Eulen [2]

[160] Eulen (Eulenfalter, Nachtfalter, Noctuidae), Familie der Schmetterlinge, meist kleinere Falter von meist grauer oder brauner Färbung, mit langen, dünnen, borstenförmigen, beim Männchen zuweilen gekämmten Fühlern, großen Augen, stets deutlichen Nebenaugen, stark entwickelter Rollzunge und Tastern, langen Beinen, starken Sporen an den Schienen und mäßig großen, in der Ruhe dachförmigen Flügeln, von denen die vordern meist schmal und mit zwei deutlichen Flecken versehen sind. Sie halten sich am Tag versteckt und gehen bei einbrechender Nacht ihrer Blütennahrung nach. Das Weibchen setzt während des lebhaften, schwirrenden Flugs seine Eier ab, und die meist 16füßigen und nackten Raupen leben daher fast nie gesellschaftlich. Sie nähren sich meist von Kräutern und verpuppen sich unter der Erde, seltener zwischen Blättern. Die überall verbreitete Familie umfaßt etwa 2500 Arten, von denen gegen 1000 auf Europa kommen. 1. Gruppe: Spinnenartige E. (Bombycoidea), meist pelzig oder wollig behaarte, träge Falter und spinnerartige, haarige Raupen. Die Ampfereule (Acronycta rumicis L.), 35 mm breit, auf den Vorderflügeln graubraun, schwarz und weißlich mit weißem Winkelfleck, erscheint im Mai, Juli, August und legt ihre Eier einzeln an die verschiedensten Pflanzen. Die sehr gefräßige Raupe ist schwarz mit einer Reihe zinnoberroter Knöpfchen, weißen, gelblichweißen und roten Flecken und auf grauen Warzenreihen graugelb behaart. Sie erscheint im Mai und September bis November. Die vorn schwarze, hinten rotbraune Puppe ruht in einem geleimten Gespinst und überwintert. Der Blaukopf (Brillenvogel, Diloba coeruleocephala Ochsh., s. Tafel »Gartenschädlinge I«, Fig. 6), 40 mm breit, graubraun mit drei weißgrünen, zusammenfließenden Flecken auf den Vorderflügeln und grauen, am Innenwinkel fleckig braunen Hinterflügeln, legt im Herbst seine überwinternden Eier einzeln an Obstbäume. Die Raupen befressen die Knospen und richten oft großen Schaden an; sie sind graugrün, blaßgelb gestreift, warzig, einzeln behaart, mit bläulichem, schwarz geflecktem Kopf, und spinnen sich im Juni an Mauern, Zäunen, Baumstämmen ein. Der Schmetterling erscheint Ende September und später.

2. Gruppe: Eigentliche E. (Noctuae genuinae), glatt behaarte, lebhafte und scheue Falter, meist ganz nackte, oft schön gefärbte Raupen, die gewöhnlich nachts fressen und am Tage in die Erde schlüpfen. Die Ackereule (Wintersaateule, Agrotis segetum Fab., s. Tafel »Landwirtschaftliche Schädlinge II«, Fig. 3), 48 mm breit, mit licht gelbbraunen, grau gefleckten Vorderflügeln und weißen, bestäubten Hinterflügeln, findet sich in ganz Europa, einem großen Teil Asiens, in Südafrika und Nordamerika, fliegt bei uns vom Mai bis November und legt ihre Eier an Pflanzenabfälle oder am Boden liegende Blätter; die kahle, erdfahle, reichlich mit Grau und etwas Grün gemischte, stark glänzende Raupe erscheint im Juli, überwintert ziemlich erwachsen, schädigt nachts Samenbeete aller Art und Getreide, Ölsaaten, Rüben, Kartoffeln, Fichtensaaten, hält sich am Tage an oder in der Erde verborgen (daher Erdraupe, Wurzelraupe) und verpuppt sich im April in einem zerfallenden Erdkokon. Neben diesen werden noch mehrere andre Ackereulen den Saaten in ähnlicher Weise verderblich, indem sie nicht die seinen Wurzeln fressen, sondern die jungen Pflanzen über der Wurzel teils von unten, teils von oben angreifen und in Rüben und Kartoffeln Löcher, wie der Engerling, machen. A. exclamationis L. s. Tafel »Landwirtschaftliche Schädlinge II«, Fig. 4), 40 mm breit, auf den Vorderflügeln rötlichgrau bis dunkelbraun mit schwarzen Querstreifen und Zapfenfleck, beim Männchen weißen, beim Weibchen braungrauen Hinterflügeln, fliegt im Juni und Juli. Die schmutzigbraune, schwarz punktierte Raupe mit bleicher Rückenlinie wird wie die vorige schädlich. Eine verwandte Eule aus Sumatra (Noctua species) zeigt Tafel »Schmetterlinge II«, Fig. 18, die Hausmutter (Sauerampfereule, Triphaena pronuba L.), 60 mm breit, auf den Vorderflügeln graubraun, lichtgrau gefleckt, mit hellgrauer innerer Makel, auf den Hinterflügeln orangegelb mit schwarzbrauner Randbinde, fliegt im Juni, Juli, sitzt oft in Häusern verborgen, legt ihre Eier an Sauerampfer, Salat, Aurikeln, Veilchen, Levkojen, Kohl. Die oberseits graubraune, unterseits hellere, mit hellern und dunklern Linien gezeichnete Raupe richtet besonders in Gemüsegärten und an Aurikeln Schaden an und verpuppt sich im Mai in einem zerbrechlichen Kokon in der Erde. Die Kohleule (Herzwurm, Mamestra brassicae L., s. Tafel »Landwirtschaftliche Schädlinge II«, Fig. 5), 40 mm breit, mit dunkelbraunen, gelb und schwarz gescheckten Vorderflügeln und weißlichem Nierenfleck auf denselben, gelblich graubraunen Hinterflügeln mit hellem Wisch vor dem Innenwinkel, starkem, doppeltem Kamm auf dem Mittelrücken und krallenartigem Dorn am Ende der Vorderschienen, fliegt vom Mai bis Ende August und legt ihre Eier an Kohlarten, Salat, Küchengewächse; die 4 cm lange Raupe ist grün oder braungrün mit hellerm Seiten- und dunklerm Rückenstreifen, verwüstet im Juli, September und Oktober die Kohlköpfe, frißt sich bis ins Herz derselben ein und geht auch Runkelrüben, Tabak, Georginen an. An ihrem schmutzigen, kleberigen Kote, der die befallenen Stellen in Fäulnis versetzt, ist sie leicht erkennbar. Die Puppe der zweiten Generation überwintert in der Erde. Die Gemüseeule (M. oleracea L.), 40 mm breit, auf den Vorderflügeln schwarzgrau bis rotbraun mit weißer Wellenlinie, gelbem Nierenfleck, grauweißem Ringfleck und dunkelbraunem Zapfenfleck, auf den Hinterflügeln dunkelgrau, fliegt im Mai; die Raupe ist graugrün oder rötlichgrau, oberseits dunkel, an den Seiten gelblich gestreift. Sie lebt auf und im Kohl, Kopfsalat, Erbsen, Bohnen, Rüben, Spargel etc. und verpuppt sich im August in der Erde. Die Queckeneule (Hadena basilinea Wiener Verz., s. Tafel »Landwirtschaftliche Schädlinge II«, Fig. 6), 40 mm breit, auf den Vorderflügeln rostbraun, mit großem Ring- und Nierenfleck und einem aus der Mitte der Flügelwurzel entspringenden schwarzen Strahl sowie glänzend gelbbraunen, saumwärts und auf den Rippen dunklern Hinterflügeln, am Vorder- und Hinterrand des Mittelrückens mit zwei geteilten Schöpfen, legt Ende Mai und Juni ihre Eier an Gräser und wird bisweilen dem Roggen und Weizen verderblich, indem sich die jungen Raupen in die noch weichen Körner einfressen und die erwachsenen, überwinternden noch in der Scheune die Körner zerstören. Die Raupe ist graubraun, wenig glänzend, auf dem Rücken weiß gezeichnet, mit rotbraunem Nackenschild und roter Afterklappe, und verpuppt sich im Mai. Die Graseule (Charaeas graminis L., s. Tafel »Landwirtschaftliche Schädlinge II«, Fig. 2), 32 mm breit, mit olivengrünlichen, sehr veränderlich gezeichneten Vorder- und gelblichgrauen, nach der Wurzel hin hellern Hinterflügeln, legt im Juli, August ihre Eier an den Grund der Grasstengel oder Blätter. Die glänzend graubraune[160] Raupe verwüstet die Wiesen besonders in Nordamerika und Skandinavien, aber auch in Norddeutschland, überwintert, setzt im Frühjahr ihr Zerstörungswerk fort und verpuppt sich im Juni flach unter der Erde. Die Raupe der Leucania extranea Ochsenh. (amerikanischer Heerwurm) verheert in Nordamerika Wiesen und wandert, wenn diese kahl gefressen, in dicht gedrängten Scharen, oft in drei Schichten übereinander, auch auf Roggen-, Mais- und Sorghumfelder. Die Eule setzt ihre Eier im Juni und Juli an Grashalme, und man brennt deshalb im Spätherbst die trocknen Grasstoppeln ab, um die überwinternden Eier zu zerstören. Die Kieferneule (Forleule, Trachea piniperda Esp., s. Tafel »Forstinsekten I«, Fig. 1), 37 mm breit, mit porphyrrotem Kopf, Thorax und Vorderflügeln, sehr bunt und veränderlich, zuweilen blässer bis grünlichgrau, mit weißlichen Makeln, am Hinterrand gelblich, mit dunkelbraunem Hinterleib und Hinterflügeln, fliegt vom März bis Mai und legt ihre Eier an Kiefernnadeln. Die schlanke, grüne, weiß und orange gestreifte Raupe findet sich im Juni und Juli in Kiefernbeständen, greift den Maitrieb an, bohrt sich auch tief in denselben hinein, spinnt in der Jugend mehrere Nadeln zusammen und frißt die Nadeln von der Spitze bis zur Scheide oder diese auch mit. Sie verpuppt sich im Juli unter Moos, Streu oder in der Erde ohne Gespinst. Die Puppe überwintert. Die Kieferneule hat wiederholt bedeutende Verheerungen angerichtet.

3. Gruppe: Spannerartige E. (Noctuae geometriformes), Falter mit breiten, großen Flügeln, Raupen mit verkümmerten vordern Bauchfüßen. Die Feldukmeneule (Cosmia diffinis Ochsenh.), 25 mm breit, mit zwei großen weißen Flecken am gelbgrauen Vorderrande, die in zwei Querlinien auslaufen, von denen die hintere stark gebrochen ist. Die gelbgrüne, weiß liniierte Raupe, mit schwarzbraunem Kopf und braunem Nackenschild, lebt auf Rüstern. Die Ypsiloneule (Gamma, Pistolenvogel, Plusia gamma L.), 42 mm breit, mit graubraunen, dunkel marmorierten, metallisch schimmernden Vorderflügeln, auf denen ein silber- oder messingfarbenes γ oder y, hellbraunen, an der Saumhälfte bindenartig dunklern Hinterflügeln, auf dem Thorax mit zierlichem Schopf und auf dem Hinterleib mit ausgerichteten, dunklern Haarbüscheln, findet sich in Europa, Asien bis Japan, in Nordafrika, Grönland, Nordamerika, fliegt zu jeder Tageszeit vom Frühling bis Herbst und legt ihre Eier an alle krautigen Pflanzen (nicht an Gräser). Die grüne, weiß und gelb gestreifte, schwach borstenhaarige Raupe frißt auch am Tage, richtet bisweilen an Flachs, Hanf, Raps, Kohl, Erbsen und Zuckerrüben Schaden an und überwintert und verpuppt sich in einem losen, wolligen Gespinst an irgend einer Pflanze. Bisweilen überwintert auch der Schmetterling, und im Jahre scheinen drei Generationen vorzukommen. Eine verwandte Goldeule, Plusia concha L., zeigt Tafel »Schmetterlinge I«, Fig. 31, das Rostkreuz, Jaspidea Celsia Ochsenh, Fig. 30. Über die Gattung Catocala Ochsenh. s. Ordensband. Als Gegenmittel bei Verwüstungen durch Eulenraupen bleibt nichts übrig als Beachtung der Lebensweise der Tiere, Absuchen besonders mit der Laterne und Bennutzung des Umstandes, daß sich manche gern herabfallen lassen, sobald sie gestört werden. Schlupfwespen stellen den meisten stark nach; auch werden sie von Vögeln und Insektenlarven angegriffen.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 6. Leipzig 1906, S. 160-161.
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