Dampfwagen

[681] Dampfwagen (engl. Steam-carriage, Locomotive). Wagen, der, statt durch Pferde, durch eine auf demselben befindliche Dampfmaschine in Bewegung gesetzt wird. Ihr Mechanismus ist dem der Dampfschiffe ähnlich, nur daß die Maschine statt wie dort mit Schaufeln versehene Räder, hier glatte Räder treibt, die auf einer Fläche fortrollen. Die wesentlichsten Theile eines D-s, gleichviel ob er auf Schienen od. auf gewöhnlicher Kunststraße od. auf weicher u. holpriger Fläche zu gehen hat, ist die mit einem Röhrenkessel verbundene Dampfmaschine, die auf Rädern unter Dazwischenkunft eines Rahmens liegt, der seinerseits wieder nicht fest auf den Achsen liegt, sondern auf denselben sedert. Nach hinten ist der Kessel so ausgebaucht (die Feuerbüchse), daß man unmittelbar in demselben heizen kann. Der Kessel ist natürlich rundum dampfdicht geschlossen u. es führen durch ihn hindurch der Länge nach eine Menge Röhren, behufs der Abführung der Feuerluft, des Rauches u. der besseren Ausnutzung der Wärme. Die Verbrennungserzeugnisse gehen durch einen Schornstein in die Luft. Der gebrauchte Dampf wird aus einem Rohr, das hinauf in den Schornstein mündet, ausgeblasen (Blaserohr), u. bewirkt dadurch den nöthigen scharfen Zug. Man brennt Koks, Steinkohle, Braunkohle, Torf u. Holz, man es am besten zur Hand hat. Gute Koks geben die meiste Hitze u. verursachen fast gar keinen Rauch. Man benutzt 2 Dampfcylinder, deren Kolbenstange auf eine Achse mit zwei im rechten Winkel stehenden Kurbeln od. Krummzapfen wirken, an welcher Achse sich die beiden Treibräder befinden, vortheilhafter, wenn die Kolbenstangen an ihren Enden mit je einer Speiche der Treibräder verbunden sind. Die Hin- u. Herbewegung der Kolbenstangen (deren Stoß od. Hub) bewegt die Räder, u. da eine große Reibung u. Anhaftung der Radumfänge od. Radkränze an den Flächen Statt hat, worauf sie laufen, so bewegt sich der Wagen fort, dem die Räder angehören, u. die Räder schleifen nicht an einer u. derselben Stelle auf der Fläche, sondern rollen über dieselbe hin. Das Wasser u. der Brennstoff werden der Locomotive in dem angehängten Tender nachgeführt, doch muß auf dem Wege oft frischer Vorrath aufgenommen werden. Die Last, welche auf die Treibräder drückt, vermehrt die Anhaftung der Räder auf den Schienen u. daher rührt das Vermögen des D-s, fehlt es ihr sonst nicht an Dampfkraft, große Lasten zu ziehen. Man vermehrt oft die Last des D-s, indem man durch Verkuppelung seiner Räder die sämmtliche Last der Maschine u. des Tenders auf die Treibräder wirksam werden läßt. Solcher Vorkehrungen u. zugleich sehr kräftiger u. schwerer Locomotiven bedient man sich, wenn es gilt, Höhen zu ersteigen u. schwere Lasten fortzuziehen; solcher Art sind die D., welche die Gebirgsketten von Deutschland übersteigen, ohne Anspruch auf die Beihülfe von Zugseilen u. stehenden Maschinen. Mit den Versuchen, D. auf gewöhnlichen Straßen gehen zu lassen, ist viel Kraft, Zeit u. Geld verschwendet u. sie sind zuletzt, zum Zweck der Fortschaffung von Menschen u. Gegenständen, aufgegeben worden. D. dieser Art braucht man daher gar nicht behufs der Ortsveränderung, sondern nur um Kraft zum Betrieb an allerlei Arbeitsmaschinen auszuüben, eine Kraft, die man vermöge der fahrbaren Dampfmaschine (Locomobile) an verschiedenen Orten, wo es Noth thut, verwenden kann. Die Locomobile wird nicht von Dampf fortbewegt, sondern beihülflich anderer Kräfte fortgezogen. Eine ganz neue Art von D. ist die mit sogenannter endloser Eisenbahn, die von Boydell erfunden wurde u. von Charles Burrell in Thetford gebaut wird. Das Wesen dieses D-s, dessen Gliederung im Übrigen wie die jedes anderen D-s ist, besteht darin, daß um alle Räder des Wagens (deren 4) u. zwar um jedes Rad besonders, 6 platte Schienenstücke eingelenkt sind, die, eins nach dem anderen, sowie das Rad an der Maschine umgedreht wird, sich auf den Erdboden legen, langen Füßen zu vergleichen, die nicht zulassen, daß die Räder in weichem Erdboden einschneiden u. auf kleinsteiniger harter Fläche rutschen. Daher vermag diese Maschine nicht allein auf gewöhnlichen Wegen, sondern auch auf weichem, morastigem, unebenem u. steilem Boden mit Vortheil zu fahren, ist im Stande, kurze Wendungen zu machen, u. soll Steigungen bis zu 1: 7 überwinden. Schon 1759 schlug Robinson, Professor der Naturwissenschaften an der Universität zu Edinburg, die Anwendung der Dampfmaschine zum Bewegen von Wagen auf Straßen vor. Ihm folgte der amerikanische Ingenieur Olivier Evans 1772 mit Versuchen u. erhielt 1787 in Maryland ein Patent. James Watt erhielt in England 1784, u. die Gebrüder Chapmann 1812 Patente auf einen[681] D. 1787 stellte William Symington, einer der Erfinder des Dampfschiffes, das Modell eines D-sin Edinburg aus; 1802 erfand Richard Trevethik den. D. mit Hochdruckmaschine u. Kessel in einem Stück. Brunton erfand den D., der von 2 hinten angebrachten dampfbewegten Krücken fortgeschoben wurde, indem diese sich gegen den Erdboden stemmten. George Stephenson, der berăhmte Ingenieur der Liverpool- u. Manchester-Eisenbahn, baute schon 1814–15 D., die auf kleinen Kohleneisenbahnen langsam liefen. Im Jahre 1830 siegten Stephenson u. Comp. in Newcastle mit ihrer Locomotive (Rocket) bei dem Preisrennen auf der Liverpool-Manchester-Eisenbahn über mehrere Mitbewerber u. von da her schreibt sich der große Aufschwung der Eisenbahnen u. die Vervollkommnung der D., die man nun in England Locomotiven zu nennen anfing. Nachdem die ersten D. in England gebaut worden waren, folgten Belgien u. Amerika, Frankreich u. Deutschland bald nach. In letzterem Lande ist jetzt in Berlin (Borsig, Wöhlert), Chemnitz (Richard Hartmann), Hannover (Egestorf), München, Eßlingen, Wien, Karlsruhe etc. der Bau in großem Schwung u. liefert Locomotiven, die jeden Vergleich mit Maschinen aus anderen Ländern aushalten.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 4. Altenburg 1858, S. 681-682.
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