[282] Marīa (Marie, hebr. Mirjam, »Bitterkeit, Widerspenstigkeit«, franz. Marie, engl. Mary), weiblicher (zuweilen auch männlicher) Name. Biblische Personen dieses Namens sind:
1) M., die Mutter Jesu, in der Kirchensprache Beata Virgo, Unsre Liebe Frau (U. L. F.), auch die heilige Jungfrau, franz. Notre-Dame, ital. Beatissima Vergine oder Madonna genannt. Die evangelische Vorgeschichte läßt sie mit dem Zimmermann Joseph von Nazareth verlobt sein, aber vom Heiligen Geist mit dem Messias befruchtet werden und diesen in Bethlehem gebären (s. Jesus Christus). In den synoptischen Evangelien erscheint M. sonst nur einmal, als sie mit Jesu Brüdern nach Kapernaum geht, weil man innerhalb der Familie dafür hält, er »sei von Sinnen«. Im vierten Evangelium erscheint M. noch auf der Hochzeit zu Kana und unter dem Kreuz ihres Sohnes stehend, von diesem dem Johannes zugewiesen. Nach Apostelgesch. 1,14 gehört sie zu der in Jerusalem sich sammelnden Gemeinde. Außer diesen biblischen Nachrichten besitzt die kirchliche Tradition noch unzählige andre. In den ältesten Apokryphen ist M. eine Tochter des Joachim, die ihm Anna nach langer, kinderloser Ehe in hohem Alter geboren hat. Dadurch als ein Geschenk des Himmels legitimiert, wird M. schon in der zartesten Jugend dem Dienst Gottes im Tempel geweiht. Joseph verlobt sich ihr erst als Greis, nur um ihre Jungfrauschaft durch die Ehe zu bewahren. Als er jene verletzt glaubt und sich von M. trennen will, wird er durch Wunder von dem wahren Sachverhalt unterrichtet. In Jerusalem wird noch heute Marias Wohn- und Sterbehaus (Dormitio S. Virginis) sowie ihre Grabstätte den Pilgern gezeigt (s. Jerusalem, S. 235 u. 236). Nach einer Legende hörten die Apostel über ihrem Grab drei Tage lang himmlische Musik und fanden, als sie den Leichnam dem Thomas zeigen wollten, der bei dem Begräbnis gefehlt, statt des Körpers nur Lilien vor. Daß M. zum Himmel ausgefahren sei, wird von den katholischen Theologen unter Billigung der Kirche gelehrt, ist aber nicht Dogma. Die Kirche hat sich dogmatisch mit M. besonders seit dem von Nestorius 428 angeregten Streit beschäftigt. Forthin galt als kirchliche Lehre, was die katholische Kirche noch heute uneingeschränkt festhält, daß M. ohne Schmerzen und menschliche Beihilfe geboren und das Siegel der Jungfrauschaft sich erhalten habe, übrigens Gottesgebärerin (Theotokos) zu nennen sei. Insonderheit wurde die Meinung, daß M. nach Jesu noch andre Kinder geboren habe, verworfen und die Partei der Antidikomarianiten, d. h. Widersacher der M., die dieses im Anschluß an die Schrift (Mark. 6,3)[282] behaupteten, heftig bekämpft. Auch die protestantische Orthodoxie hält daran fest, daß M. den Herrn als Jungfrau geboren, und schreibt ihr damit sachlich eine durchaus singuläre Stellung innerhalb der Menschheit zu. Die Folgerungen aber hat bloß die katholische Kirche gezogen. Als die ewig reine Jungfrau nimmt hier M. unter allen Heiligen die erste Stelle ein; sie ist die Königin des Himmels und die mächtigste Fürsprecherin bei Gott, an die sich vorzüglich das Gebet der Gläubigen (Ave M., der Rosenkranz, die Tagzeiten der seligen Jungfrau M. und die Lauretanische Litanei) wendet. Sie wurde Schutzpatronin vieler Länder, Städte und Vereine; man widmete ihr eine Menge