Galvanismus

[301] Galvanismus (Voltaismus), der Inbegriff derjenigen Erscheinungen, die durch die bei der Berührung ungleichartiger Stoffe entwickelte Elektrizität (Berührungs- oder Kontaktelektrizität, galvanische oder Volta-Elektrizität) hervorgerufen werden, oder auch die Lehre von diesen Erscheinungen. Galvani beobachtete 1790, daß enthäutete Froschschenkel jedesmal zusammenzuckten, wenn jemand aus dem Konduktor einer nahen Elektrisiermaschine einen Funken zog. Die Zuckungen waren ohne Zweifel nur eine Wirkung des Rückschlags (s.d.); Galvani aber glaubte in ihnen eine Bestätigung seiner Ansicht von einer dem Tierkörper eignen Elektrizität zu erblicken. Als mehrere Froschschenkel mittels Drahthakens an einem eisernen Geländer aufgehängt waren, trat jedesmal lebhafte Zuckung ein, sobald ein Froschschenkel gegen das Eisengeländer gebogen wurde. Diese Zuckungen wurden hervorgerufen, wenn man die Nerven oder das Rückenmark des Frosches mit den Muskeln durch einen Metallbogen verband. Galvani meinte, daß der Froschschenkel gleichsam als eine geladene Leidener Flasche zu betrachten sei, deren entgegengesetzt elektrische Belegungen, nämlich der Nerv einerseits und die Muskeln anderseits, sich durch den Metallbogen entladen. Die von Galvani selbst bereits gemachte Bemerkung, daß die Zuckungen bedeutend lebhafter auftreten, wenn der Metallbogen aus zwei verschiedenen Metallen besteht, veranlaßte Volta, die Elektrizitätsquelle in dem Metallbogen statt in dem Froschschenkel zu suchen. Durch folgenden VersuchVoltas Fundamentalversuch«) glaubte er beweisen zu können, daß die Quelle der Elektrizität die Berührung verschiedener Metalle sei: Eine Zink- und eine Kupferscheibe, durch Glasstiele isoliert, werden mit ihren rein metallischen Oberflächen in Berührung gebracht und parallel auseinander genommen; die Zinkplatte ist alsdann positiv, die Kupferplatte negativ elektrisch. Da aber die bei einmaliger Berührung entwickelte Elektrizitätsmenge meist zu schwach ist, um auf das Elektroskop bemerkbar zu wirken, so konstruierte er einen Kondensator, um sie durch Ansammlung zu verdichten. Um jede Berührung mit andern Metallen auszuschließen, ist die eine Platte des Kondensators (Fig. 1) aus Zink, die andere aus Kupfer verfertigt; beide sind auf den einander zugekehrten Seiten gefirnißt, so daß sie, auseinander gesetzt, durch eine dünne isolierende Harzschicht voneinander getrennt sind. Nachdem man diese Zink- und Kupferscheibe nach der Berührung auseinander genommen, berührt man mit jener die Zink-, mit dieser die Kupferplatte des Kondensators, bringt die Scheiben wieder in Berührung, dann nach der Trennung an den Kondensator und wiederholt dieses Verfahren etwa 16mal.

Fig. 1. Kondensator.
Fig. 1. Kondensator.

Die beiden entgegengesetzten Elektrizitäten sind nun zu beiden Seiten der Harzschicht gebunden und wirken daher nicht auf die Goldblättchen des Elektroskops; hebt man aber die obere Kondensatorplatte ab, so verbreitet sich die in der untern Platte angesammelte Elektrizität frei auf die Goldblättchen, und diese gehen auseinander mit positiver Elektrizität, wenn die auf das Elektroskop geschraubte Kondensatorplatte aus Zink, dagegen mit negativer Elektrizität, wenn sie aus Kupfer bestand. Auf diese Weise hat Volta auch die übrigen Metalle untersucht und die gefundenen Ergebnisse dadurch übersichtlich gemacht, daß er sämtliche Metalle in eine Reihe, die Voltasche Spannungsreihe, derart ordnete, daß jedes vorhergehende Metall, mit einem folgenden berührt, positive, jedes folgende mit einem in der Reihe vorhergehenden negative Elektrizität annimmt. Die wichtigsten Glieder dieser Reihe sind die folgenden: Zink, Blei, Zinn, Eisen, Kupfer, Silber, Gold, Platin, an die sich als nichtmetallische Körper noch Kohle und einige Metalloxyde, z. B. Mangansuperoxyd (Braunstein) und Bleisuperoxyd, anschließen. Die elektrische Spannung, die durch Berührung je zweier dieser Körper hervorgerufen wird, hat eine ganz bestimmte,[301] nur von der Beschaffenheit dieser Körper, nicht aber von der Form und Größe ihrer Berührungsfläche abhängige Größe; es genügt, daß zwei Metalle sich nur an einer einzigen Stelle berühren, um beide bis zu der ihnen eignen Spannung zu laden. Die Spannung fällt um so größer aus, je weiter die Stoffe in der Spannungsreihe voneinander entfernt stehen. Mit Hilfe eines Strohhalmelektrometers fand Volta folgende Werte:

Tabelle

Zählt man nun die fünf ersten Werte Zink-Blei bis Kupfer-Silber zusammen, so findet man 5+1+3+2+1 = 12, also gerade diejenige Spannung, die zwischen dem ersten und dem letzten Gliede, nämlich zwischen Zink und Silber, beobachtet wurde. Ebenso findet man: Zinn-Eisen+Eisen-Kupfer gleich Zinn-Kupfer, und Zink-Blei+Blei-Zinn+Zinn-Eisen gleich Zink-Eisen. Die elektrische Erregung zwischen zwei Metallen ist also gleich der Summe der elektrischen Erregungen zwischen den einzelnen in der Spannungsreihe zwischen jenen Metallen stehenden Gliedern. Dieses Gesetz heißt das Voltasche Spannungsgesetz.

Durch die Entdeckung Voltas war eine Tatsache festgestellt, die den Erfahrungen, die man bis dahin hinsichtlich des Verhaltens der Elektrizität gemacht hatte, zu widersprechen schien: zwei leitende Körper, die sich berühren und sonach miteinander in leitender Verbindung stehen, laden sich mit entgegengesetzten Elektrizitäten, die sich trotz ihrer gegenseitigen Anziehung nicht miteinander vereinigen, sondern während der Berührung mit unveränderter Spannung getrennt gehalten werden. Es muß also eine Kraft vorhanden sein, welche die beiden Elektrizitäten voneinander trennt und ihre Wiedervereinigung hindert. Diese elektromotorische Kraft verrichtet die zur Scheidung der beiden vorher verbundenen Elektrizitäten erforderliche Arbeit, und der Erfolg ihrer Arbeit ist die erreichte elektrische Spannung.

Volta glaubte, daß nur durch die Berührung der Metalle unter sich Elektrizität entwickelt werde, dagegen keine bei Berührung eines Metalls mit einem Gase (Luft) oder einer Flüssigkeit. Spätere Untersuchungen zeigten jedoch, daß dies keineswegs zutrifft, daß die an der Berührungsstelle der Metalle auftretende elektromotorische Kraft nur wenige Tausenstel derjenigen beträgt, die man bei Berührung von Metallen mit Flüssigkeiten beobachtet, und daß diese um so kräftiger ausfällt, je stärker die Neigung der Flüssigkeit ist, mit dem Metall eine chemische Verbindung einzugehen. Mit verdünnter Schwefelsäure in Berührung werden z. B. die meisten Metalle negativ elektrisch, die Säure ebenso stark positiv; aber das Zink, das ein großes Bestreben zeigt, sich mit Schwefelsäure zu schwefelsaurem Zink zu verbinden, erlangt eine viermal so große negative Spannung als das Kupfer, das eine weit geringere Neigung zu einer solchen Verbindung besitzt.

Beachtet man, daß in der Voltaschen Spannungsreihe diejenigen Metalle, die am leichtesten rosten, vorangehen, die Edelmetalle aber zuletzt stehen, daß also jene Anordnung der Metalle zugleich die Reihenfolge ihrer Neigung, sich mit Sauerstoff zu verbinden, ausdrückt, so liegt es nahe, zu vermuten, daß auch beim Voltaschen Fundamentalversuch die elektrische Erregung der Metalle nicht in ihrer gegenseitigen Berührung, sondern in der Einwirkung des Sauerstoffes der umgebenden Luft ihren Grund habe, und daß sonach der Sitz der elektromotorischen Kraft an der mit der Luft in Berührung stehenden Oberfläche eines jeden Metalls zu suchen sei.

Wenn man demgemäß annimmt, daß jedes Metall durch den Sauerstoff der Luft um so stärker negativ elektrisch erregt werde, je größer seine Neigung zum Rosten ist, und die an dem Metall haftende Luftschicht (s. Absorption) eine ebenso große positive Spannung erreiche, so erklären sich in der Tat die von Volta entdeckten Tatsachen und Gesetze sehr einfach. Bei einer isolierten Zinkplatte treibt die an ihrer der Luft ausgesetzten Oberfläche tätige elektromotorische Kraft negative Elektrizität in das Zink hinein, während die gleiche Menge positiver Elektrizität in der auf der Oberfläche haftenden Luftschicht bleibt (Fig. 2). Nach außen hin können diese getrennten Elektrizitäten keine Wirkung hervorbringen, weil die anziehende Wirkung der einen durch die abstoßende der andern aufgehoben wird; die Zinkplatte für sich erweist sich daher als unelektrisch. Bringt man sie aber mit Platin in Berührung, das vom Sauerstoff der Luft gar nicht erregt wird, so entweicht die von der Oberfläche des Zinks durch die elektromotorische Kraft fortgetriebene negative Elektrizität an den Berührungspunkten der beiden Metalle in das Platin; dieses erscheint daher nach der Trennung negativ elektrisch, während die positive Elektrizität auf der Zinkplatte zurückbleibt (Fig. 3).

