Horizontalpendel

[550] Horizontalpendel (Pendelwage), ein 1831 von Hengler in München erfundener Apparat zum Nachweis und zur Messung kleiner Kräfte, die eine Veränderung in der Lage der Lotlinie hervorbringen. Das H. geriet in Vergessenheit und wurde erst 1862 von Parrot in Paris und 1869 von Zöllner sowie von Gérard u. Close wieder erfunden. Bei dem Zöllnerschen Instrument (Fig. 1) sind an dem einen Ende eines durch ein Gewicht beschwerten Glasstabes A B in geringer Entfernung voneinander zwei nahezu gleichlange seine Stahldrähte a und a´ befestigt, deren freie Enden am obern und untern Teil eines auf drei Stellschrauben ruhenden Stativs eingeklemmt sind. Durch das Gewicht des Glasstabes werden die Drähte straff gespannt, der Stab stellt sich horizontal und hat das Bestreben, in der durch die beiden Aufhängepunkte gelegten Vertikalebene zur Ruhe zu kommen. Liegen beide Aufhängepunkte vertikal übereinander, so wird die Gleichgewichtslage des Pendels unbestimmt. Durch Drehung der Fußschrauben des Stativs kann man sich diesem Fall beliebig nähern und dadurch die Empfindlichkeit[550] des Pendels erheblich erhöhen. Jede auch sehr geringe Veränderung der Richtung der Lotlinie, die sich sonst der Wahrnehmung entzieht, wird eine Verschiebung der Gleichgewichtslage des Pendels hervorbringen, die mit Hilfe des am einen Ende des Glasstabes angebrachten Spiegels B mit Fernrohr und Skala gemessen wird.

Fig. 1. Horizontalpendel.
Fig. 1. Horizontalpendel.

Um die Torsion der Drähte zu vermeiden, welche die Lage des Pendels erheblich beeinflussen kann, hat v. Rebeur-Paschwitz den Pendelstab an einem Ende mit einem vertikalen metallenen Querstück versehen, in dessen beiden Enden zwei kleine konkav ausgeschliffene Achatplättchen eingelassen sind, in die zwei am Stativ befestigte Stahlspitzen eingreifen. Auch werden die Schwingungen des Pendels, um fortlaufende Beobachtungen zu ermöglichen, auf einem durch ein Uhrwerk fortgeführten Streifen lichtempfindlichen Papiers photographisch registriert. Mit Pendeln dieser Konstruktion, die Veränderungen in der Richtung der Lotlinie von nur wenigen Tausendstel einer Bogensekunde zu bestimmen gestatten, hat v. Rebeur-Paschwitz in Karlsruhe, Potsdam, Wilhelmshaven und auf Teneriffa eine größere Reihe von Beobachtungen angestellt, die eine tägliche Oszillation der Lotlinie sowie eine Einwirkung des Mondes deutlich erkennen lassen.

Fig. 2. Horizontalpendel von Nebeur.
Fig. 2. Horizontalpendel von Nebeur.

Das v. Rebeursche H., das auch zu seismischen Beobachtungen (s. Seismometer) viel benutzt wird, ruht in der ihm von Ehlert gegebenen Form (Fig. 2) auf den beiden Stahlspitzen i und i´ und bewegt sich um die durch die beiden Stahlspitzen gelegte Vertikalachse wie eine Tür um ihre Angeln. Auf der dem Gewicht m gegenüberliegenden Seite trägt es den Spiegel S neben dem Spiegel 8´, der mit dem sehr schweren, hufeisenförmigen Gußeisengehäuse fest verbunden ist. Ein den Spiegeln S und S' gegenübergestelltes beleuchtetes Signal (Spalt) wird von diesen reflektiert und fällt durch die vor den Spiegeln befindliche Öffnung auf eine Linse, die jedes der beiden Bilder, zu einem scharfen Punkte vereinigt, auf eine mit lichtempfindlichem Papier überzogene Walze wirft. Während dann das von dem festen Spiegel 8´ reflektierte Licht auf der gleichmäßig rotierenden Walze eine gerade Linie liefert, wird der mit dem H. fest verbundene Spiegel S die von dem H. und somit auch von ihm ausgeführten Schwingungen in Form einer neben jener Geraden verlaufenden Kurve auszeichnen. Da bei einem einfachen H. die Erdbewegungen in der Richtung des Pendelarmes (oder der Pendelebene) keinen Ausschlag geben können, hat Ehlert empfohlen, drei solche H., die miteinander den Winkel von 120° einschließen, zu verwenden. Eine derartige, auf vielen seismologischen Instituten eingeführte Kombination (das sogen. dreifache horizontale Leichtpendel), bei der durch eine entsprechende Stellung der Pendelspiegel es ermöglicht wird, die Schwingungen der drei H. auf demselben Papierstreifen nebeneinander zu registrieren, erlaubt die Bewegungen der Erdrinde in verschiedenen Azimuten zu beobachten und besonders die Richtung der Erdstöße genau zu bestimmen.

