Gräfe

[210] Gräfe, 1) Karl Ferdinand von, Mediziner, geb. 8. März 1787 in Warschau, gest. 4. Juli 1840 in Hannover, studierte in Halle und Leipzig, ward 1807 Leibarzt des Herzogs von Anhalt-Bernburg in Ballenstedt, begründete das Alexisbad im Selketal, ging 1811 als Professor der Chirurgie und Direktor der chirurgischen Klinik nach Berlin, erhielt 1813 die Administration der Militärheilanstalten Berlins, dann die Inspektion des Lazarettwesens zwischen Weichsel und Weser und organisierte 1815 das Lazarettwesen zwischen Weser und Rhein, im Großherzogtum Niederrhein und in den Niederlanden. Nach beendigtem Kriege trat er wieder als Professor ein, wurde zugleich Generalstabsarzt der Armee und Mitdirektor des Friedrich Wilhelms-Instituts und der medizinisch-chirurgischen Akademie und begründete die königliche chirurgische Klinik und Poliklinik in Berlin. 1820 verlieh ihm der Kaiser von Rußland den Adel. G. zählt zu den bedeutendsten Förderern der deutschen Chirurgie und kultivierte auch die in Deutschland bis dahin noch nicht geübten plastischen Operationen. 1816 bildete er mit Glück eine Nase aus der Armhaut und 1817 aus der Stirnhaut; eine der dabei üblichen Operationsmethoden wird noch jetzt allgemein als die »Gräfesche« oder »deutsche« Methode bezeichnet. Auch vervollkommte er die Unterkieferresektion und die Gaumennaht und führte die Lithotripsie in Deutschland ein. Er schrieb: »Angiektasie, ein Beitrag zur rationellen Kur und Kenntnis der Gefäßausdehnungen« (Leipz. 1808); »Die Kunst, sich vor Ansteckung bei Epidemien zu sichern« (Berl. 1814); »Normen für die Ablösung großer Gliedmaßen« (das. 1812); »Rhinoplastik« (das. 1818); »Neue Beiträge zur Kunst, Teile des Angesichts organisch zu ersetzen« (das. 1821); »Die epidemisch-kontagiöse Augenblennorrhöe Ägyptens in den europäischen Befreiungsheeren« (das. 1824, mit Kupfern); »Jahresberichte über das klinisch-chirurgisch-augenärztliche Institut der Universität zu Berlin« (das. 1817–34). Mit Ph. v. Walther redigierte er seit 1820 das »Journal für Chirurgie und Augenheilkunde«. Vgl. Michaelis, K. F. v. G. in seinem 30jährigen Wirken für Staat und Wissenschaft (Berl. 1840).

2) Albrecht von, Mediziner, Sohn des vorigen, geb. 22. Mai 1828 in Berlin, gest. daselbst 20. Juli 1870, studierte seit 1843 in Berlin, Prag, Wien, Paris, London, Dublin und Edinburg Medizin, speziell Augenheilkunde, errichtete 1850 in Berlin eine Privataugenheilanstalt, die das Vorbild für eine große Reihe ähnlicher Institute in Deutschland und der Schweiz wurde, habilitierte sich 1853 als Privatdozent an der Universität, wurde 1858 außerordentlicher Professor,[210] erhielt bald darauf eine Abteilung für Augenkranke in der königlichen Charité und wurde 1866 ordentlicher Professor. Mit sich fortreißend als Lehrer, unübertroffen als scharfer Beobachter, unermüdlich und energisch im Handeln als Arzt, erwarb er sich bald einen über die Grenzen Europas hinausreichenden Ruf, und in überraschend kurzer Zeit erhob er die Augenheilkunde, indem er namentlich auch der Helmholtzschen Erfindung des Augenspiegels sich bemächtigte, zu der exaktesten und vollendetsten Disziplin der gesamten Medizin. Er operierte zuerst den bis dahin unheilbaren grünen Star mit Erfolg und erfand eine neue Operationsmethode des grauen Stars (sogen. peripherer Linearschnitt im Gegensatz zu dem frühern Lappenschnitt), durch welche die Gefährlichkeit des frühern Verfahrens so weit beseitigt wird, daß 94–96 Proz. aller Operierten ein gutes Sehvermögen wiedererlangen. Auch wies er zuerst auf die Bedeutung der Augenerkrankungen für oie Diagnose der Hirnaffektionen und verschiedener Erkrankungen des Gesamtorganismus hin. G. war ein durchaus allseitiger Mediziner und besonders auch auf dem Gebiete der Nerven- und Gehirnkrankheiten Autorität. Seine zahlreichen klassischen Arbeiten auf dem Gebiete der Augenheilkunde sind fast alle in dem von ihm gegründeten, in Gemeinschaft mit Arlt und Donders herausgegebenen »Archiv für Ophthalmologie« erschienen. Vgl. Alfr. Gräfe, Ein Wort der Erinnerung an Albr. v. G. (Halle 1870); Michaelis, A. v. G., sein Leben und Wirken (Berl. 1877); Jacobson, A. v. Gräfes Verdienste um die neue Ophthalmologie (das. 1885); »Erinnerungen an A. v. G.«, zusammengestellt aus Werken und Briefen L. Jacobsons (Königsb. 1895). Am 22. Mai 1882 wurde sein Denkmal in Berlin, modelliert von Siemering (s. Tafel »Bildhauerkunst XVII«, Fig. 3), enthüllt.

3) Alfred, Mediziner, Vetter des vorigen, geb. 23. Nov. 1830 zu Martinskirchen in der Provinz Sachsen, gest. 12. April 1899 in Weimar, studierte in Halle, Heidelberg, Würzburg, Leipzig, Prag, Berlin und Paris, ward 1853 Assistent bei Albrecht v. Gräfe, habilitierte sich 1858 in Halle für Augenheilkunde und begründete gleichzeitig eine Anstalt für Augenkranke. 1873 erhielt er die ordentliche Professur der Augenheilkunde in Halle, die er 1892 aufgab. 1897 siedelte er nach Weimar über. G. erwarb sich durch seine Lehrtätigkeit, durch seinen rastlosen Eifer in der Praxis und als ausgezeichneter Operateur einen sehr großen Ruf. Ihm gelang zuerst, in den tiefsten Teilen des Auges gelegene Parasiten unter Erhaltung des Auges zu entfernen. Er schrieb: »Klinische Analyse der Motilitätsstörungen des menschlichen Auges« (Berl. 1858); »Symptomenlehre der Augenmuskellähmungen« (das. 1867); »Ein Wort der Erinnerung an A. v. Gräfe« (Halle 1870); »Das Sehen der Schielenden« (Wiesb. 1897). Mit Sämisch u. a. gab er das »Handbuch der gesamten Augenheilkunde« (Leipz. 1874–80, 7 Bde.; 2. Aufl. 1898 ff.) heraus, für das er die Motilitätsstörungen bearbeitete.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 8. Leipzig 1907, S. 210-211.
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