Endosmōse

[691] Endosmōse (v. gr.), die von Nollet entdeckte u. dann mit dem Endosmometer von Dutrochet untersuchte u. benannte Art der Aufsaugung, durch welche eine consistentere Flüssigkeit (z.B. Zuckerwasser) eine minder dichte, von welcher sie durch eine organische Membran od. sonst einen porösen Körper geschieden ist, aufnimmt, ist von Vierordt, Brinke, Jolly, Ludwig, Buchheim, Fick, W. Schmidt quantitativ genauer bestimmt worden, wobei bes. der früher bei Construirung des Endosmometers vernachlässigte Umstand in Obacht genommen wurde, daß bei der[691] od. abnehmenden Menge der Flüssigkeit doch der Druck auf die Membran constant blieb. Als Hauptresultat dieser Untersuchungen pflegt das von Jolly aufgestellte Gesetz bezeichnet zu werden, daß beliebige Gewichtsmengen auflöslicher Stoffe während ihres Austrittes zum Wasser bei unveränderter Temperatur durch proportionale Gewichtsmengen des letzteren, so genannte Endosmotische Äquivalente, ersetzt werden, z.B. bei einer dem 0 Punkt nahen Temperatur das Kochsalz durch das 41/2 fache, das Glaubersalz durch das 12fache, das Ätzkali durch das 200fache seines Gewichtes reinen Wassers. Doch haben spätere Versuche gelehrt, daß die Stärke der Concentration der Lösung allerdings nicht ohne Einfluß auf dies Verhältniß der wandernden Stoffmengen ist, indem namentlich bei sehr schwachen Lösungen die Menge des übertretenden Wassers sich verhältnißmäßig bedeutend steigert, u. daß in noch höherem Grade die Beschaffenheit der Membran den Werth des endosmotischen Äquivalentes ändert. Die Geschwindigkeit des Wasserstromes hat sich bei derselben Membran u. gleicher Temperatur dem Procentgehalt der Lösung proportional erwiesen; mit wachsender Temperatur aber nimmt sie ungemein schnell zu; sie ist bei 25° C. bereits doppelt so groß, bei 46° das dreifache von der bei 0°; überhaupt nimmt sie mit der Temperatur in demselben Maße zu, wie die Geschwindigkeit der Filtration durch gläserne Capillarröhren od. auch durch thierische Membranen. Über den Grund der E. sind verschiedene Theorien aufgestellt worden. Nach Liebig ist er im Zusammenwirken zweier Umstände zu suchen: in dem verschiedenen Absorptionsvermögen der porösen Wand gegen verschiedene Flüssigkeiten u. in der Fähigkeit der beiden Flüssigkeiten sich zu mischen. Darnach können 100 Gewichtstheile Ochsenblase in 24 Stunden 268 Vol. reines Wasser, 133 gesättigte Kochsalzlösung, 17 Knochenöl aufnehmen. Wegen dieses überwiegenden Absorptionsvermögens gegen Wasser wird aus einem Stück mit Öl getränkter Blase, das man mit reinem Wasser bedeckt, das Öl alsbald vertrieben, u. die Blase saugt sich voll Wasser; während im Gegentheil mit Wasser getränkte Blase dem Ole bis zu einem bedeutenden Drucke den Durchgang verschließt. Tränkt man nun eine Blase mit Kochsalzlösung, so würde auch diese durch reines Wasser, welches die Blase bedeckt, völlig ausgetrieben werden, wie das Öl, wenn hier nicht die Fähigkeit der Flüssigkeiten sich zu mischen einen Theil des Salzes nach dem Wasser zöge. Nach Brinke wird die eine der beiden durch die Scheidewand getrennten Flüssigkeiten durch die Substanz der Membran stärker angezogen als die andere u. bildet in den Poren derselben eine Wandschicht, während der mittlere Raum von beiden Flüssigkeiten zu gleichen Theilen erfüllt wird; daher ergießt sich die erstere in reichlicherem Maße auf die andere Seite. Der theilweise Übertritt der gesättigteren Lösung in die verdünntere Flüssigkeit heißt Exosmose. Zeigt sich nun auch die Kraft der E. hinreichend, um die Erscheinungen der Aufsaugung der Flüssigkeiten im Pflanzenorganismus zu erklären, so ist es doch bisher noch allein durch die Lebensthätigkeit der Pflanze erklärlich geblieben, wie bei der Nahrungsaufnahme eine Auswahl von Nahrungsstoffen Statt finden kann, so daß eine Pflanze mehr Kalk, eine andere mehr Kochsalz, die dritte mehr Salpeter aufnimmt, Der Exosmose entsprechend ist mit der Aufsaugung der Flüssigkeit durch die Wurzel auch ein Ausstoßen gewisser Substanzen, die theils wässerig, theils schleimig sind, verbunden. Vgl. Liebig, Untersuchungen über einige Ursachen der Säftebewegung im thierischen Organismus, Braunschweig 1848. Über die elektrische od. galvanische E. haben Napiers Versuche gezeigt, daß ein Strom positiver Elektricität, der durch eine Flüssigkeit geht, immer von einem Strome der Flüssigkeit in demselben Sinne begleitet ist, u. zwar so, daß sich die Transportation aus der Zelle der positiven Elektrode in die der negativen zunächst auf die in dem Wasser aufgelösten Salze u. Säuren beschränkt u. erst, wenn solche nicht in dem Wasser enthalten sind, od. zur Leitung der von der Batterie entwickelten Elektricitätsmenge nicht hinreichen, auch auf das Wasser sich ausdehnt. Nach Wiedemanns genauen Untersuchungen findet sie auch bei völliger Gleichheit der durch die poröse Scheidewand getrennten Flüssigkeiten statt, hat also nichts mit der E. zu thun, u. ist, unabhängig von der Oberflächengröße der Scheidewand, der Stromstärke direct proportional. Diese rein mechanische Wirkung der elektrischen Spannung, bestehend in einer Fortschiebung unzersetzter flüssiger Masse ist nicht zu verwechseln mit der von Hittorf u. Wiedemann untersuchten elektrolytischen Wanderung, bei welcher die Bestandtheile elektrisch-zersetzbarer Verbindungen sich in ungleichem Verhältniß zu den verschiedenen Polen bewegen. In das Gebiet der E. gehören noch die Beobachtungen, welche man über das Gesetz gemacht hat, nach welchem die verschiedenen Gase durch eine poros. Scheidewand in den leeren Raum ausströmen (Effusion), od. mit einem anderen jenseit der Wand befindlichen Gase einen Austausch eingehen (Diffusion), u. es lautet hierüber das Grahamsche Gesetz also, daß die Dauer des Ausströmens gleicher Volumina in beiden Fällen den Quadratwurzeln der Dichtigkeiten proportional sind. Auch die Erscheinung der Diffusion gewinnt für das Pflanzenleben insofern Bedeutung, als die Pflanzenepidermis den Gasen die Diffusion gestattet, wie jeder andere poröse Körper, u. daher die sogenannte Athmung der Pflanzen vermittelt. Läßt man verschiedene Gase durch eine Capillarröhre in den leeren Raum ausströmen, so steht die Schnelligkeit, mit welcher dies geschieht, bei kurzen Röhren mit dem Gesetze der Effusion in genauem Zusammenhange; verlängert man aber die Röhre allmälig, so vermehrt sich der Widerstand, u. die Schnelligkeit des Ausströmens nimmt sehr schnell ab, steht aber schließlich zu der Länge der Röhre in einem bestimmten, für verschiedene Gase verschiedenen Verhältnisse, welches von einer neuen u. besonderen Eigenschaft der Gase (Transspirabilität) abhängt. So ist z.B. die Schnelligkeit des Ausströmens beim Wasserstoff genau das Doppelte von der beim Stickstoff, da doch das Verhältniß ihrer Dichtigkeiten wie 1 : 14 ist. Andere Resultate von Grahams Untersuchungen sind noch: die Schnelligkeit des Ausströmens gleicher Luftvolumina von gleicher Temperatur, aber verschiedener Dichtigkeit ist der letzten proportional. Sie wird durch die Wärme vermindert. Es steht also das Ausströmen in directem Verhältnisse zu der Dichtigkeit, sei nun die Zunahme derselben Folge des Druckes od. der Kälte.[692]

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 5. Altenburg 1858, S. 691-693.
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