Sittlichkeit

[370] Sittlichkeit ist sittliches Wesen, sittliches Verhalten, sittlicher Charakter, objectiv der Inbegriff des Sittlichen. Es ist zu beachten, daß »Sittlich« sowohl alles unter ethische Kategorien Gehörende, als auch im Besondern das Sittlichgute bedeutet. Das Nichtsittliche (Anethische) ist das sittlich Neutrale, nicht ethisch zu Bewertende, unsittlich (antiethisch) ist das Widersittliche, das Schlechte und Böse (s. Gut). – »Sittlich« ist zunächst, was der Sitte (s. d.) entspricht, später differenziert sich das Sittliche im Sinne des Ethischen, Moralischen von dem bloß der Sitte Gemäßen. Die Sittlichkeit ist in ihrem Ursprunge und in ihrer Entwicklung ein social Bedingtes, indem die sittlichen Gebote, Normen, Ideale abhängig sind von dem in einer Gemeinschaft herrschenden Geiste. Sittlich ist ursprünglich alles von der socialen Gemeinschaft als gut (s. d.) Gewertete, jede Handlungsweise und Gesinnung, welche so beschaffen[370] ist, daß de den Zwecken der Gemeinschaft nicht nur nicht widerspricht, sondern diese besonders zu fördern geeignet ist. Jede dem socialen Verbande wertvolle Tüchtigkeit des einzelnen gilt als eine Tugend (s. d.), jede Handlung im Sinne des socialen Ideals als »sittlich«. »Sittlichkeit« ist eine Kategorie, die dem wertenden, in einer Gemeinschaft lebendigen Urteilen entspringt, ein Product der socialen Vernunft. Mit der Entwicklung der socialen Institutionen, mit der Differenzierung, Erweiterung, Verfeinerung des Denkens und Fühlens, mit dem Wachstum der Einsicht in das wahrhaft social Wertvolle, mit der Erkenntnis der Zugehörigkeit größerer, schließlich aller Menschenverbände zueinander entwickelt sich und breitet die Sittlichkeit sich aus zum Ideal der Humanität, der gerecht-liebevollen Behandlung der Nebenmenschen im Sinne möglichster Förderung der Menschheit im eigenen und im fremden Ich. Die neben den »egoistischen« Trieben von Anfang an vorhandenen »altruistischen« Tendenzen dehnen sich auf immer größere Gemeinschaften aus. Große ethische Persönlichkeiten geben hierbei durch ihr Beispiel und ihre Lehren den Anstoß zum sittlichen Fortschritte. Die ethische Vernunft, der sittliche Wille, sie sind zunächst in unreflexiver, concreter Weise und in socialer Form die Schöpfer der Sittlichkeit, um dann aber auch in Individualitäten zu deutlicherem Bewußtsein zu gelangen und so auf die allgemeine, auf die Volks- und Zeitmoral gestaltend einzuwirken. Die Zwecke der Sittlichkeit sind eigener Art, sie sind einerseits Mittel zur Höherentwicklung der Gemeinschaft der Menschen und der einzelnen, anderseits Selbstzweck, indem die sittliche Vernunft das, was sie als sittlich erkannt und gewertet hat, ebenso unbedingt fordert, wie das Wahre und Schöne ihre besondere Geltung beanspruchen (ethisches Apriori).

Die Geschichte des Sittlichkeitsbegriffes zeigt verschiedene Auffassungen bezüglich des Ursprungs und des Wesens der Sittlichkeit (s. darüber »Ethik«).

Die älteren griechischen und auch die meisten späteren griechischen Philosophen haben einen eudämonistischen (s. d.) Sittlichkeits- bezw. Tugend- (s. d.) Begriff. Nach SOKRATES ist das Gute eins mit dem Schönen und Nützlichen (Xen. Memor. IV, 6, 8. Plat., Prot. 333 D, 353 C squ.). Niemand ist bewußt schlecht, und wer das Gute kennt, tut es auch, weil es eben das wahrhaft Nützliche ist (Plat., Apol. 25 C. Protag. 329 squ.. Xenoph., Memor. III, 9. IV, 6). Bei PLATO tritt neben das eudämonistische (s. d.) und sociale Moment in seiner Auffassung des Sittlichen ein mystisches oder metaphysisches, nämlich das der (mit Weltflucht verbundenen) Verähnlichung mit Gott (Theosis, s. d.) als Endzieles alles Handelns (phygê de homoiôsis theô kata to dynaton, homoiôsis de dikaion kai hosion meta phronêseôs genesthai, Theaet. 176 A. vgl. Rep. 613. Phaed. 62 B, 67 A). Die Tugend (s. d.) ist die Tauglichkeit, Tüchtigkeit der Seele zu den ihr gemäßen Leistungen. ARISTOTELES ist Eudämonist (s. d.), betont für die Tugend (s. d.) das Einhalten des Maßes, der richtigen Mitte. Die Stoiker stellen den Pflichtbegriff (s. d.) auf und predigen das natur- und vernunftgemäße Leben (s. Tugend). CICERO faßt das Naturgesetz als göttliches Vernunftgesetz auf: »Lex est ratio summa, insita in natura« (De leg. I, 6). »Lex vera atque princeps, apta ad iubendum et ad vetandum, ratio est recta summi lovis« (l. c. II, 4). »Honestum« ist das Lobenswerte (De fin. II, 14). Hedonistisch (s. d.) ist der Sittlichkeitsbegriff der Epikureer, mystisch-theosophisch der Tugendbegriff (s. d.) des Neuplatonismus, indem nach PLOTIN die Tugend eine Katharsis (6. d.) und omoiôsis der Seele mit Gott ist (Enn. I, 2, 1 squ.).[371]

Entgegen der (theologisch, politisch) gebundenen, autoritativen Sittlichkeit stellt JESUS einen allgemein-menschlichen, zugleich die Beziehung auf Gott als Vater aller Menschen betonenden Sittlichkeitsbegriff auf, der bei PAULUS und bei den christlichen Ethikern des Mittelalters zur Lehre von dem göttlichen Sittengesetz wird. Dieses ist nach AUGUSTINUS »scripta in cordibus hominum« (Conf. II, 4). Die »lex aeterna« ist »ratio divina, aut voluntas Dei, ordinem naturalem conservari iubens, perturbari vetans« (Contr. Faust. XXII, 7. vgl. De ver. rel. 30. De lib. arb. I, 6). In die Gesinnung verlegt das Sittliche ABAELARD: »Non enim quae fiant, sed quo animo fiant, pensat Deus, nec in opere sed in intentione meritum operantis vel laus consistit« (Eth, C. 3. vgl, C. 7). »Non est peccatum nisi contra conscientiam« (l. c. C. 13). Nach THOMAS ist die Tugend (s. d.) dem Menschen etwas Natürliches.

Nach MELANHTHON besteht die Sittlichkeit in der Neigung, der rechten Vernunft und damit Gott zu gehorchen. Das Gute ist »voluntas Dei semper volens recta« (Epit. philos. moral. 1589, p. 24). »Rectum iudicium rationis« ist »id quod congruit cum norma in mente divina« (ib.). »Lex moralis est aeterna et immota supientia et regula institiae in Deo, discernens recta et non recta« (l. c. P. 4). JUSTUS LIPSIUS setzt das Sittliche in das naturgemäße Leben (Manud. ad Stolc. philos. II, d. 18 f.), TELESIUS (De rer. nat. IX, 5 ff.) und CAMPANELLA in die Selbsterhaltung, Selbstvervollkommnung, so auch SPINOZA, welcher sittliches mit vernünftigem, »naturgemäßem« Handeln identificiert (s. Tugend). MALEBRANCHE setzt die Tugend in die Liebe der vernünftigen Ordnung als göttliches Gesetz, in die richtige Schätzung der Dinge. Nach CHARRON sollen wir sittlich sein, weil Natur und Vernunft (Gott) es fordern. Die »loi d'équité et raison naturelle est perpetuelle en nous« (De la sag. II, 3). Eudämonistisch begründet die Moral MONTAIGNE (Ess. I, 19. II, 16. III, 2). Nach BAYLE hat der Wille eine natürliche Neigung zum Guten (Rep. au quest. 658, 675 f.. Pens. div. 160). Das Sittengesetz gründet in Gott. wir erkennen das Gute durch das Gewissen als das Vernunftgemäße (Syst. de la philos. 1737). Nach BOSSUET gibt es »règles invariables de nos moeurs«, »des choses d'un devoir indispensable« (De la connaiss. de Dieu et de soi-même, 1846, ch. 4, § 5). – Eudämonistisch lehren LA ROCHEFOUCAULD, der die Eigenliebe und ihre Leidenschaften als Motive des Handelns betont, ähnlich LABRUYÈRE. Nach VOLTAIRE ist das Interesse allgemeines Motiv. Die Moral ist in der menschlichen Natur begründet, geht auf das social Nützliche (Dict. philos.). so auch ROUSSEAU, der aber auch ein angeborenes Pflichtgefühl lehrt (Emile IV). ferner D'ALEMBERT, nach welchem »l'amour éclairé de nous-même« Princip des Altruismus ist. Eudämonisten sind MAUPERTUIS (Essai de philos. morale, 1752), HELVETIUS (De l'homme I, 13), HOLBACH (Syst. de la nat. I, 15), individueller und socialer Utilitarier VOLNEY (Ruinen, Nat.-Ges. C. 4, S. 234).

