[458] Maul- und Klauenseuche, Aphthenseuche (volkstümlich auch Maulweh, Maulfäule, Blasenseuche, Blasenkrankheit, Plarre), eine ansteckende Erkrankung vorzugsweise der Maulhöhle und der Klauen bei Rindern, Schafen, Schweinen, seltener Ziegen, ebenso bei wild lebenden Klauentieren, die auch auf Pferde, Hunde, Katzen und Geflügel, leichter noch auf Menschen übertragen werden kann. Die Krankheit beginnt unter Fieber mit der charakteristischen örtlichen Entzündung an der Maulschleimhaut (Maulseuche), bez. der Haut über und zwischen den Klauen (Klauenseuche). Bei Schweinen, Schafen und Ziegen werden meistens nur die Klauen, bei Rindern dagegen Maulschleimhaut und Klauen, die erstere meist zuerst, ergriffen. Die Maulschleimhaut rötet sich, nach einiger Zeit entstehen Blasen (bis markstückgröße und größere), welche platzen und hochrote Wundstellen, die geschwürig werden können, zurücklassen; dabei geifern die Tiere stark (auffälliges Verdachtszeichen) und können nur mangelhaft Futter aufnehmen. An den Klauen schwillt die Haut über dem Klauensaum und im Klauenspalt, es bilden sich ebenfalls platzende Blasen, und die Tiere gehen lahm (erstes Verdachtszeichen). Die Ausbildung der Krankheit nach Aufnahme des Ansteckungsstoffes vollzieht sich sehr rasch. Schon binnen 36 Stunden wurde bei Rindern und Schweinen das Auftreten von Bläschen gesehen; in der Regel vergehen 2 oder 3, nur ausnahmsweise über 5 Tage. Das Wiederverschwinden der Krankheitserscheinungen kann in 814 Tagen erfolgen; die Tiere magern jedoch, wegen der Schmerzen und (bei Maulseuche) der behinderten Nahrungsaufnahme, ab, was besonders bei Mastvieh sehr erheblich ist, und bei Milchkühen ist die Milch verändert und verringert. Häufig treten überdies Verschlimmerungen und Komplikationen ein: an den Klauen bilden sich Geschwüre und Eiterherde, sogar Knochenfraß und Loslösung der Hornschuhe von den Klauen; es kann dabei zu tödlicher Eitervergiftung oder (bei dem Unvermögen der Tiere zu stehen) zum Wundliegen und Hautbrand kommen (Klauenschuh von König-Würzburg praktisch für die Behandlung). Recht häufig erkrankt bei Milchkühen das Euter unter ähnlichen Erscheinungen wie die Haut der Klauen, aber auch bisweilen an tiefgreifenden entzündlichen und zerstörenden Prozessen. Auch die Haut der Hornzapfen (Abfallen der Hörner) und andrer Körperteile kann erkranken; endlich können auch Lungen und Verdauungsorgane ergriffen werden. Bei diesen langwierigen Formen sind die Verluste an Körpergewicht, bez. Milch, entsprechend viel größer, nicht selten müssen die Tiere geschlachtet werden; tödlicher Ausgang der Krankheit selbst ist jedoch in der Regel nicht häufig (höchstens 1 Proz.). Bisweilen tritt indessen die Seuche sehr bösartig auf, so daß eine große Zahl erwachsener Tiere und vor allem viel Jungvieh zugrunde geht; der Tod tritt dabei in der Regel plötzlich, schlagähnlich ein (apoplektiforme M.), nicht selten nach scheinbarer Besserung. Bei Schafen wird die Klauenerkrankung oft durch schwere eiterige Entzündung und Absterben (Panaritium, s. d.) kompliziert, sogen. bösartige Klauenseuche (Krümme oder Krümpe) der Schafe, die manche für eine besondere Krankheit hielten, die jedoch eine Mischinfektion, vielleicht mit dem Nekrosebazillus (s. d.) ist und namentlich durch unreinliche Haltung begünstigt wird. (Vgl. Klauenkrankheiten und Moderhinke.)
Der Ansteckungsstoff selbst ist noch nicht bekannt, ist aber erweislich in dem flüssigen Inhalt der Blasen (der sich in der Maulhöhle dem Speichel beimischt) und in den Krankheitsherden überhaupt enthalten; er kann sowohl durch die Luft fortgeführt werden als[458] auch an Gegenständen aller Art haften und sich hier monatelang wirksam halten, so in den Ställen, im Dünger, an Geräten und Kleidern, auf Wegen und Weiden, die von kranken Tieren begangen sind, etc.; ja selbst andre Tiere (Hunde, Katzen, Geflügel) können ihn in Nachbargehöfte schleppen. Er kann mithin auf gesunde Tiere direkt von kranken und indirekt durch die mannigfaltigsten Gelegenheiten und Zwischenträger übertragen werden; auch können die verschieden Tierarten sich gegenseitig anstecken. Auf den Menschen kommen Übertragungen nachweislich leicht vor, besonders durch den Genuß roher Milch (es entstehen Blasen im Mund und zwischen den Fingern; Kindern kann die Erkrankung tödlich werden). Ist die M. in einem Stall ausgebrochen, so ist ihre allgemeine Ausbreitung in dem Bestand in der Regel nicht zu verhindern; auch das in andern Ställen des Gehöftes oder in der Nachbarschaft stehende Klauenvieh ist sehr gefährdet. Deshalb hat man vielfach die sogen. M.-Impfung vorgenommen, die aber nicht etwa den Zweck hat, die noch gefunden Tiere vor Ansteckung zu schützen (Schutzimpfung s. unten), sondern vielmehr einfach eine künstliche Übertragung des vollwirksamen Ansteckungsstoffes ist, um alle Tiere, da sie doch erkranken würden, gleichzeitig anzustecken und so die Gesamtdauer des Seuchenganges abzukürzen; auch soll die Seuche dann im allgemeinen gleichmäßig milder verlaufen. Diese Impfung wird meist nur bei Rindern ausgeführt, indem man den gefunden Rindern Speichel von erkrankten in das Maul streicht. In Preußen ist diese künstliche Ansteckung jedoch nur innerhalb des Seuchengehöftes gestattet, auf noch unbefallenen Nachbargehöften aber verboten. Das Bestehen der Seuche hinterläßt eine, jedoch nicht regelmäßige Immunität von begrenzter Dauer.
Die Verbreitung des Ansteckungsstoffes zu hindern, ist schwer, und ist mit der Steigerung des Viehverkehrs, namentlich über die Landesgrenzen und durch die Versendung von Vieh im Inland auf weite Entfernungen immer mehr erschwert worden. Hat die M. erst eine größere Ausdehnung erreicht, so spottet sie in der Regel aller Maßregeln und nimmt erst nach Jahren, gewissermaßen von selbst (allmähliche Abschwächung des Ansteckungsstoffes und Vermehrung der vorübergehend immunen Tiere) ab. Ein solcher Seuchenzug hat in Deutschland 1889 begonnen.
Es wurden in Deutschland von der Seuche betroffen:
In den Jahren 1902 und 1903 hat dann die M. weiter ständig abgenommen, so daß der ungeheure Seuchenzug als beendet gelten konnte. 1904 tauchten plötzlich im Osten mehrere nachweislich durch ausländische Einschleppung entstand-ne neue Seuchenherde auf, die jedoch, wenn auch mit Mühe und Ausnahmemaßregeln getilgt werden konnten. Gegenwärtig (Oktober 1905) hat die Seuche in Deutschland den günstigsten Stand seit Menschengedenken, sie herrscht nur in 4 Gemeinden und ist in Preußen ganz erloschen. Jene Epizootie läßt während ihrer zwölfjährigen Herrschaft (18891900) deutlich zwei Höhepunkte, 1892 und 1899, erkennen. Nach jedem erfolgte ein jähes Abfallen der Seuche, die jedoch nach 1892 eine immerhin außergewöhnliche Verbreitung behielt und infolge derselben bald wieder von neuem aufflammte. Der Schade, den jene Seuchenperiode angerichtet hat, läßt sich nicht genau beziffern, da die indirekten Nachteile zu große sind (Unterbindung des Viehhandels, Kosten der Tilgungsmaßregeln). Der direkte Schaden besteht, abgesehen von Todesfällen und langwierigen, zerstörenden Erkrankungen, auch bei mildem Verlauf in erheblichem Gewichtsverlust, namentlich bei Schlacht-, bez. Masttieren, und etwa vierwöchentlichem Verlust der Milch-, bez. der Arbeitsnutzung bei Rindern. In der Regel wird der Schade auf 100 Mk. für das Rind berechnet. Will man aber auch nur den (unzweifelhaft niedrigen) Satz von 50 Mk. annehmen, so beträgt allein dieser direkte Schade in der deutschen Rinderhaltung in jenen zwölf Jahren rund 360 Mill. Mk., dazu der direkte Schade an den übrigen Tieren (mit 10 Mk. für das Stück, was bei Schweinen namentlich viel zu wenig ist) rund 100 Mill. Mk. Rechnet man dazu den noch größern indirekten Wirtschaftsschaden, ganz abgesehen von dem dauernden Verlust der Absatzgebiete in England und Frankreich (für Schafe) Ende der 1880er Jahre, so wird die deutsche Landwirtschaft um eine Milliarde ärmer geworden sein.