Fig. 3. Straßburger horizontales Schwerpendel.
Fig. 3. Straßburger horizontales Schwerpendel.

Ein andres H. ist das sogen. Straßburger horizontale Schwerpendel (Fig. 3), das wegen seines billigern Preises (ca. 260 Mk.) für die seismischen Stationen zweiter Ordnung hauptsächlich in Betracht kommt. Es trägt an einer 1,3 m hohen u. 50 kg schweren gußeisernen Säule mit breitem Fuß eine kräftige Stahlspitze, auf der ein horizontales Messingrohr mit einem 10 kg schweren Bleigewicht ausruht. Letzteres wird durch einen Draht, der am obern Ende der Säule leicht drehbar befestigt ist, gehalten. Die Registrierung erfolgt durch eine sehr leichte Schreibfeder (Strohhalm mit Aluminiumspitze), welche die ihr von dem Pendel mitgeteilten Schwingungen auf berußtem Papier auszeichnet. Letzteres ist auf eine Trommel gespannt, die sich in der Stunde einmal um ihre Achse dreht und dabei gleichzeitig seitwärts etwas verschiebt, der Art, daß die vom Schreibstift auf dem berußten Papier gezogene Linie eine spiralförmige [551] Kurve darstellt. Auch dieses H. erhält erst seine volle Bedeutung, wenn zwei Apparate von gleichen Dimensionen rechtwinklig zueinander (im Meridian und senkrecht dazu) zur Auszeichnung beider Komponenten der Horizontalbewegung aufgestellt werden.

Die Firma J. u. A. Bosch in Straßburg i. E. hat bisher eine große Zahl von horizontalen Leichtpendeln und für etwa 40 Stationen Horizontalschwerpendel geliefert. Auch das neue von Hecker konstruierte und von derselben Firma gefertigte H., das sogen. Tromometer, ist ein dem Horizontalschwerpendel ähnliches Schwerpendel, nur durch größere Masse und stärkern Ausschlag der registrierenden Feder ausgezeichnet. Vgl. Hengler, Astronomische Pendelwage (in Dinglers »Polytechnischem Journal«, 1832); Zöllner, Über eine neue Methode zur Messung anziehender und abstoßender Kräfte (Leipz. 1869) und Über die Konstruktion und Anwendung des Horizontalpendels (das. 1871); v. Rebeur-Paschwitz, Über das Zöllnersche H. und neue Versuche mit demselben (»Verhandlungen des Naturwissenschaftlichen Vereins« in Karlsruhe, Bd. 10, und »Astronomische Nachrichten«, Nr. 2809, 2874, 3001, 3109, 3147); Hecke r, Das H. (»Zeitschrift für Instrumentenkunde«, Bd. 16, 1896); Ehlert, Das dreifache H. (»Beiträge zur Geophysik«, Bd. 3, Leipz. 1898); Gerland, Die kaiserliche Hauptstation für Erdbebenforschung in Straßburg (ebenda, Bd. 4, Leipz. 1900).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 9. Leipzig 1907, S. 550-552.
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550 | 551 | 552
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