Wasserkraft

[903] Wasserkraft, die dem Wasser (als Motor, vgl. Maschine) innewohnende bewegende od. Arbeitskraft. Das Wasser wirkt in den verschiedenen Kraftmaschinen auf sehr verschiedene Weise; am einfachsten durch sein Gewicht, indem es in der Maschine um eine bestimmte Höhe herabsinkt; od. durch Druck, wobei es gewöhnlich zu einer gewissen Höhe (als Wassersäule) über der gedrückten Fläche aufgestaut od. angespannt ist; durch Reaction (s.d. 2); endlich durch die ihm innewohnende, seiner Geschwindigkeit entsprechende lebendige Kraft (d.i. das Product aus Masse u. Quadrat der Geschwindigkeit), indem es mit einer gewissen Geschwindigkeit in die Maschine eintritt u. in dieser theils mit, theils ohne Stoß seine Geschwindigkeit ganz od. theilweise verliert, also seine Leistung an den Receptor absetzt. Jenachdem nun das Wasser in der einen od. andern Weise od. mehre zugleich wirken soll, muß die Kraftmaschine eine verschiedene Einrichtung erhalten; doch zerfallen die sämmtlichen Kraftmaschinen für W. in zwei große Klassen, in Radmaschinen od. Wasserräder (s. d) u. in Kolbenmaschinen od. Wassersäulenmaschinen (s.d.). In allen Fällen aber muß die Größe einer W. der vorhandenen, in einer bestimmten Zeit verfügbaren od. auszunutzenden Wassermenge proportional sein, weil jedes einzelne Wassertheilchen eine besondere Wirkung ausüben kann, wenn es nur in entsprechender Weise zur Wirkung gelangt. Außer der Wassermenge ist aber bei der Wirkung durch Gewicht, Druck od. Reaction noch das Gefälle (d.h. die Höhe des Herabsinkens od. die Höhe der wirksamen Wassersäule) von Einfluß auf die Größe der W.; denn der Druck u. die Reaction wachsen mit der vorhandenen Druckhöhe, u. rücksichtlich der Wirkung durch das Gewicht ist die mechanische Leistung immer das Product aus Kraft u.Weg, hier also aus Gewicht u. Gefälle. Wirkt endlich das Wasser durch Absetzung seiner lebendigen Kraft, so wächst die Leistung mit dem Quadrate der Geschwindigkeit. Ist nun Q die Wassermenge für 1 Secunde, G, M u. C deren Masse, Gewicht u. Geschwindigkeit, g die Beschleunigung beim freien Fall (= 31,25 preuß. Fuß) u. γ das Gewicht eines Cubikfußes Wasser (= 61,74 Zollpfund), so ist G = Q · γ u. M = G/g; da nun die Leistung L der halben lebendigen Kraft MC2 gleich ist, so ergibt sich im letztern Falle als Leistung der W. für 1 Secunde:

Wasserkraft

wobei

Wasserkraft

die der Wassergeschwindigkeit C entsprechende Geschwindigkeitshöhe bedeutet, d.h. die Höhe, von welcher ein Körper frei herabfallen müßte, um die Geschwindigkeit C zu erlangen. Die Formel L = GH = QγH gilt auch für die Leistung durch Gewicht, Druck od. Reaction, nur bedeutet H dann das vorhandene Gefälle; drückt nämlich das Wasser auf eine Fläche F, z.B. auf einen Kolben, u. schiebt diesen in 1 Secunde um h fort, so ist der Wasserdruck (s.d.) D = FHγ, die verbrauchte Wassermenge Q = Fh, folglich die Leistung L = Dh = Ehγh = QγH. Über die Messung von Q, H u. C s.u. Wassermessen. Die Größe einer W. od. daß Arbeitsvermögen des Wassers (die disponible mechanische Leistung, der absolute od. disponible Effect) kann von keiner Kraftmaschine ganz aufgenommen od. ausgenutzt werden, vielmehr vermag die Kraftmaschine stets nur einen Theil dieses Arbeitsvermögens aufzunehmen u. auf die Transmission od. Arbeitsmaschine zu übertragen (vgl. Maschine); die Ursache davon liegt darin, daß oft nicht alles Wasser zur Wirkung od. doch nicht zur vollen Wirkung gelangt, daß meist ein Theil vom Gefälle verloren geht; daß ferner das Wasser beim Austritt aus der Kraftmaschine noch ein gewisses Arbeitsvermögen besitzt, welches erst beim Austritt od, zur Abführung desselben verwendet wird; daß endlich verschiedene Bewegungshindernisse, namentlich Reibung, Geschwindigkeitsverluste beim Durchgange durch Röhren etc., in der Kraftmaschine vorhanden sind u. einen Theil des Arbeitsvermögens verzehren. Wenn man die von der Kraftmaschine auf die Transmission übertragene Leistung (die Nutzleistung od. effective Leistung) durch das vorhandene Arbeitsvermögen L = QHγ dividirt, so findet man den Wirkungsgrad der Kraftmaschine.