Die Trennung von Sittlichkeit und Religion betont F. BACON (De dignit. VII, 1, 3). Es gibt ein natürliches Sittengesetz. der menschliche Geist hat eine Neigung zu seinesgleichen (l. c. IX. Sermon. fid. 10, 13). Wertvoll sind die socialen Neigungen, die auf das Gesamtwohl gehen (De dignit. VII, 1). HOBBES bestimmt: »Moral philosophy is nothing else but the science of what is good and evil in the conservation and society of mankind« (Lev. ch. 15). Die Selbstliebe führt durch Nützlichkeitserwägungen zur Übereinkunft und damit (im Staate) zur Sittlichkeit (s. Rechtsphilosophie). Aus dem Egoismus leitet das Sittliche BOLINGBROKE ab. Die Selbstliebe führt notwendig in der Gesellschaft[372] zum Wohlwollen gegen andere. Instinct und Vernunft, Interesse und Pflicht wirken zusammen (Philos. Works IV, 9 ff.). – R. CUDWORTH gründet die sittlichen Urteile auf die Vernunft. die Idee des Gluten ist ewig, unwandelbar ( Treat., conc. eternal and immutable morality, 1731). Die Evidenz der sittlichen Normen lehrt auch CLARKE: Alle Dinge haben ihre bestimmte Natur, und sittlich ist es, alle Wesen den natürlichen Verhältnissen gemäß zu behandeln (Works 1732, II, 60 ff.. ähnlich WOLLASTON). LOCKE bestreitet die Existenz angeborener moralischer Grundsätze von allgemeiner Anerkennung. Die Sittlichkeit ist auf göttliches, bürgerliches Gesetz und öffentliche Meinung, auf Nützlichkeitserfahrungen zurückzuführen (Ess. I, ch. 3). PRICE leitet die Sittlichkeit nicht aus einem moralischen Sinn (s. d.), sondern aus der Vernunft, aus einfachen Ideen, unmittelbarer Billigung und Mißbilligung ab (Review of the principal questions and difficulties in moral, 1758). Ähnlich lehren REID, DUGALD STEWARD. – Auf das Wohlwollen gründet die Sittlichkeit CUMBERLAND (De leg. natur. C. 1 ff.), der eine moralische Anlage annimmt, so auch HUTCHESON (Philos. moral. I, 3, p. 51), der einen moralischen Sinn annimmt. JON. EDWARDS. SHAFTESBURY fordert die Harmonie der egoistischen und socialen Neigungen (Sens. commun. IV, 1. Inquir. I, 2, 3). Das Sittliche ist eine Art des Schönen (Sens. commun. IV, 3). Den Wert der socialen Gefühle betonen HUME (Ess. conc. mor. 1 ff.), nach welchem Tugend eine geistige Eigenschaft oder Handlung ist, welche dem »Zuschauer« das Gefühl des Beifalls erregt (»whatever mental action or quality gives to a spectator the pleasing sentiment of approbation«), A. SMITH (Theor. of Mor. Sent., s. Sympathie), FERGUSON (Moralphilos. II, C. 3, S. 94 ff.), der zugleich die geistige Vervollkommnung betont. Nach PALEY ist das Wohl der Menschheit der Gegenstand, der göttliche Wille die Sichtschnur und die Glückseligkeit das Motiv und Ziel der Sittlichkeit (Moral philos. I, 7). Utilitarier (s. d.) ist MANDEVILLE, der die egoistische Natur des Menschen betont und die Moral zu einer Klugheitslehre macht. Die Laster der einzelnen sind nützlich für die Gesellschaft. Leidenschaft muß durch Leidenschaft beherrscht werden (Fable of the bees, 1732). Socialer Utilitarier (s. d.) ist J. BENTHAM. Nach HARTLEY geht aus der Selbstliebe durch Association das selbstlose Gefallen am Moralischen hervor (Observ. on man). Nach DUGALD STEWART ist die Sittlichkeit die habituell gewordene Neigung, dem Gewissen gemäß zu handeln (Outl. of Mor. Philos., 1793). Den Intuitionismus verbindet mit dem socialen Utilitarismus MACKINTOSH (On the progrese of ethic. philos., 1831).

Zur Vollkommenheit führt die Tugend (s. d.) nach LEIBNIZ (Théod. I B, § 181). Sittlichkeit beruht auf einem generellen Instinct (Nouv. Ess. I) und besteht in der Liebe zu Gott und im Handeln nach dem, was als Wille Gottes anzusehen ist (Monadol. 90). Den Perfectionismus (s. d.) lehrt CHR. WOLF. Wir sollen uns vollkommener machen, dem Naturgesetz gemäß handeln (Philos. pract. I, § 321 ff.). Nach RÜDIGER besteht die Sittlichkeit in Befolgung des göttlichen Willensgebotes, so auch nach CRUSIUS (Vernunftwahrh. § 481, vgl. 477 ff., B. Tugend). MENDELSSOHN erklärt, die Begierden des Menschen zielten schließlich »auf die wahre oder scheinbare Vollkommenheit (Erhaltung und Verbesserung) ihres oder ihrer Nebenmenschen innern oder äußern Zustandes«. »Mache deinen und deines Nebenmenschen innern und äußern Zustand, in gehöriger Proportion, so vollkommen, als du kannst« (Üb. d. Evid. S. 114). »Unsere Handlungen sind gut oder böse, insoweit sie mit der Regel der Vollkommenheit,[373] oder, welches ebensoviel ist, mit den Absichten Gottes übereinstimmen oder nicht« (l. c. S. 122). »Wir können keine gute Handlung wahrnehmen, ohne sie zu billigen, ohne ein inneres Wohlgefallen daran zu empfinden, keine böse ohne Mißbilligung der Handlung selbst und innern Abscheu für dieselbe« (Philos Schr. II, 8). Nach PLATNER beruht die Sittlichkeit »auf dem Werte einer Handlung in Ansehung ihres Grundes«, und dieser besteht in der Güte der Motive (Philos. Aphor. I, § 1014 f.). Ad. WEISHAUPT setzt die Tugend (H. d.) in die Vollkommenheit des Menschen. diese besteht »darin, daß alle und vorzüglich seine höhern Kräfte übereinstimmen, ihn zu dem zu machen, was er sein kann, und den ihm möglichen Grad von Vollkommenheit zu erreichen« (Üb. Mat. u. Id. S. 202 f.).

KANT setzt die Quelle der Sittlichkeit in die reine praktische Vernunft (s. d.), welche autonom (s. d.) das Sittengesetz, den kategorischen Imperativ (s. d.) ausspricht, ohne jede Beziehung auf fremdartige, eudämonistische Zwecke (s. Rigorismus), rein um der Pflicht (s. d.) willen. Schon 1764 bemerkt Kant: »Es ist eine unmittelbare Häßlichkeit in der Handlung, die dem Willen desjenigen, von dem unser Dasein und alles Gute herkommt, widerstreitet. Diese Häßlichkeit ist klar, wenngleich nicht auf die Nachteile gesehen wird, die als Folgen ein solches Verfahren begleiten können« (Üb. d. Deutl. d. Grunds. S. 94). »Reine Vernunft ist für sich allein praktisch und gibt (dem Menschen) ein allgemeines Gesetz, welches wir das Sittengesetz nennen« (Krit. d. prakt. Vern. S. 37). Sittlich ist nur die dem Vernunftgebote gemäße und aus der reinen Gesinnung entspringende Handlung (l. c. S. 35). »In der Unabhängigkeit... von aller Materie des Gesetzes (nämlich einen begehrten Objecte) und zugleich doch Bestimmung der Willkür durch die bloße allgemeine gesetzgebende Form, deren eine Maxime fähig sein muß, besteht das alleinige Princip der Sittlichkeit« (l. c. S. 39). »Das Wesentliche alles sittlichen Wertes der Handlungen kommt darauf an, daß das moralische Gesetz unmittelbar den Willen bestimme« (l. c. S. 87). Sittlich ist nur, was aus Achtung für das Gesetz der Vernunft geschieht (Grdleg. zur Met. d. Sitt. 1. Abschn.). Das Sittengesetz ist a priori, muß für alle Wesen notwendig gelten (l. c 2. Abschn.). Die Sittlichkeit erfordert, die Menschheit in jedem stets zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel zu brauchen (ib). In den »Träum. ein. Geisterseh.« bemerkt Kant: »Sollte es nicht möglich sein, die Erscheinung der sittlichen Antriebe ist denkenden Naturen, wie solche sich aufeinander wechselseitig beziehen,... als die Folge einer wahrhaft tätigen Kraft, dadurch geistige Naturen ineinander einfließen, vorzustellen, so daß das sittliche Gefühl die empfundene Abhängigkeit des Privatwillens vom allgemeinen Willen wäre und eine Folge der natürlichen und allgemeinen Wechselwirkung, dadurch die immaterielle Welt ihre sittliche Einheit erlangt, indem sie sich nach den Gesetzen dieses ihr eigenen Zusammenhanges zu einem System von geistige Vollkommenheit bildet?« (l. c. I. T., 2. Hptst.).

Im Begriffe der »schönen Seele« (s. d.) sucht SCHILLER Vernunft und Gefühl (Sinnlichkeit) auch in sittlicher Beziehung miteinander zu versöhnen. In der schönen Seele harmonieren Pflicht und Neigung (Üb. Anm. u. Würde). Ein ursprüngliches Sollen legt der Sittlichkeit zugrunde J. S. BECK (Grundr. d. krit. Philos. 1796). Nach KRUG ist die sittliche Triebfeder allein die Achtung gegen das Gesetz (Handb. d. Philos. II, 277 ff.. Syst. d. prakt. Philos.. vgl. Aretologie, 1818), so auch CHR. SCHMID (Grundr. d. Moralphilos., 1793), KIESEWETTER[374] (Üb. d. erst. Grunds. d. Moralphilos. 1788/90). Ähnlich lehren JACOB (Philos. Sittenlehre, 1794), HOFFBAUER (Anfangsgründe d. Moralphilos.. 1797), TIEFTRUNK (Philos. Untersuchungen üb. d. Tugendlehre, 1798), SALAT (Moralphilos., 1810) u.a. – Nach BOUTERWEK fordert das Sittengesetz: handle übereinstimmend mit dir selbst in der reinsten Harmonie der Bestrebungen, durch die sich das eigentlich Menschliche in dir von dem Tierischen scheidet (Lehrb. d. philos. Wiss. II, 52. vgl. S. 19 ff.). Den Gedanken der Humanität (s. d.) betont HERDER. Nach E. REINHOLD besteht die Sittlichkeit in der innern Ordnung unseres Lebens, in dem Einklang des individuellen Geistes mit seinem Begriffe (Die Wissenschaften d. prakt. Philos. 1837).

Auf die Pflicht (s. d.) basiert die Sittlichkeit J. G. FICHTE. Das Princip der Sittlichkeit ist »der notwendige Gedanke der Intelligenz, daß sie ihre Freiheit nach dem Begriffe der Selbständigkeit, schlechthin ohne Ausnahme, bestimmen sollte« (Syst. d. Sittenl. S. 66). Das Sittengesetz ist die Äußerung und Darstellung des reinen, absoluten Ich, der Geistigkeit, im individuellen Ich. Sociale förderliche Wirksamkeit. Culturarbeit des einzelnen ist Pflicht. Die Cultur ist »das letzte und höchste Mittel für den Endzweck des Menschen, die völlige Übereinstimmung mit sich selbst, – wenn der Mensch als vernünftig sinnliches Wesen. – sie ist selbst letzter Zweck, wenn er als bloß sinnliches Wesen betrachtet wird. Die Sinnlichkeit soll cultiviert werden: das ist das Höchste und Letzte, was sich mit ihr vornehmen läßt« (Üb. d. Bestimm. d. Gelehrt. 1. Vorles.). »Ohne Sittlichkeit ist keine Glückseligkeit möglich.« Nur das macht glückselig, was gut ist (ib.). Vervollkommnung des Menschen ins unendliche ist seine Bestimmung (ib.). SCHELLING erklärt: »Sittlichkeit ist gottähnliche Gesinnung, Erhebung über die Bestimmung durch das Concrete, ins Reich des schlechthin Allgemeinen« (Vorles. üb. d. Meth. d. akad. Stud.3, §, S. 145). »Die Sittlichkeit wird in der allgemeinen Freiheit objectiviert, und diese ist selbst nur gleichsam die öffentliche Sittlichkeit« (l. c. S. 146). »Nur Ideen geben dem Handeln Nachdruck und sittliche Bedeutung« (l. c. S. 148). Nach NOVALIS ist der sittliche Wille der Wille Gottes (Fragm. vermischt. Inhalts). Nach J. J. WAGNER ist die Sittlichkeit »die Gesundheit der Seele«, das Halten des Gleichgewichts zwischen Geist und Leib (Syst. d. Idealphilos. S. XIV. vgl. ESCHENMAYER, Syst. d. Moralphilos. 1818). Nach CHR. KRAUSE lautet das Sittengesetz: »Bestimme dich selbst zur Herstellung (Darstellung) des Guten, rein und allein, weil es gut ist. oder: wolle und tue mit Freiheit das Gute« (Abr. d. Rechtsphilos. S. 5).»Wolle rein und allein das Gute und tue es« (Vorles. S. 242). Der allgemeine sittliche Wille ist der »Grundwille, Urwille« (l. c. S. 245). »Wolle du selbst und tue das Gute als das Gute« (Syst. der Sittenl. I, 292 f.). Das Gute (Lebwesentliche) ist das vom Menschen als Menschen Darzulebende. »Jedes menschliche Streben, das aus reinem, freiem Willen entsprungen ist und von ihm regiert wird, ist sittlich gut« (Urb. d. Menschh.3, S. 52). – HEGEL bestimmt Moralität (s. d.) und Sittlichkeit als Objectivierung des freien Willens. Die Gesetze der Sittlichkeit sind »nicht zufällig, sondern das Vernünftige selbst«, Schöpfungen des objectiven Geistes (Philos. d. Gesch. S. 40). »Die Sittlichkeit ist die Vollendung des objectiven Geistes die Wahrheit des subjectiven und objectiven Geistes selbst« (Encykl. § 513). »Die frei sich wissende Substanz, in welcher das absolute Sollen ebensosehr Sein ist, hat als Geist eines Volkes Wirklichkeit« (l. c. § 514). Sittlichkeit ist »die Idee der Freiheit, als das lebendige Gute, das in dem Selbstbewußtsein sein Wissen, [375] Wollen und durch dessen Handeln seine Wirklichkeit, sowie dieses an dem sittlichen Sein seine an und für sich seiende Grundlage und bewegenden Zweck hat« (Rechtsphilos. S. 210). K. ROSENKRANZ erklärt: »Der Begriff der Idee des Guten enthält den Begriff der allgemeinen Wahrheit des Willens, des Willens, wie er sein soll.« »Die Moralität ist der Begriff des einzelnen Willens zum absoluten, der Begriff der Realisation des absoluten Willens innerhalb des einzelnen und durch denselben« (Syst. d. Wiss. S. 452 ff.). »Die Wahrheit der Moralität ist... die Sittlichkeit, in welcher die Idee des Guten sich objectiv durch die Tätigkeit der mit ihr als ihrem Wesen sich identisch wissenden Subjecte realisiert« (l. c. S. 471 ff.). Auch nach HILLEBRAND erhebt sich die Sittlichkeit über die (individuelle) Moral (Philos. d. Geist. II, 133. vgl. G. BIEDERMANN, Philos. als Begriffswiss. I, 315 ff.). – Nach SCHLEIERMACHER bringt das sittliche, das Handeln der Vernunft »Einheit von Vernunft und Natur« hervor (Philos. Sittenlehre § 75 ff., 80). »Alles ethische Wissen... ist Ausdruck des immer schon angefangenen, aber nie vollendeten Naturwerdens der Vernunft« (l. c. § 81). »Die Ethik stellt also nur dar ein potenziertes Hineinbilden und ein extensives Verbreiten der Einigung der Vernunft mit der Natur« (l. c. § 81). Die Gebiete des sittlichen Handelns sind: Verkehr, Eigentum, Denken, Gefühl, ihnen entsprechen als ethische Verhältnisse: Recht, Geselligkeit, Glaube, Offenbarung. diesen vier ethische Organismen (Güter, s. d.): Staat, Gesellschaft, Schule, Kirche (vgl. Gr. d. philos. Eth. 1841. vgl. WW. III 2, 1838, S. 397 ff.). Vgl. CHALYBEAU, Wissenschaftslehre S. 410 ff.