Voltas Fundamentalversuch.
Voltas Fundamentalversuch.

Wird aber auch das zweite Metall, z. B. Kupfer, durch den Sauerstoff elektrisch erregt, jedoch in geringerm Grad als das erste, so wird die an seiner Oberfläche ins Innere getriebene negative Elektrizität auf das erste übergehen und dessen positive Spannung vermindern, so daß jedes der beiden Metalle, das eine positiv, das andre negativ, eine dem Unterschied der beiderseitigen Erregungen entsprechende Spannung annimmt (Fig. 4). Schiebt man noch ein drittes Metall zwischen die beiden, so ergibt sich übereinstimmend mit der Erfahrung, daß der Unterschied der elektrischen Spannungen der Endplatten der nämliche ist, als wenn das erste mit dem dritten Metall unmittelbar in Berührung wäre (Fig. ö). Das Voltasche Spannungsgesetz erscheint als selbstverständliche Folgerung aus der obigen Annahme, da ja in einer beliebigen Zahlenreihe die Summe der Unterschiede notwendig gleich dem Unterschied zwischen dem ersten und letzten Gliede sein muß.

Durch die Beobachtung geleitet, daß die Versuche besser gelangen, wenn die beiden Metalle sich nicht unmittelbar berührten, sondern eine feuchte Papier- oder[302] Tuchscheibe zwischen ihnen lag, gelangte Volta dazu, durch Aufeinanderschichten vieler solcher Plattenpaare die bei einem Paare nur schwache Wirkung beträchtlich zu steigern; so entstand 1800 der bewundernswerte Apparat, der noch heute zum ruhmreichen Gedächtnis seines Erfinders den Namen der Voltaschen Säule trägt. Verbindet man die Enden oder Pole der Voltaschen Säule durch einen Schließungsdraht, so wird dieser dauernd von einem elektrischen oder galvanischen Strom durchflossen, der im Schließungskreis selbst und auch außerhalb desselben höchst bemerkenswerte Wirkungen hervorbringt. Schon Faraday machte darauf aufmerksam, daß als eigentliche Quelle der Elektrizität bei dieser Voltaschen Säule die chemische Wirkung der Feuchtigkeit auf das Zink zu betrachten ist. Zur endgültigen Aufklärung haben insbes. Helmholtz und Nernst beigetragen; letzterm gelang es, die an der Berührungsfläche zwischen zwei Lösungen desselben Salzes (bei sogen. Konzentrationselementen) aus den bekannten Wanderungsgeschwindigkeiten der Ionen (s. Elektrolyse) und andern Konstanten voraus zu berechnen. Über die Entstehung der elektromorischen Kraft an der Berührungsstelle eines Metalls und einer Flüssigkeit kann man sich nach Nernst folgende Vorstellung machen: Bringt man z. B. eine Zinkplatte in Zinksulfatlösung, so löst sich etwas Zink in der Flüssigkeit auf, aber nicht als gewöhnliches metallisches Zink, sondern in Form von positiv geladenen Zinkionen. Infolgedessen erscheint die Lösung positiv geladen, während die Zinkplatte nun einen Überschuß von negativer Elektrizität enthält, also negativ elektrische Spannung zeigt. Infolge der Anziehungskraft zwischen der negativen Zinkplatte und den positiven Ionen in der Flüssigkeit häufen sich letztere dicht an der Platte an, so daß dort eine elektrische Doppelschicht entsteht, ganz ähnlich wie bei einer Franklinschen Tafel mit dem Unterschied, daß der Abstand der entgegengesetzten elektrischen Ladungen nur von molekularer Größe ist. Löst man Zucker in Wasser auf, das sich in einer rings von Wasser umgebenen tierischen Blase befindet, so steigt in dieser der Druck, da wohl Wasser durch die Membran hindurch in die Zuckerlösung diffundiert, nicht aber der Zucker in das umgebende Wasser und der schließlich sich herstellende osmotische Druck ist ebenso groß wie der Druck, den die gleiche Zuckermenge ausüben würde, wenn man sie in Gaszustand in die Blase bringen könnte. Nach dieser von vant'Hoff herrührenden Auffassung ist der Vorgang der Auflösung des Zuckers nichts andres als eine Verdampfung in einem von Wasser erfüllten Raum, der osmotische Druck ist die Dampftension und wird deshalb auch als Lösungsdruck des Zuckers bezeichnet. In gleicher Weise kann man von dem Lösungsdruck des Zinks sprechen. Die in der Lösung befindlichen Zinkionen haben aber auch einen osmotischen Druck und suchen in das Zink einzudringen; Gleichgewicht wird schließlich eintreten, wenn beide Drucke gleich sind, ebenso wie die Zuckerlösung ihren Sättigungspunkt erreicht, wenn der osmotische Druck des gelösten Zuckers gleich dem Lösungsdruck des noch ungelösten ist. Je größer der Lösungsdruck für ein Metall ist, um so mehr Ionen werden in Lösung gehen, um so stärker wird also die negative Ladung des Metalls werden.