A) Die oberschlächtigen Wasserräder kommen bei 8–50 Fuß Gefälle u. 3–25 Cubikfuß Aufschlagwasser für 1 Secunde vor; dem kleinsten Gefälle u. der kleinsten Wassermenge entspricht eine Leistung von 3–5, dem größten Gefälle u. der größten Wassermenge eine Leistung von 130 Pferdekräften; doch wendet man bei Leistungen über 80 Pferdekräfte lieber zwei als ein Rad an, weil eins zu schwerfällig wird. Leistungsverluste entstehen bei der Zuführung u. beim Eintritt des Wassers in die Zellen, bes. wenn das Wasser gegen die Schaufeln stößt, beim Austritt durch zu frühes Ausfließen aus den Zellen durch die Zapfenreibung. Läßt man das Wasser ohne Stoß in die Zellen eintreten, so geht bei der Zuführung des Wassers nur der Theil des Gefälles verloren, durch welchen dem Wasser die der Radumfangsgeschwindigkeit gleiche Eintrittsgeschwindigkeit ertheilt wird. Der Wirkungsgrad ist bei 24 bis 40 Fuß Gefälle 0,70 bis 0,80 u. mehr, bei 8 bis 16 Fuß Gefälle nur 0,50 bis 0,60 u. selbst noch weniger. Die meisten u. ausführlichsten Versuche über Wasserräder hat Morin angestellt. B) Der Wirkungsgrad rückenschlächtiger Räder ist unter übrigens gleichen Umständen dem der oberschlächtigen gleich, oft wegen der zweckmäßigern Wassereinführung sogar größer. Diese Räder kommen bei 8–25 Fuß Gefälle u. 10–45 Cubikfuß Wasser vor. C) Mittelschlächtige [903] Räder kommen bei 5–15 Fuß Gefälle u. 5–80 Cubikfuß Wasser in Anwendung. Die Leistung der Kropfräder zerfällt in eine Stoß- u. eine Druckleistung; der Arbeitsverlust in Folge des Entweichens des Wassers durch den Spielraum zwischen Rad u. Kropf ist rücksichtlich der Stoßwirkung unbedeutend, da der eintretende Wasserstrahl den Spielraum nicht unmittelbar trifft, dagegen findet dieser Arbeitsverlust bei der Druckleistung ununterbrochen statt; auch sind noch einige andere Arbeitsverluste vorhanden. Ist v die Umfangsgeschwindigkeit des Rades im Theilkreise u. fließt das Wasser mit der Geschwindigkeit c unter dem Winkel w gegen v in das Rad ein, so ist die Stoßleistung =

Wasserkraft

da das Wasser noch die Geschwindigkeit v behält (vgl. Wasserstoß), u. zwar wählt man meist c cos. w = 2v; liegt nun der Eintrittspunkt des Wassers um h über dem Unterwasserspiegel, so ist unter Vernachlässigung der Arbeitsverluste die Leistung

Wasserkraft

Unter Zugrundelegung dieser Formel fand Morin den Wirkungsgrad 0,75 bis 0,81; mit Berücksichtigung der Reibung dagegen ist in Bezug auf den absoluten Effect der Wirkungsgrad 0,54 bis 0,70, zum Theil noch geringer, D) Bei unterschlächtigen Kropfrädern ist die Leistung geringer, als bei den mittelschlächtigen, weil hier die Stoßwirkung vorwiegt. Morin fand als Leistung

Wasserkraft

u. den Wirkungsgrad 0,3 bis 0,4. Für die unterschlächtigen Räder im Schnurgerinne ergaben die Versuche von Smeaton (Recherches experim. sur l'eau et le vent) u. Bossut an Modellen die Leistungsformel

Wasserkraft

das günstigste Verhältniß ist v = 0,4c u. der Wirkungsgrad unter Abrechnung des Wasserverlustes dann 0,3 bis 0,4. Bei den freihängenden Rädern läßt sich die Leistung nach der Formel

