interesse. Wir erinnern hier an die uralten Baudenkmäler einer dreifachen Vorzeit: der unter den Römern, Angelsachsen und Normännern, an die romantischen Thäler und Berge Hochschottlands, an Fingal's Höhle, an die reizenden Berglandschaften von Wales etc. Doch wir eilen zur Geschichte dieses mächtigen Reiches. Ihr Anbeginn verliert sich in dunklen, mährchenhaften Sagen. Erst durch Cäsar's Einfall 60 Jahre vor Christus und die darauf folgende Unterjochung ist diese Insel, von den Eroberern »Britannia« genannt, als Provinz des großen Römerreichs der Schauplatz denkwürdiger Begebenheiten geworden. Unter beständigen Kriegen mit den wilden Scoten und Pikten behaupteten sich die Römer bis 446, wo die Ureinwohner den kräftigen Schutz der Angelsachsen anriefen. Diese aber verwandelten ihre Unterstützung bald in Unterjochung und theilten das Land in sieben Reiche. Aber auch sie fanden bald mächtige Nebenbuhler an den Dänen, die sich unter Knut d. Gr. , 1017, der Insel völlig bemeisterten. Mitten unter dem Wirrsal dieses Völkergedränges und dieser Kämpfe ging dem Lande ein leuchtender Stern auf. Das Christenthum war schon 596 durch den heiligen Augustin in England verbreitet (von wo es 718 der heilige Bonifazius nach Deutschland brachte) und wurde auch von den Dänen angenommen. 1066 kam Wilhelm der Eroberer aus der Normandie über den Canal, gewann die Schlacht bei Hastings und ließ sich in London zum Könige krönen. Er führte das Lehnsystem ein und bemühte[416] sich die verschiedenen Nationen zu verschmelzen. Seine nächsten Nachfolger zeichneten sich fast nur durch Kriege mit Frankreich, Schottland und Irland aus. Letzteres wurde 1177 unterworfen, Unter ihnen ragt vornehmlich der ritterliche Richard Löwenherz hervor, berühmt durch seinen Zug in's heilige Land und manche kühne Heldenthat. Johann ertheilte dem Volk und Adel die magna charta, einen Freibrief, der noch jetzt die Grundlage der englischen Verfassung bildet. Eduard III. und sein tapferer Sohn, der schwarze Prinz, eroberten einen großen Theil Frankreichs, der aber später zum Theil durch die Siege der Jungfrau von Orleans (s. Arc) wieder verloren ging. Jetzt aber wurde England mehr als 30 Jahre durch den Krieg der Häuser York u. Lancaster, der rothen und weißen Rose, im Innern zerfleischt. Um 1509 erscheint der Wütherich Heinrich VIII., der von 5 Gemahlinnen zwei hinrichten ließ. (S. Anna Boleyn und Katharina Howard.) Er führte die Reformation ein, deren Verbreitung aber seine Tochter Maria, die Katholische (s. d.) durch schreckliche Grausamkeiten wieder hinderte. Nach ihrem Tode bestieg Heinrich's zweite Tochter, die große Elisabeth (s. d.) 1558 den Thron. Sie legte den Grund zu Englands nachmaliger Größe, unterstützte Handel, Künste und Wissenschaften und schlug Spaniens unüberwindliche Armada. Unter ihrer Regierung wurde die ostindische Compagnie gestiftet, und ein großer Theil Nordamerika's in Besitz genommen, Drake (s. d.) umsegelte die Welt, der Strumpfwirkerstuhl wurde erfunden, eine türkische Handelsgesellschaft gebildet, doch leider auch der Negerhandel in den Kolonien eingeführt. Ihre Regierung war glorreich; nur die Hinrichtung der Maria Stuart befleckt ihr Andenken. Ihr folgte das Haus Stuart auf dem Throne, wodurch Schottland mit England vereinigt wurde. Das tragische Geschick dieser Familie vergönnte ihr nur eine vorübergehende Rolle. Der zweite Stuart Karl I. endete 1649 auf dem Schaffot, und wenn auch sein Sohn [417] Karl II. nach Cromwell's (s. d.) Zwischenregierung das Reich wieder erhielt, so mußte doch schon 1688 dessen Nachfolger Jakob II. dem Aufstande des durch Gewaltschritte gereizten Volkes für immer weichen. Alle später von seinem Sohne und Enkel gemachten Versuche zur Wiedererlangung der Krone blieben erfolglos. Nach den, namentlich durch Siege über Frankreich, ausgezeichneten Regierungen Wilhelm's von Oranien und Anna's wurde das Haus Hannover 1714 auf den Thron berufen, welches ihn noch jetzt behauptet. Unter Georg des I. bis IV. Regierung erhielt Großbritannien den hohen Rang, den es jetzt unter den mächtigsten Staaten einnimmt. Gingen gleich 1782 die meisten nordamerikanischen Provinzen verloren, so wurde dafür fast ganz Ostindien und ein großer Theil der französischen und holländischen Kolonien erobert. Der glückliche Ausgang des letzten Krieges gegen Frankreich ist großentheils Englands Mitwirkung zu verdanken, dessen Helden, Nelson und Wellington, den Eroberer Napoleon siegreich bekämpften. Der jetzige König Wilhelm IV. ist eifrig bemüht, durch Reformen die Wunden des Landes zu heilen und die durch die langwierigen Kriege, bis zur ungeheuern Summe angewachsene Staatsschuld zu vermindern. Und so steht Albion da, imposant und mächtig, reich an unversiegbaren Hilfsquellen, im Drange der Zeit den Ausschlag gebend; sein Dreizack herrscht nicht nur auf den Meeren aller Zonen, sondern auch auf den Inseln und Küsten Amerika's und Australiens, Afrika's und Asiens, unter den Wendekreisen, an den Polen, am Vorgebirge der guten Hoffnung, wie am Ganges. Es treibt Handel mit dem zwergartigen Esquimo und dem seltsamen Chinesen, mit dem Neger an der Goldküste und dem olivenfarbigen Brasilianer, mit dem Kamtschadalen und Neuholländer, mit dem Hindu und dem Araber, und schwelgt an den gewaltigen Reichthümern, welche die Erde unter verschiedenen Breiten dem Bedürfniß, der Laune und der Ueppigkeit liefert.[418]
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