[473] Pyämīe (griech., Eiterfieber, Eitervergiftung, Wundfieber, Blutvergiftung, putride Infektion), eine Infektionskrankheit, deren Entstehung meist auf Eindringen von Bakterien in Gewebsverletzungen zurückzuführen ist, die an der Haut durch Schnitt, Schuß, Hieb, Quetschung, Verschwärung, Verbrennung oder Erfrierung, an Schleimhäuten durch Zerreißungen oder Verschwärung der Oberflächen, in der Gebärmutter durch den Geburtsakt hervorgebracht wird (vgl. Kindbettfieber). Von der Wunde aus gelangen bestimmte Bakterien (s. Eiter) in die Blut- und Lymphbahnen, werden auf diesem Wege verschleppt und irgendwo (in der Regel an Stellen mit reichen seinen Kapillarnetzen, in Lunge, Leber, Milz, Nieren etc.) abgelagert. Dort vermehren sie sich und erzeugen Entzündung und Eiterung. Wenn bei Verschleppung reichlicher Bakterienmassen oder bakterienhaltiger Blutgerinnsel seine Gefäße verlegt und verschlossen werden, so bilden sich sogen. Infarkte, die für Abszeßbildung einen besonders günstigen Boden bieten. Am häufigsten finden sich diese verschleppten Abszesse (Eitermetastasen) in der Lunge, da das von den peripheren Organen herkommende infizierte Blut zunächst das seine Gefäßnetz des kleinen (Lungen-) Kreislaufs zu passieren hat. Dann folgt die Leber hinsichtlich der Häufigkeit der Metastasen, dann die Milz und die Nieren. Ebenso werden auch Gelenke befallen (Knie-, Schulter-, Fußgelenk am meisten) und enthalten alsdann ein anfangs trübes, dann eiteriges Exsudat. Auch in Drüsen (Parotis), Muskeln, daher auch im Herzmuskel, können sich pyämische Abszesse entwickeln. Die P. kündigt sich meistens durch einen Schüttelfrost, oft nur durch leichteres Frösteln an, es entwickelt sich heftiges, sehr unregelmäßiges Fieber mit ganz plötzlichen Steigungen und ebenso plötzlichen Abfällen. Der Appetit verliert sich, die Sinne sind ungetrübt, doch zeigt sich zunehmende Schwäche der Kranken. Bei Metastasen in den Lungen entsteht Atemnot, Schmerz und blutiger Auswurf. Die Schüttelfröste wiederholen sich ganz unregelmäßig. Bald entsteht Gelbsucht, im Harn findet sich Eiweiß, und wenn die P. fortschreitet, treten unter steter Wiederholung der Schüttelfröste und unter Zunahme der Erschöpfung des Kranken Delirien ein, und bald erliegt der Kranke im Kollaps. Das Krankheitsbild wird stark verändert durch vorwiegende Lokalisation der metastatischen Eiterherde in bestimmten Organen. Sie können sich z. B. besonders reichlich an der geschwürig zerfallenden Herzinnenhaut (Endokard) entwickeln (maligne Endokarditis) oder in dem Mark der großen Röhrenknochen (akute Knochenmarkentzündung), bei Abszessen im Gehirn entstehen oder bei Leberabszessen, die besonders häufig bei Geschwüren im Pfortadergebiet entstehen, so namentlich im Anschluß an die eiterigen Dickdarmgeschwüre bei der Ruhr. Bei Fällen, bei denen eine Verletzung als Eintrittspforte nicht gefunden werden kann, spricht man von kryptogenetischer P. Im Gegensatz zur P. bezeichnet man als Septhämie oder Sepsis (Septichämie) den Zustand, bei dem von dem ursprünglichen Eiterherd (Geschwür, Abszeß) vorwiegend die Gifte (Toxine) der Eiterbakterien in den Organismus eindringen und ein ähnlich schweres Krankheitsbild erzeugen, während die Eiterbakterien selbst nicht oder nur so spärlich aufgenommen werden, daß verschleppte innere Eiterungen nicht entstehen. Sehr häufig wirkt die Aufsaugung von Toxinen und Bakterien derart zusammen, daß das Krankheitsbild der Septikopyämie entsteht, in dem sich Symptome der P. mit denen der Septichämie mischen. Die Diagnose der P. ist aus der Anamnese, der Beschaffenheit der Wunde, der unregelmäßigen Fieberkurve und vor allem aus den unregelmäßig auftretenden, sich wiederholenden Schüttelfrösten zu stellen. Neuerdings hat man durch bakteriologische Züchtung und Untersuchung der im Blute kreisenden Bakterien aus frisch entnommenem Blut unklare Fälle von P. erkennen gelernt. Die Prognose ist ungünstig, doch kann man die schrecklichen frühern Pyämie-Endemien in den Lazaretten durch Antisepsis und Asepsis bannen. In gut geleiteten und gut versorgten Lazaretten darf heute P. nicht mehr entstehen. Bei pyämisch Kranken ist vor allem der primäre Herd unschädlich zu machen, wenn nötig durch Amputation, zugängliche metastatische Abszesse werden gespalten, Gelenke eröffnet, diese ebenfalls antiseptisch behandelt (Tamponieren mit Jodoformgaze, bez. Ausspülen mit Sublimatlösung) und auf Stärkung des Kranken durch Nahrung, Wein, Kampfer etc. hingewirkt. Namentlich gegen die Sepsis, weniger gegen die P. hat man ein durch Streptokokkeninfektion gewonnenes Serum (Antistreptokokkenserum) empfohlen; jedoch ist dessen Wert noch ebenso strittig wie der der Einspritzung verschiedener Silberpräparate. Vgl. Heiberg, Die puerperalen und pyämischen Prozesse (Leipz. 1873); R. Koch, Untersuchungen über die Ätiologie der Wundinfektionskrankheiten (das. 1878); Gussenbauer, Sephthämie, Pyohämie und Pyosephthämie (Stuttg. 1882); Lenhartz, Die septischen Erkrankungen (Wien 1904).