Wasserkraft

finden, worin A = 0,85 bis 0,71 ist u. F den Flächeninhalt des eingetauchten Theils einer Schaufel bedeutet; am günstigsten ist wieder v = 0,4c u. der Wirkungsgrad 0,2 bis 0,3. Beim Poncelet-Rad ist der Wirkungsgrad 0,5 bis 0,6. E) Bei Stoßturbinen ist der Wirkungsgrad etwa 0,2 bis 0,4. F) Unter den Reactionsturbinen haben die älteren Reactionsräder einen sehr kleinen Wirkungsgrad (0,2 u. darunter); über die Leistung solcher Räder vgl. Weisbach, Versuch über die Leistung eines einfachen Reactionsrades. Bei den Reactionsturbinen ohne Leitschaufeln (von Whitelaw, Combes. Cadiat) fließt das Wasser aus der Einfallsröhre einfach radial aus, bei denen mit Leitschaufeln in krummen Kanälen. Die Theorie dieser Turbinen ist sehr verwickelt. Die Turbinen von Fourneyron u. Cadiat eignen sich vorzüglich für Gefälle unter 30 F. u. große Wassermengen; die Schottischen Turbinen für hohe Gefälle u. kleine Wassermengen. Gute Turbinen geben den Wirkungsgrad 0,7 bis 0,8. G) Druckturbinen. Der Wirkungsgrad der Kufenräder ist 0,15 bis 0,3. Die horizontalen Burdinschen Turbinen haben 0,67 Wirkungsgrad, die verticalen nehmen fast das ganze Arbeitsvermögen auf Der Wirkungsgrad der Tangentialräder steigt bis 0,70–0,75. Die Theorie der Henschelschen, Fontaineschen u. Jonvalschen Turbinen ist ziemlich verwickelt; Verluste treten auf im Leitschaufelapparate, in den Kanälen, zur Erzeugung der Austrittgeschwindigkeit; der Wirkungsgrad der Fontaineschen ist dem der Fourneyronschen Turbine unter denselben Umständen etwa gleich. Bei der Fontaineschen u. Fourneyronschen Turbine ist übrigens der Wirkungsgrad bei dem höchsten Schützenstande am größten; dagegen ist auf den Wirkungsgrad eine Änderung der Druckhöhe von geringerem Einfluß, als eine Änderung der Aufschlagmenge Ebenso günstig sind die Versuche über die Leistung der Ionvalschen Turbine ausgefallen; ihr Wirkungsgrad ist 0,72 bis 0,81. Die Schraubenturbine zeigte den Wirkungsgrad 0,70. H) Auch für die Wassersäulenmaschinen ist das Arbeitsvermögen des Wassers L = QHγ, wenn das Gefälle H vom Wasserspiegel des Einfallkastens bis zum Wasserspiegel des Ausgußkastens gemessen ist. Unter den Widerständen ist hier bes. die Kolbenreibung u. die Reibung des Wassers in den Einfall- u. Ausgußröhren u. in den Hähnen od. Ventilen; weitere Leistungsverluste rühren davon her, daß zur Erzeugung der Geschwindigkeit der Wassersäule nach jedem Spiel ein Theil der Druckhöhe verbraucht wird, daß zur Bewegung der Steuerung eine gewisse Wassermenge erforderlich ist. Über den Wirkungsgrad der Wassersäulenmaschinen liegen keine erschöpfenden Versuche vor; wahrscheinlich ist ihr Wirkungsgrad 0,84. Die Wassersäulenmaschinen sind den oberschlächtigen Wasserrädern bei Gefällen über 100 Fuß vorzuziehen.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 18. Altenburg 1864, S. 903-904.
Lizenz:
Faksimiles:
903 | 904
Kategorien:

Buchempfehlung

Lessing, Gotthold Ephraim

Philotas. Ein Trauerspiel

Philotas. Ein Trauerspiel

Der junge Königssohn Philotas gerät während seines ersten militärischen Einsatzes in Gefangenschaft und befürchtet, dass er als Geisel seinen Vater erpressbar machen wird und der Krieg damit verloren wäre. Als er erfährt, dass umgekehrt auch Polytimet, der Sohn des feindlichen Königs Aridäus, gefangen genommen wurde, nimmt Philotas sich das Leben, um einen Austausch zu verhindern und seinem Vater den Kriegsgewinn zu ermöglichen. Lessing veröffentlichte das Trauerspiel um den unreifen Helden 1759 anonym.

32 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon