Feingehalt

[385] Feingehalt (Feinheit, in Österreich Feine; franz. Titre, Aloi, Loi; engl. Standard), in Legierungen von edlen mit weniger edlen oder unedlen Metallen das Verhältnis zwischen dem Gehalt an Gold oder Silber (Feingewicht) und dem Gesamt- (Rauh-, Brutto-) Gewicht, bei Münzen früher als Korn bezeichnet im Gegensatz zum Schrot oder dem Gesamtgewicht (vgl. Goldlegierungen, Silberlegierungen, Münzwesen). Der F. wird heute meist in Tausendteilen ausgedrückt. So ist der F. einer Ware oder Münze, die zu 4/5 aus Gold oder Silber und zu 1/5 aus einem andern Metall besteht, = 0,800. Früher gebrauchte man hierfür die Bezeichnung Karätigkeit bei Gold und Lötigkeit bei Silber (s. Karat und Silberlegierungen). Die als Einheit angenommene Gewichtsmenge nannte man bei Waren das Probiergewicht (s.d.), den in derselben ausgedrückten F. die Probe.

Schon frühzeitig wurde in England, Frankreich, Italien, Belgien, Holland, Österreich und Deutschland, teils um Betrug zu verhüten und den guten Ruf der Industrie aufrecht zu erhalten, teils auch im fiskalischen Interesse (Gebührenerhebung bei der Stempelung) die Verarbeitung edler Metalle und deren Verkauf gesetzlich geregelt. Man kennt eine englische derartige Bestimmung aus dem Jahre 1238. In Deutschland fand eine Regelung durch die Reichspolizeiordnung von 1577 und durch Reichsgesetz von 1667, später durch Landesgesetze (Bayern 1741, Baden 1827, Hannover 1836) statt. Heute unterliegt in einigen Ländern die Zusammensetzung von Waren aus Edelmetall, deren Bezeichnung und Verkauf keinerlei Beschränkungen. Meist läßt jedoch dann der Staat auf Wunsch der Fabrikanten oder Verkäufer die Zusammensetzung von Gold- und Silbersachen prüfen und durch einen Stempel bestätigen (fakultative Stempelung). In andern Ländern dürfen nur gestempelte Waren verkauft werden (obligatorische Stempelung), und zwar ist dann die Stempelung meist eine amtliche (Präventivsystem), seltener ist die Ware vom Fabrikanten nur mit dessen eignem Stempel zu versehen und daneben die amtliche Stempelung eine fakultative (Regressivsystem mit Legierungszwang, d. h. Bestimmungen über das zulässige Mischungsverhältnis). Hier wie dort bestätigt der Staat von einer gewissen untersten Grenze ab jeden F., oder die Stempelung erfolgt nur für bestimmte Zusammensetzungen, bez. wird durch Stempelung nur der nächstniedrige zulässige F. bestätigt. In mehreren Ländern ist durch die Stempelung oder neben ihr auch die Firma bemerklich zu machen, für welche die Stempelung erfolgt, und zwar bei allen Gold- und Silbersachen oder bei bestimmten Gattungen. Vielfach ist die Stempelung obligatorisch nur für den heimischen Markt, während bei auszuführenden Waren größere Freiheiten gewährt werden oder überhaupt keine Beschränkung in Anwendung kommt. In England müssen alle Gold- und Silberarbeiten mit Ausnahme solcher von sehr kleinem Gewicht geprüft und gestempelt werden. Gesetzlich zulässig sind 9-, 12-, 15-, 18- und 22 karätige Goldwaren (also 0,375, 0,500, 0,625, 0,750 und 0,917 F.) und Silberwaren von 11 ounces 10 pennyweights und 11 ounces 2 pennyweights = 0,958 und 0,925 F. Bei der Ausfuhr wird die für Stempelung gezahlte Gebühr zurückvergütet. In den britischen Kolonien bestehen keine Feingehaltsbestimmungen. In Frankreich (Gesetz vom 19. Brumaire des Jahres VI) haben die Goldwaren gesetzlich 0,750, 0,840, 0,920, Silberwaren 0,800 und 0,950 F., für Uhrgehäuse wurde 1884 im Interesse der Ausfuhr ein F. von 0,583 gestattet. Alle Waren tragen den Stempel des Fabrikanten, des Feingehalts und des Kontrollbureaus. Eingeführte Waren werden an der Grenze wie einheimische behandelt und besonders gestempelt. Bei der Ausfuhr gestempelter Waren wird die Gebühr zurückerstattet, doch werden gestempelte Waren bei der Ausfuhr abermals mit einem Stempel versehen, durch den der erste Stempel ungültig gemacht wird. Im übrigen ist für die Ausfuhr die Anfertigung von Schmucksachen zu jedem F. (ohne Staats-, aber mit der Meisterstempelung und mit besondern Kontrollen) gestattet. In Belgien ist seit 1868 jeder beliebige F. gestattet. Der Verkäufer muß auf Wunsch des Käufers auf Rechnungen den F. angeben. Die staatliche Stempelung ist eine fakultative, und zwar wird bestätigt ein F. von 0,750 und 0,800 bei Gold und von 0,800 oder 0,900 bei Silber. Waren mit einem F. zwischen diesen Sätzen erhalten den geringern Stempel. In den Niederlanden ist seit 1852 gleichfalls die Fabrikation frei; der Fabrikant hat aber die Waren mit seinem eignen Stempel zu versehen, und die Regierung bestätigt (fakultativ) einen F. von 0,583, 0,750, 0,833 und 0,916 bei Gold und von 0,833 und 0,934 bei Silber. In Italien ist seit 1873 jeder F. zulässig; die staatlichen Prüfungsämter bestätigen auf Wunsch einen F. von 0,500, 0,750 und 0,900 bei Gold und von 0,800, 0,900 und 0,950 bei Silber. Spanien hat fakultative Stempelung, für Gold- und Silbergeräte 0,917, für Goldschmucksachen und kleine silberne Gegenstände 0,750. Portugal läßt seit 1882 für den heimischen Handel nur zu bei Gold 0,917 und 0,800, bei Silber 0,917 und 0,883, bei Waren für die Ausfuhr bei Gold mindestens 0,333, bei Silber mindestens 0,800. In Österreich-Ungarn (Gesetz vom 19. Aug. 1865) müssen die Waren den Stempel des Fabrikanten besitzen und an die Punzierungsämter zur Untersuchung des Feingehalts eingeliefert werden. Instrumente, mit Schmelz vollständig überzogene Waren, Fassungen von Steinen und Perlen, Geräte von sehr geringem Gewicht, eingeführte, mit dem Probezeichen einer öffentlichen Behörde versehene Barren unterliegen nicht der Kontrolle. Gesetzlich festgestellt ist für inländische Goldgeräte ein F. von 0,580, 0,750, 0,840 und 0,920, für inländische Silbergeräte ein F. von 0,750, 0,800, 0,900 und 0,950. Ausländische Gold- und Silbergeräte und die zur Ausfuhr bestimmten unpunzierten Geräte müssen mindestens den niedrigsten dieser Feingehaltsgrade besitzen. Für Silberdraht wird mindestens ein F. von 0,985, für Golddraht 0,997 verlangt. In Rußland ist der gesetzliche F. für Gold[385] 0,56, 0,72, 0,82, 0,92 und 0,99, für Silber 0,84, 0,88 und 0,91, für Gold- und Silberdraht 0,94 und 0,96, für Goldblättchen 0,87–0,96; in einigen Gouvernements ist die Darstellung goldener Geräte verboten. In der Schweiz regelte früher fast jeder Kanton den F. der Gold- und Silberwaren durch Spezialbestimmungen. Seit 1880 ist für die ganze Schweiz die Stempelung obligatorisch für Uhrgehäuse (für Gold 0,750 und darüber, bez. 0,583, für Silber 0,875 und darüber, bez. 0,800), für andre Gold- und Silberwaren ist sie fakultativ. In Schweden ist vorgeschrieben die Verwendung von Dukatengold von 23 Karat 5 Grän, Pistolengold von 20 Karat 4 Grän und Kronengold von 18 Karat 4 Grän (0,9757, 0,8472 und und 0,7639) F. Silberwaren müssen 13 Lot 4 Grän = 0,8281 sein enthalten. In Norwegen ist vorgeschrieben für Goldsachen von mehr als 3 Lot Gewicht ein F. von 18 Karat, für leichtere von 14 Karat. Sie erhalten den Meister- und Feingehaltsstempel. In mehreren deutschen Ländern (Preußen, Bremen, Baden, Sachsen-Gotha, Schwarzburg-Rudolstadt, -Sondershausen, Reuß ä. L. und Reuß j. L., Lippe und Schaumburg-Lippe) bestanden seither keine gesetzlichen Beschränkungen des Feingehalts, während diejenigen Sachsens außer Gebrauch waren. Nach dem Reichsgesetz vom 16. Juli 1884 (seit 1. Jan. 1888 in Kraft) dürfen Gold- und Silberwaren zu jedem F. angefertigt und feilgehalten werden. Auf Geräten und Uhrgehäusen von Gold ist nur eine Angabe in 0,585 oder mehr, auf solchen von Silber in 0,800 oder mehr zulässig; als Fehlergrenze (Remedium) sind zugelassen bei Gold 5, bei Silber 8 Tausendteile. Schmucksachen dürfen in jedem F. (aber nicht mit Anwendung des für Geräte bestimmten Stempelzeichens) gestempelt werden; letzterer ist in Tausendteilen anzugeben. Auf mit andern metallischen Stoffen ausgefüllten Gold- und Silberwaren darf der F. nicht angegeben werden. Eingeführte Waren, deren F. durch eine jenem Gesetz nicht entsprechende Bezeichnung angegeben ist, dürfen nur dann feilgehalten werden, wenn sie außerdem mit einem Stempelzeichen nach Maßgabe des Gesetzes versehen sind. Zur Bezeichnung des Feingehalts auf goldenen und silbernen Geräten muß das Stempelzeichen für letztere enthalten: die Reichskrone, das Sonnenzeichen ● für Gold, Mondsichelzeichen ☾ für Silber, die Angabe des Feingehalts in Tausendteilen, die Firma oder eingetragene Schutzmarke des Geschäfts, für das die Stempelung bewirkt ist. Die Krone muß bei Goldgeräten in dem Sonnenzeichen, bei Silbergeräten rechts neben dem Mondsichelzeichen stehen. Für die Richtigkeit des angegebenen Feingehalts haftet der Verkäufer der Ware. Zuwiderhandlungen gegen das Gesetz werden mit Geldstrafe bis 1000 Mk. oder mit Gefängnis bis 6 Monaten bedroht. In Dänemark wurde 1888 der F. ähnlich wie in Deutschland geregelt mit fakultativer Stempelung bei 0,585 für Gold und mindestens 0,826 für Silber. In Nordamerika bestehen keine gesetzlichen Beschränkungen des Feingehalts. Vgl. »Das Reichsgesetz über den F.«, mit Erläuterungen (2. Aufl., Schwäbisch-Gmünd 1888); Bödiker, Die gesetzliche Regelung des Feingehalts der Gold- und Silberwaren (Leipz. 1886); Bürner, Der F. der Gold- und Silberwaren (Weim. 1896); Horžetzky, Die Feingehaltskontrolle der Staaten Europas (Wien 1903).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 6. Leipzig 1906, S. 385-386.
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