Kotzebue

[545] Kotzebue (spr. -bū), 1) August Friedrich Ferdinand von, Schriftsteller, geb. 3. Mai 1761 in Weimar, wo sein Vater Legationsrat war, gest. 23. März 1819 in Mannheim, erhielt seine Erziehung nach dem frühen Tode des Vaters von seiner Mutter und deren Schwager Musäus (s. d.), widmete sich seit 1777 in Jena und Duisburg juristischen Studien und ließ sich hierauf als Rechtsanwalt in seiner Vaterstadt nieder, ging aber schon 1781 nach Petersburg, wurde Sekretär bei dem Generalgouverneur v. Bauer, 1783 Assessor in Reval und erhielt 1785, gleichzeitig geadelt, die Stelle des Präsidenten des Gouvernementsmagistrats der Provinz Esthland. Inzwischen hatte er sich durch eine Reihe von Erzählungen, wie »Die Leiden der Ortenbergischen Familie« (1785 f.), und mehrere sentimentale Dramen (namentlich durch das bald weitverbreitete Stück »Menschenhaß und Reue«, 1789) zum Liebling des Publikums gemacht, wogegen ihm das 1790 in Pyrmont unter Knigges Namen herausgegebene Pasquill »Doktor Bahrdt mit der eisernen Stirn« in der öffentlichen Meinung sehr schadete. Nach dem Tode seiner ersten Gemahlin (einer Tochter des russischen Generalleutnants v. Essen) nahm er seine Entlassung aus dem Staatsdienst, privatisierte in Paris (vgl. »Meine Flucht nach Paris im Wintermonate 1790«, neue Ausg., Berl. 1883) und Mainz und zog sich 1795 auf sein Landgut Friedenthal bei Reval zurück, fortwährend nur mit schriftstellerischen Arbeiten beschäftigt. »Die jüngsten Kinder meiner Laune« (Leipz. 1793–96, 6 Bde.) sowie über 20 Schauspiele, darunter als die bedeutendsten: »Armut und Edelsinn« (1795), »Die Spanier in Peru« (1796), »Die Negersklaven« (1796) und »Die Verleumder« (1796), waren die Frucht dieser Muße. 1798 wirkte er mehrere Monate als Theaterdichter in Wien (vgl. seine Schrift »Mein Aufenthalt in Wien und meine erbetene Dienstentlassung«, Wien 1799), ließ sich hierauf in seiner Vaterstadt nieder, wo ihm aber Goethes entschiedene Ablehnung und die Angriffe der Romantiker, die er durch die Posse »Der hyperboreische Esel« (1799) gereizt hatte, bald den Aufenthalt verleideten, so daß er sich entschloß, nach Rußland zurückzukehren. Kaum hatte er jedoch die Grenze überschritten, als er (im April 1800) verhaftet und nach Sibirien geführt wurde. Ein kleines Drama: »Der Leibkutscher Peters III.« (1799), eine indirekte Lobrede auf Paul I., die Krasnopolski ins Russische übersetzt hatte, brachte ihm jedoch nicht nur bald wieder die Freiheit, sondern erwarb ihm auch die Gunst des Kaisers, der ihn mit dem Krongut Worroküll in Livland beschenkte und zugleich zum Direktor des deutschen Theaters in Petersburg ernannte. Die Erlebnisse in Sibirien beschrieb K. in dem romanhaften Buch: »Das merkwürdigste Jahr meines Lebens« (Berl. 1801, 2 Bde.). Nach Pauls I. Tode ging er wieder nach Weimar. Da aber hier sein Versuch, Goethe durch alberne Ovationen für Schiller herabzusetzen, gänzlich mißlang, wendete er sich nach Berlin, wo er in der von ihm mit Merkel herausgegebenen Zeitschrift »Der Freimütige« eine heftige Polemik gegen Goethe und die romantische Schule eröffnete. Dieser Tendenz sollte auch das gemeine dramatische Pamphlet »Expektorationen« dienen, dessen Autorschaft K. übrigens ableugnete. Anfang 1806 begab er sich nach Königsberg, wo er Geschichtsstudien trieb, die er für das nur durch den Abdruck von Urkunden bemerkenswerte, sonst mißlungene Werk »Ältere Geschichte Preußens« (Riga 1809, 4 Bde.) verwertete; zu Ende des Jahres kehrte er auf sein Gut nach Esthland zurück und gab von hier aus die Zeitschriften: »Die Biene« (1808–1809) und »Die Grille« (1811–12) heraus, worin er gegen Napoleon und das Franzosentum in satirischer Weise, und zwar im Interesse Rußlands, auftrat. Infolgedessen wurde er 1813 vom Kaiser Alexander I. zum Staatsrat ernannt, folgte als solcher 1814 dem russischen Hauptquartier und erhielt nach dem Sturz Napoleons I. die Stelle eines russischen Generalkonsuls in Königsberg. Hier beschäftigte er sich wieder vorzugsweise mit historischen Forschungen und schrieb in reaktionärem Sinn eine »Geschichte des Deutschen Reichs« (Bd. 1 u. 2, Leipz. 1814–15; fortgesetzt von Rüder, Bd. 3 u. 4, 1833), die 1817 beim Wartburgfest von den Burschenschaftern verbrannt wurde. 1816 nach Petersburg zurückberufen, wurde K. als Staatsrat im Departement des Auswärtigen angestellt, erhielt aber schon 1817 die Erlaubnis, in Deutschland zu wohnen. Er siedelte zunächst wieder nach Weimar, dann nach Mannheim über und gab ein »Literarisches Wochenblatt« heraus, das viel gelesen wurde, seinem Autor aber bald den Haß aller liberal Gesinnten, vor allem auch der burschenschaftlichen Kreise, zuzog. Aus deren Mitte erstand der Fanatiker Karl Ludw. Sand (s. d.), der K. 23. März 1819 in Mannheim erdolchte. K. zeichnet sich als Lustspieldichter durch Schlagkraft der Situationskomik,[545] theatralische Behendigkeit des Dialogs und große Kenntnis der Bühnenwirkungen aus; in seinen ernsten Dramen versteht er mit großer Geschicklichkeit durch pathetische Effekte zu erschüttern und durch Sentimentalität zu rühren; hier wie dort entfernt er sich aber durchaus von innerer künstlerischer Wahrheit, er ist im Kern seines Wesens frivol und ohne alles Verständnis für die tiefern Probleme des Lebens. Im ganzen veröffentlichte K. 15 Trauerspiele, 60 Schauspiele, 73 Lustspiele, 30 Possen, 11 Parodien und Travestien, 13 Vor- und Nachspiele und 17 Opern und Singspiele. Zu seinen besten Schwänken und Lustspielen, die begabten Darstellern noch heute Gelegenheit zu seiner Charaktermalerei bieten, gehören: »Die Verwandten«, »Die beiden Klingsberge«, »Der Wildfang«, »Die deutschen Kleinstädter«, deren Fortsetzung »Carolus Magnus«, ferner »Pachter Feldkümmel«, »Der verbannte Amor«, »Der gerade Weg ist der beste«, »Das Intermezzo«, »Die Pagenstreiche« und »Die Zerstreuten«. Kotzebues »Sämtliche dramatischen Werke« erschienen zuerst in 28 Bänden (Leipz. 1797–1823), dann in 44 Bänden (das. 1827–29; neue Aufl. u. d. T.: »Theater von K.«, das. 1840–41), später eine »Auswahl dramatischer Werke« in 10 Bänden (das. 1868) und eine Sammlung »Ausgewählter Lustspiele« (2. Aufl., das. 1873). Seine Romane sind schwach, seine rhetorisch-pathetischen »Gedichte« (Wien 1818, 2 Bde.) bis auf einige (»Es kann ja nicht immer so bleiben« u. a.) ohne Wert. Vgl. »August v. Kotzebue. Urteile der Zeitgenossen und der Gegenwart«, zusammengestellt von W. v. Kotzebue (Dresd. 1881); Bahlsen, K. und Sheridan (Berl. 1889); Rabany, K., sa vie et son temps (Nancy 1893) sowie die Dissertationen von Jaeckh, Studien zu Kotzebues Lustspielen (Heidelb. 1900) und Sellier, K. in England (Leipz. 1902). Seine Söhne:

