[354] Pontĭfex (lat., von ungewisser Bedeutung, nach gemeiner Deutung so v.w. Brückenbauer), 1) im alten Rom ein Mitglied des obersten Priestercollegiums (Collegium pontificum), welchem die Aufsicht u. Verwaltung des gesammten Religionswesens, des Staats- u. Privatcultus zustand. Das Collegium war von Numa Pompilius eingesetzt u. wurde Anfangs von vier Mitgliedern aus den Patriciern gebildet, zu welchen 300 v. Chr. durch die Lex Ogulnia noch vier aus den Plebejern gewählte hinzukamen; Sulla erhöhte die Zahl auf 15, denen Cäsar noch ein supernumeräres Mitglied, die Kaiser aber deren nach Willkür hinzufügten. Ihre Würde war lebenslänglich; gewählt wurden sie Anfangs durch Cooplation, seit 104 v. Chr. nach der Lex Domitia von den Tributcomitien; die von Sulla wieder hergestellte, aber durch die Lex Atia 63 v. Chr. auf Cäsars Betrieb wieder abgeschaffte Cooplation führte Augustus wieder ein. Präsident des Collegiums war seit der Zeit der Republik der P. maxĭmus, einer aus ihrer Zahl, welcher seine Wohnung in der Regia auf dem Forum neben dem Vestatempel hatte, wo auch die Versammlungen des Collegiums stattfanden, u. sich nicht weit von Rom entfernen u. Italien nicht verlassen durfte. Seit Augustus übernahmen, wie schon zur Zeit der Könige diese die Würde des P. maximus bekleidet hatten, die Kaiser diese Würde wieder, in welcher sie sich in ihrer Abwesenheit seit 155 n.Chr. durch einen jährlich gewählten Promagister vertreten ließen, bis Kaiser Gratianus 382 sie ganz aufgab. An der Stelle des früheren einen Secretärs (Scriba pontificis) kommen später mehre Gehülfen als Pontifĭces minōres vor, welche zwar für sich ein Collegium bildeten, aber auch an den Berathungen des Hauptcollegiums theilnahmen. Im Gegensatz dazu hießen seit dem 3. Jahrh. n.Chr. Pontifices majōres od. P. Vestae die alten Pontifices gegenüber den vom Kaiser Aurelianus eingesetzten Pontifices Solis. Die Pontifices trugen als Amtstracht ein weißes Kleid mit Purpursaum u. bei priesterlichen Functionen ein eigenes Schöpfgefäß (Simpulum), eigene Opferschale (Culullus) u. eigenes Opfermesser Secespita), u. unter ihren Dienern (Apparitores) waren die Fictores, Bereiter der Opferkuchen. Zu ihren Functionen gehörte vornehmlich die Leitung des Vestacultus, daher sie allein neben den Vestalinnen das Heiligthum des Vestatempels betreten durften; dann brachten sie die Opfer der Acca Larentia, Angerona, dem Äneas Indiges, der Diana von Aricia, der Carmenta, den Manen der lebendig begrabenen Vestalinnen u. der Dea Carnea, u. feierten die Opeconsivia, Ambarvalia, Fordicalla, Poplifugia, bes. vollzogen sie die Sühnopfer der Argei (s.d. 2). Außerdem aber bildeten sie den Mittelpunkt des römischen Staatscultus: in der Regia lagen unter der Aufsicht des P. maximus die von demselben redigirten Annales maximi, die auf religiöse Ereignisse bezüglichen Jahresberichte; die Leges regiae, die ältesten Gewohnheitsrechte religiösen Inhalts; die Libri pontificii (L. pontificales), die Ritualbücher des Gottesdienstes, zu welchen die Indigitamenta, ein Verzeichniß der Dii patrii mit Anweisung zu deren Anrufung, gehörten; die Commentarii pontificum, die Protokolle über die Verhandlungen des Collegiums mit den Entscheidungen in Religionssachen. Indem so die Pontifices die Inhaber dieser Urkunden als der Quelle des