[68] Irrenanstalten (Irrenhäuser), Aufbewahrungs- u. Heilungsanstalten Geisteskranker. In älterer Zeit war es mehr ein Gegenstand der Rechtswissenschaft, durch Bevormundung der Geistesirren denselben eine Sicherung zu gewähren, als der Staatspolizei, sie in Obhut zu nehmen, indem man dieses lediglich den Familien überließ, od. bei wilden Ausbrüchen sie einsperrte, mit Ketten belegte, durch Furcht vor körperlichen Züchtigungen u. anderen Zwangsmitteln zu bändigen suchte. In neuerer Zeit sind J. mehr ein Gegenstand der Staatsfürsorge geworden u. haben vor der Versorgung in Familien den Vorzug, daß die Irren ärztlich behandelt u. für die Umgebungen, für das öffentliche Leben u. für die Irren selbst größere Sicherheit gewährt wird. Überhaupt hat man in neuester Zeit durch Verbesserung der J. die Ansicht gewonnen, daß die Unheilbarkeit durch zweckmäßige Bewahrung u. Behandlung Geisteskranker bedeutend geringer ausfällt. Die J. sind entweder mit Krankenhäusern in Verbindung befindliche, od., für sich bestehende, öffentliche od. Privatinstitute von Arzten. Nach dem doppelten Zweck der Heilung od. der bloßen Verpflegung hat man selbst besondere Irrenhen- u. Irrenverpflegungshäuser gegründet; wo diese Trennung nicht Statt hat, sind wenigstens die unheilbaren Kranken von den heilbaren zu trennen, u. auch für Reconvalescenten eigene Abtheilungen zu begründen. Hauptbedingungen ihrer Einrichtung sind ferner, daß die Irren in ihnen als Leidende u. Hülfsbedürftige betrachtet werden, u. Zwangsmittel u. Strafen in ihnen nur in so fern in Anwendung kommen, als diese auch bei der frühesten Kindererziehung nicht zu umgehen sind, aber auch dann nur immer auf die mildeste u. schonendste Weise; daß die Anstalt unter Leitung eines Arztes stehe, welcher als Irrenarzt die psychische Krankenheilung sich zum einzigen Lebensberuf gewählt hat u. seinem Geschäft erfahrungsmäßig genügt; daß auch zu Aufsehern u. Aufwärtern tüchtige Personen angestellt werden, welche sich in den Zustand der Irren fügen, ihnen zu rechter Zeit nachgeben, dagegen aber, wo es gilt, ihnen zu imponiren u. sich im Ansehen zu behaupten wissen; daß es der Anstalt weder an freien Hof- u. Gartenplätzen, noch an Anlagen zu Vergnügungen im Freien, z.B. einer Kegelbahn, fehle, wo die Irren sich nach Bedürfniß aufhalten, beschäftigen u. unterhalten können; daß überhaupt eine strenge Tages- u. häusliche Ordnung in Allem herrsche, auch die Irren selbst zu einer ihnen angemessenen steten Beschäftigung angehalten werden, da dieses am meisten zum Wiederzurechtfinden des irren Geistes beiträgt; daß die Anstalt keiner der Heilapparate, Bäder der verschiedensten Art etc., ermangele, welche zur Wiederherstellung, od. zur Besserung der Irren beitragen; daß durch eine strenge häusliche Polizei die Gemeinschaft mit Anderen außer dem Hause beschränkt, dagegen aber auch der Gefahr vorgebeugt werde, daß die Irrer dem Despotismus der Vorsteher der Anstalt unterliegen; daß eine strenge Controle derselben seitens höherer Beamte nicht fehle, welche allen Mißbräuchen vorbeugt. Die bedeutendsten u. zweckentsprechendsten Anstalten dieser Art haben Belgien, Schottland, England, Frankreich u. Deutschland aufzuweisen. Belgien allein hat 37 solche J. (bes. in Gent, Brügge, Guislain u. Crommelinck) u. auch das eigenthümliche Institut einer Irrencolonie zu Gheel bei Amsterdam, wo die Irren unter die Einwohner zur Pflege vertheilt sind. Holland hat eine große Anstalt bei Haarlem. England hat schon seit 1247 die J. Bedlam in London; ferner das 1751 gegründete St. Lukas Hospital daselbst, die Anstalt Hanwell, 2 Meilen von London, das Irrenhaus Wakefield etc. Frankreichs berühmteste Anstalten sind die Salpetrière, nur für Frauen; ferner Bicêtre bei Paris, Charenton, 2 Stunden von Paris; die größte Privatanstalt Vanves, von Falret u. Voisin gegründet; Mitiviés Privatanstalt Ivry. In Deutschland: der Narrenthurm in Wien, besteht aus mehren Abtheilungen (eigentlicher Narrenthurm, Lazareth u. sogen. Dreiguldenstock), deren Einrichtung verschieden ist, die Privatanstalt Görgens in Oberdöbling bei Wien; Petzels Privatanstalt in der Alservorstadt Wiens; die J. in Prag gilt als die beste Deutschlands; die Landesirrenanstalt zu Hall in Tyrol. J. im Königreich Sachsen sind für Unheilbare auf dem Sonnenstein bei Pirna; in Colditz u. in den Privatanstalten zu Hubertusburg, zu Wackerbartsruhe u. zu Stötteritz. In Preußen hat Berlin keine eigene J., sondern für Irre besteht eine Abtheilung in der Charité; besondere Anstalten sind in Halle, Sorau in Brandenburg, Leubus in Schlesien, Marsburg in Westfalen, Siegburg in der Rheinprovinz, Irrsee in Baiern, Illenau u. Achern in Baden, Winnenthal in Württemberg, Hofheim im Großherzogthum Hessen, Eberbach in Nassau, Hildesheim in Hannover, Roda im Herzogthum Altenburg[68] (zugleich für die Reußischen Lande), Saxenberg in Mecklenburg; in der Schweiz zu Avenches bei Lausanne; in Italien zu Aversa bei Neapel. Vgl. Roller, Die J., Karlsr. 1831; Jacobi, Über die Anlegung u. Einrichtung von J., Berl. 1834; Damerow, Die relative Verbindung der Irrenheil- u. Verpflegungsanstalten, Lpz. 1840; Lähr, Über Irrsein u. J., Halle 1852.