Amsterdam [1]

[436] Amsterdam, 1) Bezirk der niederländischen Provinz Nordholland, hat 6 Cantone, hier 2) (Amstelodamum) Hauptstadt des Königreichs der Niederlande, auf Sumpfboden halbmondförmig um das Y, in das hier die Amstel fließt u. der große Nordholländische Kanal ausgeht, gebaut, auf der Landseite mit einem, mit Ulmenalleen bepflanzten u. mit Gartenanlagen bedeckten Wall von 26 Bastions nebst nassem Graben u. vielen Windmühlen umgeben, enthält 26,300 meist auf, in Torfboden bis 40 F. tief eingerammten Pfählen ruhende Häuser, hat seit 1854 durch eine Wasserleitung aus den Dünen bei Haarlem Trinkwasser. Behörden: Tribunal 1. Instanz, Handelsgericht, Friedensgericht, das Seedepartement des Zuydersees, Nationalbank, Reichscassier, Handelskammer etc. Der Stadt steht 1 Bürgermeister u. 36 Gemeinderäthe vor, sie sendet 5 Deputirte zu den Provinzialstaaten. Von 12 öffentlichen Plätzen sind der Damm, der neue Markt u. der Botermark die schönsten; unter den mit Klinkerts (kleinen Backsteinen) gepflasterten, durch Gasbeleuchtung erhellten Straßen die Herren-, Kaiser- u. Prinzengracht, die Kalverstraße u. Nieuwendyk hat die meisten Waarenniederlagen. Viele, im Sommer zuweilen übel dunstende Kanäle (Grachten) ziehen in halbmondförmigen, immer excentrischer werdenden Bogen durch ganz A., sie haben meist an den Seiten Straßen u. Baumreihen, bilden gegen 90 Inseln u. über sie gehen 290 Brücken. Über die Amstel führt eine 360 Schritte lange Brücke (Hooge Sluys) von 35 Bogen (deren 11 Schiffe durchlassen); über das Y, wo es am schmälsten ist, geht aber jede halbe Stunde ein Dampfschiff von Schaufelrädern getrieben als fliegende Brücke. Kirchen sind hier 52, darunter 15 der Reformirten (wovon 2 französische u. 2 englische), 3 der Lutheraner, 1 der Presbyterianer, 21[436] der Katholiken, 1 der Remonstranten, 2 der Jansenisten, 1 der Griechen, 2 der Wiedertäufer, darunter die alte Kirche der Reformirten mit 42 Säulen, schönen Glasmalereien, 2 Orgeln, Glockenspiel (36 Glocken) u. Denkmälern verschiedener Seehelden, z.B. Heemskerks, die neue (Katharinen-) Kirche, auf 6044 Pfählen, mit Ruyters, Ventinks, Vondels u. van Speyks Grabmälern; die Westkirche mit 299 Fuß hohem Thurme; in diesen Kirchen wird in 6 verschiedenen Sprachen gepredigt. Ferner gibt es 5 Synagogen, darunter eine deutsche u. eine portugiesische. Merkwürdige Gebäude sind: königliche Residenz (ehedem Stadthaus), 282 Fuß lang, 235 breit, 116 hoch, ohne den Thurm, auf 13,659 Masten ruhend, von Quadern erbaut, die neue 1845 erbaute Börse, im Innern ein mit Hallen umgebener Hof; das Rathhaus (sonst Prinzenhof), das Admiralitätsgebäude, das Admiralitätsmagazin mit Schiffswerften u. Zeughause auf der Insel Kattenburg; die große Kaserne, die Seeschule, die Gebäude der ehemaligen ostindischen Compagnie, 220 Fuß lang, 200 Fuß breit, das 1856 vollendete neuerbaute Postcomptoir, der Gerichtshof, das Museum mit 462 trefflichen Gemälden aus der niederländischen Schule, das der Stadt. vermachte Cabinet von van der Hoop, die Kunstakademie, Arti et Amicit iae. Wissenschaftliche Anstalten: königliche Akademie der Wissenschaften u. schönen Künste, Thiergarten (Artis natura magistra), Botanischer Garten, Seecadettenschule, Zéemanshoop (ähnlich dem Lloyd), Medicinische, Ackerbaugesellschaft, die 1777 von W. M. Writs gestiftete Akademie Felix meritis (zum Unterricht in Philosophie, Mathematik u. a., auch mit physikalischen Sammlungen, Abgüssen u. Sternwarte), Athenäum, mehrere Seminarien, Gymnasien, Bibliotheken. Wohlthätigkeitsanstalten: das reformirte Männer- u. Frauenhaus, 360 Fuß lang, 230 Fuß breit, für 600 Personen, mehrere Waisenhäuser für mehr als 4500 Kinder, mehrere Krankenhäuser, worunter das Pesthaus, für unheilbare Kranke, Blindenanstalt u. m. a., ferner die Gesellschaft zum allgemeinen Nutzen (tot nut van t'algemeen), mit mehreren Töchtergesellschaften, die Gesellschaft Zeemanshoop (Seemannshoffnung), ein Verein zur Unterstützung alter gedienter Seeleute u. deren Wittwen u. unmündige Kinder (seit 1822), ein Verein zur moralischen Erhebung u. Unterstützung der dienenden Klasse (seit 1845) u. v. a. Freimaurerlogen: Provinziallogen La bien aimé, Concordia vincit animos, La charité, La Paix, Willem Frederic u. noch 4 Logen. Fabriken, deren Anzahl 787 beträgt, finden sich hier fast aller Art, in Tabak, Metallwaaren, Leder, Seide, Tapeten, Wollenzeugen, Porzellan; ferner große Zuckersiedereien, Borax-, Kampfer- u. Garancine-Bereitungen u. vorzüglich Diamantschleifereien, seine wohlriechende Ole; die sehr