Nach HERBART sind die sittlichen Elemente »gefallende und mißfallende Willensverhältnisse« (Lehrb. zur Einl.5, S. 137, § 89). Sittlicher Geschmack ist die Gesamtheit der sittlichen Urteile (WW. II, 339). Diese sind Geschmacksurteile, »ästhetische« (s. d.) Urteile (l. c. IV, 105). sie haben ursprüngliche Evidenz (ib.), beziehen sich auf Willensverhältnisse, die Beifall oder Mißfallen erwecken (l. c. II, 344 ff.). Aus diesen Urteilen gehen praktische Ideen (s. d.) hervor. Das Sittliche ist Object absoluter Wertschätzung (l. c. II, 341 ff.). So auch ALLIHN (Gr. d. allg. Eth. S. 31 ff.. vgl. NAHLOWSKY, Allg. Eth.2, 1885. T. ZILLER, Allg. philos. Eth.2, 1888. STRÜMPELL, Abhandl. auf d. Geb. d. Eth., Ästh. u. Theol. 1895. STEINTHAL, Allg. Eth. 1885). – Nach BENEKE ißt sittlich das Tun, welches »nach der (objectiv und subjectiv) wahren Wertschätzung als das Beste... sich ergibt« (Lehrb. d. Psychol. § 258). Die sittlichen Normen sind nicht angeboren, aber in der Natur des Menschen prädeterminiert (Syst. d. prakt. Philos. I, 1. vgl. S. 105). Schätzungen und Strebungen liegen der Sittlichkeit zugrunde (l. c. II, 4 ff.), Gefühle (Grundleg. zur Phys. d. Sitten, 1822). Die sichtige Wertschätzung ist mit dem Gefühle der Pflicht, des Sollens verbunden, weil sie der Natur der Seele entspringt (vgl. Pr. Philos. I, 32 ff., 68 ff., 99 ff., 219 ff., 340 ff., 429 ff.. Phys. d. Sitt. S. 80 ff.). – WAITZ leitet die Sittlichkeit aus dem Gefühle der Achtung vor dem Gesetze ab (Lehrb. 13. 395 ff.). SCHOPENHAUER begründet die Moral aus dem Mitleid (s. d.). Nach TRENDELENBURG besteht die Sittlichkeit in der Erfüllung der Idee des menschlichen Wesens, der menschlichen Gemeinschaft (Naturrecht). Nach K. GRASSMANN ist sittlich, »was dem in dem menschlichen Wesen Feststehenden, was dem im Leben desselben Geltenden gemäß ist« (Erkenntnislehre, S. 14). Nach V. CATHREIN ist sittlich gut, »was der vernünftigen Natur des Menschen angemessen ist« (Moralphilos. I, 230 ff.). Nach ULRICI ist das Sittengesetz in der Natur des Menschen begründet. Es ist ein »Gesetz der Erhaltung und[376] Förderung des Ganzen durch das Einzelne und damit des Einzelnen durch das Ganze« (Gott u. d. Nat. S. 609). Die Vernunft setzt die ethischen Kategorien voraus, produciert sie nicht (l. c. S. 612), bringt sie nur zum Bewußtsein, erkennt sie allgemein an (ib.). Nach LOTZE ist nur der Keim des Guten angeboren (Mikrok. II2, 338). Es besteht die »unvertilgbare Idee eines verbindlichen Sollens, die unsere Tätigkeit und unsere Gefühle begleitet, die Selbstbeurteilung des Gewissens« (l. c. S. 340). Die Idee des Guten ist Grund und Zweck der Welt. Nach M. CARRIERE erhebt sich auf der festen Grundlage des materiellen Seins »der selbstbewußte wollende Geist mit seinen Zwecken und Ideen« (Sittl. Weltordn. S 3). Es gibt einen weltordnenden sittlichen Geist, »der die Natur selbst nur zum Mittel und zum Boden genommen, um seine Ziele zu erreichen« (ib.). Nach ÜBERWEG tritt das Bewußtsein der Form den unsittlichen Neigungen gegenüber als apodiktische Forderung auf (Welt- u. Lebensansch. S. 390 ff.). Die Ethik ist »die Lehre von den normativer Gesetzen des menschlichen Wollens und Handelns, die auf der Idee (d.h. dem Musterbegriff) des Guten beruhen« (l. c. S. 427). »Die psychologische Basis der Ethik liegt in den Wertunterschieden zwischen den verschiedenen psychischen Functionen« (l. c. S. 433). Das moralische Gesetz lautet »Trage innerhalb der Grenzen deiner Berechtigung so viel, wie du vermagst, zur Lösung der Gesamtaufgabe der Menschheit bei« (l. c. S. 436). PLANCK setzt die Sittlichkeit in die Verwirklichung der Unendlichkeit und Universalität des sittlichen Zweckes auf der Grundlage der Naturbedingungen (Testam. ein. Deutsch. S. 577). Zweck des sittlichen, rechtlichen Handelns ist das »Wollen des Universellen und seiner ewigen Ordnung« (l. c. S. 692).

Nach O. LIEBMANN haben die sittlichen Ideale absoluten Wert, sind sich selbst Zweck (Anal. d. Wirkl.2, S. 568 ff.). Nach WINDELBAND ist es das sittliche Ideal, »daß der Zweckgedanke sich das Zufällige unterwerfe und in den Mechanismus des Weltlaufs nur mit derjenigen Bestimmtheit hineinwirke, die seine eigene Realisierung zur Folge hat. Indem die ethische Tätigkeit die ihr an sich äußerliche Welt des Geschehens durchdringt, teilt sie dieser Welt ihren eigenen Wert mit und nimmt ihr die gleichgültige Unbestimmtheit der Zufälligkeit« (Die Lehr. vom Zuf. S. 60 f.). Nach K. LASSWITZ steht nur das Sittengesetz selbst über der Natur. das Wie seiner Vollziehung ist Natur (Wirkl. S. 164). »Die Persönlichkeit ist der Gesetzgeber des Sittengesetzes, d.h. sie ist die Einheit, zu der sich die Idee des Guten zum Selbstzweck bestimmt« (Wirkl. S. 167), P. NATORP bestimmt das Sittliche als ein Überindividuelles, Sociales (Socialpäd.. vgl. F. STAUDINGER, Das Sittenges., 1887. H. COHEN in Langes Gesch. d. Mat.5, 1896. L. WOLTMANN, Syst. d. moral. Bewußts., 1898). Nach R. STAMMEER hat »Sittlich« vier Bedeutungen: 1) gesetzmäßig im Wollen, 2) tugendhaft in Gedanken, 3) richtig im Verhalten, 4) geschlechtlich correct (Lehre vom richt. Recht S. 64). Der Kern der sittlichen Lehre ist, »an das Richtige sich in überzeugtem Wollen unbedingt hinzugehen« (l. c. S. 69), »das rechtlich Richtige gut wollen« (l. c. S. 70). Eine Gesinnungsethik lehrt P. HENSEL (Hauptprobl. d. Eth. S. 49 ff.), welcher den Utilitarismus und Evolutionismus bekämpft (l. c. S. 1 ff.). Das Wesen des Sittlichen besteht »in der mit einem Pflichtgebot übereinstimmenden Willenssichtung« (l c. S. 71). Unsittlich sind jene Handlungen, »die gegen das Bewußtsein einer Pflicht in Verfolgung des Glücksstrebens für den Handelnden und andere geschehen, also alle diejenigen Handlungen, mögen sie nun egoistisch oder altruistisch sein, bei denen ich mir[377] bewußt bin, eine Pflicht zu verletzen« (l. c. S. 79). »Ursprünglich ist dem Menschen nichts eigentümlich als das Streben nach Glück. erst allmählich, als ein Product der Cultur, kommt das Bewußtsein eines Sittengesetzes dazu« (l. c. S. 86). RICHL erklärt: »Ethisch ist nur die Entscheidung, die mit unserem ganzen Willen übereinstimmt. sie ist zugleich die Entscheidung, die jedes vernünftige Wesen in gleicher Weise treffen würde, das unter den nämlichen Umständen zu handeln hätte.« »Das Sittengesetz, das Freihestsgesetz ist das universelle Gesetz aller vernünftigen Naturen. Es hat kosmische Tragweite.« »Die Quelle des Sittengesetzes ist die Apperception, die Tätigkeitsform des Selbstbewußtseins, das Selbstbewußtsein als Wille« (Einf. in d. Philos. S. 197 f.). »Das Sittliche hat eine gemeinschaftliche Quelle mit dem Logischen: das sociale Bewußtsein. Daher ist alles Sittliche, insbesondere aber das Rechtliche nach einer Seite betrachtet, logisch« (Philos. Krit. II 2, 75). Nach G. GLOGAU ist gut allein »der den Ideen rein hingegebene energische Wille« (Abr. d. philos. Grundwiss. II, 177). Der Mensch soll die übersinnliche Ordnung verwirklichen (ib.). »Das sittliche Handeln geht aus einem hyperphysischen Begehrungsvermögen hervor« (l. c. S. 185). Die Summe der Ethik ist: »Liebe Gott über alle Dinge und tue seinen Willen, indem du das Recht übst, nach der Wahrheit trachtest und deinen Nächsten als dich selber ehrst« (l. c. II, 189). Die vier ethischen Ideen sind die Idee des Guten (der ethischen Persönlichkeit), der sittlichen Verpflichtung, der innern Freiheit, der göttlichen Weisheit (l. c. II, 190). Nach PAULSEN ist das Sittengesetz »Ausdruck einer innern Naturgesetzmäßigkeit des menschlichen Lebens« (Syst. d. Eth. I5, 15). »Das Handeln und Verhalten eines Menschen ist sittlich gut, sofern es subjectiv in der Gewißheit der Pflichterfüllung geschieht, objectiv in der Sichtung der Wohlfahrt oder der vollkommenen Lebensgestaltung wirkt« (l. c. S. 233). Das vollkommene Leben ist gut an und für sich (l. c. S. 234). – Nach ELSENHANS gibt es ein absolutes Sittengesetz, dessen Äußerungen aber der Evolution unterliegen. Die Wurzel der Gewissensäußerungen liegt »in der ursprünglichen Menschennatur«, ist wesentlich überall gleich (Wes. u. Entsteh. d. Gewiss. S. 295, 325 ff.). Das unbedingt Wertvolle ist »objectiv in den höheren geistigen Gütern, subjectiv in den höheren Gefühlen, die sich damit verbinden«, gegeben (l. c. S. 334). Das Gewissen ist »das sittliche Bewußtsein in der Anwendung auf sein eigenes Subject oder in seiner reflexiven Anwendung« (l. c. S. 20). Die Ethik ist die »Wissenschaft vom sittlichen Bewußtsein« (l. c. S. 8). – LIPPS betont: »Nicht was wir tun, sondern aus welcher Gesinnung heraus wir es tun, bestimmt den sittlichen Wert unseres Tuns« (Eth. Grundfr. S. 80). »Sittlicher Wert ist Persönlichkeitswert, Wert, den die Persönlichkeit... an sich, als diese Persönlichkeit, hat oder in sich trägt« (l. c. S. 74). Der ethisch bedingte Eudämonismus fordert: »Fördere, wie in dir, so auch in andern als Basis alles sittlich wertvollen Glückes das Gute oder den Wert der Persönlichkeit« (l. c. S. 79). »Sittlich richtig ist der Willensentscheid, gegen den das Gewissen endgültig, d.h. auch wenn es ein vollkommen erleuchtetes Gewissen ist, keine Einspruche erheben kann« (l. c. S. 112). »Das sittliche Verhalten ist bestimmt durch den Wert, d.h. durch den objectiven Wert aller der Zwecke, die bei dem Verhalten in Betracht kommen können« (l. c. S. 123). Oberste Sittenregel ist: »Verhalte dich jederzeit innerlich so, daß du hinsichtlich dieses deines innern Verhaltens dir selbst treu bleiben kannst« (l. c. S. 134). C. STANGE erklärt: »Im ethischen Sinne gut ist das, was der Pflicht gemäß ist, böse, was der Pflicht zuwider ist. Der Begriff[378] der Pflicht ist der Maßstab des sittlichen Handeln« (Syst. d. Eth. II, 19). Das sittliche Handeln ist »das der Vernunft gemäße Handeln« (l. c. 168, ff.). Die ethischen Normen erwachsen dem Menschen aus der Gemeinschaft (l. c. S. 170). Gegenstand des sittlichen Willens ist die Gesinnung (l. c. S. 183). Nach WENTSCHER ist der gute Wille der Wille in seiner vollen Autonomie (Eth. I, 13). Sittliches Axiom ist: »Der Wille eines jeden willensfähigen, denkenden Wesens ist seiner Natur nach bestrebt, sich immer mehr zu einem vollendeten eigenen, freien Willen dieses Wesens zu entwickeln« (l. c. S. 229). Das sittlich gute Wollen ist »das in sich selbst vollkommene, das freie Wollen« (l. c. S. 230). 1. Imperativ: »Strebe nach höchster Ausprägung wahrhaft eigenen Wesens und fester Grundsätze eines vollendet eigenen, freien Wollens«. 2. Imperativ: »Mache von dieser Fähigkeit freier Betätigung eigenen Wesens den kraftvollsten und umfassendsten Gebrauch« (l. c. S. 234). – Nach F. BRENTANO ist es eine »gewisse innere Sichtigkeit«, welche »den wesentlichen Vorzug gewisser Acte des Willens vor andern und entgegengesetzten und den Vorzug des Sittliche vor dem Unsittlichen ausmacht« (Vom Urspr. sittl. Erk. S. 11). »Das mit sichtiger Liebe zu Liebende, das Liebwerte, ist das Gute im weitesten Sinne des Wortes« (l. c. S. 17). Wir bemerken das Liebens- und Hassenswerte mit ursprünglicher Evidenz (l. c. S. 21. Intuitionismus, s. d.). – Die nativistische Pflichttheorie lehrt H. SCHWARZ. Gewissen und Pflichttrieb sind ursprünglich im Menschen angelegt, entwickeln sich aber psychologisch (Grdz. d. Eth. S. 126 ff.). Die Vorstellung eines Handelns, in welchem man den unselbstischen gegen den selbstischen Trieb hintansetzt, erweckt das Gefühl des Unwertes der eigenen Persönlichkeit, das Gewissensgefühl. »Der Trieb zur Vermeidung des Unwertes, den das in jenem Gefühle sprechende Gewissen im Falle der Verletzung unserer unselbstischen durch unsere selbstischen Neigungen über uns verhängt, ist der Pflichttrieb« (l. c. S. 125). »Die sittliche Gesinnung setzt sich aus zweierlei zusammen, aus dem Vorhandensein dauernder unselbstischer Neigungen und aus der Empfindlichkeit für das Gefühl des Unwertes, das gegen die zugunsten selbstischer Interessen stattfindende Verletzung dieser Neigungen sich erhebt« (l. c. S. 129). »Die sittlichen Gefühle sind keine andern als jene der Sympathie mit selbstlosen und der Antipathie gegen egoistische Handlungen« (l. c. S. 106 f.. vgl. Das sittl. Leben, 1901). Nach SCHOLKMANN ist das Gute »das Wahre in seiner Übereinstimmung mit der dem Geiste innewohnenden unbedingten Willensnorm« (Grundlin. ein. Philos. d. Christent. S. 224 f.). »Wenn das Individuum allen Schwierigkeiten und Hindernissen der Weltverhältnisse gegenüber die Gewissensregung befolgt und so die Bestimmtheit des Grundwillens zur bleibenden Grundlage des Handelns erhebt, so entsteht der sittliche Wille, als eine das ganze Willensgebiet umfassende Collectiv-Eigenschaft gedacht, die Sittlichkeit« (l. c. S. 278).