Um derartige Kalamitäten zu verhüten, sind strenge Vorbeugungsmaßregeln die Hauptsache. Diese müssen in erster Linie den Viehhandel treffen, sowohl die Einfuhr, als die großen Verkehrswege und Stapelplätze im Inland, nicht minder aber den Kleinhandel und die kleinen Märkte einer wirksamen Kontrolle unterstellen. Ein wirksamer, dauernder Grenzschutz ist unentbehrlich, da Maßregeln, die nach dem Bekanntwerden einer Epizootie im Ausland getroffen wurden, stets zu spät kommen müßten. Im Inland müssen namentlich die großen Viehhöfe sorgfältig überwacht werden. Vieh aus stärker verseuchten Landesteilen muß bei der Ausladung desinfiziert werden. Die Eisenbahnviehwagen werden desinfiziert. Alle Viehmärkte werden tierärztlich beaufsichtigt, Gast- und Händlerställe revidiert. Der Kleinhandel im Umherziehen wird kontrolliert; das früher übliche Treiben von Handelsschweinen ist teils für immer, teils für Zeiten der Gefahr verboten. Ist auf einem Gehöft die M. ausgebrochen, so wird sie amtstierärztlich festgestellt. Alle kranken und verdächtigen Tiere unterliegen der Gehöftsperre, auch die Hunde sind festzulegen und das Geflügel darf nicht aus dem Seuchengehöft herauskommen. Mit polizeilicher Genehmigung können die noch gesunden Tiere zum Weidegang, zur Feldarbeit und zur Abschlachtung aus dem Gehöft gebracht werden, wenn jede Berührung mit fremdem Vieh, auch die Benutzung allgemein zugänglicher Wege ausgeschlossen werden kann. Die Milch darf ungekocht nicht weggegeben werden, es sei denn an eine Sammelmolkerei, die ihrerseits keine ungekochte Milch weggeben darf. Auch für ganze Ortschaften und Bezirke können Sperrmaßregeln angeordnet, namentlich auch Märkte und aller Durchgang von Vieh verboten werden. In Zeiten der Gefahr werden die[459] Gehöftbesitzer im eignen Interesse keine fremden Personen in ihre Ställe kommen lassen. Nach dem Erlöschen der M. ist der Stall samt seinen Insassen zu desinfizieren. Die in Deutschland durch das Viehseuchengesetz von 1880 eingeführten Bekämpfungsmaßregeln, die inzwischen wesentlich verschärft worden sind, werden in einer bevorstehenden Novelle zu diesem Gesetz eine neue Erweiterung erfahren.
Die Entdeckung einer Schutzimpfung, die imstande wäre, Rindern eine dauernde Immunität gegen M. zu verleihen, würde bei dieser Seuche von größter Bedeutung sein. Die darauf abzielenden Bemühungen haben jedoch noch zu keinem praktisch brauchbaren Ergebnis geführt. Das von Löffler in Greifswald hergestellte Seraphthin (Serum gegen Aphthen) hat sich nicht bewährt. Umfassende Forschungen werden im besondern staatlichen Auftrag fortdauernd angestellt im kaiserlichen Gesundheitsamt zu Berlin und von Löffler; seit 1897 ist bei dem Institut für Infektionskrankheiten in Berlin eine besondere Kommission dafür eingesetzt. (Vgl. Arbeiten des kaiserlichen Gesundheitsamtes, Berl. 1898; Löffler in der »Deutschen medizinischen Wochenschrift«, 1897 und 1898; »Berliner tierärztliche Wochenschrift«, 1903, Nr. 13.) Die sogen. Baccellische Methode ist für die Seuchentilgung ganz bedeutungslos, denn sie bezweckt nur die Behandlung schon erkrankter Rinder. Es genügt aber eine örtliche Behandlung der erkrankten Organe nach allgemeinen tierärztlichen Regeln. Über die sogen. Maulseuche der Pferde s. Artikel »Stomatitis«.
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