schönen Schiffswerften beschäftigen gegen 3000 Arbeiter; die Stückgießerei ist bedeutend; die großartigen Fabrikanstalten von v. Vlissingen u. v. Heel, wo Dampfschiffe gebaut, Dampfmaschinen u. andere große Arbeiten in Eisen verfertigt werden, eine ähnliche unter dem Namen de Atlas; viele Druckereien. Zum Vergnügen dienen die Spatziergänge auf den Wällen, der Spatziergang, die Schanze, zwischen der großen Kaserne u. der Amstelbrücke, verschiedene mit schönen Landhäusern besetzte Straßen (Plantage), 5 Theater (die jedoch im Sommer meist nicht spielen), mehrere Kaffeehäuser, so das am Y, das Café-Restaurant, Café des mille colonnes etc.; ferner auch viele Spielhäuser, die aber meist zugleich Bordels sind; der zoologische Garten Artis natura magistra mit herrlichen Anlagen, welcher zugleich als Vergnügungsort benutzt wird u. wo im Sommer wöchentlich Concerte gegeben werden; der große Saal im Park, wo das ganze Jahr durch am Sonntag Vormittag Musik, ferner Ausstellungen u. Feste aller Art gegeben werden; Fransche Tuin, Gartenanlagen, wo ebenfalls wöchentlich Concerte gegeben werden. Der Handel hat sich seit der Trennung Hollands von Belgien mehr u. mehr ausgedehnt, u. A. ist jetzt der Hauptmarkt der Colonialproducte, so daß sich die übrigen Märkte nach den Preisen der großen Auctionen richten, welche jährlich zweimal durch die Handel-Maat'chappij, deren Sitz hier ist, richten. Der Hafen, der 1000 Schiffe fassen kann, ist seewärts durch Pallisaden u. bei Nacht die Einfahrt durch einen Baum geschlossen, die Anzahl der ein- u. auslaufenden Schiffe beträgt 2000–2500. Am 3. December 1843 wurden die ersten Eisenbahnen in den Niederlanden von A. nach Utrechtn. Haag dem öffentlichen Verkehr übergeben. Die Zahl der Einwohner ist 255,400, darunter 125,000 Reformirte, 55,000 Katholiken (mit Bischof), 35,000 Lutheraner, 27,000 Juden etc. – A. entstand durch Fischer, die sich auf dem Damme der Amstel (daher der Name) ansiedelten. Gisbrecht von Amstel legte im 13. Jahrh. dort eine Burg an; Graf Florens von Holland gestattete A. 1235 Handelsfreiheit durch ganz Holland; 1296 wurde A. von den benachbarten Kennemers zerstört, weil sich Gisbert von Amstel an der Ermordung des Grafen Floris von Holland betheiligt hatte. Nun kam A. an die Grafen von Holland, wurde wieder aufgebaut u. ihre Rechte 1334 vom Graf Wilhelm IV. erneuert. Die Stadt wuchs nun in einem langen Frieden rasch, hatte gegen Ende des 15. Jahrh. schon 2500 Häuser; neue Vergrößerungen fanden 1585 statt, indem die Stadt durch den Aufstand der Niederländer gegen Spanien u. durch den Portugal entrissenen ostindischen Handel, bes. durch die Einnahme von Antwerpen durch die Spanier, ungemein gewann. Wenn auch A-s Handel u. Blüthe in der Mitte des 17. Jahrh., in Folge des Kriegs mit Holland, sehr sank, so erhob es sich doch darnach schnell wieder, u. die im 17. Jahrh. u. zu Anfang des 18. wachsende Macht Hollands, so wie der Tractat, der den Ausfluß der Schelde für Antwerpen sperrte, mehrte den Wohlstand von A. In der Nacht auf den 30. Juni 1650 suchte der Erbstatthalter Wilhelm II. A. vergebens zu überrumpeln, s. Niederlande (Gesch.). 1787 in den Unruhen mit dem Erbstatthalter ergab sich A. an die Preußen, aber seit der Eroberung Hollands durch die Franzosen 1795 u. durch den dadurch eingetretenen Krieg der neuen Batavischen Republik gegen England litt A. aber sehr, bes. seit der Continentalsperre unter Napoleon. Unter König Ludwig von Holland 1805–1808 war A. Residenz u. das Stadthaus Residenzschloß. Im Nov. 1813 verließen die Franzosen A., u. am 16. dieses brach ein Aufstand aus, bei welchem das Zollbureau demolirt u. die Wachthäuser der Zollwächter verbrannt wurden, u. am 24. nahm die Stadt russische Besatzung auf, es ward eine Regierungscommission[437] eingesetzt u. am 2. December zog der Prinz von Oranien ein. Nach der Scheidung von Belgien (1831) hat sich der Handel, welcher seit der Mitte des 18. Jahrh. durch die Blüthe Rotterdams u. Hamburgs gelitten hatte, immer mehr gehoben, wozu die schon früher gegründete Handelmaatschappij wesentlich beigetragen hat, u. wenn auch in Staatspapieren die größten Capitalien umgesetzt werden, so daß bei einer soliden Anleihe od. sonstigen Unternehmen das Geld sich gleich dafür findet, so ist darum der Güterhandel nicht minder wichtig; daß beide Zweige höchst reell betrieben werden, beweisen die höchst seltenen Fallissements.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 1. Altenburg 1857, S. 436-438.
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