Das Gefühl der Achtung (s. d.) betrachtet als Quelle des Sittlichen v. KIRCHMANN. Es ist dies ein Gefühl, das sich »der Vorstellung eines Gebotes anfügt« (Grundbegr. d. Rechts u. d. Moral, S. 49 ff.). Es entsteht »nur gegenüber einer Macht und Kraft, in Vergleich mit welcher die Kraft des einzelnen Menschen verschwindet« (l. c. S. 52), einer Autorität (ib.). Das Sittliche ist »ein Gebotenes, was für den Menschen gilt, nur weil es von der Autorität geboten ist« (l. c. S. 63). Für die Autoritäten selbst besteht kein Sittliches (ib.). Das Sittliche ist ein geschichtlich Gewordenes (l. c. S. 6S). Es ist einer stetigen Veränderung seines Inhaltes unterworfen (l. c. S. 69). »Alles, was die [379] Macht der Autoritäten, die Bestimmungsgründe ihres Willens, ihr Verhältnis zueinander ändert, muß auf den Inhalt ihrer Gebote Einfluß haben« (l. c. S. 69) Die Ethik hat »ihren Gegenstand nicht zu erzeugen, sondern nur zu beobachten« (l. c. S. 174 ff.). Auf Gebote und Verbote einflußreicher Männer führt den Ursprung der Sittlichkeit MÜNSTERBERG zurück (Der Urspr. der Sittlichk. 1889). P. REE unterscheidet die Periode der Rache, die der Strafe seitens der Gemeinschaft, die der Moral, welche Verbote vorfindet, deren Sinn verloren gegangen und die nun (wie die Gebote) um ihrer selbst willen befolgt werden (Üb. d. Entst. d. Gewissens. vgl. Philos. S. 251 ff.. vgl. Gut, Tugend). Das Gewissen ist historisch entstanden und bedingt, als tadelndes und lobendes Bewußtsein über social schädliche und nützliche, vepönte und gebilligte Handlungen (l. c. S. 211 ff.). Den heteronomen Ursprung der Sittlichkeit, den ethischen Skepticismus und Subjectivismus lehrt M. STIRNER. In anderer Weise auch (gegenüber der »Herden-Moral«) NIETZSCHE, der anderseits wieder ein objectives Sittlichkeitsprincip in dem aristokratisch-individualistischen Postulat der Höherzüchtung des Menschen zum »Übermenschen« (s. d.) hat (ethischer Evolutionismus biologischer Art). Vollste Kraft, Macht, Herrschaft über alles Niedrige, Gemeine in andern und in uns ist Nietzsches ethisches Ideal, das im »Willen zur Macht« (s. d.) wurzelt (»Herren-Moral«). »Die moralischen Wertunterscheidungen sind entweder unter einer herrschenden Art entstanden, welche sich ihres Unterschiedes gegen die beherrschte mit Vollgefühl bewußt wurde – oder unter den Beherrschten, den Sklaven und Abhängigen jedes Grades. Im ersten Falle, wenn die Herrschenden es sind, die den Begriff gut bestimmen, sind es die erhobenen stolzen Zustände der Seele, welche als das Auszeichnende und die Rangordnung Bestimmende empfunden werden.« »Schlecht« ist hier so viel wie »verächtlich«, gut (s. d.) so viel wie »vornehm«. Als »Ressentiment« dagegen wertet die (christliche) »Sklaven-Moral« das Vornehme, Machtvolle als »böse«, als gut hingegen die Demut, Ergebenheit, Nächstenliebe u.s.w. Die Herrenmoral ist die lebenbejahende, die altruistische Moral die der Lebensschwäche entspringende, decadente Moral. »Umwertung aller Werte« ist daher nötig (Jens. von Gut u. Böse2, S. 228 ff.. Geneal. d. Moral. vgl. WW. XV, 349 ff., 435 ff.). In die volle Entwicklung der menschlichen Natur setzt die Sittlichkeit R. STEINER (Philos. d. Freih S. 222). Die Sittlichkeit ist durch den Menschen da. »Das menschliche Individuum ist Quell aller Sittlichkeit und Mittelpunkt alles Lebens« (l. c. S. 159 ff.. vgl. A. TILLE, Von Darw. bis Nietzsche).

Altruistisch ist der Sittlichkeitsbegriff L. FEUERBACHS: »Mein Recht ist mein gesetzlich anerkannter Glückseligkeitstrieb, meine Pflicht ist der mich zu seiner Anerkennung bestimmende Glückseligkeitstrieb des andern« (WW. X, 66). Die Moral kann nur »aus der Verbindung von Ich und Du« abgeleitet werden (ib:). Die Ich und Du umfassende Glückseligkeit ist das Princip der Moral (l. c. S. 67). Ähnlich lehrt L. KNAPP (Syst. d. Rechtsphilos. S. 144 ff). Er betont das »Gattungsinteresse« (l. c. S. 160). Das Begehren und seine Producte sind sittlich, soweit sie »dem vorgestellten, also wirklichen oder vermeintlichen Gattungsinteresse angepaßt« sind (l. c. S. 164). In der Sittlichkeit ist nur der »Gesellschaftswert« als Wert gerechtfertigt (l. c. S. 171). Gut und Böse sind relativ (l. c. S. 173 f.). Die sittlich zwingenden Affecte bilden das Gewissen (l. c. S. 155). Nach CZOLBE sind die einzelnen moralischen und rechtlichen Pflichten und Gesetze »durch die äußere und innere Erfahrung einzelner,[380] namentlich der Religionsstifter, im Laufe der Geschichte allmählich gefundene Mittel, aus denen der zur Erreichung des möglichen Glückes jedes einzelnen oder des Allgemeinwohls bestimmte Mechanismus des Staates zusammengefügt ist« (Gr. u. Urspr. d. m. Erk. S. 14). Die allgemeine Verbreitung der (im wesentlichen gleichartigen) Moral beruht auf der »wesentlichen Gleichheit der menschlichen Natur« (l. c. S. 56). Nach TH. ZIEGLER ist das Sittliche ein Product der Entwicklung, es ist das, was der Gesellschaft als nützlich gilt (vgl. Sittl. Sein u. sittl. Werden, 1890). Nach O. AMMON ist das Moralgesetz »der Inbegriff der Forderungen unserer altruistischen Triebe« (Gesellschaftsordn. S. 68). Einen ethisch – biologischen Evolutionismus (s. d.) lehren W. JORDAN, NIETZSCHE, R. HAMERLING (Atom. d. Will. II, 247), G. H. SCHNEIDER. moralisches Handeln ist »Streben nach möglichst vollkommener Arterhaltung« (Menschl. Wille S. 371 ff.), RATZENHOFER (Pos. Eth. S. 39 ff.) u.a. Nach A. TILLE ist das ethische Ziel »die Hebung und Herrlichergestaltung der menschlichen Rasse« (Von D. b. N. S. 23). In die individuelle und sociale, humane Vervollkommnung, Veredlung setzt die Sittlichkeit UNOLD (Gr. d. Eth. S. 53 ff.). Einen socialen Utilitarismus lehrt IHERING (Zweck im Recht II, 158). Das Sittliche hat socialen Ursprung (l. c. II, 103). Alle sittlichen Normen sind »gesellschaftliche Imperative« (l. c. S. 105), haben das Wohl und Gedeihen der Gesellschaft zum Zweck (l. c. S. 104 ff.). Das Sittliche ist der »Egoismus der Gesellschaft« (l. c. S. 195). Nach E. LAAS ist die Moral »anthroponom«, ein sociales Product (Ideal. u. Posit. II, 222). Bedürfnisse und Erfahrungen stehen dahinter (l. c. S. 223). Die absolute Moral ist nur ein Ideal (l. c. S. 223 ff., 235, 293). Evolutionist ist CARNERI (Sittl. u. Darwin.. Grundleg. d. Eth., 1886), G. SIMMEL (Einl. in d. Moralwiss.). Nach GIZYCKI ist die allgemeine Wohlfahrt die Sichtschnur der Moral (Moralphilos. S. 20 ff.). Der moralische Gebieter ist nicht die Vernunft, sondern das Gefühl (l. c. S. 134 ff., 140). Nach RÜMELIN gibt es einen »sittlichen Ordnungstrieb« (Red. u. Aufs. I, 71). Es gibt eine Wertschätzung unserer Triebe, »bei welcher die humanen Triebe höher geschätzt werden als die animalischen, die socialen höher als die egoistischen« (ib.). Nach H. LORM ist die ethische Tat »die selbstverleugnende, folglich die Natur besiegende Hingebung an das Interesse anderer« (Grundlos. Optim. S. 281). TOLSTOI: »Tue andern, wie du willst, daß man dir tue« (Was ist Relig.? S. 76). – Nach W. STERN ist der sittliche Trieb der »Trieb zur Erhaltung des Psychischen in seinen verschiedenen Erscheinungsformen durch Abwehr aller schädlichen Eingriffe in dasselbe« (Wes. d. Mitleids, S. 33). Das sittliche (Lust-)Gefühl ist »die Freude über den Sieg über die schädlichen Eingriffe der objectiven Außenwelt ins psychische Leben« (l. c. S. 36. vgl. Krit. Grundleg. d. Eth. als posit. Wiss.). – Nach SIGWART ist sittliche Gesinnung feste Sichtung des Willens auf das höchste Gut (Vorfrag. d. Eth. 1886). Nach EHRENFELS sind die höchsten moralischen Eigenwerte das Streben nach dem größtmöglichen Wohl, der höchstmöglichen Entwicklung der Gesamtheit (Werttheor. I, 110 f.. s. Wert). Einen ethischen Relativismus lehrt ADICKES (Eth. Principienfragen, Zeitschr. f. Philos. 116 Bd., S. 14 ff.). Subjectiv (dem Motiv nach) gut ist eine zweckbewußte Handlung, »wenn sie nur wegen der mit dem Guttun verbundenen eigenartigen Lust und auch Widerwillen gegen die mit dem Gegenteil verbundene unvergleichlich große Unlust erfolgt« (l. c. S. 39). Solcher Eudämonismus schadet der Moral in keiner Weise (l. c. S. 54). Nach KREIBIG ist ethisch gut »eine Gesinnung, welche darauf gerichtet ist, fremde Lust auszulösen... oder[381] fremde Unlust zu unterdrücken« (Werttheor. S. 108. vgl. Gesch. u. Krit. d. eth. Skepticism. 1896, S. 3 ff.).

Universalistisch-evolutionistisch, anti-eudämonistisch, dabei metaphysisch fundiert ist der Sittlichkeitsbegriff E. v. HARTMANNS, der eine Phänomenologie des Sittlichen gibt. Die Sittlichkeit besteht in der Mitarbeit an der Abkürzung des Leidens- und Erlösungsweges des Absoluten (Phänomenol. d. sittl. Bewußts. S. 840). »Die Sittlichkeit erschöpft sich darin, daß das Individuum sich (um der Wesensidentität aller willen) der objectiven Teologie des Weltprocesses hingibt« (Zur Gesch. u. Begr. d. Pessim.2, S. 287. vgl. Eth. Stud.). In anderer Weise lehrt einen universalistischen Evolutionismus WUNDT. Die Sittlichkeit ist ein Product des Gesamtwillens (s. d.). sie geht mit dem Rechte als Differenzierung der Sitte (s. d.) aus dieser hervor. Zwei psychologische Grundmotive sind Ehrfurchts- und Neigungsgefühle (Eth.2, S. 264). Die Entwicklung der sittlichen Anschauungen zerfällt in drei Stadien: 1) Beschränktheit der socialen Triebe durch das Selbstgefühl, Schätzung äußerer Vorzüge als Tugenden. 2) Einfluß religiöser Vorstellungen, Differenzierung der Lebensanschauung. 3) Einfloß der Philosophie, humane Tendenz (l. c. S. 265). Von Bedeutung für die Entstehung sittlicher Zwecke ist die »Heterogonie der Zwecke« (s. d.). Die handelnde Persönlichkeit als solche ist niemals eigentliches Zweckobject der, Sittlichen (l. c. S. 497). Egoismus und Altruismus haben nicht an sich sittlichen Wert (l. c. S. 497). Den individuellen sind die socialen, diesen die humanen Zwecke übergeordnet (l. c. S. 493 ff.). Der letzte Zweck des sittlichen Strebens wird zu einem idealen, empirisch nie erreichbaren (l. c. S. 504). Die »fortschreitende sittliche Vervollkommnung der Menschheit« ist der nächste Zweck der humanen Sittlichkeit (l. c. S. 507). Die humanen Zwecke bestehen in der Hervorbringung geistiger Schöpfungen (l. c. S. 503). Der sittliche Wert richtet sich nicht nach äußeren Erfolgen, sondern »nach jener sittlichen Energie..., die in der Reinheit der Gesinnung und in der Widerstände überwiegenden Macht der sittlichen Motive zutage tritt« (l. c. S. 606). »Sittlich ist der Wille dem Effect nach, so lange sein Handeln dem Gesamtwillen conform ist, der Gesinnung nach, solange die Motive, die ihn bestimmen, mit den Zwecken des Gesamtwillens übereinstimmen. Motive, die sich auf Zwecke beziehen, die für den Gesamtwillen gleichgültig sind, bleiben sittlich indifferent. Unsittlich aber ist jede Gesinnung, die in einer Auflehnung des Individualwillens gegen den Gesammtwillen besteht. Die letzte Quelle des Unsittlichen ist daher stets der Egoismus« (l. c. S. 633 f.. Syst. d. Philos.2, S. 651 ff.). »Die Ewigkeit der Sittengesetze besteht in ihrem ewigen Werden« (l. c. S. 525). Das Sittliche ist »Willensentwicklung«. Kampf des Willens mit dem Bösen hat statt (l. c. S. 525). Das Glück ist ein Nebenerfolg, nicht Zweck des sittlichen Handelns (Syst. d. Philos.2, S. 660 ff.). Alle unmittelbaren sittlichen Güter sind geistige Schöpfungen. Sittlich sind geistige Zwecke, »sobald sie auf die Förderung eines concreten geistigen Lebensinhaltes gesichtet sind, vorausgesetzt, daß dabei nicht Mittel zur Anwendung kommen, durch die andere Lebensinhalte geschädigt werden«. »Jede Handlung, die... an der Entfaltung geistiger Kräfte und an der Vergeistigung der Natur durch ihre Umwandlung in ein Substrat geistiger Zwecke mithilft, ist im objectiven Sinne sittlich« (Syst. d. Philos.2, S. 653 ff.. Eth.2, S. 409, 498). Motive sind sittlich, »wenn das erstrebte Gut nur um seiner selbst willen, nicht wegen irgend welcher Nebenzwecke gewollt wird« (Syst. d. Philos.2, S. 659 f.). »Der Mensch lebt, weil es seine Bestimmung ist[382] zu leben. Die Bestimmung dieses Lebens aber besteht in dem, was es seinem eigensten Wesen gemäß hervorbringt. Dieses eigenste Wesen des Lebens ist geistiges Leben. Auf die Erzeugung geistiger Schöpfungen ist daher unmittelbar oder mittelbar alles Leben gerichtet. Jede solche Schöpfung und jedes ihr dienende Hülfsmittel ist, weil der Zweck des Lebens deren Erreichung ißt, ein Gut. Güter rein um ihrer selbst, nicht um äußerer fremdartiger Zwecke willen erstreben und zu ihrer Erstrebung mithelfen, ist sittliches Leben« (l. c. S. 662 f.). – JODL bemerkt: »Das Sittliche selbst ist... etwas Wechselndes, Fortschreitendes und wie alles sich Entwickelnde unter Umständen auch der Rückbildung unterworfen« (Gesch. d. Eth. I, 38). Nach H. CORNELIUS sind moralisch positiv zu bewertende Wollungen und Handlungen jene, »deren Ziel nach dem Stande der jeweiligen Erfahrungen des wollenden Individuums als das relativ wertvollste erscheint« (Psychol. S. 411 f.). – Vgl. P. J. ELVENICH, Die Moralphilos., 1830. J. U. WIRTH, Syst. d. specul. Eth., 1841. LICHTENFELS, Lehrb. d. Moralphilos., 1846. J. H. FICHTE, Syst. d. Eth.. R. SEYDEL, Eth., 1874. V. KAULICH, Syst. d. Eth., 1877. A. STEUDEL, Philos. im Umr. II, 1, 1877. HARMS, Ethik, 1889. J. WITTE, Grdz. d. Sittenlehre, 1882. J. BAUMANN, Handb. d. Moral, 1879. LETOURNEAU, L'évol. de la morale, 1887. H. WOLFF, Handb. d. Eth.. KIRCHNER, Kat. d. Eth.2, 1898. W. JERUSALEM, Lehrb. d. Psychol.3, S. 168 f., u.a.

Aus der Organisation, Sympathie, den socialen Verhältnissen leitet die Sittlichkeit CABANIS ab, aus der Sympathie DESTUTT DE TRACY. Nach JOUFFROY ist das Sittlichgute das bewußte Streben des Menschen, sich mit der allgemeinen Ordnung in Einklang zu setzen (Cours de droit nat. I, 88 ff.. vgl. p. 28 ff.). Nach V. COUSIN ist das sittliche Urteil »un jugement simple, primitif, indécomposable« (Du vrai, p. 347). »La réalité des distinctions morales nous est révélée par ce jugement, mais elle en est indépendante« (l. c. p. 348). Die Pflicht beruht auf dem Guten, nicht umgekehrt (l. c. p. 352, gegen-Kant). Princip der Moral ist die Gerechtigkeit (l. c. p. 352. vgl. p. 257 ff.. vgl. J. DROZ, Philos. Morales, 1834). Auf die Lust am Wohlwollen führt die Sittlichkeit KÉRATRY zurück. – PROUDHON betrachtet als Wurzel von Sittlichkeit und Recht das Rechtsgefühl. Nach A. COMTE bestehen im Menschen moralische Anlagen, die aber erst in der Geschichte entwickelt werden, wobei die Intelligenz im Spiele ist. Die socialen Neigungen fahren zum Altruismus (s. d.), zur Hingebung der Starken für die Schwachen, die Sittlichkeit ist der Inbegriff des social Heilsamen (Catéch. pos. p. 278 ff., 302 ff.. Cours de philos. pos. IV). RENOUVIER betrachtet das Sittengesetz als Imperativ des vernünftigen Bewußtseins, welcher seine Geltung in einer socialen Gemeinschaft verlangt (La science de la morale, 1869). Nach RIBOT erfordert das collective Leben das Bewußtsein »d'une obligation, d'une règle de ce qui doit être fait on évité« (Psychol. d. sent. p. 281). Das Wohlwollen ist etwas Natürliches, biologisch Begründetes. »La tendance à agir dans un sens conservateur et la loi de transfert... sont les agents essentiels de la genèse de l'altruisme.« Es liegt ihm die »tendance à déployer notre activité créatrice« zugrunde (l. c. p. 287 ff.). Vgl. FOUILLÉE, Critique des syst. de morale contempor.. CH. DUNAN, Les principes de la morale, Revue Philos. Tom. 51, 1901, P. 252 ff., 360 D., 594 ff., u.a.

Auf die Vernunft gründet die Sittlichkeit GENOVESI. Nach GIOBERTI erzeugen primäre Urteile das moralische Gesetz (Del buono, C. 8). ROSMINI bestimmt die Ethik (moralische Deontologie) als Anleitung des Menschen zur[383] sittlichen Vollkommenheit. Grundlage des Sittlichen ist der göttliche Wille. Oberstes Sittengesetz ist, jedes Seiende in seiner Ordnung, in seinem Wesen zu würdigen (Opere di filos. morale I, p. 153 ff.). Die Autonomie des Willens im Sittlichen lehrt GALUPPI.

Eine religiöse Grundlage hat die Sittlichkeit nach DAN. BOËTHIUS, S. GRUBBE. So auch nach BIBERG. »Sittlich ist diejenige Bestimmtheit des Willens, wodurch. das menschliche Individuum den rein vernünftigen, d.h. göttlichen Willen zu seinem eigenen macht« (bei Überweg-Heinze, Gr. d. Gesch. d. Philos. IV9, 503). Nach BOSTRÖM hat die Sittlichkeit ihre Wurzel im übersinnlichen Wesen des Menschen und zielt auf Herstellung des Reiches Gottes durch die Menschheit. – Nach HÖFFDING entsteht das ethische Gesetz, »wenn die Lebensbedingungen des umfassenderen Ganzen in bestimmten Gedanken formuliert werden« (Eth.2, S. 42). Grundsatz der humanen Ethik ist, »daß die Handlungen für möglichst viele bewußte Wesen möglichst große Wohlfahrt und möglichst großen Fortschritt erzielen sollen« (l. c. S. 42). »Alles ethische Streben ist Culturtätigheit, aber nicht alle Culturtätigkeit ist ethisch« (l. c. S. 134).

Einen geläuterten (socialen) »Utilitarismus« (s. d.), welcher die Ursprünglichkeit socialer Gefühle anerkennt und betont, daß durch Association das Sittliche, das ursprünglich nur Mittel ist, an und für sich als ein Gut gewertet wird (Log. II4, p. 416 f.) lehrt J. ST. MILL. Den Intuitionismus (s. d.) verbindet mit dem Utilitarismus H. SIDGWICK. Was für den einzelnen Pflicht ist, muß für alle Menschen unter ähnlichen Umständen Pflicht sein. Das (richtige) Urteil: Etwas ist begehrenswert, ist gültig für alle Menschen. Das Begehrenswerte ist das, was begehrt werden soll, und das ist ein befriedigender Gefühlszustand für alle Wesen (Meth. of Eth.3, p. 55 ff., 71 ff., 401. vgl. Überweg-Heinze, Gr. d. Gesch. d. Philos. IV 9, 435 f.). A. BAIN erklärt: »The Ethical end that mern are tending to and may ultimately adopt without reservation, is human Welfare, Happiness, or Beiny and Well-being combined, that is, Utility« (Ment. and Mor. Sc. p. 442 ff., 460 ff.. vgl. p. 385 ff.). – Nach CH. DARWIN sind dem Menschen sociale Instincte angeboren. Er hat ferner die Fähigkeit, »seine vergangenen und zukünftigen Handlungen oder Beweggründe miteinander zu vergleichen und sie zu billigen, oder zu, mißbilligen« (Abstamm. d. Mensch., dtsch. von Carus, S. 91 ff., 104 ff.). H. SPENCER betont, die Erscheinungen des sittlichen Handelns seien Entwicklungsgesetzen unterworfen (Princ. d. Eth. I 1, § 24). Gut ist ein Handeln, wenn sein Gesamtresultat freudig oder schmerzlich ist (l. c. § 16). Gut ist im höchsten Sinne das Handeln, wenn es die größte Summe des Lebens für den einzelnen wie für die Menschen überhaupt erzeugt (l. c. § 8). Organisierte Erfahrungen vom Nützlichen erzeugen die moralischen Gefühle, die als solche schon also vererbt, ursprünglich sind (l. c. § 46). Der Zwang der Pflicht geht so in spontane Pflichtgefühle über (l. c. § 47). Letzter Endzweck ist Förderung des Lebens der Individuen in der Gesellschaft (l. c. § 50). P. CARUS betrachtet als überindividuellen Zweck der Ethik das gesellschaftliche Leben und dessen Wohlfahrt (The Ethical Problem, 1890, III, p. 33 ff.). HUXLEY erblickt den sittlichen Fortschritt im Kampfe gegen die Natur (Evolut. and Ethics, 1893). Aus dem Zusammenwirken von Gefühlen der Lust und Unlust mit dem socialen Milieu leitet das Sittliche A. BARATT ab (Physical Ethics, 1869). Aus der natürlichen Selbsterhaltung und der Vervollkommnungstendenz der Organismen EDITH SIMCOX (Natural Law, 1877). Einen socialen Utilitarismus lehrt LESLIE[384] STEPHEN. Die Sittlichkeit ist der Inbegriff des die Gesellschaft Erhaltenden, hat subjectiv ihre Wurzel in der Sympathie. Das Gewissen ist der »public spirit of the race«, im einzelnen organisch geworden (Science of Ethics, 1882. The English Utilitarians, 1900. Überweg IV9, 460). SAM. ALEXANDER bestimmt als das individuell Gute die Einhaltung der Harmonie zwischen den verschiedenen Functionen der menschlichen Natur. Social gut ist die der gesellschaftlichen Stellung entsprechende Handlungsweise. Sittlicher Endzweck ist das im Gleichgewichte erhaltene Handeln aller Personen. Die Sittlichkeit ist beständigem Kampfe, beständiger Entwicklung unterworfen (Moral Order and Progress2, 1891. Überweg IV9, 461). Zur Religion setzt die Sittlichkeitssauction in Beziehung B. KIDD (Social Evolution, 1894). Die Lehre CH. DARWINS von der Entwicklung der sittlichen Gefühle durch natürliche Auslese aus primären socialen Neigungen bildet weiter A. SUTHERLAND (The Origin and Growth of the Moral Instinct, 1898). Ethische Evolutionisten sind ferner WILLIAMS (Evolutional Ethics, 1893), J. FISKE (The Destiny of Man, 1884), A. R. WALLACE, J. C. MORISON, P. BIXBY (The Ethics of Evolution, 1900), L. F. WARD u.a. – Auf »Autorität« begründet die Ethik BALFOUR (The foundations of Belief, 1895). Eine Gesinnungsethik lehrt MARTINEAU. Die moralische (vergleichende) Wertschätzung ist unmittelbar, primär. es gibt eine »graduated scale of excellence« in unseren Motiven. Gut ist jede Handlung, welche gegenüber einem niedrigeren dem höheren Motive folgt. Die Autorität des Gewissens geht auf göttliches Gebot zurück, das in uns wirksam ist (Types of Ethical Theory3, 1891, p. 32 ff., 57 ff.. Überweg IV9, 466 f.). In der Selbstverwirklichung des menschlichen Wesens, d.h. in der Beherrschung der Sinnlichkeit durch die Vernunft, den vernünftigen Willen (will-reason) erblickt den Sittlichkeitszweck S. LAURIE (Philos. of Ethics, 1866). Den Intuitionismus vertritt LECKY (Sittengesch. I S. 59 f., 73 f., 89 f.). GREEN setzt die Sittlichkeit in Streben nach möglichst vollkommener Selbstverwirklichung des wahren Wesens des Subjects. das Leben nach der Vernunft ist Endzweck des sittlichen Strebens (Prolegom. to Ethics2, 1884. Philos. Works, 1886 ff.. Überweg IV9, 483). Eine Persönlichkeitsethik lehrt J. SETH. Ideal ist die harmonische Ausbildung von Sinnlichkeit und Vernunft. Ethische Aufgabe ist »seif-realisation«, »realisation of self-hood« (»be a person«) (A Study of Ethical Principles3, 1898). Vgl. WHEWELL, Lectures on Systematic Morality, 1846 (Intuitionismus). F. D. MAURICE, Lectures on Social Morality, 1870. Moral and Metaphysical Philos., 1872. – Vgl. LUTHARDT, Gesch. d. christl. Eth., 1888/93. VORLÄNDER, Gesch. d. philos. Moral V. COUSIN, Hist. de la philos. morale au 18. siècle. JANET, Hist. de la philos. morale. LESLIE STEPHEN, History of English Thought in the 18. Century.

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Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 2. Berlin 1904, S. 370-385.
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