Feste (s. Marienfeste) und weihte ihr in den Klöstern ein Offizium, das aus den Lobgesängen auf M. hervorging, dann aber von Urban II. auf der Kirchenversammlung zu Clermont (1095) für die Kirche gesetzlich gemacht wurde. Seitdem nannten sich zahlreiche Mönchs- und Nonnenorden, wie die Karmeliter, Serviten, Salesianerinnen und alle Orden Unsrer Lieben Frau, nach ihr, und ihre Verehrung nahm die Gestalt eines ritterlichen Frauendienstes an. Die Kirchenlehrer stellten für sie ein Psalterium minus und majus und die Biblia Mariana auf; ja, sie meinten selbst, daß »Gott der Vater M. minnete«. Um diese und andre Abenteuerlichkeiten dogmatisch zu begründen, ließ man der M. eine höhere Stufe des Dienstes (Hyperdulia) zukommen als den übrigen Heiligen, deren Dienst man Dulia nannte. Endlich fand man, daß M. nicht nur selbst sündlos, sondern auch unsündlich empfangen sei (unbefleckte Empfängnis). Die Bilder der M. genossen in der Kirche schon frühzeitig eine große Verehrung und wurden im Laufe der Zeit oft als wundertätig gepriesen; noch jetzt stehen zahlreiche Marienbilder in diesem Ruf (s. Wallfahrtsorte). Die christliche Kunst hat das Leben, die Person und die Würde der M. als Mutter Gottes in Poesie, Malerei und Plastik vielfach zu verherrlichen gesucht (s. Madonnenbilder). Vgl. Hasenclever, M., die Mutter Jesu, in Geschichte und Kunst (Karlsr. 1876); Lehner, Die Marienverehrung in den ersten Jahrhunderten (2. Aufl., Stuttg. 1886); Bardenhewer, Der Name M., Geschichte der Deutung desselben (Freiburg 1895); Beissel, Die Verehrung Unsrer Lieben Frau in Deutschland während des Mittelalters (das. 1896); Küchenthal, Die Mutter Gottes in der altdeutschen schönen Literatur (Leipz. 1898); Kolb, Wegweiser in die marianische Literatur (2. Aufl., Freiburg 1900); Schäfer, Die Gottesmutter in der Heiligen Schrift (2. Aufl., Münst. 1900); Lépicier, Tractatus de beatissima virgine M. matre Dei (Par. 1901); Livius, Die allerseligste Jungfrau bei den Vätern der ersten 6 Jahrhunderte (a. d. Engl., Mainz 1901, Bd. 1); Terrien, La mère de Dieu et la mere des hommes (Par. 1904, 2 Bde.); de La Broise, La Sainte Vierge (das. 1904).
2) M. Magdalena (»M. aus Magdala«) schloß sich Jesu an, als dieser sieben Dämonen von ihr ausgetrieben (Luk. 8,2). Die spätere Sage läßt sie nach Rom reisen, in Gallien das Evangelium verkündigen und in Ephesos den Märtyrertod erleiden. Die katholische Kirche identifiziert sie mit der Büßerin, die nach Luk. 7,37 s. Jesu in Simons Hause die Füße salbte, und feiert ihr Gedächtnis 22. Juli. Die bildende Kunst stellt sie gewöhnlich mit dem Salbgefäß dar, bei der Kreuzigung Christi den Stamm des Kreuzes umfassend, bei der Grablegung wehklagend, unter den drei Marien am Grab Christi, mit Christus, der ihr als Gärtner erscheint, und als Büßerin in der Wüste. Letztere Darstellungen waren bei den Malern besonders beliebt (Correggio, Tizian, Rubens, van Dyck, Batoni). Auch in den geistlichen Schauspielen des Mittelalters spielt sie eine nicht geringere Rolle als das »Magdalenentum« in der modernsten Literatur. Paul Heyse machte M. zur Heldin seines Dramas »Maria von Magdala«. Wohltätig wirkt ihr Andenken noch in dem der Rettung gefallener Frauen gewidmeten »Magdalenenwerk« der innern Mission (s. Magdalenenstifter).