Stellt man in die Säure eine Kupferplatte, so nimmt diese die positive Spannung an, da ihre Lösungstension ganz minimal ist, also einen nennenswerten Potentialsprung nicht erzeugen kann. Verbindet man nun die beiden Platten des so entstandenen offenen Elements durch einen Draht, so geht die infolge der Ausstoßung positiver Ionen aus dem Zink in diesem zurückgebliebene negative Elektrizität, die man sich aus Elektronen zusammengesetzt denken kann, durch den Draht zum Kupfer, macht dieses also negativ, so daß es sich als Kathode verhält und anziehend wirkt auf die in der Lösung vorhandenen positiven Ionen, die infolgedessen ihm ihre Ladung abgeben und seine negative Ladung neutralisieren und damit auch die des Zinks. Es hört also nun die Attraktion der negativen Ladung des Zinks auf die abgestoßenen positiven Ionen auf, diese können sich vermöge ihres osmotischen Druckes in der Flüssigkeit ausbreiten, und der Ausstoßung neuer positiver Ionen steht kein Hindernis mehr entgegen. Dadurch wird aber das Zink wieder negativ, somit auch das Kupfer, es wiederholt sich also der Vorgang, und die Strömung kann nie ein Ende nehmen. Die positiven Ionen, die von der Kupferplatte angezogen werden, sind nicht die von dem Zink ausgesandten positiven Ionen, sondern die Wasserstoffionen der Schwefelsäure, die ihre Elektrizität leichter abgeben als Zinkionen. Es wandern übrigens nicht nur diese positiven Kationen (H-Ionen) zum Kupfer, sondern aus der gleichen Ursache, weil nämlich die Spannung an der Oberfläche des Zinks positiv, an der des Kupfers negativ, also dazwischen ein Spannungsabfall (elektrisches Feld) vorhanden ist, die negativen SO4-Ionen (Anionen) zum Zink, wo sie sich mit den dort fortgestoßenen positiven Zinkionen zu Zinksulfat vereinigen, das allerdings größtenteils elektrolytisch dissoziiert bleibt.

Bei Kupfer in Kupfersulfatlösung ist der Vorgang insofern ein andrer, als hier der Lösungsdruck äußerst gering und der osmotische Druck der gelösten positiven Kupferionen größer ist als der Lösungsdruck, so daß einige derselben in das Metall eindringen und dasselbe positiv elektrisch machen, während die Lösung nun negativ geladen zurückbleibt. Auch hier entsteht deshalb an der Metallplatte eine elektrische Doppelschicht, aber der Sinn der Elektrisierung ist der entgegengesetzte wie beim Zink.

Verbindet man die vier Körper zu einem Daniellschen Element (s. Galvanisches Element) und schließt dasselbe durch einen Draht, so vereinigen sich die auf Kupfer und Zink angehäuften Elektrizitäten, und entsprechend erfolgt auch hier eine Wanderung der Ionen in den Flüssigkeiten. Es entsteht also ein elektrischer Strom, der infolge der konstant wirkenden Lösungstensionen und osmotischen Drucke konstant anhält.

Wahrscheinlich sind auch die bei der Reibung von Isolatoren (bei der Reibungselektrisiermaschine, bei der Dampfelektrisiermaschine, beim Waschen wollener Stoffe in Benzin etc.) auftretenden Potentialdifferenzen durch das Durchtreten von Ionen durch die Oberfläche der sich reibenden Körper bedingt, infolgedessen die Körper bei der Trennung entgegengesetzt elektrisch erscheinen müssen, so daß im Prinzip auch nach der Art der Entstehung kein wesentlicher Unterschied zwischen Reibungselektrizität und galvanischer Elektrizität besteht, die man in frühern Zeiten als völlig verschieden betrachtete.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 7. Leipzig 1907, S. 301-303.
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