Hestia

[341] Hestia, 1) bei den Römern Vesta, die jüngste von allen olympischen Gottheiten, welche Homer noch nicht kannte, Tochter des Kronos u. der Rhea, wurde von ihrem Vater verschlungen, aber durch die List der Rhea wieder gerettet; weil sie unter ihren Geschwistern zuerst verschlungen u. zuletzt wieder herausgegeben wurde, heißt sie die älteste u. jüngste Tochter des Kronos. H. schließt das Zwölfgöttersystem, sie bedeutet die festgegründete Erde, welche die Alten für das einzig Feste in der Welt hielten, u. das ätherische Feuer des Himmels, welches Prometheus auf die Erde herabgebracht hatte, u. war den Griechen ein Symbol der unerschütterlichen Weltordnung, deren Basis die Erde u. deren höheres Leben der reine Himmel mit den Göttern ist. Deßhalb wurde sie auch immer jungfräulich u. rein gedacht. Apollon u. Poseidon hatten nm sie geworben, allein sie verweigerte die Vermählung u. blieb ewig Jungfrau. Als sie einst Priapos, während sie schlief, genießen wollte, weckte das Schreien eines Esels sie auf; aus Dankbarkeit wählte sie den Esel als ihr geliebtes Thier. Sie war auch Sinnbild der festen Ansiedelung, bürgerlicher Eintracht u. des häuslichen, dem Himmel entstammenden Feuers; ihr war in jedem Hause der Herd heilig, auf welchem ein immerwährendes Feuer erhalten wurde, u. da der Herd der geheiligte u. unentbehrliche Theil des Hauses war, so wurde auch das ganze Haus der H. geheiligt, auch die Städte waren ihrem Schutze anvertraut. Die Joner scheinen den Hestiadienst bes. ausgebildet zu haben; der ganze athenische Staat hatte seinen religiösen Mittelpunkt in der gemeinschaftlichen H. im Prytaneum zu Athen, wo ihr ein ewiges Feuer brannte. Auch in dem übrigen Griechenland gab es solche heilige Feuer der H. in den Prytancen (daher ihr Beiname Prytanitis), so in Sparta, Tegea, auf Delos, zu Olympia, Delphi. Der [341] Cultus der H. war sehr einfach; der Herd (Famimienherd u. Opferherd) mit dem brennenden Feuer ihr Symbol. Den Cultus besorgten im Hause der Hallsvater, im Prytaneum der König, später die. Prytanen; in Athen auch Priesterinnen (Hestiădes), welche Wittwen waren, die dem Ehestande ferner entsagt hatten. Geopfert wurden der H. grüne Gräser, junge Saat, Erstlinge der Früchte, Spenden von Wasser, Wein u. Öl, einjährige Kühe. Bei größeren Opfern begann u. schloß man gewöhnlich mit einer Spende an die H. Alles Wichtige, was für die Familie beschlossen wurde, wurde mit Opfer u. Gebet zur H. angefangen u. vollbracht. Ihre Tempel (Hestiäa), deren sie nur wenige hatte, da in jedem Hause ihr geopfert wurde, waren rund gebaut, mit Säulengängen umgeben u. von einer Kuppel bedeckt; in der Mitte derselben brannte die heilige Flamme. Berühmte Statuen der H. befanden sich im Prytaneum zu Athen, Olympia, Paros; sie wurde gewöhnlich sitzend od. ruhig dastehend dargestellt; so hatte sie Skopas abgebildet sitzend zwischen zwei Spitzsäulen als Symbolen des Wendekreises der Sonne. Die berühmteste der jetzt noch vorhandenen Statuen ist die sogenannte Giustinianische Vesta, die ganze Gestalt bekleidet mit ernsten Mienen, das Haar schmucklos, Hinterhaupt u. Schultern mit einem Schleier bedeckt, die eine Hand in die Seite setzend, mit der andern nach dem Himmel deutend. Höher noch als in Griechenland stand ihr Cultus in Rom, wo sie gemeinsam mit den Laren u. Penaten in jedem Hause verehrt wurde. Nach Italien hatte Äneas ihren Dienst gebracht u. ihr ein Heiligthum in Lavinium errichtet; Numa Pompilius versetzte ihn nach Rom, errichtete ihr zwischen dem Palatinischen u. Capitolinischen Berge einen Tempel, ließ in demselben ein ewiges Feuer unterhalten u. das Palladium u. die Ancilia in demselben aufbewahren. Ihren Dienst besorgten die Vestalinnen (s.d.). Dem Pontifex Maximus lag die Aufsicht über den Dienst ob. Der Dictator, die Consuln u. Prätoren opferten ihr beim Antreten u. Niederlegen ihres Amtes. Augustus errichtete ihr auf dem Palatinischen Berge einen Tempel, welcher den dritten Theil seines Palastes einnahm. Ihr Fest (Vestalien) wurde in Italien am 9. Juni gefeiert; an diesem ließ man die in Mühlen arbeitenden Esel rasten u. führte sie mit Blumen bekränzt u. mit kleinen an eine Schnur gereihten Broden behängt durch die Stadt; 2) Asteroid, wurde am 16. Aug. 1857 von Pogson in Oxford entdeckt; seine mittlere Entfernung von der Sonne beträgt in runder Summe 50,800 Mill. Meilen; seine Umlaufszeit um dieselbe 3 Jahr 300 Tage u. seine Bahn liegt zwischen der der Parthenope u. der der Thetis; sein Zeichen nach Gould ist Hestia.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 8. Altenburg 1859, S. 341-342.
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