Sonāte

[595] Sonāte (ital. sonata, suonata), ein zyklisches, d. h. mehrsätziges, in der Regel aus drei oder vier abgeschlossenen, aber durch innere Verwandtschaft unter sich verbundenen Sätzen bestehendes Tonwerk entweder für ein Soloinstrument (namentlich Klavier, Orgel, Violine etc.) oder für mehrere Instrumente (Duo, Trio, Quartett, Quintett, Sextett, Septett, Oktett etc.), ja schließlich auch für großes Orchester (Symphonie). Der erste Satz ist der speziell für die S. charakteristische und sie von der Suite, Serenade etc. unterscheidende; seine Form ist die darum speziell so genannte Sonatenform. Er beginnt entweder mit einer langsamen Einleitung (Grave, Largo) oder gleich mit dem Hauptthema (Hauptsatz) in bewegtem Tempo (Allegro), von dem modulierende Gänge zum zweiten Thema (Nebensatz, Seitensatz) überleiten, das zwar in gleichem Tempo, aber meist in längern Notenwerten, gesangartiger gehalten ist. Steht der Hauptsatz in Dur, so pflegt der Seitensatz in der Tonart der Dominante zu stehen; steht er in Moll, so kommt die parallele Durtonart oder die Durtonart der kleinen Sexte (z. B. bei A moll: F dur) oder auch die Molltonart der Dominante in Anwendung. Entweder schließt nun der erste Teil hiermit ab, oder es folgt noch ein kleiner Schlußsatz, der zum ersten Thema zurückführt. Die bei den Klassikern regelmäßig festgehaltene Repetition (Reprise) des bis hierher reichenden ersten Teiles des Sonatensatzes kommt bei den neuern Komponisten vielfach in Wegfall; sie folgen darin dem Vorgange Beethovens in einzelnen Fällen (z. B. in der neunten Symphonie). Der nun folgende zweite Teil besteht zunächst in der freien Verarbeitung (Durchführung) des vorausgegangenen thematischen Materials (selten bringt er noch ein selbständiges Thema)[595] und leitet ohne Wiederholung durch den sogen. Rückgang zur vollständigen Wiederkehr der Themen des ersten Teiles über. Diese führt jedoch den Seitensatz und etwaigen Schlußsatz gleichfalls in der Haupttonart oder der gleichnamigen Molltonart ein und schließt mit oder ohne Anhang (Coda). Die vordem übliche Wiederholung auch des zweiten Teiles (bei Ph. Em. Bach, Haydn, Mozart, Clementi) ist bereits bei Beethoven fallen gelassen. Bildungen wie die der ersten Sätze der sogen. Mondscheinsonate (Op. 27, Cis moll) oder der As dur-Sonate (Op. 26) von Beethoven haben mit diesem Schema nichts zu tun. Beiden Sonaten fehlt der eigentliche erste Satz; sie beginnen mit dem langsamen, der in der Regel der zweite ist. Charakteristikum des zweiten Satzes ist die langsame Bewegung (nur ausnahmsweise vertauschen der langsame Satz und das gleich zu besprechende Scherzo ihren Platz). Seine Form kann eine sehr verschiedenartige sein. Ist er wie der erste mit zwei kontrastierenden Themen ausgestattet, so ist das bewegtere das zweite; die Reprise und Durchführung fallen gewöhnlich weg, dagegen erscheint gern das Hauptthema dreimal, meist mit immer gesteigerter Figuration. Oft begnügt sich der Tonsetzer mit der Liedform, d. h. der Themenordnung A-B-A. Sehr beliebt ist auch die Variationenform für den zweiten Satz. Die Tonart des zweiten Satzes ist meist die der Subdominante, bei Moll auch die der Subdominant-Parallele. Der dritte Satz, in der Regel ein Menuett oder Scherzo, steht gewöhnlich wieder in der Haupt- oder doch in einer eng verwandten Tonart. Vielen Sonaten fehlt das Menuett oder Scherzo, so daß man gleich vom zweiten zum letzten Satz, dem Finale, gelangt. Dieser steht bei durchschnittlich schneller Bewegung immer in der Haupttonart, verwandelt sie aber nicht selten aus Moll in Dur. Seine Form ist entweder die Sonatenform, in der Regel ohne Reprise, aber mit Durchführung, oder eine weit ausgesponnene Rondoform mit mehr als zwei Themen. In seltenen Fällen läuft er in eine Fuge aus. Beethoven handhabt die Form sehr frei und beschränkt sich manchmal auf nur zwei Sätze und zwar nicht nur in der kleinen S. (Sonatine), bei der das fast die Regel ist, sondern auch in groß und ernst angelegten Werken (Op. 53, 54, 78, 90, 101 und 111).

