Ingenieur

[910] Ingenieur (fr., spr. Ängscheniöhr), 1) zuerst so v.w. Artillerist u. Artillerieoffizier, später, als sich die Geschützkunst u. die Kriegsbaukunst wissenschaftlich von einander sonderten, 2) ein sich mit Erbauung der Festungen u. Schanzen beschäftigender Offizier. Erst später erhielten die I-s auch die Führung der Belagerungen übertragen; früher leiteten die Feldherren diese Arbeiten selbst; erst waren die I-e meist Italiener, später auch Franzosen, u. Heinrich IV. ließ zuerst durch Sully 1603 I-e in ein besonderes Ingenieurcorps vereinigen u. denselben den Bau, sowie die Aufsicht über die Festungen übertragen. Auch in Deutschland u. den Niederlanden standen gute I-e auf. In Preußen bildeten sich unter Friedrich Wilhelm I., in Sachsen unter August II. Ingenieurcorps; in Schweden war schon unter Gustav Adolf das Ingenieurcorps mit dem Generalstabe vereinigt worden, u. man sprach daher hier u. in einigen Heeren von Feldingenieurs, welche die Generalstabsarbeiten, u. von Festungsingenieurs, welche den Bau u. die Belagerung von Festungen u. die Anlage von Feldschanzen übernahmen. Bei Seemächten kommen hierzu noch die Marineingenieurs, welche den Bau in Häfen, auch wohl den Schiffsbau leiten. Das Ingenieurcorps besteht eigentlich nur aus Offizieren, doch werden bei einigen Armeen zu den I-s noch die Pionniere (Sappeurs), Mineurs u. Pontonniere, deren Offiziere fast immer Ingenieuroffiziere sind, gerechnet. Seltener zählt man noch die Ingenieurgeographen zu ihnen, die ausschließlich zu Vermessungen u. topographischen Aufnahmen, zur Aushülfe für die eigentlichen Offiziere des Generalstabes bestimmt sind. I. im engern Sinne (Festungsingenieur), zum Bau u. zur Erhaltung der Festungen, hat der Festungsbrigadier (Directeur du génie) zu leiten u. deshalb mehrere Festungen unter sich. In manchen Staaten ist das Ingenieurcorps in mehre Brigaden getheilt, deren jeder ein General od. Oberst vorsteht. Diese stehen wieder unter einem Generalinspecteur (Directorder Festungen [Oberintendant]), der meist Generallieutenant u. Chef des ganzen Ingenieurcorps ist. Jede einzelne Festung hat wieder ein I. vom Platz (I. de la place) unter sich, der zu seiner Hülfe u. zur speciellen Aufsicht bei dem Bau bald mehr, bald weniger Ingenieuroffiziere, Conducteure u. Wallmeister unter sich hat. Ingenieurschulen (Ingenieurakademien), zum Unterrichte der angehenden I-e in den Wissenschaften, deren sie zu ihrem Dienst bedürfen, wurden 1742 in Sachsen, 1747 in Wien, 1750 in Mezières, 1788 in Potsdam gestiftet, mit der letzteren 1820 aber die Artillerieschule verbunden u. beide nach Berlin verlegt. Der Ingenieurwissenschaft (Ingenieurkunst) zum Grunde liegt die reine Mathematik; von der angewandten kommt bes. die Befestigungskunst u. die Lehre vom Angriff u. der Vertheidigung der Festungen, zum Entwerfen der Pläne u. Karten u. Planzeichnen die Topographie u. die Lehre vom Aufnehmen in Berücksichtigung. Hilfswissenschaften: die bürgerliche Baukunst (zur Anlegung von Kasernen, Magazinen u. andern Gebäuden, zur Errichtung von Futtermauern, Gewölben etc.), die Wasserbaukunst (um Dämme anzulegen, Kanäle zu führen, Überschwemmungen zu bewirken), die Hydrostatik u. Hydraulik, die Mechanik, die Astronomie (um die Polhöhen zu bestimmen u. die richtige Lage der Örter auf Karten anzugeben), u. die Kenntniß von der Taktik aller Waffengattungen, bes. der Artillerie, um beurtheilen zu können, ob die gebauten Vertheidigungswerke die Angriffe der verschiedenen Waffen auszuhalten vermögen, u. die Strategie, um zu beurtheilen, ob Vertheidigungswerke an passenden Punkten liegen. 3) Personen von Civil, daher Civilingenieure, im Gegensatz von Militäringenieuren, deren Beschäftigungen denen des Ingenieuroffiziers ähnlich ist, insofern die reine u. angewandte Mathematik die Grundlage ihrer Wissenschaft bildet; so nennt man I-e (Ingenieurs des ponts et des eaux) die gewöhnlichen Feldmesser u. eben so manche Baumeister, bes. der Chausseen, Brücken, Dämme u. anderer Wasserbaue; ebenso diejenigen Civilingenieure, welche sich mit der höheren Mechanik, dem Bau von Dampfmaschinen, von Telegraphenapparaten etc. beschäftigen. Eisenbahningenieure nennt man diejenigen, welche die Bauten zur Anlage von Eisenbahnen leiten; Betriebsingenieure diejenigen, welche für die Instandhaltung der vollendeten Bahnanlagen sorgen u. die nöthig werdenden Reparaturbauten verordnen; Oberingenieur wird ein I. genannt, welchem bei einem Bauunternehmen die Hauptleitung übertragen ist u. unter welchem noch mehrere andere I-e. arbeiten.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 8. Altenburg 1859, S. 910.
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