Nordisches Recht

[766] Nordisches Recht. Die Rechtsaufzeichnungen der Nordgermanen oder Skandinaven beginnen nicht vor dem 12. Jahrh., erst nach Einführung des Christentums im Norden. Sie sind vorwiegend in der Volkssprache und in volkstümlichem Stil abgefaßt und bestehen zum größern Teil aus Privatarbeiten, dem schriftlichen Niederschlag einer uralten, amtlich gepflegten mündlichen Überlieferung, die periodisch vor der Landesversammlung der einzelnen Rechtsverbände vorgetragen wurde (lagsaga).

Das älteste Rechtsbuch Dänemarks, Skaanelagen, entstanden zwischen 1203 u. 1212, behandelt das Recht der Landschaft Schonen; ebenso eine spätere lateinische Ausgabe, Liber legis Scaniae (beide hrsg. von Schlyter im »Corpus juris Sueo-Gotorum antiqui IX«, Stockh. 1859). Das Recht von Seeland behandeln zwei Rechtsbücher, beide dänisch geschrieben, vor 1241, aber nach den Rechtsbüchern von Schonen entstanden, das ältere in der Literatur »Valdemars Själlandske Lov«, das jüngere »Eriks S. L.« genannt. Die ältesten erhaltenen Gesetze enthalten Partikularrecht; das bedeutsamste Werk der Landschaftsgesetzgebung ist das Gesetzbuch für Jütland (Jydske Lov) von 1241. Unter den Reichsgesetzen bilden eine besondere Gruppe die Handfesten (Wahlkapitulationen) der Könige seit 1320. Sehr fruchtbar ist die dänische Gesetzgebung auf dem Gebiete des Stadtrechts (Statuten von Schleswig, Hadersleben, Kopenhagen, Roeskilde u.a.); dazu kommen noch Marktfriedensordnungen und Gildestatuten. Vgl. Kolderup-Rosenvinge, Samling af gamle danske Love (Kopenh. 1821–46, 5 Bde., unvollendet); Thorsen, Danmarks gamle Provindslove (1852 ff., 4 Bde.).

Die Rechts- und Gesetzbücher Schwedens bis Mitte des 14. Jahrh. enthalten wesentlich Provinzialrecht, so Westgötalagen (in zwei Redaktionen vom[766] Anfang und Schluß des 13. Jahrh.), Östgötalagen (spätestens 1303 entstanden, das größte und durchgebildetste schwedische Rechtsbuch), Smaalandslagen (um 1300 verfaßt) und Uplandslagen, eine Kodifikation des oberschwedischen Rechts, 1296 von König Birger Magnusson bestätigt; nach deren Vorbild verfaßt sind: das Gesetzbuch für Södermanland, in umgearbeiteter Gestalt als Södermannalagen erhalten, dann Westmannalagen und Helsingelagen. (Sämtliche obigen Landschaftsrechte hrsg. von Schlyter im »Corpus juris Sueo-Gotorum«, Bd. 1–6, 1827–1834.) An die Landschaftsgesetze schließen sich Einzelgesetze an, deren Auszeichnung mit dem 13. Jahrh. beginnt. Eine Verarbeitung aller Provinzialrechte zu einem Landrecht für ganz Schweden veranlaßte König Magnus Eriksson 1347; dieselbe wurde aber infolge Widerspruchs der Geistlichkeit nicht als Landrecht bestätigt, aber im 14. Jahrh. in den einzelnen Landschaften rezipiert. Derselbe König führte (vor 1365) ein gemeines Stadtrecht ein. Das Landrecht König Christophs von Bayern (1442) ist eine Revision des ältern von König Magnus. Eigentümlich hat sich die Denkmälergeschichte der Insel Gotland entwickelt, deren älteste Rechtsaufzeichnung, Gutalagen vom Schlusse des 13. Jahrh., den dänischen Landschaftsrechten gleicht.

Die ältesten Rechtsdenkmäler Norwegens sind die aus dem 12. Jahrh. stammenden Privataufzeichnungen der vier großen Thingverbände, nach den Hauptversammlungen, auf denen alljährlich das Recht vorgetragen wurde, genannt: das Rechtsbuch des Borgarthing und des Eidsifjathing, des Gulathingslög und des Frostuthingslög. An letzteres schließt sich das demselben Zeitalter angehörende Marktrecht (bjarkeyjar réttr) an. König Magnus (1263–80) unterwarf die erwähnten Rechtsbücher einer Revision. Die so revidierten Rechtsbücher wurden unter dem Namen: »Neueres oder gemeines Landrecht von König Magnus dem Gesetzverbesserer« zusammengefaßt. Das sogen. »neuere oder gemeine Stadtrecht« ist eine Bearbeitung des gemeinen Landrechts für die Städte. Einzelgesetze der Könige finden sich schon in der 2. Hälfte des 12., häufiger von der 2. Hälfte des 13. Jahrh. an; seit dem gemeinen Land- und Stadtrecht beruht die Fortbildung des geschriebenen Rechts fast nur auf diesen Verordnungen. Vgl. »Norges gamle Love« (begonnen von R. Keyser und P. A. Munch, vollendet von G. Storm und E. Hertzberg, Christ. 1846–95, 5 Bde.).

Das älteste Landrecht Islands ist das um 930 von dem eingewanderten Norweger Ulfljótr verfaßte; ein zweites, verbessertes, von 1117–18, wurde nach den Angaben des Gesetzsprechers und andrer kundiger Männer hergestellt und zum Gesetz erhoben. Verschiedene kompilatorische Rechtsaufzeichnungen aus dem 13. Jahrh. werden als »Grágás« bezeichnet; am vollständigsten sind von diesen die im »Codex regius« (1258–60; hrsg. von Finsen, Kopenh. 1852 ff., 2 Bde.) und die in der Arnamagnäanischen Stadarhólsbók (1262–71; hrsg. von Finsen, das. 1879). Nach Unterwerfung Islands unter die norwegische Herrschaft (1262) kam 1271–73 stückweise die Járnsída und 1281 die sogen. »Jónsbók« zur Einführung (Gesamtausgabe: »Lovsamling for Island« von Stephensen u. Sigurdsson, Kopenh. 1853 ff.). Vgl. K. Maurer in Holtzendorffs »Enzyklopädie der Rechtswissenschaft« (5. Aufl., Leipz. 1890); v. Amira in Pauls »Grundriß der germanischen Philologie« (Sonderdruck, 2. Aufl., Straßb. 1897).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 14. Leipzig 1908, S. 766-767.
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