Jus divinum u. mit der Fortsetzung derselben betraut waren, besaßen sie allein das Wissen in allen göttlichen Dingen, u. ihre Thätigkeit erstreckte sich demnach auf alle religiösen Staats- u. Privatangelegenheiten, sowie auf die Aufrechterhaltung des gesammten Gottesdienstes. A) In Beziehung auf Staatsangelegenheiten gehörte zu ihrem Resort: a) die Besorgung gewisser heiliger Handlungen, u. zwar der Dienst der Penates u. Lares publici nebst dem der Dii patrii, der Schutzgötter des Staates (ursprünglich des Janus, Jupiter, Mars u. Quirinus); ferner mußte der P. maximus bei öffentlichen Gebeten (Vota) die Formeln vorsagen u. sich bei der Procuration der Prodigien (s.d.), so wie bei regelmäßigen öffentlichen Opfern u. Spielen betheiligen; b) die Weihe heiliger Gegenstände; dazu gehörte die Dedication u. Consecration öffentlicher Heiligthümer, als Tempel, Statuen u. zum heiligen Gebrauch bestimmter Gefäße, die Consecrirung von Personen, die Consecration von Verbrechern u. Sachen, die Devotion, Lösung öffentlicher Gelübde etc.; c) die Ordnung der heiligen Zeiten, in welcher Beziehung sie die Anordnung des Kalenders überhaupt u. des Festkalenders insbesondere überhatten u. die Verletzung der Festtage durch Strafen ahnden konnten. B) Rücksichtlich privatrechtlicher Verhältnisse hatten sie auf die Aufrechterhaltung der Sacra privata in den Familien zu sehen, womit ihr Einfluß bei Eheschließungen, Erbschaften u. Arrogationen (s.d.) zusammenhing; die Kenntniß des Jus divinum lieh ihnen auch die Kenntniß des in jenem wurzelnden Rechtes in weltlichen Dingen, daher sie vor der Gründung der Prätur über die Proceßformeln Rath ertheilten, so wie ihre Responsa eine fortlaufende Überlieferung über die Erklärung der in den Zwölf Tafeln enthaltenen Bestimmungen u. deren Erweiterung durch Anwendung auf Rechtsfälle bildete. C) Als Aufsichtsbehörde über das gesammte Religionswesen des Staates hatte das Collegium, insbesondere der P. maximus, unter sich den Rex sacrorum, die Flamines u. die Vestalinnen, welche auch von ihm gewählt u. in ihr Amt eingeführt wurden u. über welche er allein od. nach Anhörung des Collegiums die Strafgewalt übte. Über die anderen Priester stand ihm nur insofern eine Controle zu, als denselben die Erfüllung allgemeiner Sacralvorschriften oblag. Von Privatfeierlichkeiten machten besondere Culte, zu welchen man durch Gelübde u. Erbschaft eine Verpflichtung übernommen hatte,[354] besondere Ereignisse, welche eine Expiation (s.d.) verlangten, z.B. das Einschlagen des Blitzes, ein in einem Hause verschuldetes Vergehen gegen die Sacralvorschriften, endlich Tod, Begräbniß u. Sühne der Manen die Befragung der Pontifices nöthig. Außerhalb Rom hatten die Pontifices die Genehmigung zur Erhaltung der Sacra municipalia in den italischen Städten zu ertheilen u. die Aufsicht über das Religionswesen in den römischen Colonien, da bei Begründung derselben die römischen Staatssacra mit dahin übergetragen u. dort ebenfalls ein Collegium pontificum eingesetzt wurde. Vgl. Gutherius, De veteri jure pontificio, im 5. Bde. von Grävius Thesaurus antiq. rom.; Hüllmann, Das Jus pontificum der Römer, Brem. 1837. 2) In der Christlichen Kirche so v.w. Priester, bes. Prälat u. namentlich P maximus der Papst; 3) Fratres pontifices (Pontificales), so v.w. Brückenbrüder, s.d.