2) Otto von, russ. Seefahrer, zweiter Sohn des vorigen, geb. 30. Dez. 1787 in Reval, gest. daselbst 15. Febr. 1846, trat in das Seekadettenkorps in Kronstadt, begleitete 1803–06 als Sekretär Krusenstern auf seiner Reise um die Erde und wurde 1815 mit der Führung des Schiffes Rurik betraut, um die holländischen Entdeckungen in der Südsee näher zu erforschen und die Möglichkeit einer Durchfahrt aus dem Stillen in den Atlantischen Ozean zu untersuchen. Begleitet von den Naturforschern Chamisso und Eschscholtz, umfuhr er 1. Febr. 1816 Kap Hoorn, entdeckte die Romanzow-, Rurik- und Krusensterninseln, ging dann nordwärts zur Beringstraße und entdeckte nordöstlich von ihr (im August 1816) den nach ihm benannten Kotzebuesund. Nachdem er den Winter in der Südsee verbracht, versuchte er abermals durch die Beringstraße zu dringen, als ihn ein Brustleiden zur Umkehr nötigte. Am 3. Aug. 1818 langte K. in Petersburg an. Zum Kapitänleutnant ernannt, unternahm er 1823, begleitet von den Naturforschern Eschscholtz, Lenz, Hofmann und Preuß, seine dritte Reise um die Welt, auf der er wieder mehrere Inseln in der Südsee entdeckte. 1829 zog er sich ins Privatleben zurück. Er schrieb: »Entdeckungsreise in die Südsee und nach der Beringstraße zur Erforschung einer nordöstlichen Durchfahrt« (Weim. 1821, 3 Bde.) und »Neue Reise um die Welt in den Jahren 1823 bis 1826« (das. 1830, 2 Bde.).

3) Moritz von, Bruder des vorigen, geb. 11. Mai 1789 auf dem Gute Kieckel in Esthland, gest. im Februar 1861 in Warschau, besuchte die Kadettenschule in Petersburg und machte in seinem 14. Jahre mit seinem Bruder Otto als Seekadett unter Krusenstern die Reise um die Welt mit. Nach seiner Rückkehr trat er in die russische Landarmee und wohnte 1806 und 1807 dem Feldzug in Preußen gegen Napoleon I. bei. 1812 geriet er 10. Aug. in der Nähe von Polozk in französische Kriegsgefangenschaft, aus der ihn erst der Umschwung der Ereignisse vom 4. April 1814 befreite. Seine Schicksale beschrieb er in der von seinem Vater herausgegebenen Schrift »Der russische Kriegsgefangene unter den Franzosen« (Leipz. 1815). Bekannt wurde er vorzüglich durch seine Reise von Persien mit der russischen Gesandtschaft 1817, deren Beschreibung sein Vater (Weim. 1819) herausgab. Später diente er als Oberst im Generalstab, dann einige Jahre bei der kaukasischen Armee und lebte seit 1855 als Mitglied der polnischen Abteilung des russischen Senats in Warschau.

4) Paul, Graf von, russ. General, Bruder des vorigen, geb. 22. Aug. 1801, gest. 2. Mai 1884 in Reval, trat Anfang 1820 in die russische Armee, wurde 1843 Generalquartiermeister unter Paskewitsch, 1846 Stabschef des kaukasischen Korps, 1853 Chef des Generalstabs der russischen Armee in den Donaufürstentümern, machte die Verteidigung von Sebastopol mit, ging dann mit Gortschakow als Chef des Generalstabs nach Polen, wurde 1859 General der Infanterie und 1862 Generalgouverneur von Neurußland und Bessarabien, später auch Oberbefehlshaber des Militärbezirks von Odessa. Seit 1874 Generalgouverneur von Polen, wurde er 1875 vom Kaiser von Rußland in den erblichen Grafenstand erhoben und nahm 1880 den Abschied.

5) Wilhelm von, russ. Diplomat und deutscher Schriftsteller, Bruder des vorigen, geb. 19. März 1813 in Reval, gest. 5. Nov. 1887, war als bevollmächtigter Minister zuerst in Karlsruhe, seit 1870 in Dresden, seit 1879 in Bern beglaubigt, nahm aber 1880 seinen Abschied und lebte seitdem teils in Dresden, teils auf einem ihm gehörigen Gut bei Reval. Seine literarische Tätigkeit eröffnete er mit der metrischen Übertragung der von Basile Alecsandri (s. d.) gesammelten rumänischen Volkslieder: »Rumänische Volkspoesie« (Berl. 1857). Unter dem Pseudonym W. Augustsohn ließ er die dramatischen Dichtungen »Ein unbarmherziger Freund« und »Zwei Sünderinnen« erscheinen, von denen namentlich die erstere auf deutschen Bühnen mit Erfolg gegeben ward. Anonym erschienen: »Aus der Moldau«, Bilder und Skizzen (Leipz. 1860); »Kleine Geschichten aus der großen Welt« (Dresd. 1862; 2. Aufl., Leipz. 1880) 7 »Laskar Vioresku«, ein moldauisches Genrebild (Leipz. 1863); »Künstliches und natürliches Leben« (Karlsr. 1869). Seine letzten Veröffentlichungen waren das oben angeführte Werk über August v. Kotzebue und der Roman »Baron Fritz Reckensteg« (Leipz. 1885).

6) Alexander von, Maler, Bruder des vorigen, geb. 9. Juni 1815 in Königsberg, gest. 24. Febr. 1889 in München, wurde im Petersburger Kadettenkorps erzogen, verließ es 1834 als Gardeleutnant, widmete sich aber nach vier Jahren der Kunst und begann als Schüler der Petersburger Akademie unter Sauerweid seine Studien. Nachdem er sechs Jahre dort verbracht, ging er zu seiner Weiterbildung 1846 nach Paris und 1848 auf Reisen nach Belgien, Holland, Italien und Deutschland, bis er sich schließlich in München niederließ. Sein erstes Gemälde: die Erstürmung Warschaus, entstand 1844 in Petersburg. Seitdem malte er zahlreiche Schlachten der Russen im Siebenjährigen Krieg und aus den Feldzügen Suworows für den Kaiser von Rußland. Die bedeutendsten[546] unter ihnen sind: Erstürmung von Schlüsselburg, Schlacht bei Poltawa, Erstürmung Narwas, Übergang über die Teufelsbrücke, die Gründung Petersburgs (Maximilianeum in München). Kotzebues Bilder zeichnen sich durch Übersichtlichkeit der Komposition aus und fesseln doch in den Einzelheiten wie durch treffliches Kolorit. K. war kaiserlich russischer Professor und Ehrenmitglied der Münchener Akademie.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 11. Leipzig 1907, S. 545-547.
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