Neger [1]

[496] Neger (v. lat. niger, »schwarz«; Nigritier, Äthiopier), Menschenrasse Afrikas, deren Verbreitung verschieden gedeutet ist. Fr. Müller will zu den Negern nur die Völker des westlichen und mittlern Afrika gerechnet wissen, Peschel alle Völker vom Südrande der Sahara südwärts bis zum Gebiete der [496] Hottentotten und Buschmänner und scheidet die N. in Sudânneger und Bantu (s. d.), Ratzel alle dunleln, wollhaarigen Afrikaner, mit Ausschluß der hellen Südafrikaner und hellern Nord- und Ostafrikaner. Die meisten N. haben hohe und schmale Schädel (Gesichtswinkel 66–67°), zu denen sich Vortreten des Oberkiefers und schiefe Stellung der Zähne (Prognathismus) gesellt. Dazu kommen meist wulstige Lippen, im allgemeinen schwache Behaarung des Körpers (im Gesicht und am Kopf wollig verfilzt) und schwacher Bartwuchs. Allen gemeinsam gilt die beharrliche Dunkelung der Haut in vielen Abstufungen, vom rötlichen Braun bis zum tiefsten Dunkelbraun, die auch von weit gröberer Textur ist als bei den Hellfarbigen. Den Geruch der Rasse führt Falkenstein auf öligere Beschaffenheit des Schweißes zurück, der bei unreinlicher Lebensweise leicht ranzige Säure entwickelt. Die mittlere Körpergröße beträgt 1,68 m (bei den Kaffern 1,80 m). Bemerkenswert sind: die Dicke des Halses, die verhältnismäßig geringe Biegung der Wirbelsäule, das enge, keilförmige Becken, die Dicke und Elastizität der Haut. Die körperliche Leistungsfähigkeit hat sich unter dem Druck besonderer Verhältnisse zu bedeutender Höhe entwickelt; weniger geeignet für ununterbrochene Arbeit, sind sie dem Europäer überlegen an Geschwindigkeit und stürmischem Kraftaufwand. Von Charakter heiter, eitel, gefallsüchtig, lügenhaft und sinnlich, aber sehr gelehrig, machen sie europäische Erzeugnisse mit großer Geschicklichkeit nach, eignen sich fremde Sprachen schnell an und sind in den Schulen rasch auffassende Schüler. Musik lieben sie sehr, in Holzschnitzerei, Eisenbearbeitung und Töpferei haben es aber nur einige Stämme weiter gebracht. Die Ehrfurcht vor dem Alter ist groß, ebenso der Einfluß der Mutter, weniger der des Vaters, auf die Kinder. Die Ehe (durch Kauf geschlossen) zeigt vielfach Vielweiberei. Die heranwachsenden Knaben (meist, aber nicht überall, beschnitten) wohnen abgesondert von den heranreifenden Mädchen. Menschenfresserei wird von einigen Völkern sehr geübt; der Aberglaube an die Wirksamkeit von Teilen menschlicher Leichen geht durch alle N. Auch die Ehrfurcht vor dem despotischen Herrscher, dessen Würde meist in derselben Familie forterbt, ist groß. Er ist Oberzauberer und erster Kaufmann des Volkes, Hüter des Feuers und stets von einem Rat von Ältesten umgeben. Die Sklaverei ist unter den Negern eine alte Institution; abgesehen von Haussklaven bestehen neben Dörfern der Freien oft ganze Sklavendörfer, die für die Herren Arbeiten verrichten, sonst aber ziemliche Freiheit genießen. Die Waffen (Speer, Wurfkeule, Streitaxt, Messer, Schild, Bogen und Pfeil) sind ziemlich roh gearbeitet. Unter allen Naturvölkern sind die N. die eifrigsten Ackerbauer, nur wenige bloß Viehzüchter, viele beides zugleich. Allgemein ist der Glaube an einen ältesten und höchsten Himmelsgott und zahlreiche Geister. Ahnenkultus ist ziemlich weit verbreitet, ebenso der Glaube an Fetische, die gegen Hexerei schützen; grausame Hexenprozesse sind die natürliche Folge. Der Glaube an die Unsterblichkeit wird vielfach durch Menschenopfer bei dem Begräbnis Vornehmer bestätigt. S. den Artikel »Afrika« (Bevölkerung, mit den Tafeln »Afrikanische Völker I und II« und »Afrikanische Kultur 1–111«). Die Sprachen der N. behandeln Fr. Müller im »Grundriß der Sprachwissenschaft«, Bd. 1 (Wien 1877) und Lepsius, »Nubische Grammatik« (Berl. 1880). Vgl. Waitz, Die Negervölker und ihre Verwandten (Leipz. 1860); R. Hartmann, Die Nigritier (Berl. 1876) und Die Völker Afrikas (Leipz. 1879); F. Müller, Allgemeine Ethnographie (2. Aufl., Wien 1879); Peschel, Völkerkunde (7. Aufl., Leipz. 1897); Schurtz, Katechismus der Völkerkunde (das. 1893); Ratzel, Völkerkunde, Bd. 2 (2. Aufl., das. 1895); Ranke, Der Mensch, Bd. 2 (2. Aufl., das. 1894); Fournier, La raza negra etc. (Valladolid 1901); Seidel, Das Geistesleben der Negervölker (Berl. 1904); Eastman, The negro, his origin, history, and destiny (Boston 1906).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 14. Leipzig 1908, S. 496-497.
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