Geschichte. Sonata (»Klingstück«) oder Canzon da sonar ist ursprünglich, d. h. als die Anfänge einer selbständigen Instrumentalmusik sich entwickelten (gegen Ende des 16. Jahrh.), eine ganz allgemeine Bezeichnung für Instrumentalstücke und der Gegensatz von Cantata (»Singstück«). Diese ältesten Sonaten sind Stücke für Orgel oder für mehrere Instrumente (Violinen, Violen, Zinken und Posaunen). Ihre praktische Bestimmung war die, einem kirchlichen Gesangswerk als Einleitung vorausgeschickt zu werden, die S. tritt in der Folge (völlig gleichbedeutend mit Symphonia) als Einleitung der Kantate auf. Neben dieser vielstimmigen S. entwickelte sich bereits in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrh. durch Übertragung der neuen Formen der mit Generalbaß begleiteten Monodie auf rein instrumentales Gebiet die S. für ein Soloinstrument mit Continuo oder für zwei und mehr konzertierend behandelte Instrumente (besonders Violinen, aber auch Kornett, Posaune oder Fagott) mit Continuo (Salomone Rossi, Biagio Marini, Tarquinio Merula, Frescobaldi). Die Form dieser ältesten Sonaten hat zunächst mit der »Sonatenform« nichts zu tun, sondern zeigt eine Verkettung von oft zahlreichen Teilchen verschiedenen Charakters und verschiedener Taktart, nämlich nach Art des Ricercar imitierend gearbeiteter und tanzartig Note gegen Note gesetzter. Während die italienische S. sich der eigentlichen Mehrsätzigkeit noch lange enthält, entwickelt sich in Deutschland allmählich eine von Hause aus zyklische Form mehr und mehr zu gleichem Inhalt, bis beide durch Ausscheidung des fugierten Wesens ganz ineinander ausgehen, nämlich die Suite, die Zusammenstellung mehrerer Tanzstücke gleicher Tonart und gleichen thematischen Gehalts, die bereits im 16. Jahrh. als Verbindung von Pavane (Paduana, Reigen) und Gaillarde (Saltarello, Springtanz) etwas ganz Gewöhnliches ist, um 1617 aber (J. H. Schein) bereits bis zur Verbindung von fünf Sätzen vorschreitet (Pavane, Gaillarde, Courante, Allemande, Tripla). Die überwiegend aus Tänzen bestehende Suite hieß nun Sonata da camera und die S. alter Herkunft Sonata da chiesa (bei Cazzati, Legrenzi, G. B. Vitali, A. Veracini, Torelli, Corelli u. a.). Die ersten Sonaten für Klavier allein schrieb Joh. Kuhnau (s. d.), die ersten Ensemblewerke mit ausgearbeitetem Klavierpart (d. h. nicht mit beziffertem Baß) J. Ph. Rameau und Joh. Seb. Bach. Die letzte Vollendung der Form der S., namentlich ihres charakteristischen ersten Satzes, erfolgte durch Domenico Scarlatti, J. S. Bach, E. F. dall' Abaco, G. B. Pergolese, Gluck, Ph. Em. Bach, ganz besonders aber durch Johann Stamitz und die an diesen anschließenden Klassiker Haydn, Mozart, Beethoven. Die Herausbildung des homophonen Stils der S. geht ganz allmählich im 17. Jahrh. in der Violinmusik vor sich und kommt von dieser aus allmählich in die besonders in Deutschland lange vom Orgelstil abhängige Klaviermusik. Nach Beethoven haben die Form der S. mit besonderm Glück Franz Schubert, Mendelssohn, Rob. Schumann und in neuester Zeit Johannes Brahms, Joachim Raff, Anton Rubinstein, J. Rheinberger, Robert Volkmann, Karl Reinecke, Anton Dvórak, C. Saint-Saëns, Edvard Grieg, Max Reger behandelt. Vgl. Marx. Kompositionslehre, 3. Teil (5. Aufl., Leipz. 1879); Wasielewski, Die Violine im 17. Jahrhundert und die Anfänge der Instrumentalkomposition (Bonn 1874); Shedlock, The Pianoforte Sonata, its origin and development (Lond. 1895; deutsch, Berl. 1897); Klauwell, Geschichte der S. (Köln 1899); Seiffert, Geschichte der Klaviermusik (Leipz. 1899, Bd. 1).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 18. Leipzig 1909, S. 595-596.
Lizenz:
Faksimiles:
595 | 596
Kategorien: