Deutsche Eisenbahnen

[286] Deutsche Eisenbahnen.


Inhaltsübersicht: I. Geschichtliches. II. Der jetzige Stand des deutschen Eisenbahnwesens. A. Länge und Eigentumsverhältnisse. B. Bau und Betrieb. 1. Allgemeines.[286] 2. Bauliche Anlagen. 3. Fahrzeuge. 4. Eisenbahnbetrieb. 5. Eisenbahnunfälle. C. Verkehrs- und Tarifwesen. 1. Allgemeines. 2. Personenverkehr. 3. Güterverkehr. D. Eisenbahnfinanzen. E. Reichsaufsicht und Verwaltung der Eisenbahnen. F. Eisenbahnrecht G. Personal- und Wohlfahrtswesen. H. Verhältnis der Eisenbahnen zur Militärverwaltung, zur Post und zur Zollverwaltung. I. Literatur.


I. Geschichtliches.


Die Anfänge des Eisenbahnwesens bis 1845. Holzbahnen, bei denen sich einfache Wagen mit Rillenrädern auf hölzernen Schienen bewegten, waren in deutschen Bergwerken schon im 16. Jahrhundert in Gebrauch. Als die eigentliche Wiege der Eisenbahnen muß allerdings England bezeichnet werden, doch fanden solche auch in Deutschland früh Eingang. Die erste deutsche Dampfeisenbahn, (Nürnberg-Fürth), ist am 7. Dezember 1835 eröffnet worden, aber schon etwa 20 Jahre vorher hatten sich weitblickende deutsche Männer mit dem Gedanken beschäftigt, dem Eisenbahnwesen in Deutschland Eingang zu verschaffen. Schon im Jahr 1814 befaßte sich der bayerische Oberbergrat v. Baader mit dem Plan einer Pferdebahn von Nürnberg nach Fürth und er konnte sich deshalb mit einem gewissen Recht als den Veteranen des deutschen Eisenbahnwesens bezeichnen. Der kurhessische Oberbergrat Henschel trat 1822 mit dem Gedanken einer Eisenbahn von Frankfurt a. M. nach Bremen hervor, 1824 legte in Braunschweig v. Amsberg, der spätere Begründer der ersten deutschen Staatsbahn, in ausführlicher Denkschrift den Plan einer Verbindung von Braunschweig mit Hannover, Bremen und Hamburg durch eine Pferdebahn dar, in Preußen schlug 1828 der Finanzminister Motz eine Eisenbahn zur Verbindung von Weser und Lippe vor. Allen voran aber ist der geistvolle Friedrich List, geb. 6. August 1779 in Reutlingen, gest. 30. November 1846 in Kufstein, als Apostel des deutschen Eisenbahnwesens zu nennen. Schon 1827 veröffentlichte er Aufsätze über den Nutzen der Eisenbahnen. Seine grundlegende Schrift »Über ein sächsisches Eisenbahnsystem als Grundlage eines allgemeinen deutschen Eisenbahnsystems« erschien 1833, und die dieser Schrift beigegebene Karte zeichnete schon in großen Zügen das Eisenbahnnetz Deutschlands, wie es etwa 20 Jahre später ausgebaut war.

Freilich war in den ersten Jahren des deutschen Eisenbahnwesens an ein einheitliches Vorgehen im Bau der Eisenbahnen bei der staatlichen Zerrissenheit Deutschlands und dem Fehlen einer zusammenfassenden Reichsgewalt nicht zu denken. Einer großzügigen und von einheitlichen Zielen ausgehenden Entwicklung des Eisenbahnnetzes stellten sich vor allem die zahlreichen Landesgrenzen hindernd entgegen, selbst Preußen gelangte von seiner Hauptstadt aus in der Richtung auf West- und Mitteldeutschland schon nach rund 150–200 km an die Grenze anderer Staaten, da die Verbindung mit seinen industriereichen westlichen Provinzen Rheinland und Westfalen nur auf dem Wege durch Braunschweig und Hannover zu erreichen war. Es wurde in jedem Lande so ziemlich auf eigene Faust bis zu den oft recht nahen Grenzen gebaut, und auch die grundlegende Frage, ob der Staat oder eine Vereinigung freier Kräfte in Form einer Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Eisenbahnen am geeignetsten sei, wurde in den verschiedenen Teilen Deutschlands verschieden beantwortet. Die erste deutsche Dampfeisenbahn, die schon erwähnte, nur 6 km lange Ludwigsbahn von Nürnberg nach Fürth, die am 7. Dezember 1835 eröffnet wurde, kam mit mehr wohlwollender als tatkräftiger staatlicher Unterstützung als Privatbahn zu stände, was sie auch bis heute geblieben ist. Ihr folgte in Deutschland, am 24. April 1837, die Bahn von Leipzig nach Althen als Teilstrecke der Leipzig-Dresdener Eisenbahn. Stückweise wurde diese weiter in Betrieb gesetzt, die Schlußstrecke am 7. April 1839, so daß an diesem Tage die Verbindung von Leipzig nach Dresden hergestellt war. Auch diese Bahn war Privatbahn, ihre Eigentümerin die Leipzig-Dresdener Eisenbahn-Kompagnie, die erst im Jahre 1876 mit der Verstaatlichung ihrer Linien aufgelöst wurde und lange Jahre hindurch das einzigartige Privilegium der Ausgabe von Papiergeld besessen hatte. Die Aufbringung der Geldmittel war nur mit kräftiger staatlicher Unterstützung möglich.

In diesen ersten Jahren tauchten nun in Deutschland, angeregt durch Lists feuriges Treiben und die Erfolge der ersten Strecken, überall Eisenbahnpläne auf, so daß die Staatsmänner jener Zeit geradezu über die »tolle Eisenbahnmanie« klagten. In dem größten deutschen Staate, in Preußen, wurde als erste Bahn am 22. September 1838 die der Berlin-Potsdam-Magdeburger Eisenbahngesellschaft gehörige Strecke Berlin-Zehlendorf in Betrieb genommen, am 29. Oktober, die weitere Linie bis Potsdam, bei deren Einweihungsfeier der damalige Kronprinz, spätere König Friedrich Wilhelm IV. die denkwürdigen Worte sprach: »Diesen Karren, der durch die Welt rollt, hält kein Menschenarm mehr auf.« Wenige Wochen später, am 1. Dezember 1838, wurde[287] die erste deutsche Staatsbahn, die Linie Braunschweig-Wolfenbüttel, eröffnet. In Preußen hatte sich in den Jahren der Vorbereitung 1835–1837 der Staat den Eisenbahnunternehmern gegenüber sehr kühl verhalten; den zahlreich auftauchenden Eisenbahnplänen gegenüber sprach im Jahre 1835 der Handelsminister Rother aus, die Staatsregierung habe jetzt noch keine Veranlassung, Eisenbahnen auf eigene Kosten anzulegen, durch Beteiligung zu unterstützen oder ihnen andere namhafte Opfer zu bringen und Vorrechte einzuräumen. Bekannt ist die den Eisenbahnen feindliche Haltung des Generalpostmeisters Nagler, der auf seine schlecht besetzten Postkutschen hinwies und das Postinteresse aufs höchste bedroht glaubte. Auch der geniale Beuth betrachtete die Eisenbahnen noch mißtrauisch, der spätere Finanzminister David Hansemann dagegen sprach sich lebhaft für den Staatsbahnbau aus und warnte davor, den Eisenbahnbau in privilegierte Hände von Privaten zu legen.

Waren bis zum Schluß des Jahres 1838 erst die erwähnten kurzen und vereinzelten Bahnstrecken im Betrieb, denen sich im deutschen Westen als erste Strecke der später so bedeutenden Bergisch-Märkischen Eisenbahngesellschaft die Linie Düsseldorf-Erkrath zugesellte, so folgten bis zur Vollendung des ersten Jahrzehnts (1845) zahlreiche andere Strecken.


Erwähnt sei aus dem Jahre 1839 neben der Vollendung der Leipzig-Dresdener Bahn die Eröffnung der ersten Strecken der Taunusbahn (Frankfurt a.M.-Hattersheim), der Magdeburg-Leipziger (Magdeburg-Kalbe), der Rheinischen Bahn (Köln-Müngersdort) und der Maximiliansbahn (München-Maisach). Das Jahr 1840 sah die Vollendung der Strecken Frankfurt-Wiesbaden, Magdeburg-Leipzig, den Beginn der badischen Staatsbahnen (Mannheim-Heidelberg) und der Berlin-Anhalter Bahn (Cöthen-Dessau-Wittenberg). Bis Ende dieses Jahres waren immerhin 518 km in Betrieb, aber die Größe der zusammenhängenden Strecken war noch gering: Magdeburg-Leipzig-Dresden mit zusammen rund 240 km stand voran, Berlin hatte seine Bahn bis Potsdam, aber keine weitere Verbindung. Erst das Jahr 1841 brachte die Fertigstellung der Linie Berlin-Wittenberg, so daß man nun von Berlin aus, wenn auch auf Umwegen, die Städte auf der Linie von Magdeburg bis Dresden erreichen konnte. Im Jahre 1842 folgten die ersten Bahnen des Ostens: Berlin-Angermünde, Berlin-Frankfurt a. O. und Breslau-Brieg. Hamburg streckte mit der kurzen Bahn nach Bergedorf den Arm zur Verbindung mit Preußens Hauptstadt aus, aber erst 1846 wurde Berlin-Bergedorf fertig.


Alljährlich folgte die Eröffnung zahlreicher weiterer Strecken, die hier nicht einzeln aufgeführt werden können. Nachstehend folgt eine kurze Zusammenfassung der Ergebnisse des deutschen Eisenbahnbaues innerhalb des ersten Jahrzehnts, bis Ende 1845. Das Eisenbahnnetz umfaßte damals 2162 km, freilich fehlte es noch sehr an Geschlossenheit.


Von Berlin konnte man im Norden nur Stettin, im Osten nur Frankfurt a. O., im Süden Dresden, Leipzig, Werdau erreichen. Nach Westen gelangte man von Magdeburg bis Halberstadt, über Oschersleben nach Braunschweig, Harzburg und Hannover. Aber zwischen Frankfurt a. O. und Bunzlau, zwischen Werdau und Nürnberg, Halle und Frankfurt a. M., zwischen Hannover und dem Rheinland klafften große Lücken. Im Südosten bestand nur die Linie Bunzlau-Liegnitz-Breslau-Oppeln- Schwientochlowitz. In Bayern waren außer der Ludwigsbahn Nürnberg-Bamberg, Augsburg-Donauwörth und München-Augsburg fertig. Frankfurt a. M. und Nassau hatte nur die Taunusbahn, Baden die Strecke von Mannheim bis Freiburg, am Rhein war Köln mit Bonn und Aachen, Deutz mit Düsseldorf, Aachen mit Herbesthal, Elberfeld mit Düsseldorf verbunden. In Württemberg eröffneten 1845 die Staatsbahnen ihre erste Strecke von Kannstatt nach Eßlingen. Im Norden war Altona-Kiel und Neumünster-Rendsburg im Betriebe.


Trotz der Lückenhaftigkeit ist doch schon erkennbar, daß ein großes zusammenhängendes Netz im Werden war.

Überblickt man am Schluß des Jahres 1845 den Zustand des deutschen Eisenbahnwesens, so machen sich schon die ersten Anfänge der einigenden und belebenden Kraft bemerkbar, die den Eisenbahnen in Deutschland innewohnte.

Aus der Natur der Eisenbahnen als verbindende Verkehrsmittel folgte die Notwendigkeit des Übergangs der Betriebsmittel von einer Bahn auf die andere und damit die Wahl einer einheitlichen Spurweite. Da die ersten Lokomotiven und Betriebsmittel aus England bezogen werden mußten, und dort im Anschluß an die Spur der Landfuhrwerke von 5' engl. die um die überragende Außenkante der Schienen verringerte Spur von 4' 81/2'' = 1∙435 m allgemein üblich geworden war, so wurde diese von fast allen deutschen Eisenbahnen übernommen. Von Anfang an war ja die Erkenntnis vorhanden, daß die Eisenbahnen alle Landesgrenzen überspringen, die Länder verbinden sollten. Die erste deutsche Bahn, die zu den Grenzen des Auslandes führte, war die 1843 eröffnete Strecke von Aachen bis zur belgischen Grenze bei Herbesthal.

Während die Bahnen in ihren ersten Anfängen hauptsächlich nur dem Personenverkehr dienten, wurde ihre Bedeutung für den Güterverkehr umso wichtiger, je weiter sich die zusammenhängenden Strecken dehnten, je dichter die Maschen des Netzes wurden. Billiger Güterverkehr war bis dorthin nur auf den wenigen schiffbaren Wasserstraßen möglich gewesen: dem Rhein und seinen Nebenflüssen, dann der Weser, der Elbe, allenfalls der Spree und Havel, der Oder und der Weichsel, im Süden der Donau. In der Richtung Ost-West gab es leistungsfähige Wasserstraßen[288] auf längere Strecken überhaupt nicht. Jetzt waren die deutschen Hauptstädte großenteils durch Bahnen miteinander verbunden und es war vorauszusehen, daß binnen weniger Jahre große, zusammenhängende Linien, Ost und West, Süd und Nord miteinander in Schienenschluß gelangen würden. Nun erst ergab sich für die deutschen Binnenländer die Möglichkeit, mit den Häfen an der Nord- und Ostsee die Güter auszutauschen, die an Kohle und Eisen gebundene Industrie konnte ihre Erzeugnisse überallhin entsenden, die getreidereichen Ebenen des Nordens und Ostens konnten ihren Überfluß an die volkreichen Gebiete des Westens und an die Häfen zur Ausfuhr abgeben und dafür andere Güter eintauschen, kurz, es eröffnete sich eine Möglichkeit der Mehrung des Verkehrs, der Erzeugnisse und damit des Wohlstandes, an die man vorher kaum zu denken gewagt hatte.

Der Verkehr war bisher nicht allein wegen des Mangels billiger Verkehrsmittel ganz unentwickelt, vielmehr waren die mit der Zerrissenheit Deutschlands und der Zahl seiner Landesgrenzen zusammenhängenden Zollschranken ebenso hinderlich. Es war ein glückliches Zusammentreffen, daß gerade in den Jahren, in denen das geflügelte Rad seinen Siegeszug antrat, die Empfindung der tiefen Verkehrsnot zum Abschluß der großen deutschen Handelsvereinigung führte, die unter dem Namen des deutschen Zollvereins weltgeschichtliche Bedeutung gewonnen hat. Mit dem letzten Glockenschlage des Jahres 1834 hoben sich in Mitteldeutschland an den Landesgrenzen die Schlagbäume. Freilich fehlten damals noch wichtige Mittelglieder dieses Bundes; im Jahre 1835 traten indessen Baden und Nassau nebst der freien Stadt Frankfurt bei, während Braunschweig und Hannover mit Bremen, Hamburg und Lübeck, Oldenburg und Bückeburg zuvörderst unter sich einen Steuerverein schlössen, so daß die Nordseeküste mit den Mündungen der Weser und Elbe vom Zollverein ausgeschlossen blieb; erst 1844 trat wenigstens Braunschweig dem Zollverein auf das Drängen desselben v. Amsberg bei, der die erste deutsche Staatsbahn gebaut hatte.

»Erst die Eisenbahnen rissen«, wie Treitschke in seiner deutschen Geschichte, Bd. IV, S. 581, sagt, »die Nation aus ihrem wirtschaftlichen Stilleben, sie vollendeten erst, was der Zollverein nur begonnen hatte, sie griffen in alle Lebensgewohnheiten so gewaltig ein, daß Deutschland schon in den Vierzigerjahren einen völlig veränderten Anblick darbot.«

Betrachtet man die D. dieses ersten Jahrzehntes nach der Art ihres Zustandekommens und ihrer Verwaltung, so ergibt sich, daß Staats- und Privatbahnen ziemlich gleichmäßig nebeneinander bestanden. In Preußen herrschte noch völlig das Privatbahnsystem, teilweise mit staatlicher Unterstützung durch Aktienbesitz oder Zinsgewähr. Eine Reihe mächtiger Privatbahngesellschaften hatte sich gebildet, von denen hier vor allem im Norden die Berlin-Stettiner, im Osten die niederschlesisch-märkische, im Südosten die oberschlesische und die Breslau-Schweidnitz-Freiburger, ferner im Herzen der Monarchie die Berlin-Anhaltische, die Berlin-Potsdam-Magdeburger und die Berlin-Hamburger Eisenbahngesellschaft zu nennen wären. Die Magdeburg-Leipziger und die Magdeburg-Halberstädter haben schon ihre Hauptlinien in Betrieb gesetzt; im Rheinland haben sich die Rheinische und die Bergisch-Märkische und einige andere Eisenbahngesellschaften gebildet und die ersten Linien ihrer Unternehmungen waren im Betrieb. Westfalen ist noch ganz ohne Eisenbahn, aber die Köln-Mindener Gesellschaft ist begründet.

In Sachsen ist noch reiner Privatbahnbesitz und -betrieb. In Bayern waren außer der schon erwähnten Ludwigsbahn, die Privatbahn blieb, erst einige Strecken eines umfassenden Staatsbahnnetzes fertig, dessen Notwendigkeit dort schon früh von dem Minister v. Abel erkannt war.

Baden und Württemberg hatten sich von Anfang an zum Staatsbahnbau entschlossen, ersteres unter der kraftvollen Leitung des Staatsrats und späteren Staatsministers Nebenius, letzteres unter dem unerschütterlich das Staatsbahnsystem befürwortenden Minister von Schlayer; beide Staaten begannen erst, Teile ihres Netzes fertigzustellen.

1846–1855. Das zweite Jahrzehnt der deutschen Eisenbahngeschichte ist gleich im Anfang durch ein wichtiges Ereignis gekennzeichnet, das die einigende Kraft bewies, die dem neuen Verkehrsmittel innewohnte. Das Streben der aneinanderschließenden Bahnen, sich zur Erreichung gemeinsamer Zwecke zu vereinigen, Verbände zu schließen, führte dazu, daß zehn preußische Privatbahnverwaltungen auf Einladung Berlin-Stettins am 10. November 1846 zusammentraten, um die Schritte zu beraten, die zu einer Änderung einiger drückend empfundener Bestimmungen des schon in den ersten Jahren der Eisenbahnen erlassenen preußischen Eisenbahngesetzes vom 3. November 1838 führen könnten. Das wichtigste Ergebnis dieser Beratungen ist darin zu erblicken, daß man einen dauernden Verband der preußischen Eisenbahnen[289] schloß, mit dem Grundgedanken: die Bestrebungen der Eisenbahnverwaltungen durch Einmütigkeit zu fördern und dadurch ebensosehr den eigenen Interessen als denen des Publikums zu dienen. Dies waren die ersten Anfänge des Vereins deutscher Eisenbahnverwaltungen. So schnell war in jenen Jahren die Entwicklung des deutschen Eisenbahnwesens, daß auf der nächsten Versammlung zu Köln im Juni 1847 schon 21 Verwaltungen dem Verbände beigetreten waren und noch in demselben Jahre auf einer zu Hamburg tagenden Versammlung 40 deutsche und österreichische, innerhalb des damaligen deutschen Bundesgebietes belegene Eisenbahnen den Verband schlössen. Sie gaben ihm den erwähnten Namen, unter dem der Verein noch jetzt blüht und neben allen deutschen, österreichischen und ungarischen, niederländischen und rumänischen Eisenbahnen von Bedeutung noch eine Anzahl Bahnen benachbarter Länder umfaßt.

Über die weitere Ausdehnung des deutschen Eisenbahnnetzes in diesem Zeitraum ist zusammenfassend etwa folgendes zu sagen:

In Preußen traten zu den vorhandenen bedeutenden Privatbahnunternehmungen nun auch Staatsbahnen. Schon 1847 hatte man sich zum Bau einzelner Linien durch den Staat entschlossen, da für die weniger aussichtsreichen Linien des schwachbevölkerten Ostens kein Privatkapital zu haben war. Der vereinigte Landtag lehnte die Vorlage aber ab. Ein Plan des 1848er Ministeriums Hansemann, alle Bahnen zu verstaatlichen, fiel mit seinem Urheber, und erst Ende 1849 fand die Vorlage des klugen und energischen Handelsministers v. d. Heydt zum Bau der Ostbahn, der westfälischen und der Saarbrücker Bahn als Staatsbahnen die Genehmigung des Landtags. Diese 3 Bahnen bildeten die Anfänge des später zu so großartiger Entwicklung gelangten preußischen Staatsbahnnetzes. Mitte 1850 waren Preußen, Bayern, Hannover, Sachsen, Württemberg, Baden, Großherzogtum und Kurfürstentum Hessen und Braunschweig im Besitz von Staatsbahnen.


Das Netz der Eisenbahnen war bis 1855 so weit ausgebaut, daß man von Berlin aus östlich über Stettin nach Königsberg und Posen, südöstlich über Breslau nach Myslowitz, über Ratibor bis Wien, südlich über Dresden bis Pirna, südwestlich über Halle und Thüringen bis Kassel, Frankfurt a. M. nach Heidelberg und Basel, westlich über Magdeburg, Braunschweig, Hannover, einmal nach Bremen, dann nach Düsseldorf, Elberfeld, Köln und Aachen, nordwestlich über Hamburg bis Kiel, über Schwerin bis Rostock gelangen konnte. An die Stammlinie Magdeburg-Leipzig-Dresden schloß sich in Leipzig die gegen Bayern gerichtete Staatsbahnlinie, die bis Lindau reichte. Süddeutschland war mit Norddeutschland durch 2 Hauptlinien verbunden, die östlichere über Hof-Nürnberg und die westlichere über Kassel-Frankfurt. Von Frankfurt gelangte man westlich über Friedrichsfeld nach Mannheim, über Ludwigshafen bis zur damaligen französischen Grenze hinter Saarbrücken bei Forbach; von Frankfurt nach Wiesbaden führte die Taunusbahn. In Württemberg war die Staatsbahn von Heilbronn über Stuttgart bis Friedrichshafen fertig und die Verbindung mit Bayern hergestellt, in Bayern war die ursprünglich als Privatbahn erbaute Strecke München-Augsburg schon 1844 als Glied des in Aussicht genommenen Staatsbahnnetzes von der Regierung erworben; im Rheinland endlich gab es eine Zweiglinie von Köln nach Bonn, von Vohwinkel nach Steele.

Die Brücken über den Rhein waren noch nirgends fertig (der Bau der Kölner dauerte bis 1859), die Gebirge und die großen Städte selbst bildeten noch vielfach ein Hindernis der unmittelbaren Schienenverbindung.


In dieses zweite Jahrzehnt des deutschen Eisenbahnwesens fallen auch die ersten wichtigen Regelungen des gemeinsamen Personen- und Güterverkehrs. Schon im Jahre 1847 hatte der VDEV. beschlossen, »Maßregeln zu verabreden, die die direkte Expedition von Personen und Gütern auf mehreren Bahnen erleichtern, wohin namentlich gleichmäßige Abfertigungsformen, gleichmäßige Bestimmungen hinsichtlich des Freigewichts für Gepäck u.s.w. gehören«. Schon wenige Monate später wurden auf einer Generalversammlung in Hamburg Entwürfe eines Vereinsreglements für den Güterverkehr und eines solchen über die Personen- u.s.w. Beförderung vorgelegt. Ersteres wurde als alle Verwaltungen bindend beschlossen; durch die Annahme sollten, wie ausdrücklich ausgesprochen wurde, die sämtlichen deutschen Eisenbahnen dem Publikum gegenüber möglichst als unter einer Verwaltung stehend erscheinen. Das Übereinkommen für den direkten Güterverkehr enthielt schon ein einheitliches Frachtbriefmuster. Ihm trat im Jahre 1855 ein neues sehr wichtiges Übereinkommen hinzu, das die Regelung des Wagenverkehrs im Vereinsgebiet betraf und die Bestimmungen für die gegenseitige Wagenbenutzung festsetzte. Es enthielt die noch jetzt in der Hauptsache geltenden grundlegenden Bestimmungen über die Berechnung der Wagenmiete, die Benutzungsfristen und die Rücksendung der Wagen.

Auf technischem Gebiet waren gleichfalls schon im Jahre 1850 von der ersten Versammlung deutscher Eisenbahntechniker zu Berlin auf Grund eines von dem königlich hannoverschen Baurat Mohn ausgearbeiteten Entwurfs sehr wichtige Grundzüge für die Gestaltung der Eisenbahnen Deutschlands beschlossen, die eine Fülle von Regeln für Unter- und Oberbau, Bahnhofsanlagen, Lokomotiven,[290] Wagen und Signalwesen aufstellten. Ihnen war ein Entwurf sicherheitspolizeilicher Anordnungen, der Vorschriften für den Zustand der Bahn und der Betriebsmittel und für die Handhabung des Fahrdienstes enthielt, und endlich ein Entwurf einheitlicher Vorschriften für den durchgehenden Verkehr auf den bestehenden Vereinseisenbahnen angeschlossen, der für Bahnbau und Betrieb bestimmte Regeln festsetzte. Diese 3 Ausarbeitungen bilden die Grundlage der Anordnungen, die nach vielfachen Wandlungen jetzt seit 1905 im Deutschen Reiche als Eisenbahnbau- und Betriebsordnung in Geltung stehen.

Nachdem durch die Übereinkommen über den Vereins-, Personen- und Güterverkehr und den Wagenübergang die rechtlichen, durch die Grundzüge über die Gestaltung der Vereinsbahnen die technischen Grundlagen für einheitliche Verkehrs- und Betriebseinrichtungen geschaffen waren, begannen nun auch die Vereinbarungen der Verwaltungen über die Preise der Beförderung, über die Tarife.

Für den Personenverkehr gestalteten sie sich von Anfang an ziemlich gleichmäßig. Die Beförderung erfolgte überall zunächst in 3 Klassen, für die I. wurde ein Preis von etwa 7–8, für die II. ein solcher von 4–5, für die III. 3–4 Pf. für das km erhoben. Seit Anfang der Fünfzigerjahre gab es auf einigen Strecken auch Schnellzüge mit etwas erhöhten Fahrpreisen. Die IV. Klasse wurde zur selben Zeit auf einigen norddeutschen Bahnen (Köln-Minden) zu dem noch bestehenden Satz von 2 Pf. für das km eingeführt. Die IV. Klasse hat übrigens in den ersten Jahren der Eisenbahnen auch in Bayern bestanden. Der erste Fahrplan der am 8. Oktober 1840 eröffneten Eisenbahn München-Augsburg führt 4 Wagenklassen auf. Der Fahrpreis der IV. Klasse für die Strecke betrug 1 fl., also bei 62 km Entfernung für das km 2∙7 Pf. Gepäckfracht wurde in Süddeutschland von Anfang an erhoben, in Norddeutschland dagegen nach dem Vorgang der Personenposten Freigepäck in gewisser Höhe, meist 25 kg, gewährt. Die Einzelbestimmungen über die Ermäßigungen bei Rückfahrkarten u.s.w. gingen sehr auseinander.

In den Preisen für die viel wichtigere Güterbeförderung (einschließlich des Viehs) herrschte leider von Anfang an große Verschiedenheit, so daß es unmöglich ist, gewisse Einheitssätze von einigermaßen allgemeiner Gültigkeit hier anzugeben. Für die Preisfestsetzungen waren überhaupt in diesen Anfangszeiten des Eisenbahnwesens viel weniger Berechnungen über die entstehenden Selbstkosten als vielmehr kaufmännische Gesichtspunkte maßgebend, indem man Sätze annahm, zu denen man hoffen konnte, Transporte zu erhalten. Eine systematische Ausbildung des Tarifwesens fehlte noch vollständig, und es war daher nur natürlich, daß die Tarifsätze der einzelnen Verwaltungen weit auseinander gingen.

Die völlige Unhaltbarkeit der sich hieraus ergebenden Verhältnisse führte aber, je mehr durchgehende Eisenbahnverbindungen entstanden, zu der Notwendigkeit der Bildung von Tarifverbänden.


Der erste Verband dieser Art war der im Jahre 1848 gegründete Norddeutsche, der den Verkehr zwischen Köln, Harburg, Berlin, Leipzig und den zwischenliegenden Orten vermittelte, schon ineinandergreifende Fahrpläne, direkte Tarife und andere gemeinsame Einrichtungen schuf und das Vorbild für alle deutschen Verbände wurde. Ihm folgte 1851 der Mitteldeutsche, der für den Verkehr zwischen Mittel- und Norddeutschland und Süddeutschland über Thüringen jahrzehntelang eine herrschende Stellung gehabt hat, und dem sich im Laufe der nächsten Jahre noch weitere einflußreiche Verbände anschlossen.

Nach der vom VDEV. zusammengestellten deutschen Eisenbahnstatistik für das Jahr 1855 betrug die Länge der deutschen vollspurigen Eisenbahnen damals 8652 km, auf ihnen liefen 2077 Lokomotiven, 4434 Personenwagen mit 187.252 Plätzen (42 auf den Wagen), 34.125 Güterwagen mit einer Tragfähigkeit von 197.579 t (5∙8 t auf den Wagen), die Gesamteinnahmen betrugen 184,145.697 M., davon entfielen auf den Personenverkehr 60,457.302 M., auf den Güterverkehr 115,754.193 M. Die kilometrische Betriebseinnahme betrug 21.284 M., die kilometrische Betriebsausgabe 11.206 M., der Betriebskoeffizient 52∙6%, das kilometrische Anlagekapital 182.947 M., die Einnahme auf das Personen/km 4∙21 Pf., auf Güter/tkm 8∙30 Pf., die Verzinsung des Anlagekapitals stellte sich auf 5∙51%1.


1856–1865. In diesem Jahrzehnt wurden die großen Ströme überbrückt, der Rhein bei Köln, Mannheim und Kehl, die Weichsel bei Dirschau, die Nogat bei Marienburg, die Eisenbahnen drangen bis zu den äußersten Landesgrenzen und über sie hinaus vor, im Osten bis Eydtkuhnen und Alexandrowo, im Süden bis Kufstein, Salzburg und Konstanz, im Westen nach Holland hinein, im Norden bis Emden, Bremerhaven, Stralsund und Kolberg. Überall verdichtete sich das Netz, der Rhein wurde an beiden Ufern von Eisenbahnen begleitet von Basel bis zur holländischen[291] Grenze, nur das rechtsrheinische Stück von Ehrenbreitstein bis Deutz fehlte noch. Zweiglinien streckten sich von den Hauptlinien aus überall hin, um größere Städte und Industrieorte an das Netz anzuschließen. In diesem Zeitraum lernte man auch schon besser, Bahnen in gebirgigem Gelände zu bauen2.

Dieses Jahrzehnt kennzeichnet sich mit den Worten: gleichmäßige Fortentwicklung von Staats- und Privatbahnen, damit verbunden Entstehung des Wettbewerbs und der Tarifkämpfe und wachsende Erkenntnis von der wirtschaftlichen Bedeutung der Eisenbahnen, insbesondere der Tarife. Daneben weitergehende Bestrebungen zur stärkeren staatlichen Aufsicht und Einflußnahme auf der einen, zu engerem Zusammenschluß und Schaffung gemeinsamer Einrichtungen der Bahnen auf der anderen Seite. Ein wichtiger Schritt zur Bildung eines einheitlichen deutschen Eisenbahnfrachtrechts fällt in diesen Zeitabschnitt durch die Einführung eines allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuchs, das am 1. März 1862 in Preußen in Kraft trat und allmählich in allen deutschen Staaten eingeführt wurde.

Weiter ist die Fortbildung des Verbandswesens namentlich im Güterverkehr zu nennen. Es wurde im Jahre 1857 der für den Seehafenverkehr wichtige Westdeutsche, 1859 der Hannover-Thüringische und Hannover-Bayerische, 1863 der Westfälische und der Süddeutsche, endlich 1865 im Wettbewerb gegen den Norddeutschen der Preußisch-Braunschweigische Verband errichtet, der die Linie Berlin-Magdeburg-Braunschweig-Westfalen-Bergisch-Märkische Bahn umfaßte. Diese Vereinigungen beherrschten den gesamten durchgehenden Güterverkehr, wie er sich namentlich in dem Jahrzehnt 1856–1865 zu immer größerer Bedeutung entwickelte.

1866–1870. Der Krieg des Jahres 1866 brachte die Einverleibung des Königreichs Hannover, des Kurfürstentums Hessen, des Herzogtums Nassau und der freien Reichsstadt Frankfurt. Dadurch gelangten die sehr wertvollen Staatsbahnen dieser Gebiete in den Besitz des preußischen Staates, so daß sich sein Eisenbahnbesitz von 1695 km auf 3322 ausdehnte. Durch die Einverleibung Schleswig-Holsteins und Lauenburgs kamen die dortigen Eisenbahnen, wenngleich Privatbahnen, doch endgültig aus dem Einflußkreise einer außerdeutschen Macht in den Preußens. Die Auflösung des seit langer Zeit ohnmächtigen deutschen Bundes kam für das Eisenbahnwesen kaum in Betracht. Die österreichischen Bahnen blieben im VDEV., dessen Bedeutung durch die politischen Ereignisse und den seit 1864 zulässigen Beitritt außerdeutscher Bahnen nur gekräftigt wurde.

Vor allem aber entstand mit der norddeutschen Bundesverfassung für Norddeutschland ein für dessen Gebiet einheitlicher Bund, dessen Beaufsichtigung und Gesetzgebung nach Art. 4, Z. 8 dieser Verfassung sich auch auf das Eisenbahnwesen erstreckte. Hierdurch wurde eine höchst segensreiche Vereinheitlichung des deutschen Eisenbahnwesens angebahnt, jede bestehende Eisenbahnverwaltung wurde verpflichtet, sich den Anschluß neu angelegter Bahnen gefallen zu lassen, die Widerspruchsrechte gegen Parallel- und Konkurrenzbahnen wurden beseitigt, die Bundesregierungen verpflichteten sich, »die im Bundesgebiet gelegenen Eisenbahnen im Interesse des allgemeinen Verkehrs wie ein einheitliches Netz verwalten und zu diesem Behufe auch die neu herzustellenden Bahnen nach einheitlichen Normen anlegen und ausrüsten zu lassen.« Freilich dauerte es mehrere Jahre, bis die notwendigen einheitlichen Ordnungen geschaffen wurden.


Das Bahnpolizeireglement für die Eisenbahnen im norddeutschen Bunde trägt das Datum des 3. Juni, das Betriebsreglement das des 10. Juni 1870. Letzteres trat zum 1. Oktober 1871 in Kraft, beide also zu einer Zeit, da schon die Morgenröte der[292] Einheit Deutschlands den politischen Himmel erhellte und da in der Mobilmachung zum deutsch-französischen Kriege die D. ohne Ausnahme in Nord und Süd, Ost und West, eine Feuerprobe ihrer Leistungsfähigkeit bestanden hatten, die die Bewunderung der ganzen Welt erregte.


Die 5 Jahre von 1866–1870 zwischen dem Preußisch-Österreichischen und dem Deutsch-Französischen Kriege waren für die Entwicklung des deutschen Eisenbahnwesens höchst fruchtbar, anderseits wären diese großen politischen Umwälzungen ohne den mächtigen Fortschritt im Eisenbahnwesen unmöglich gewesen. Denn gerade die Eisenbahnen waren es, die durch ihre tiefe Einwirkung auf den Austausch der geistigen und wirtschaftlichen Güter, durch die Belebung des Verkehrs zwischen den Landbewohnern und über die Grenzen der Länder hinaus in den Bevölkerungen den Wunsch zu nationalem Zusammenschluß, zu kräftiger Einigung rege machten.

In diese Zeit fällt auch die Entstehung der Nebenbahnen. Wieder war es der VDEV., der sich durch Aufstellung allgemeiner Grundzüge für den Bau von Nebenbahnen (damals noch allgemein »Sekundärbahnen« genannt) ein Verdienst erwarb. Sie wurden von der Hauptversammlung des Vereins 1869 genehmigt und den deutschen Regierungen mit ausführlicher Denkschrift überreicht; sie haben die Hauptquelle für die später dieserhalb in den Einzelstaaten und von Reichs wegen erlassenen Anordnungen gebildet.

Das deutsche Eisenbahnnetz hat in dem Jahrfünft von 1866 bis 1870 weitere gewaltige Fortschritte gemacht.


Die Länge der Bahnen wuchs in diesem Zeitraum um 4868 km, also fast um 1000 km jährlich. Das Jahr 1870 brachte sogar einen Zuwachs von allein 1510 km. Die Gesamtzunahme verteilte sich ziemlich gleichmäßig auf alle deutschen Ländergebiete, doch ist besonders hervortretend der Fortschritt in Süddeutschland: 1866–1868 wurden u.a. die ersten Strecken der badischen Schwarzwaldbahn eröffnet, der ersten eigentlichen Gebirgsbahn in Deutschland mit ihren vielbewunderten Kehrtunneln, 1868 und 1869 erweiterten sich die württembergischen Staatsbahnen erheblich, 1867 wurde die Rheinbrücke bei Mannheim dem Verkehr übergeben. In Westdeutschland erfuhren die großen rheinischen Privatbahnen und die Bergisch-Märkische Bahn wesentliche Erweiterung, Oldenburg trat mit seiner eigenen Staatsbahn von Bremen nach Leer und der dem preußischen Staat gehörigen, von Oldenburg betriebenen Bahn Oldenburg-Wilhelmshaven auf den Plan. Aus den Erweiterungen Mittel- und Norddeutschlands ist die Fertigstellung von Halle-Cassel und Bebra-Fuldau-Hanau, Berlin-Görlitz, der Märkisch-Posener und der ostpreußischen Südbahn hervorzuheben.


1871–1885. Mit dem Jahr 1871, der Begründung des Deutschen Reiches und dem Inkrafttreten der Reichsverfassung beginnt ein neuer Abschnitt nicht nur der politischen, sondern auch der wirtschaftlichen Geschichte Deutschlands und damit auch seines Eisenbahnwesens. Wie das deutsche Gebiet um Elsaß-Lothringen vergrößert wurde, so wuchsen auch die Eisenbahnen dieser zum Reichsland erklärten Landesteile, die bisher im Besitz der französischen Ostbahn gewesen waren, mit 766 km dem deutschen Eisenbahnnetz zu. Ihr Kaufpreis von 320 Mill. Fr. wurde auf die 5 Milliarden Kriegsentschädigung angerechnet und die Bahnen bildeten, indem sie sogleich in Besitz und Verwaltung des deutschen Reiches übergingen, eine wesentliche Verstärkung des staatlichen Eisenbahnbesitzes in Deutschland. Die zur Verwaltung der Eisenbahnen in Elsaß-Lothringen eingesetzte Generaldirektion in Straßburg wurde zunächst dem Reichskanzler unmittelbar unterstellt. Erst i. J. 1879 wurde ein besonderes Reichsamt für die Verwaltung dieser Bahnen gebildet, dessen Chef der preußische Eisenbahnminister wurde.

Die Gründung des Deutschen Reiches bewirkte ferner, daß die in der Verfassung des norddeutschen Bundes für dessen Gebiet enthaltenen grundlegenden Bestimmungen für das Eisenbahnwesen nun auch auf Baden, Hessen südlich des Mains und Württemberg ausgedehnt wurden; Bayern nahm und nimmt, wie auf einigen anderen Gebieten, so auch auf dem des Eisenbahnwesens eine Sonderstellung ein, indem seine Eisenbahnangelegenheiten der Aufsicht und Gesetzgebung des Reiches im Interesse des allgemeinen Verkehrs nicht unterlagen. Nun wurde dem Reiche auch Bayern gegenüber das Recht gewahrt, im Wege der Gesetzgebung einheitliche Normen für Bau und Ausrüstung der für die Landesverteidigung notwendigen Eisenbahnen aufzustellen, und durch Art. 47 wurden alle deutschen Eisenbahnverwaltungen verpflichtet, den Anforderungen des Reichs zum Zwecke der Verteidigung Deutschlands unweigerlich Folge zu leisten, Militär und Kriegsmaterial zu gleichen ermäßigten Sätzen zu befördern.

Die Reichsgesetzgebung griff schon sehr früh auf einem andern Gebiet in das Eisenbahnwesen ein, indem am 7. Juni 1871 ein Haftpflichtgesetz erlassen wurde, das die dringende Frage der Entschädigung der beim Eisenbahnbetrieb verletzten oder getöteten Personen einheitlich regelte und den Eisenbahnen eine sehr strenge Haftpflicht auferlegte, die durch die Rechtsprechung des Reichsgerichts vielfach noch weiter verschärft ist.

Von höchster Bedeutung für das Eisenbahnwesen war in jener Zeit vor allem der beispiellose wirtschaftliche Aufschwung Deutschlands,[293] wie er bald nach dem Friedensschluß im März 1871 einsetzte. Er stellte an die deutschen Eisenbahnen gewaltige Anforderungen, brachte ihnen zwar große Einnahmen, deckte aber auch zugleich große, schwerwiegende Mängel ihrer Ausrüstung auf. Der Überfluß an Geld, die Unternehmungslust, der wachsende Verkehr, alles das erzeugte ein ungesundes Gründungsfieber. Auch im Eisenbahnwesen traten höchst unerfreuliche Auswüchse hervor.

Durch die gewaltigen Kriegsleistungen und den dann folgenden Verkehrsaufschwung war das gesamte Material der Bahnen, sowohl das bewegliche, der Fuhrpark, als auch der Oberbau, die Schienen, Schwellen und Weichen, in hohem Maße abgenutzt, ohne daß eine rechtzeitige und gründliche Erneuerung möglich war. Der Betrieb der Bahnen wurde unregelmäßig, der Verkehr konnte nicht rechtzeitig bewältigt werden, ein Unfall folgte dem andern, die Klagen des Publikums wurden immer lebhafter. Namentlich die großen Privatbahnen Mittel- und Westdeutschlands litten unter diesen Verhältnissen, und der Unwille der öffentlichen Meinung richtete sich gegen sie um so schärfer, je besser sich ihre Dividendenerträgnisse gestalteten. Die Mißstimmung gegen das Privatbahnwesen verschärfte sich, als sich das Gründungsfieber jener Zeit auch auf das Eisenbahnwesen warf und eine Reihe von Unternehmen ins Leben rief (es seien hier genannt Halle-Sorau-Guben, die Berliner Nordbahn, die Berlin-Dresdener, die Hannover-Altenbekener Bahn), die zwar an sich meist verkehrspolitisch gesund waren, bei deren Errichtung aber übermäßige Gewinne in die Taschen der Gründer flossen, während der Staat bei der Genehmigung nicht vorsichtig genug gewesen war.

Während diese Verhältnisse in Preußen 1873 zur Einsetzung einer parlamentarischen Untersuchungskommission führten, deren Endgutachten dahin ging, daß man vom gemischten zum reinen Staatsbahnsystem übergehen müsse, tat auch die Reichsregierung Schritte, um sich den ihr durch die Verfassung zugestandenen Einfluß auf das Eisenbahnwesen zu verschaffen. Dazu war vor allem ein Organ nötig, das die Ausführung der oben angeführten Bestimmungen über das Eisenbahnwesen überwachte. Durch Gesetz vom 27. Juni 1873 wurde das Reichseisenbahnamt ins Leben gerufen, um das Aufsichtsrecht über das Eisenbahnwesen wahrzunehmen, für die Ausführung der gesetzlichen Bestimmungen in dieser Beziehung Sorge zu tragen und auf Abstellung etwa hervortretender Übelstände und Mängel hinzuwirken. Der neuen Behörde wurden »bis zum Erlaß eines Reichseisenbahngesetzes« eine Reihe von Befugnissen beigelegt, um ihren Anordnungen Geltung zu verschaffen. Aber zum Erlaß dieses Gesetzes ist es bis heute nicht gekommen, obgleich nicht weniger als drei Entwürfe in den Jahren 1874, 1875 und 1879 ausgearbeitet, und der letzte sogar dem Bundesrat vorgelegt wurde. Auch Preußen selbst konnte im Reiche mit dem Gedanken einheitlicher Reichseisenbahnen nicht durchdringen, obgleich Fürst Bismarck als Reichskanzler selbst den Ankauf der Eisenbahnen durch das Reich betrieb; zwar wurde die preußische Regierung durch Gesetz vom 4. Juli 1876 ermächtigt, ihre Bahnen dem Reich gegen angemessene Entschädigung zum Kauf anzubieten und alle ihre Eisenbahnrechte an das Reich zu übertragen, aber das Gesetz, das noch heute zu Recht besteht, ist doch nur ein toter Buchstabe geblieben. Inzwischen fand die neue Behörde auch ohne die ihr zugedachte höhere Rolle Aufgaben genug vor. Schon am 11. Mai 1874 wurde das von ihr umgearbeitete Betriebsreglement für die Eisenbahnen Deutschlands erlassen.

Während im Deutschen Reiche die Anschauung von der Notwendigkeit einer scharfen staatlichen Aufsicht immer festere Wurzel faßte und in Süddeutschland das System der reinen Staatsbahnen fast vollkommen durchgeführt war – auch die bayerischen Ostbahnen wurden 1875 verstaatlicht und links des Rheins und südlich des Mains waren nur die hessische Ludwigsbahn und die Pfalzbahn Privatbahnen von Bedeutung – entwickelten sich in den Jahren 1871–1877 in Nord-, Mittel- und Westdeutschland die Privatbahnunternehmungen immer kräftiger, wenngleich in Preußen auch das Staatsbahnwesen teils durch Bau, teils durch Erwerb einzelner Privatbahnen immer mehr erstarkte und in Sachsen, Oldenburg und der rechtsmainischen Provinz des Großherzogtums Hessen das reine Staatsbahnsystem herrschte.

Das Jahr 1877 war für die Geschichte des deutschen Eisenbahnwesens von durchgreifender Bedeutung dadurch, daß in ihm die Einheit im Gütertarifwesen durchgeführt und der deutsche Reformtarif geschaffen wurde, der nach vielfachen Kämpfen von der ersten Generalkonferenz sämtlicher deutscher Eisenbahnverwaltungen am 12. Februar 1877 zu Berlin beschlossen wurde und in allen wesentlichen Punkten noch heute gilt (Näheres s. Gütertarife).

Zur Fortbildung des Reformtarifs und der mit ihm zusammenhängenden Einrichtungen[294] des Tarifwesens wurde von der erwähnten Generalkonferenz zugleich ein sehr wichtiges Organ geschaffen, die jetzt aus 14 deutschen Eisenbahnverwaltungen bestehende ständige Tarifkommission, der zugleich ein aus Vertretern der verschiedenen am Verkehr beteiligten Hauptberufe bestehender Ausschuß der Verkehrsinteressenten zur Seite gesetzt wurde.

Mit dem Jahr 1878 beginnt für die Geschichte des deutschen Eisenbahnwesens ein neuer wichtiger Abschnitt, der durch die großen Verstaatlichungen in Preußen gekennzeichnet wird.

In den Jahren seit 1871 war, namentlich in Mittel-, West- und Norddeutschland, der Einfluß der Privatbahnen stark gewachsen. Aber mit ihrer monopolartigen Beherrschung großer Verkehrslinien und der Betonung der finanziellen Interessen ihrer Aktionäre, mit dem Widerstand, den sie der staatlichen Tarifpolitik, der einheitlichen Gestaltung des Eisenbahnwesens überhaupt entgegensetzten, wuchs auch die Überzeugung von der Notwendigkeit, ihre Macht zu brechen und alle wichtigen Eisenbahnlinien in der Hand des Staates zu vereinigen. Vor allem waren es auch militärische Gesichtspunkte, die für diese Notwendigkeit sprachen. Fürst Bismarck hatte dies längst erkannt, und nachdem sein Reichseisenbahnplan gescheitert war, verfolgte er den Verstaatlichungsgedanken innerhalb Preußens mit größter Zähigkeit. Auch Kaiser Wilhelm I. hatte ihn in einem Handschreiben vom 8. Dezember 1875 auf die Wiederaufnahme des v. d. Heydtschen Verstaatlichungsplans hingewiesen. Fürst Bismarck fand für seine Pläne in dem Staatsminister Maybach einen ausgezeichneten Helfer, der in seinem Geiste die Verstaatlichung der großen preußischen Privatbahnen mit kraftvoller und glücklicher Hand durchführte. Maybach hatte schon in den Jahren 1874–1877 das Reichseisenbahnamt geleitet und die Unmöglichkeit eingesehen, auf dem Wege der Reichsgesetzgebung zum Ziele zu gelangen. Bismarck erkannte in ihm den richtigen Mann und berief ihn im Frühjahr 1878 auf den Posten des preußischen Ministers der öffentlichen Arbeiten.

Damit begann für Preußen die Zeit des Staatsbahnsystems, das bis zum Jahre 1885 so gründlich durchgeführt wurde, daß die Betriebslänge der Privatbahnen Ende 1885 auf rund 1650 km zusammengeschrumpft war, während die Länge der Staatsbahnen in dem gleichen Zeitraum auf 21.624 km anwuchs. Das Einzelne gehört in die Geschichte des preußischen Eisenbahnwesens (s. Art. Preußische Eisenbahnen); hier sei nur erwähnt, daß schon 1885 mit den großen und mächtigen preußischen und mitteldeutschen Privatbahnen fast vollständig aufgeräumt war. Für den Durchgangsverkehr war von den übrigbleibenden keine von Bedeutung.

In dem Zeitraum von 1875–1885 wurde auch in den übrigen deutschen Staaten der Verstaatlichungsprozeß fast vollständig durchgeführt. Bayern erwarb im Jahre 1875 das Netz der Ostbahnen, so daß in seinem Gebiet nur die Pfalzbahn als mächtigste Privatbahn Deutschlands bis zum Jahre 1908 bestehen blieb (s. Näheres in dem Artikel Bayerische Eisenbahnen). Im Königreich Sachsen hatte sich die Leipzig-Dresdener Eisenbahn glänzend entwickelt, auch eine Anzahl kleinerer Privatbahnen waren entstanden, aber die großen Linien des Landes waren mit jener Ausnahme im Eigenrum und Betrieb des Staates, und so entschloß er sich, ebenfalls im Jahre 1875, um sich vom Wettbewerb Leipzig-Dresdens zu befreien, auch diese Bahn zu erwerben, und das reine Staatsbahnsystem durchzuführen; nach Überwindung einiger Hindernisse gelang der Ankauf jener Hauptbahn im Jahre 1876, die übrigen kleineren Privatbahnen folgten im Laufe der nächsten Jahre (s. Näheres in dem Art. Sächsische Eisenbahnen). Im Großherzogtum Hessen-Darmstadt blieb das gemischte System am längsten bestehen. Seit 1853 hatte sich hier im Anschluß an die rheinische Bahn auf der einen, an die bayerische Pfalzbahn und die rechtsrheinischen bayerischen Bahnen auf der anderen Seite das blühende Unternehmen der Hessischen Ludwigsbahn entwickelt, das seinen Sitz in Mainz hatte und seine Linien westlich nach Bingerbrück, östlich nach Frankfurt und Darmstadt-Aschaffenburg, südlich nach Worms erstreckte. Die Verstaatlichung erfolgte erst im Jahre 1896 (Näheres s.u.). Im übrigen besaß Hessen außer dem eigentümlichen Gebilde der im Jahre 1843 gegründeten, damals den 3 Staaten Baden, Hessen und der freien Stadt Frankfurt gehörigen Main-Neckarbahn in seiner rechtsmainischen Provinz Oberhessen ein Staatsbahnnetz von geringer Bedeutung. Baden, Württemberg und Oldenburg hatten, wie schon gesagt, von Anfang an Eisenbahnbau und -betrieb als Staatssache in die Hand genommen. In Mecklenburg waren die Hauptlinien ursprünglich als Gesellschaftsbahnen erbaut, dann vom Landesherrn persönlich erworben und von ihm im Jahre 1873 an eine Privatbahngesellschaft, die der Friedrich-Franz-Bahnen, veräußert, die erst im Jahre 1889 mit den meisten übrigen Privatbahnen des Landes verstaatlicht wurde.[295]

Wenn sich also mit den geschilderten geringen Ausnahmen bis zum Jahre 1885 in ganz Deutschland das Staatsbahnsystem zur Herrschaft durchgerungen hatte, so gab es hiervon doch fast überall eine Ausnahme: die Bahnen untergeordneter Bedeutung, die schon erwähnten Nebenbahnen überließ man vielfach dem privaten Unternehmungsgeist. Sie hatten sich mit dem fortschreitenden Ausbau des Eisenbahnnetzes und der damit zusammenhängenden Herausbildung verschiedener Arten von Eisenbahnen je nach Stärke des Betriebs und Verkehrs, Bauart und Ausrüstung schon längst als eine besondere Gattung von Eisenbahnen entwickelt. Bereits im Jahre 1865 war der Gedanke aufgetaucht, Eisenbahnen für geringen, meist örtlichen Verkehr und hauptsächlich zur wirtschaftlichen Hebung der durchzogenen Gegenden nach besonderen erleichternden Regeln und Bestimmungen zu bauen.


Der VDEV. hatte schon im Jahre 1869 Grundzüge für solche Bahnen aufgestellt. Fürst Bismarck griff diese Anregung im Jahre 1870 vor dem Kriege lebhaft auf, aber erst im Jahre 1878 kam es zur Einführung einer besonderen vom Reichskanzler erlassenen »Bahnordnung für deutsche Bahnen untergeordneter Bedeutung«, durch die für den Bau und Betrieb solcher Bahnen besondere Vorschriften gegeben wurden, die namentlich von der Notwendigkeit einer ständigen Bewachung und Absperrung der Bahnübergänge beim Vorbeifahren der Züge absahen, die höchste Fahrgeschwindigkeit auf 30 km in der Stunde festsetzten und nach allen Richtungen mildere sicherheitspolizeiliche Bestimmungen trafen. Den ausgiebigsten Gebrauch von diesen Erleichterungen machten natürlich die Staatsverwaltungen selbst, da es auf Grund dieser Bahnordnung möglich war, mit verhältnismäßig geringen Kosten Bahnen zu bauen und deren Wohltaten Gegenden zuzuwenden, für die der höhere Aufwand eines Hauptbahnbaues unwirtschaftlich gewesen wäre. Ein besonderes System von Nebenbahnen schuf Sachsen, indem es eine Anzahl von Schmalspurbahnen mit 75 cm Spurbreite baute, die sich für die gewundenen Flußtäler des Landes mit ihren rechen Industrien besonders eigneten.

Nach der Reichsstatistik für 1885 gab es am Schlüsse dieses Jahres in Deutschland bereits 6659 km Nebenbahnen, von denen sich 5145 km in Staatsbetrieb und 1514 km in Privatbetrieb befanden. Über Bayerns Vorgehen mit dem Bau von sog. Vizinalbahnen und Lokalbahnen s. Näheres in dem Art. »Bayerische Eisenbahnen«.


1886–1900. Mit dem Jahre 1886 trat das deutsche Eisenbahnwesen in einen Zeitabschnitt ein, der in der Hauptsache der inneren Ausgestaltung gewidmet war. Seit jenem Jahre bis zum Ablauf des 19. Jahrhunderts sind im Eisenbahnwesen nur wenige Ereignisse von geschichtlicher Bedeutung zu verzeichnen, umso größer waren aber die steten Fortschritte der äußeren und inneren Entwicklung, in der Verwaltung, im Verkehr, Betrieb und Bau, in der finanziellen Bedeutung und der technischen Vervollkommnung. Die Verstaatlichungen setzten sich auch in den nächsten Jahren in der Ausdehnung auf kleinere Bahnen noch fort, in Preußen wurden bis 1890 noch rund 1000 km Privatbahnen (u.a. Berlin-Dresden, Nordhausen-Erfurt, Oberlausitzer, Unterelbesche, westholsteinische Marschbahn), im übrigen Deutschland rund 678 km verstaatlicht, darunter namentlich das mecklenburgische Eisenbahnnetz mit rund 610 km.


Am Beginn des neuen Jahrhunderts – im Jahre 1900 – betrug die Länge der D. mit Vollspur 49.930 km, davon waren Hauptbahnen 32.278 km, Nebenbahnen 17.652 km, Staatsbahnen einschl. der Privatbahnen unter Staatsverwaltung 45.886 km, Privatbahnen mit eigener Verwaltung 4044 km. Das verwendete Anlagekapital betrug 12.749 Mill. M., auf das km Eigentumslänge 255.605 M. Die Gesamteinnahmen bezifferten sich auf 2034 Mill., auf 1 km Betriebslänge 40.846 M., wovon auf den Personenverkehr 11.308 M., auf den Güterverkehr 25.642 M. entfielen. Die Einnahme auf das Personen/km belief sich auf 2∙75 Pf. (im Jahre 1886 noch 3∙29 Pf.), die Einnahme auf das Güter/tkm auf 3∙66 Pf. (im Jahre 1886 noch 4∙08 Pf.). Der Betriebsüberschuß betrug 741 Mill. M., auf das Betriebs/km 14.908 M., die Betriebszahl (der sog. Betriebskoeffizient) war 63∙52 (im Jahre 1886 nur 54∙95!). Die Verzinsung des Anlagekapitals betrug 5∙91% (im Jahr 1886 nur 4∙66%!). Im Jahre 1900 erreichte Länge der Schmalspurbahnen 1800 km.


Neben dem hier behandelten eigentlichen Eisenbahnnetz hatte sich seit dem Jahre 1892 noch eine andere Art von Eisenbahnen geringeren Grades entwickelt, die man in dem sie behandelnden preußischen Gesetz vom 28. Juli 1892 als Kleinbahnen bezeichnete. Dieses Gesetz gab den Anstoß zu der Entwicklung einer ganz neuen Art von Verkehrsunternehmungen. Sie hatten mit den Eisenbahnen zwar die Fortbewegung von Fahrzeugen auf metallener Spur gemeinsam, aber im übrigen unterschieden sie sich durch ihre geringe Bedeutung für den allgemeinen Eisenbahnverkehr, ihre geringere Ausstattung und Leistung von jenen so wesentlich, daß es untunlich erschien, die reichsgesetzlichen Bestimmungen über das Eisenbahnwesen und das preußische Gesetz vom 3. November 1838 auf sie anzuwenden. Auch die Straßenbahnen fallen unter diesen Begriff.

Bis zum Jahre 1900 waren allein in Preußen nicht weniger als 8083 km Kleinbahnen erbaut oder doch genehmigt, die 333 verschiedenen meist rein örtlichen Unternehmungen gehörten. (Näheres s. im Art. »Kleinbahnen«.)

Auch einige andere deutschen Staaten folgten in der Regelung des Kleinbahnwesens dem preußischen Beispiele, so Württemberg,[296] Hamburg, Baden, Hessen, Oldenburg und Mecklenburg-Schwerin.

In diese Zeit fällt ferner die wichtige Neubearbeitung der vom Reiche erlassenen Ordnungen für den Betrieb der Eisenbahnen. An Stelle des Bahnpolizeireglements vom Jahre 1871 trat die Betriebsordnung für die Haupteisenbahnen Deutschlands vom 5. Juli 1892, an Stelle der Bahnordnung für deutsche Eisenbahnen untergeordneter Bedeutung vom 12. Juni 1878 trat die Bahnordnung für die Nebeneisenbahnen Deutschlands, gleichfalls vom 5. Juli 1892. Beide Verordnungen sind am 4. November 1904 in neuer Bearbeitung unter dem Namen »Eisenbahnbau- und Betriebsordnung« (s.d.) vom Reichskanzler erlassen und seit dem 1. Mai 1905 in Gültigkeit.

Ein weiterer bedeutungsvoller und eigenartiger Vorgang im deutschen Eisenbahnwesen war der vom preußischen Minister Thielen, dem Nachfolger Maybachs, betätigte Abschluß der preußisch-hessischen Eisenbahnbetriebsgemeinschaft im Jahre 1896; damit war zugleich die Verstaatlichung der großen mit den preußischen Staatsbahnlinien am Mittelrhein und der Main-Neckar-Bahn in scharfem Wettbewerb stehenden Privatbahnunternehmens der hessischen Ludwigsbahn verbunden. Nach dem Staatsvertrag vom 21. Juni 1896 wurde diese Bahn von Preußen und Hessen gemeinschaftlich angekauft, Hessen überließ aber an Preußen die Verwaltung nicht nur dieser, sondern auch seiner eigenen, der sog. oberhessischen Staatsbahnen. Die geschaffene Gemeinschaft bestand darin, daß die Einkünfte des gesamten Eisenbahnnetzes nach bestimmten Grundsätzen zwischen beiden Staaten geteilt wurden. Die finanziellen Ergebnisse dieser Gemeinschaft waren für Hessen glänzend, da an Stelle der früheren Zuschüsse zur Verzinsung der Eisenbahnanleihen alsbald erhebliche Überschüsse traten. Auch die Verhältnisse des Betriebs und Verkehrs auf den verstaatlichten Linien besserten sich zusehends. Als eine große Wohltat für die Bevölkerung erwies sich die Einführung der IV. Wagenklasse mit dem Satz von 2 Pf. für das Personen/km. Der erwähnte Staatsvertrag bildete einen bedeutsamen Schritt auf dem Wege zu einer größeren Vereinheitlichung des deutschen Eisenbahnwesens, da es hier gelungen war, nicht nur eine bedeutende Privatbahn dem preußischen Staatsbahnnetz hinzuzufügen, sondern auch zwischen zwei Staaten eine Betriebsgemeinschaft zu begründen.

Die ausgezeichneten finanziellen und wirtschaftlichen Erfolge dieser Betriebsgemeinschaft hatten trotz lebhafter Anfeindungen doch die Wirkung, daß vor allem in Württemberg, dessen Eisenbahnnetz zwischen Bayern und Baden eingekeilt ist, lebhafte Wünsche nach dem Abschluß eines ähnlichen, wenn auch die Selbständigkeit des kleineren Staates in der Gemeinschaft stärker wahrenden Vertrags laut wurden. Dem nationalen Gedanken nach einer größeren Einheit im deutschen Eisenbahnwesen gab dieser preußisch-hessische Vertrag überhaupt neue Nahrung.

Ein in diese Zeit fallendes Ereignis von allgemeiner Bedeutung für das deutsche Eisenbahnwesen war das glänzende Fest, mit dem im Juli 1896 der VDEV. in Berlin sein 50jähriges Bestehen feierte. Bei ihm begrüßte Minister v. Thielen als Leiter des größten Verkehrsunternehmens der Welt die aus ganz Mitteleuropa herbeigeeilten Eisenbahnmänner. Von allen Seiten wurde dem Gedanken Ausdruck verliehen, daß in dem verflossenen Jahrhundert den Eisenbahnen ein Hauptanteil an den gewaltigen Fortschritten der Kultur und des wirtschaftlichen Gedeihens zukomme.

Aus diesem Zeitabschnitt ist ferner eine wichtige Maßnahme zur Vereinheitlichung des europäischen Verkehrsrechts zu erwähnen. Es ist dies der Abschluß des Internationalen Übereinkommens über den Eisenbahnfrachtverkehr vom 14. Oktober 1890, das zwischen dem Deutschen Reiche, Belgien, Luxemburg, den Niederlanden, Österreich-Ungarn, Rußland und der Schweiz vereinbart wurde und am 1. Januar 1893 Gesetzeskraft erhie't (Näheres s. in dem Art. Frachtrecht, internationales).

In Verbindung hiermit wurde auch eine Umarbeitung der den Güterverkehr betreffenden Bestimmungen des deutschen Betriebsreglements vom Jahre 1874 erforderlich und so trat gleichzeitig mit dem Internationalen Übereinkommen die Verkehrsordnung für die Eisenbahnen Deutschlands vom 15. November 1892 ins Leben. Wenige Jahre darauf bedingten die Bestimmungen des neuen deutschen Handelsgesetzbuchs vom 10. Mai 1897 abermals eine Umarbeitung, die in den Jahren 1898 und 1899 durchgeführt wurde, so daß eine neue Eisenbahnverkehrsordnung vom 26. Oktober 1899 seit dem 1. Januar 1900 in Kraft treten mußte. Diese wurde neuerdings wieder umgestaltet; die jetzt geltende Eisenbahnverkehrsordnung (EVO.) ist seit dem 1. April 1909 in Kraft.

In Zusammenhang mit diesen gesetzgeberischen Arbeiten wurden von dem deutschen Eisenbahnverkehrsverband, der im Jahre 1886 an Stelle des sog. Tarifverbands getreten war und zu dem fast alle D. gehören, einheitliche [297] Abfertigungsvorschriften für die Beförderung von Personen, Reisegepäck, Leichen, lebenden Tieren, Fahrzeugen, Eil- und Frachtgütern ausgearbeitet, die nach langen Verhandlungen in den Jahren 1891 und 1892 zum 1. Januar 1893 eingeführt wurden.

Der deutsche Eisenbahnverkehr machte in dem Zeitabschnitt von 1886–1900 nach allen Richtungen höchst überraschende Fortschritte. Die Verwaltungen folgten durch verbesserte Einrichtungen den Bedürfnissen des Verkehrs, und dieser wieder wuchs infolge der Verbesserungen. Die Personen- wie die Gütertarife zeigten überall die Neigung, herabzugehen; nicht so sehr infolge der Herabsetzung der regelmäßigen allgemeinen Tarife als vielmehr infolge der fortwährend zunehmenden Gewährung von Ermäßigungen für bestimmte Verkehrsbeziehungen oder Herabsetzungen von Gütern aus einer Klasse in die andere. Im Personenverkehr ist die in diesen Zeitraum fallende großartige Entwicklung des sog. Rundreiseverkehrs innerhalb der zum VDEV. gehörigen Bahnen und noch über diese hinaus zu erwähnen. Auch sonst wurden für Wohlfahrtszwecke, für Arbeiterfahrten u.a. in immer steigendem Maße Preisherabsetzungen zugestanden, für Urlaubsreisen der Militärpersonen wurde allgemein der Pfennigtarif gewährt. Im Güterverkehr ist vor allem die am 1. April 1892 erfolgte allgemeine Einführung einer ermäßigten Stückgutklasse für Güter der Landwirtschaft und der Metallindustrie zu nennen; weiter am 1. April 1897 die allgemeine Einführung eines Rohstofftarifs für alle Brennstoffe und am 1. Oktober 1898 die eines ermäßigten Staffeltarifs für Stückgüter.

Sehr reich war der Zeitabschnitt an Neueinrichtungen im Betriebe und Bau. Am 1. Mai 1892 wurden in Preußen die ersten D-Züge, d.h. Schnellzüge mit Durchgangswagen eingerichtet, durch die den Reisenden neben anderen Annehmlichkeiten vor allem die freie Bewegung innerhalb des ganzen Zuges ermöglicht wird. In engem Zusammenhang damit stand die ständig vermehrte Einstellung von Schlaf- und Speisewagen sowie von 4achsigen Drehgestell wagen, die einen ruhigeren Gang sicherten. Seit 1894 führte die Internationale Schlafwagengesellschaft in Brüssel ihre Expreßzüge über deutsche Linien, zuerst den Orientexpreßzug Paris-Wien-Konstantinopel, dem dann eine ganze Anzahl anderer solcher Luxuszüge gefolgt ist. Die Schnelligkeit der durchgehenden Züge wurde in diesem Zeitabschnitt gesteigert. Einzelne Züge erreichten in der norddeutschen Tiefebene eine Durchschnittsgeschwindigkeit von mehr als 80 km in der Stunde. Durch die Einrichtung der Bahnsteigsperre wurde die Abfertigung der Personenzüge erleichtert und die Fahrkartenkontrolle gesichert. Im Güterverkehr wurde überall die Ladefähigkeit der Güterwagen erhöht, teils durch Verstärkung der Tragfedern, teils durch Neubeschaffung größerer Wagen. An Stelle der bisherigen Tragfähigkeit von 10 t trat eine solche von 12∙5–15 t und mehr. Vierachsige Fahrzeuge bis zu 30 t wurden für besondere Zwecke beschafft. Zur Bewältigung des Güterverkehrs, zu rascherer Beförderung und tunlichster Vermeidung der Umladungen wurden die Güterzüge nach Arten getrennt, man vereinbarte Ferngüterzüge für den Massengüterverkehr, Durchgangsgüterzüge für Wagenladungen und geschlossene Stückgutladungen, endlich Ortsgüterzüge für den Nahverkehr aller Stationen.

Den drängenden Anforderungen des Verkehrs entsprechend war man auf allen Gebieten erfolgreich bemüht, die Leistungen der Eisenbahnen zu erhöhen. Die Schienengewichte wurden vergrößert, die Schwellenzahl vermehrt, nicht nur zweite, sondern auch dritte und vierte Gleise erbaut, zahlreiche Bahnhöfe wurden erweitert, die Sicherheitseinrichtungen wurden verbessert; die Fortschritte der Elektrizität fanden immer umfassendere Verwertung im Eisenbahndienst. Sehr wichtig war für die Schnelligkeit der Zugfolge und die Sicherheit des Zugdienstes die Einführung der elektrischen Streckenblockung, die durch die Eisenbahnbetriebsordnung von 1898 für alle Bahnen mit besonders dichter Zugfolge vorgeschrieben ist. Es gelang durch diese und weitere zahlreiche Fortschritte nicht nur die Leistungsfähigkeit der Anlagen, sondern auch die Sicherheit erheblich zu steigern, so daß die Unfallziffer der deutschen Eisenbahnstatistik fortgesetzt sank. Waren im Jahre 1886 auf 1 Million Wagenachs/km noch 0∙33 Verunglückungen gekommen, so war diese Zahl im Jahre 1900 schon auf 0∙18, also fast auf die Hälfte gesunken!

Aus den besonderen Fortschritten auf dem Gebiete des Eisenbahnbaus sei hier zunächst die Einführung des gemischten Zahnstangenbetriebs zur Überwindung großer Steigungen erwähnt. Die Halberstadt-Blankenburger Eisenbahngesellschaft eröffnete im Jahre 1886 die erste Strecke dieser Art in Deutschland, die Bahn von Blankenburg am Harz nach Tanne. Weiter muß hier besonders auf die zahlreichen großartigen Bahnhofsum- und -neubauten hingewiesen werden, die in diesem Zeitraum stattfanden. Hunderte von[298] Millionen wurden für Neuanlagen von Rangier-, Güter- und Personenbahnhöfen sowie von Werkstätten aufgewendet. Aus der Zahl der völlig erneuerten Bahnhöfe wäre vor allem der Dresdener zu nennen, der lange Zeit hindurch als der schönste deutsche Personenbahnhof galt, freilich auch mit allen Nebenanlagen den ungewöhnlich hohen Kostenaufwand von rund 70 Millionen verursacht hat. Als stolzestes Denkmal des Eisenbahnbrückenbaues ist aus dieser Zeit die 705 m lange eiserne Kaiser-Wilhelm-Brücke über das Wuppertal bei Müngsten zu erwähnen.

Ein bis dahin wenig gepflegtes Gebiet nahm in dem Zeitraum seit 1888 die Tätigkeit der Eisenbahnverwaltungen in stets steigendem Maße in Anspruch, das der sozialen Fürsorge, wie sie durch die soziale Gesetzgebung des deutschen Reiches infolge der kaiserlichen Botschaften von 1888 angebahnt wurde. Die Wohlfahrtspflege hat seitdem im Eisenbahnwesen einen um so breiteren Raum eingenommen, je zahlreicher das in ihm beschäftigte Personal war (im Jahre 1900 bereits 537.000 Köpfe) und je stärker es durch den aufreibenden Dienst in Anspruch genommen wurde.

Aus der großen Zahl der einschlägigen Einrichtungen nennen wir hier zunächst die allmählich durchgeführte Gewährung von Pensionen an alle ständigen Arbeiter, von Witwen- und Waisengeldern für ihre Hinterbliebenen, die Übernahme der Unfallversicherung für das Personal von Staatswegen, die Einrichtung und Verbesserung des Krankenkassenwesens und der bahnärztlichen, überhaupt der gesundheitlichen Pflege, die Festlegung der Dienst- und Ruhezeiten auf ein bestimmtes Maß, das die Bediensteten gegen Überanstrengung schützt und ihnen die Pflege des Familienlebens ermöglicht, sowie die Einrichtung der Sonntagsruhe im Verkehr der Güterzüge.

Unter den Neuerungen, die das letzte Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts im Eisenbahnwesen brachte, war wohl keine so verheißungsvoll, wie die Verwendung der Elektrizität auch als Triebkraft. Es geschah dies zuerst im Straßenbahnwesen. Nachdem Werner v. Siemens 1879 auf der Berliner Gewerbeausstellung die erste elektrische Eisenbahn vorgeführt hatte, ruhten die weiteren Versuche nicht. Schon Anfang der Neunzigerjahre wurden auch in Deutschland Straßenbahnen elektrisch betrieben. In das Jahr 1896 fällt der Baubeginn der elektrisch zu betreibenden Hoch- und Untergrundbahnen in Berlin; elektrische Motorwagen verkehrten Ende des Jahrhunderts auf Strecken der württembergischen und pfälzischen Bahnen, und ein vollständiger elektrischer Versuchsbetrieb wurde im Laufe des Jahres 1900 mit einzelnen Zügen auf der Wannseebahn bei Berlin eingerichtet.

1900–1910. In dieser Zeit nahm der Ausbau des deutschen Eisenbahnnetzes seinen ungestörten Fortgang; bei den Hauptbahnen war dieser allerdings nur gering, desto lebhafter erweiterte sich das Netz der Neben- und Kleinbahnen. Erstere waren bis Ende 1910 auf 34.376 km, das Nebenbahnnetz auf 24.883 km angewachsen. Die Länge der im Betriebe befindlichen nebenbahnähnlichen Kleinbahnen in Preußen und den anderen deutschen Ländern betrug 9542 km. Über die Längenentwicklung der vollspurigen Haupt- und Nebenbahnen Deutschlands in ihrer Verteilung auf Staats- und Privatbahnen von 1865–1910 sowie über die Eigentumslänge der Staats- und Privatbahnen am Ende des Jahres 1879 (vor den großen Verstaatlichungen) und am Ende des Jahres 1908 (nach den großen Verstaatlichungen), gibt die nachstehende Tabelle Auskunft.



3
1865 1910
km km
Länge der deutschen Hauptbahnen14.80634.376
Länge der deutschen Nebenbahnen14.80624.883
59.259
Länge der deutschen Staatsbahnen 6.74755.722
Länge der deutschen Privatbahnen 8.059 3.537

Außer diesen vollspurigen Eisenbahnen gab es im Jahre 1910 noch 2178 km Schmalspurbahnen, die nicht zu den Kleinbahnen gehörten. Von diesem sind 1033 km Staatsbahnen, 1145 km Privatbahnen.


1879 1908
km km
Länge der deutschen Staatsbahnen17.17953.134
Länge der deutschen Privatbahnen15.367 4.267
Von den Staatsbahnen entfielen auf
die Reichslande 1.269 1.983
Preußen 6.43236.222
Bayern 4.114 6.648
Sachsen 1.933 2.821
Württemberg 1.483 1.880
Baden 1.313 1.747
Übrige Bundesstaaten 636 1.833

Die Längenausdehnung der Bahnen im neuen Jahrhundert nahm nicht mit der gleichen Raschheit zu, wie dies in den früheren Jahrzehnten der Fall war; um so gewaltiger war die Aufwendung für den inneren Ausbau des Netzes. Riesenhaft waren die Summen, die auf den Ausbau zweiter, dritter und vierter Gleise, der Bahnhöfe, der Brücken, der Werkstätten, der Sicherheitsanlagen, auf die Vermehrung des Betriebsmaterials und Verbesserungen und Erweiterungen aller Art verwendet wurden.[299]


Aus der Zahl der großen Bahnhofsbauten seien hier nur einige besonders bemerkenswerte neue Anlagen angeführt, so die neuen Bahnhofsanlagen in Hamburg mit einem Gesamtkostenaufwand von zusammen rund 43 Mill. M., die Inangriffnahme der neuen Bahn- und Bahnhofsanlagen bei Leipzig, die mit ihrer im Jahre 1913 zu erwartenden Fertigstellung zu einem Kostenaufwand von 112 Mill. M. veranschlagt sind, die bei Stuttgart, Karlsruhe, Basel, Dortmund mit gleichfalls gewaltigen Anschlagssummen, die neuen Bahnhöfe in Chemnitz, Eisenach und Erfurt, in Essen, in Aachen, in und um Köln mit den neuen Rheinbrücken und einem der neuen Rheinbrücke, in und bei Wiesbaden, in Kostenanschlag von 60 Mill., in und um Mainz mit und um Metz mit einem architektonisch höchst reizvollen Empfangsgebäude, endlich die jetzt vollendeten Bahnhofsneubauten in Nürnberg. Die Bahnhofsanlagen in und um Berlin befinden sich in fortgesetzter Erweiterung und Umgestaltung, deren Gesamtaufwand schon bisher mehrere 100 Mill. betragen hat. Im rheinisch-westfälischen Kohlen- und Industrierevier sind im letzten Jahrzehnt Bahnhofsumbauten, Neuanlagen von Gleisen und Bahnhöfen dem gesteigerten Verkehr entsprechend in einem solchen Umfang ausgeführt worden, daß man hier von einer vollständigen Neugestaltung der gesamten Bahnanlagen sprechen kann.


In ähnlichem Umfange wurde überall in Deutschland an der Fortentwicklung der Bahnhofsanlagen sowohl für den Personen- als auch für den Güterverkehr gearbeitet. Hand in Hand damit ging eine fortgesetzte Vermehrung und Vervollkommnung des Fuhrparks, sowohl der Lokomotiven als auch der Personen- und Güterwagen. Der Umfang der Aufwendungen, die auf allen diesen verschiedenen Gebieten im deutschen Eisenbahnwesen geleistet worden sind, erhellt am besten aus der Zunahme des verwendeten Anlagekapitals der Eisenbahnen in dem Zeitraum von 1900 bis 1910. Es betrug im Jahre 1900 rund 12.749,407.000 M., im Jahre 1910 rund 17.348,398.000 M.; die Gesamtzunahme also 4,598.991 M., die durchschnittliche jährliche Zunahme rund 460 Mill. M.

Bemerkenswert waren in diesem Zeiträume die Vorgänge in der deutschen Eisenbahnpolitik. Das Staatsbahnsystem machte weitere Fortschritte. Die nächste Wirkung des oben beschriebenen Gemeinschaftsvertrags mit Hessen war, daß auch die Verhältnisse der Main-Neckar-Bahn zu einer Neuregelung drängten. Die Verwaltung dieser im Gemeinschaftsbesitz von Preußen, Hessen und Baden befindlichen, als Mittelglied der Verkehrslinie von Frankfurt a. M. rheinaufwärts sehr wichtigen Bahn war immerhin recht verwickelt und ein Hindernis für die zweckmäßige Verkehrsteilung. So kam es zu dem von Preußen, Hessen und Baden gemeinschaftlich geschlossenen Vertrage vom 14. Dezember 1901, betreffend die Vereinfachung der Verwaltung der Main-Neckar-Bahn, inhaltlich dessen auch der badische Teil dieser Bahn (Weinheim-Heidelberg) von der preußisch-hessischen Eisenbahndirektion Mainz mit verwaltet werden sollte. Mit dem 1. Oktober 1902 wurde die besondere Direktion der Main-Neckar-Bahn in Darmstadt aufgehoben.

Der preußische Eisenbahnminister Budde, der im Sommer 1902 an v. Thielens Stelle trat, begann seine Ministertätigkeit mit der Verstaatlichung einiger kleinerer Privatbahnen von zusammen rund 1000 km Länge (ostpreußische Südbahn, Marienburg-Mlawka, Dortmund-Gronau-Enschede u. e. a.), die in den Jahren 1903 und 1904 durchgeführt wurde. Wenige Jahre später (1908) erwarb Bayern das auf dem linken Rheinufer belegene Netz der pfälzischen Bahnen von 810 km Betriebslänge und damit die durch Lage und Ausdehnung bedeutendste der noch vorhandenen Privatbahnen Deutschlands. Durch diese Erwerbung war das Staatsbahnsystem auch auf dem linken Rheinufer vollständig durchgeführt.

Wichtiger noch als diese äußeren Ereignisse war die lebhafte Bewegung, die, von Württemberg ausgehend, eine größere Vereinheitlichung des deutschen Eisenbahnwesens zum Ziel hatte. Hierzu gaben die dauernd trefflichen Finanzergebnisse der preußisch-hessischen Betriebsgemeinschaft im Gegensatz zu der recht ungünstigen Finanzlage der württembergischen Staatsbahnen den nächsten Anlaß. In den Jahren 1902 und 1903 wurden diese Fragen in den Parlamenten Württembergs und anderer Staaten wiederholt erörtert. Der in der Reichsverfassung ausgesprochene wahrhaft nationale Gedanke, daß die deutschen Eisenbahnen wie ein einheitliches Netz zu verwalten seien, kam immer von neuem zum Durchbruch, auch die deutschen Regierungen verschlossen sich der Überzeugung nicht, daß auf dem Wege der Verständigung über Gemeinschaften in der Leitung und Teilung des Verkehrs, in der Benutzung und Beschaffung des Betriebsmittelparks noch Millionen zu sparen und großzügige Verbesserungen des Verkehrs zu erreichen seien, ohne daß man der reichsverfassungsmäßig feststehenden Selbständigkeit der einzelnen Bundesstaaten etwas vergebe.

So kam es Ende September 1904 zu einer von den süddeutschen Regierungen angeregten Beratung in Heidelberg, in der zwischen Preußen, Bayern, Württemberg und Baden eine Betriebsmittelgemeinschaft angebahnt wurde, deren Hauptziel die Verminderung der Leerläufe der Güterwagen sein sollte. Wenige Monate später, Anfang Januar 1905, fanden in Berlin unter Preußens Vorsitz Beratungen[300] von Vertretern aller deutschen Regierungen mit Staatsbahnbesitz statt, die die Herstellung einer Betriebsmittelgemeinschaft, die Personentarifreform und die Beseitigung der Umleitungen im Güterverkehr zum Gegenstand hatten. Allerdings sind die Hoffnungen, die an diese Beratungen geknüpft wurden, nicht völlig in Erfüllung gegangen. Die geplante Gemeinsamkeit des ganzen Fuhrparks kam nicht zu stände, aber es sind doch seitdem höchst wichtige Schritte auf dem Wege der Vereinheitlichung geschehen: es wurden zunächst die bisher im gegenseitigen Wettbewerb geübten Umleitungen im Güterverkehr in der Hauptsache beseitigt oder doch auf ein sehr geringes Maß zurückgeführt, und es kam weiter im Jahre 1906 nach langen Verhandlungen der Beschluß einer deutschen Personentarifreform zu stände. Näheres s. in dem Art. »Personentarife«.

Aus der ursprünglich geplanten Betriebsmittelgemeinschaft entwickelte sich schließlich wenigstens eine solche der Güterwagen. Sie wurde durch den deutschen Staatsbahnwagenverband geschaffen, der am 1. April 1909 ins Leben trat und schon jetzt höchst segensreiche allseitig anerkannte Erfolge in der Schnelligkeit des Wagenumlaufs, der Verminderung der Leerläufe und der erheblichen Ersparung an Verwaltungskosten gezeitigt hat.

Besonders erfreulich ist an diesen Erfolgen, daß das Zusammenarbeiten der deutschen Staatsbahnverwaltungen in dem Verband, dessen Leitung in den Händen des im Jahre 1907 neu geschaffenen preußischen Eisenbahnzentralamts ruht, zu einem regelmäßigen Meinungsaustausch über eine Reihe gemeinschaftlicher Fragen führt und das Gefühl der Gemeinsamkeit der deutschen Eisenbahninteressen stärkt.

Aus der Eisenbahngeschichte der deutschen Einzelstaaten verdient in diesem Zeitraum namentlich die Neuordnung der bayerischen Staatsbahnverwaltung durch den tatkräftigen Staatsminister v. Frauendorfer Erwähnung. Näheres hierüber in dem Art. »Bayerische Eisenbahnen«.

Die Schaffung und Einrichtung des bereits erwähnten preußischen Eisenbahnzentralamtes, das schon seither eine höchst erfolgreiche Wirksamkeit entfaltet hat, ist eine der bedeutendsten Amtshandlungen des preußischen Ministers der öffentlichen Arbeiten, v. Breitenbach, der im Jahre 1906 an Stelle des nach nur dreijähriger Ministertätigkeit verstorbenen Ministers v. Budde trat. Näheres s. unter »Preußische Eisenbahnen«

Eine recht unerfreuliche Erscheinung im Eisenbahnwesen, die ganz gleichmäßig bei fast allen Eisenbahnen der Welt auftrat, war in den Jahren 1907, 1908 und 1909 das Sinken der Betriebsüberschüsse infolge der fortgesetzten Steigerung der Ausgaben namentlich für Gehälter und Löhne in Verbindung mit einem verhältnismäßgen Stillstand der Eisenbahneinnahmen.

Seit 1909 und namentlich im Laufe der Jahre 1910 und 1911 ist überall in Deutschland ein sehr erfreulicher Aufschwung der wirtschaftlichen Lage eingetreten, der sich in einer fortgesetzten Steigerung der Eisenbahneinnahmen zeigt. Da es gleichzeitig meistens gelungen ist, die Ausgaben einzudämmen, so zeigten schon die Abschlüsse für 1909 und noch mehr die für 1910 eine bedeutende Besserung der Betriebsergebnisse. Die Betriebszahl sank bei Preußen-Hessen von 74∙62% im Jahre 1908 auf 68∙99% für 1909, auf 67∙27% für 1910, bei Württemberg von 77∙9 auf 72% und 68∙31%, bei Baden von 85∙92 auf 76∙78% und 71∙68%. Nur bei Bayern und Sachsen ist für 1909 noch eine geringe Erhöhung, für 1910 dagegen ein sehr erfreuliches Herabgehen, u. zw. in Bayern auf 66%, in Sachsen auf 70∙69% eingetreten.

Auf dem technischen Gebiete sind unter den Ereignissen seit 1900 die denkwürdigen Schnellfahrten mit elektrischen Triebwagen hervorzuheben, die im Herbst 1903 von der zu diesem Zwecke aus den Kreisen der Elektrizitätsindustrie gebildeten Schnellverkehrsgesellschaft auf der Strecke der preußischen Militärbahn Marienfelde-Zossen ausgeführt wurden und bei denen am 6. Oktober von dem Wagen der Gesellschaft Siemens & Halske eine Stundengeschwindigkeit von 200 km, einige Tage nachher von dem Wagen der Allgemeinen Elektrizitätsgesellschaft sogar eine solche von 210 km erreicht wurde. Bewundernd sah die Welt auf diese Glanzleistung der führenden deutschen Elektrizitätswerke. Wesentliche praktische Folgen haben diese Versuchsfahrten zwar nicht gehabt, doch dringt die Elektrizität im Eisenbahnwesen immer mehr vor, und die Zahl der elektrisch betriebenen Bahnen wächst in Deutschland von Jahr zu Jahr. Großartige Pläne beschäftigen unausgesetzt ebensosehr die deutschen Staatsbahnverwaltungen, vor allem Preußen, Bayern und Baden, wie die großen Elektrizitätsunternehmungen. Näheres s. unter »Elektrische Bahnen«.

Hand in Hand mit den Erfolgen der Elektrizität gingen die Fortschritte im Dampfbetriebe. Der Bau der Lokomotive wurde immer[301] mehr vervollkommnet; besonders durch die Verwendung des überhitzten Dampfes im Lokomotivbetrieb, die seit etwa 1900 platzgegriffen hat und hauptsächlich ein Verdienst des Ingenieurs W. Schmidt in Kassel ist, gelang es, sowohl Wasser als auch Kohle zu sparen, so daß deutsche Lokomotiven jetzt 300 km ohne Aufenthalt zurücklegen und Schnellzüge mit einer Höchstgeschwindigkeit von 100 km anstandslos befördern können.

Von den übrigen zahlreichen Fortschritten der letzten Jahre im technischen Eisenbahnbetriebe möge hier noch die Verwendung von Motorwagen als Ersatz für volle Personenzüge, ferner die stete Vervollkommnung der Bremssysteme, der Signaleinrichtungen, des Oberbaues, die fortschreitende Beseitigung der Übergänge in Schienenhöhe, die Verwendung des Betons bei den Bauten erwähnt werden. Auch der architektonischen Wirkung wird bei den Bauausführungen in immer steigendem Maße Rechnung getragen.

Zum Schluß sei noch kurz der Schmalspurbahnen und der Kleinbahnen gedacht. Die ersteren reichen in ihren Anfängen in das zweite Jahrzehnt des deutschen Eisenbahnwesens zurück, die erste Strecke des jetzt zu den preußischen Staatsbahnen gehörigen hauptsächlich dem Güterverkehr dienenden Netzes der oberschlesischen Schmalspurbahnen, das jetzt 166 km umfaßt, ist schon 1854 eröffnet, die sachlichen Schmalspurbahnen, die nach der Reichseisenbahnstatistik für 1910 rund 476 km Länge haben, sind erst seit 1882 entstanden. Erstere haben eine Spurbreite von 0∙785, letztere eine solche von 0∙75 m. Schmalspurbahnen sind über ganz Deutschland verbreitet, ihre Spurbreiten schwanken zwischen 0∙60 und 1 m. Die Reichseisenbahnstatistik von 1910 weist 2178 km Schmalspurbahnen mit den Spurbreiten von 1 m, 0∙785 und 0∙750 m nach, die als Nebenbahnen im Sinne der B. O. vom 1. Mai 1905 betrachtet werden; von der angeführten Länge entfielen 1033 km auf Staats-, 1145 km auf Privatbahnen, ihr Anlagekapital betrug 169,946.317 M., oder 78.011 M. für das km.

Außer diesen Schmalspurbahnen gibt es in Deutschland noch eine große Anzahl von solchen, die zu den Kleinbahnen im Sinne des preußischen Gesetzes von 1892 gehören.

Der Begriff der Kleinbahnen umfaßt nach der amtlichen Statistik des Vereins deutscher Straßenbahn- und Kleinbahnverwaltungen für ganz Deutschland alle Straßenbahnen, für Preußen, Württemberg, Hamburg, Baden, Hessen, Oldenburg und Mecklenburg-Schwerin, außerdem aber nebenbahnähnliche Kleinbahnen. Hierüber s. Näheres in dem Art, »Kleinbahnen«.

Zu den Kleinbahnen sind auch die Bergbahnen zu rechnen, die teils mittels Drahtseils, teils mittels Zahnstange große Steigungen überwinden. Erwähnt seien die Zahnradbahn auf den Niederwald, auf den Drachenfels und Petersberg im Siebengebirge, die Malbergbahn bei Ems, die Bergbahnen bei Heidelberg, die Drahtseilbahn auf den weißen Hirsch bei Dresden, die Schwebebahn bei Loschwitz, die im Mai 1912 eröffnete Bahn auf den Wendelstein in Oberbayern u.a.

Auch die Straßenbahnen gehören zwar zu den Kleinbahnen im Sinne des preußischen Gesetzes und des Reichshaftpflichtgesetzes, werden aber im gewöhnlichen Sinne nicht zu den Eisenbahnen gerechnet. S. »Straßenbahnen«.

Wegen ihrer stets wachsenden Bedeutung und ihrer hervorragenden Stellung im Verkehrsleben und im technischen Eisenbahnwesen, ist hier kurz der städtischen Schnellbahnen mit besonderem Bahnkörper zu gedenken. Die Eröffnung der ersten deutschen elektrischen Schnellbahn für den städtischen Verkehr, der Hoch- und Untergrundbahn in Berlin am 18. Februar 1902 war ein bedeutungsvolles Ereignis. Ihr folgte die Eröffnung der Hamburger Schnellbahn (1912).

Über die Entwicklung der seit 1902 in den deutschen Schutzgebieten entstandenen Kolonialbahnen s. die besonderen Artikel.


II. Der jetzige Stand des deutschen Eisenbahnwesens.


A. Länge und Eigentumsverhältnisse.


Nach der im Reichseisenbahnamt bearbeiteten Statistik der im Betriebe befindlichen Eisenbahnen Deutschlands (R. E. St.) für das Rechnungsjahr 1910 umfaßte das deutsche Eisenbahnnetz 59.259 km vollspurige und 2178 km schmalspurige Eisenbahnen, wobei unter Eisenbahnen nur die der Eisenbahnbetriebs- und der Eisenbahnverkehrsordnung unterworfenen Bahnen, insbesondere also nicht die preußischen Kleinbahnen und die bayerischen Vizinalbahnen verstanden sind.


Von den vollspurigen Eisenbahnen entfielen auf die einzelnen Staaten folgende Betriebslängen:


[302]
km
Elsaß-Lothringen 1.827
das Königreich Preußen36.032
das Königreich Bayern 7.989
das Königreich Sachsen 2.660
das Königreich Wüttemberg 1.918
das Großherzogtum Baden 2.025
das Großherzogtum Hessen 1.471
das Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin 1.171
das Großherzogtum Sachsen-Weismar 425
das Großherzogtum Mecklenburg-Strelitz 192
das Großherzogtum 659
das Herzogtum Braunschweig 639
das Herzogtum Sachsen-Meiningen 296
das Herzogtum Sachsen-Altenburg 198
das Herzogtum Sachsen-Koburg-Gotha 303
das Herzogtum Anhalt 392
das Fürstentum Schwarzburg-Sondershausen 147
das Fürstentum Schwarzburg-Rudolstadt 127
das Fürstentum Waldeck 47
das Fürstentum Reuß älterer Linie 43
das Fürstentum Reuß jüngerer Linie 109
das Fürstentum Schaumburg-Lippe 95
die freie Stadt Hamburg 72
die freie Stadt Bremen 57
die freie Stadt Lübeck 75

Auf außerdeutsche Staaten., entfallen außerdem zusammen 336 km, u. zw. auf Österreich 99, Luxemburg 191, Niederlande 5 und die Schweiz 41 km.

Die Eisenbahndichtigkeit Deutschlands erhellt aus folgenden, dem Archiv für Eisenbahnwesen, Jahrgang 1912, Heft 3, entnommenen Zahlen: es entfielen Ende 1910 bei einer Flächengröße von 540.800 km2 und einer Bevölkerungszahl von 64,551.000 Einwohnern auf 100 km2 11∙3, auf 10.000 Einwohner 9∙3 km Eisenbahnen, u. zw. im einzelnen


Deutsche Eisenbahnen

Dagegen zum gleichen Zeitpunkte beispielsweise:


Deutsche Eisenbahnen

Nach den Eigentumsverhältnissen sind von den oben aufgeführten deutschen Bahnen

1. Staatsbahnen: 55.722 km, u. zw.:


km
Riechseisenbahnen in Elaß-Lothringen 2.020
Preußisch-hessische Staatsbahnen37.562
Militär-Eisenbahn 71
Bayerische Staatseisenbahnen 7.853
Sächsische Staatseisenbahnen 2.809
Württembergische Staatseisenbahnen 1.938
Badische Staatseisenbahnen 1.721
Großherzoglich-mecklenburgische
Friedrich-Franz-Eisenbahn 1.099
Oldenburgische Staatseisenbahnen 649

2. Privatbahnen: 3.645 km

Unter letzteren befinden sich einige Linien von unbedeutendem Umfang, die in Staatsbetrieb stehen und umgekehrt einige, die zwar in staatlichem Eigentum, aber in privatem Betriebe sind. Auch unter den Staatsbahnen sind einige Strecken von unbedeutender Länge mitgerechnet, die sich im Privatbesitz befinden. Im ganzen kann man aber sagen, daß einerseits die Staatsbahnen in Staatsbetrieb, anderseits die Privatbahnen in Privatbetrieb stehen. Das früher sehr ausgebreitete System des staatlichen Betriebes von Privatbahnen ist fast völlig geschwunden.

Von den Privatbahnen, deren noch 82 aufgeführt werden, sind nur wenige von größerer Bedeutung. Nur 11 haben eine Länge von mehr als 100 km, u. zw. die westfälische Landesbahn mit 266, die Bahnen der bayerischen Lokalbahnaktiengesellschaft in München mit 148, die Lübeck-Buchener mit 156, die Süddeutsche Eisenbahngesellschaft in Darmstadt mit 179, die Liegnitz-Rowitscher mit 129, die brandenburgische Städtebahn mit 126, die Niederlausitzer mit 113, die braunschweigische Landeseisenbahn mit 108, die mecklenburgische Friedrich-Wilhem-Bahn mit 103 und die Teutoburger Waldbahn mit 101 km.

Von der Gesamtheit der deutschen Eisenbahnen (s. o. unter 1) sind 34.455 km Hauptbahnen, 24.912 km Nebenbahnen und 2178 km Schmalspurbahnen.

Zwei- und mehrgleisig sind von den vollspurigen Bahnen 22.884 km = 39%, eingleisig 36.375 km = 61%.

Über die Längen- und Eigentumsverhältnisse der Kleinbahnen s. diese.

Die kleinste Eisenbahn ist die Rappoltsweiler Straßenbahn mit 4 km. Die älteste deutsche Eisenbahn, die Ludwigsbahn Nürnberg-Fürth, steht mit 6∙04 km an siebtletzter Stelle.


B. Bau und Betrieb.


1. Allgemeines. Die D müssen in ihren Bahnanlagen, ihren Fahrzeugen und ihrem Betrieb den Bedingungen entsprechen, die durch die vom deutschen Reichskanzler einem Bundesratsbeschlusse gemäß auf Grund der Art. 42 und 43 der Reichsverfassung erlassene Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung vom 1. Mai 1905 festgesetzt sind. Für Bayern ist eine gleichlautende Bau- und Betriebsordnung durch königliche Verordnung in Kraft gesetzt. Die deutsche BO. unterscheidet nach Ausrüstung und Bedeutung 2 Arten von Eisenbahnen: Hauptbahnen und Nebenbahnen. Näheres s. im Art. »Eisenbahn«.[303]

Wenn auch durch die BO. und andere einheitliche Bestimmungen (so insbesonders durch die Signalordnung, die Technischen Vereinbarungen des VDEV.) in den Hauptpunkten eine einheitliche Anlage der D. in Bau, Ausrüstung und Betrieb gesichert ist, so zeigen diese dennoch im einzelnen eine außerordentlich große Mannigfaltigkeit der Gestaltung in allen Richtungen. Infolge der großen Zahl der deutschen Staatsgebiete, die bis zum Jahre 1866 völlig selbständig nebeneinander bestanden, und infolge der Vielgestaltigkeit des deutschen Lebens überhaupt, hat sich das deutsche Eisenbahnwesen in so zahlreichen Formen und Abarten entwickelt, wie wohl kaum in irgend einem anderen Lande der Welt. Wie es in Deutschland große weite Ebenen, Hügelländer von großer Ausdehnung und eine Anzahl in Höhe und Gliederung sehr verschiedener Gebirge gibt, so unterscheiden sich seine Bahnen nach den drei Formen der Flachlands-, Hügellands- und Gebirgsbahnen. Die große Zahl der Wasserläufe, von den kleinsten Bächen bis zu den mächtigsten Strömen, nötigte zu einer großartigen Entwicklung des Brückenbaues, die sumpfigen und moorigen Strecken zu zahlreichen Aufschüttungen und Dammgründungen, die Gebirge zu vielen, langen und kunstreichen Tunneln und Einschnitten, zu scharfen Krümmungen und starken Steigungen, vielfach auch zur Anwendung der Zahnstange. Die starken Schneefälle in Ost- und Mitteldeutschland und in den Gebirgsgegenden veranlaßten Schneeschutzanlagen aller Art, die zahlreichen Wälder in allen Teilen Deutschlands nötigten zu den verschiedensten Schutzmaßregeln gegen Waldbrände.

Man unterscheidet in der baulichen Anlage außerdem die Bahnen, je nachdem sie einen eigenen Bahnkörper haben oder nicht. Letzeres ist in Deutschland, von einigen meist allmählich infolge Umbaus verschwindenden Strecken von Nebenbahnen abgesehen, nur bei den Straßenbahnen der Fall, die nicht zu den Eisenbahnen im Sinne der BO. gehören. Näheres hierüber s. bei dem Art. »Straßenbahnen«.

2. Bauliche Anlagen. Über die einzelnen Bestandteile der baulichen Anlage der D. s. die besonderen Art. über Bahnhöfe, Brücken, Oberbau, Signaleinrichtungen, Tunnel, u.s.w.

3. Fahrzeuge. Die auf den D. benutzten Fahrzeuge müssen nach § 27, BO. so beschaffen und unterhalten sein, daß sie mit der größten dafür zugelassenen Geschwindigkeit ohne Gefahr im Zugsverkehr verwendet werden können. Unter den Fahrzeugen unterscheidet man zunächst die Träger der Triebkraft, mag diese nun vom Dampf oder Elektrizität herrühren, die man Lokomotiven nennt, und die von ihnen zu bewegenden Wagen, die die zu befördernde Last tragen. Fahrzeuge, die beide Zwecke in sich vereinigen, sind im Eisenbahndienst neuerdings als sog. Trieb- oder Motorwagen mit elektrischem Antrieb in Verwendung, während eigentliche Dampfwagen auf deutschen Bahnen nicht mehr im Verkehr sind.

Näheres über die Bau- und Verwendungsart der einzelnen Gattungen der Fahrzeuge s. die Art. Gepäck-, Güter-, Personenwagen, Lokomotiven, Triebwagen u.s.w.


Nach der R. E. St. für 1910 betrug der Bestand an Lokomotiven zu Ende des Rechnungsjahres bei den Staatsbahnen 26.513, bei den Privatbahnen 644, der Gesamtbestand also 27.157, der Bestand an Triebwagen insgesamt 317. Die Zahl der Lokomotiven hatte sich im Laufe des Jahres um 545, die der Triebwagen um 64 vermehrt. Der Bestand an Personenwagen betrug Ende 1910 bei den Staatsbahnen 55.852, bei den Privatbahnen 1478, zusammen also 57.330, ihre Zahl hatte sich im Laufe des Jahres um 1657 vermehrt. Die Zahl der Güterwagen aller Art einschließlich Gepäckwagen betrug bei den Staatsbahnen 571.997, bei den Privatbahnen 9780, zusammen also 581.777, ihre Zahl hatte sich im Laufe des Jahres um 24.381 vermehrt. Die Gesamtbeschaffungskosten aller am Ende des Rechnungsjahres vorhandenen Fahrzeuge betrugen rund 4 Milliarden M., genauer 4.003,288.660 M., davon entfielen auf die Lokomotiven nebst Tendern 1.427,832.020 M., auf die Triebwagen 22,307.396 M., auf die Personenwagen 821,925.596 M. und auf die Güterwagen 1.731,223.648 M. Der letzte Jahresaufwand für die Beschaffungen betrug rund 173 Mill. M.

Das Durchschnittsalter der Lokomotiven betrug 1910 12∙3 Jahre, im Vorjahr nur 12 Jahre. Als älteste im Dienst befindliche Lokomotive wird eine solche aus dem Jahre 1857 aufgeführt. Aus Tabelle 13 der RESt. über den Bestand der Personenwagen sei hier erwähnt, daß die Gesamtzahl der in den Personenwagen vorhandenen Plätze sich auf 2,813.393 belief, von denen auf die I. Klasse 56.741, auf die II. Klasse 370.088, auf die III. Klasse 1,512.840 und auf die IV. Klasse 873.324 entfielen.

Der Bestand der Gepäckwagen betrug im Jahre 1910 15.840, der der bedeckten Güterwagen 171.937, der offenen 394.003, der Postwagen 2654. Das durchschnittliche Ladegewicht der Güterwagen beträgt auf die Achse 6∙84 t Das durchschnittliche Ladegewicht der deutschen zweiachsigen Güterwagen für 1910 beträgt also rund 13∙7 t, es ist in fortgesetzter Steigerung begriffen; im Jahre 1905 betrug es nur 12∙8 t; im Jahre 1906 stieg es auf 13, im nächsten Jahr auf 13∙3 t u.s.w. Von der Gesamtzahl der Güterwagen ohne Gepäckwagen (565.940) haben nur 13.197 oder rund 21/2% mehr als 2 Achsen.


4. Eisenbahnbetrieb. Die EBBO. behandelt diesen in einem besonderen Abschnitt. Nach reichsdeutschem Sprachgebrauch versteht man unter Eisenbahnbetrieb die Bewegung der Fahrzeuge auf der Eisenbahn und alles, was mit dieser Bewegung und ihrer Sicherung[304] zusammenhängt. Den Maßstab für den Umfang des Eisenbahnbetriebs bilden die Leistungen der Fahrzeuge.


Die Gesamtzahl der auf D. im Jahre 1910 geleisteten Lokomotiv/km beträgt 1.098,837.966; es entfallen hievon auf 1 Lokomotive 41.439, dagegen auf 1 km durchschnittliche Betriebslänge 18.649. Von der Gesamtzahl entfallen auf den Zugdienst (Nutz/km) 721,234.463, auf den Verschiebedienst 326,704.990, der Rest auf Leerfahrten. Die Zahl der geleisteten Wagenachs/km beträgt mehr als 28 Milliarden, genau: 28.230,693.424, von diesen entfallen auf die Personenwagen rund 73/4, auf die Güterund Gepäckwagen rund 20 Milliarden, der Rest von mehr als 527 Mill. auf die Postwagen.

Die Anzahl der im Rechnungsjahr 1910 beförderten Züge beträgt 16,052.567. Die durchschnittliche Stärke sämtlicher Züge beträgt 41 Achsen, die der Schnellzüge 29, der Eilzüge 24, der Personenzüge 21, der Güterzüge 73 Achsen.

Die von den Lokomotiven und Triebwagen geleistete Nutzlast beträgt in tkm ausgedrückt bei Personen und Handgepäck (zu 75 kg die Person mit Handgepäck berechnet) 2646,790.679 tkm, für Gepäck und Hunde 115,050.935 tkm, für Güter aller Art 56.135,563.515 tkm. Hierzu kommt die tote Last der Fahrzeuge mit rund 179 Milliarden tkm, so daß die geförderte Gesamtlast auf deutschen Bahnen im Rechnungsjahr 1910 rund 238 Milliarden tkm beträgt.

Es entfällt auf 1 km durchschnittlicher Betriebslänge eine Gesamtlast von 4,039.543 tkm, und auf 1 Nutz/km (d.h. die Nutzleistung einer Lokomotive auf 1 km) eine Gesamtlast von 330 tkm.

Die beförderte Gesamtlast verringert sich um das Eigengewicht der Lokomotiven und Triebwagen und beträgt rund 127 Milliarden tkm. Auf jede bewegte Achse beträgt die durchschnittliche Nutzlast bei den Personenwagen 25∙19%, also rund 1/4 des Ladegewichts, bei den Güterwagen, wenn nur die beladenen in Betracht gezogen werden, 63∙74%, also rund fast 2/3 des Ladegewichts, wenn man aber auch die Leerläufe mitrechnet, nur 45∙32% des Ladegewichts.

Die Gesamtkosten der Unterhaltung, Erneuerung und Ergänzung der Fahrzeuge und der maschinellen Anlagen betrugen für 1910 auf den D. rund 326 Mill. M., wovon annähernd 100 Mill. auf die Beschaffung ganzer Fahrzeuge kommen. Einen sehr großen Anteil an der Gesamtausgabe haben die Kosten der Werkstätten, die sich auf rund 2251/2 Mill. M. berechnen, von denen rund 125 Mill. auf Löhne, die übrigen Ausgaben auf Materialien und sonstiges entfallen. In den 777 deutschen Eisenbahn Werkstätten wurden 97.145 Arbeiter beschäftigt mit einer durchschnittlichen Arbeitszeit von 9 bis 12 Stunden und einem durchschnittlichen Stundenlohn von 21–60 Pf. bei Handwerkern, von 22 bis 51 Pf. bei sonstigen Arbeitern.


Über den Betrieb im allgemeinen, dann über den Fahrdienst, das Fahrplanwesen u.s.w. s. die besonderen Artikel.

5. Eisenbahnunfälle. Die R. E. St. unterscheidet: 1. Entgleisungen von Fahrzeugen, u.zw. a) Entgleisungen auf freier Strecke, b) Entgleisungen in Stationen; 2. Zusammenstöße. Diese werden gleichfalls unterschieden nach dem Orte des Vorkommnisses, ob freie Strecke oder Stationen, weiter danach, ob ein Personenzug oder ein Güterzug oder nur einzelne Fahrzeuge oder Fahrzeuggruppen beteiligt waren. 3. Sonstige Betriebsunfälle, zu denen das Überfahren von Fahrzeugen, Feuer im Zuge, Kesselexplosionen und andere Ereignisse gehören, letztere aber nur, wenn dabei Personen zu Schaden gekommen sind. Die am stehenden Zuge oder Fahrzeuge vorgekommenen Unfälle sind in der Statistik nicht aufgeführt.


Im Jahre 1910 ereigneten sich auf den D. 366 Entgleisungen, von diesen auf freier Strecke 130, in Stationen 236; Zusammenstöße 294, von ihnen auf freier Strecke 25, in Stationen 269; sonstige Betriebsunfälle 2605. Die Anzahl der bei allen diesen Unfällen (zusammen 3265) getöteten oder binnen 24 Stunden verstorbenen Personen betrug 926, die der verletzten 2338. Von den Getöteten waren Reisende 97, Bahnbeamte und Bahnarbeiter im Dienst 543, Post-, Steuer- u.a.-beamte im Dienst 6, fremde Personen 280. Verletzt wurden: Reisende 672, Bahnbedienstete 1350, Post- u.s.w.-Beamte 68, fremde Personen 248. Die verhältnismäßig große Zahl der getöteten und verletzten fremden Personen umfaßt alle diejenigen, die infolge eigener Unvorsichtigkeit beim Betreten der Bahn zu Schaden gekommen sind; davon sind nicht weniger als 275 getötet, 203 verletzt. Unverschuldet sind also von fremden Personen nur 5 getötet, 45 verletzt. Auch von den 97 getöteten Reisenden sind nur 6 unverschuldet bei Unfällen getötet, 91 infolge eigener Unvorsichtigkeit beim Benutzen, Besteigen und Verlassen in Bewegung befindlicher Züge zu Schaden gekommen. Auch bei den Bahnbediensteten ist die große Mehrzahl der Tötungen und Verletzungen durch unvorsichtige Handhabung des Dienstes herbeigeführt. Bei eigentlichen Zugunfällen sind von ihnen nur 14 getötet und 202 verletzt; beim Wagenschieben, Rangieren, An- und Abkuppeln sind zusammen 152 Bahnbedienstete getötet, 414 verletzt. Beim An- und Abkuppeln allein waren es 92 und 175.

Auf 1 Mill. beförderter Reisenden kommen 0∙06 Tötungen, 0∙44 Verletzungen von solchen, auf 1 Mill. durchfahrene P/km kamen bei Ausrechnung auf 2 Dezimalen 0∙00 Tötungen, 0∙02 Verletzungen von Reisenden. Auf 1 Mill. durchfahrene Wagenachs/km kommen Tötungen von Bahnbediensteten, 0∙02, Verletzungen von solchen 0∙05; auf diese Einheit entfallen von sämtlichen Verunglückungen überhaupt 0∙12.

Eine Vergleichung mit den Vorjahren zeigt, daß alle Verunglückungszahlen mit geringen Ausnahmen in fast ständiger Abwärtsbewegung sind. Beispielsweise kamen im Jahr 1905 auf 1 Mill. beförderter Reisenden 0∙11 Tötungen, 0∙45 Verletzungen. Auf 1 Mill. Wagenachs/km entfielen Tötungen von Bahn bediensteten 0∙03, Verletzungen von solchen 006. Auf dieselbe Einheit entfielen von sämtlichen Verunglückungen überhaupt 0∙15. Eine fortdauernde allmähliche Zunahme der Betriebssicherheit im all gemeinen ist also unverkennbar; diese Zunahme bildet die Frucht der unausgesetzten Bemühungen der Eisenbahnbehörden und -verwaltungen auf stete Erhöhung der Betriebssicherheit durch Vervollkommnung aller Einrichtungen.

Nach den Angaben Cauers in Kap. XVIII, Bd. I, S. 337 des Buches »Das Deutsche Eisenbahnwesen der Gegenwart«, Berlin, 1911, entfallen nach den[305] jeweils letzten amtlichen Statistiken auf 1 Mill. Reisende Tötungen und Verletzungen


in Deutschland0∙47(nur für Vollspurbahnen)
in der Schweiz0∙91
in Frankreich0∙98(nur die bei Zugunfällen
vorgekommenen Tötungen
und Verletzungen)
Österreich-Ungarn2∙02(Voll- und Schmalspurbahnen)
England2∙07(ohne die Reisenden auf
Zeitkarten)
Belgien2∙65
Vereinigte Staaten
von Nordamerika12∙87

C. Verkehrs- und Tarifwesen.


1. Allgemeines. Der Hauptzweck des Betriebs der Eisenbahnen ist die Beförderung von Personen und Gütern, der Verkehr. Dieser zerfällt naturgemäß in 2 Hauptteile, den Personen- und den Güterverkehr. Nach feststehendem Gebrauch rechnet man ersteren auch die Beförderung des Reisegepäcks und des nach ähnlichen Grundsätzen behandelten sog. Expreßguts hinzu, während zu den Gütern auch die Tiere gerechnet werden, so daß der Tierverkehr eine besondere Abteilung des Güterverkehrs bildet. Beide Arten des Verkehrs regeln sich in Deutschland in erster Linie nach der Eisenbahnverkehrsordnung (EVO.) vom 1. April 1909, die nach ihrem § 1 auf allen dem öffentlichen Verkehr dienenden Haupt- und Nebeneisenbahnen Deutschlands gilt, für den internationalen Verkehr jedoch nur so weit, als dieser nicht durch besondere Bestimmungen geregelt ist. Hiermit ist namentlich das sog. Berner internationale Übereinkommen über den Eisenbahnfrachtverkehr (IÜ.) vom 14. Oktober 1890 gemeint, dessen jetzige Fassung vom 10. Oktober 1901 an gültig ist.

Näheres über die EVO. und das IÜ. s. in den besonderen Artikeln.

Auf Grund der EVO. werden von den D. Tarife aufgestellt, die alle für den Beförderungsvertrag maßgebenden Bestimmungen, die Beförderungspreise, die Nebengebühren u.s.w. enthalten. (Näheres s. Gepäck-, Güter-, Personentarife u.s.w.)


2. Personenverkehr.


Die Gesamtzahl der beförderten Personen betrug im Jahre 1910 rund 1∙6 Milliarden, die Gesamtzahl der gefahrenen P/km rund 35 Milliarden. Auf 1 km durchschnittliche Betriebslänge entfallen 616.524 P/km, jede Person ist durchschnittlich 22∙97 km weit befördert worden. Die Einnahme aus der Personenbeförderung betrug rund 835 Mill. M., auf 1 km Betriebslänge 14.543 M., auf 1 P/km 2∙36 Pf. Diese letztere Einnahme, die entscheidende Zahl für die durchschnittliche Höhe der Tarife, ist seit Jahren fortgesetzt im Fallen, sie betrug im Jahre 1905 noch 258 Pf.

Die Verteilung des Personenverkehrs auf die einzelnen Wagenklassen erhellt ausfolgenden Zahlen:

Die Anzahl der in der I. Wagenklasse gefahrenen Personen/km beträgt rund 3341/2 Mill. = 0∙94% der oben angegebenen Gesamtzahl, jede Person ist in der I. Klasse durchschnittlich 134∙14 km weit befördert. Die Einnahmen aus der Personenbeförderung I. Klasse beträgt rund 25 Mill. = 3% der oben angegebenen Gesamteinnahmen des Personenverkehrs. Auf 1 Personen/km entfallen 7∙49 Pf. Die Anzahl der Personen/km II. Wagenklasse beträgt rund 3∙6 Milliarden = 10∙24% der Gesamtzahl; jede Person ist durchschnittlich 29∙34/km weit befördert. Die Einnahme aus der II. Klasse beträgt rund 146 Mill., d. s. 17∙50% der obigen Gesamteinnahme, auf das Personen/km entfallen 4∙03 Pf.

Die Anzahl der Personen/km III. Klasse beträgt rund 13∙9 Milliarden = 39∙17% der Gesamtzahl, die durchschnittliche Reiselänge für jede Person beträgt 21∙86 km, die Einnahme aus der III. Klasse beläuft sich auf rund 350 Mill. = 41∙97% der Gesamteinnahme; auf das Personen/km entfallen 2∙53 Pf.

In der IV. Klasse ist die Anzahl der gefahrenen Personen/km = rund 16∙2 Milliarden, d. s. 45∙71% der Gesamtzahl, die Reiselänge auf die Person ist = 21∙22 km, die Einnahme aus der IV. Klasse beträgt rund 2991/4 Mill. = 35∙84% der Gesamteinnahme, auf 1 Personen/km entfallen 1∙85 Pf.

Auf Militärfahrscheine und -karten sind insgesamt rund 1∙4 Milliarden Personen/km befördert = 3∙94% der Gesamtzahl. Die Einnahmen von rund 14 Mill. bildet nur 1∙69% der Gesamteinnahme, auf 1 Personen/km entfällt 1∙01 Pf.

Auf die Beförderung von Gepäck und Hunden entfällt eine Einnahme von rund 30 Mill. M. An Gepäck sind befördert 114,323.104 t/km.

Die Verkehrseinnahmen aus dem Personen- und Gepäckverkehr betragen 871,299.733 M. = 28∙65% der Gesamteinnahmen.


3. Güterverkehr.


Die Güterverkehrseinnahmen der D. im Jahre 1910 betrugen insgesamt 1.962,340.088 M., das sind 64∙52% der Gesamteinnahme. Auf 1 km Betriebslänge entfallen danach 33.485 M. Diese letzte Ziffer ist in fast fortgesetztem Steigen begriffen, sie belief sich im Jahr 1905 noch auf nur 29.086 M., stieg bis 1907 auf 32.080 M., sank für 1908 auf 30.465 und hob sich seitdem wieder.

Von den Güterverkehrseinnahmen entfallen auf Eil- und Expreßgut 80,086.685 M., auf Frachtgut 1,756834.101 M., auf Postgut 2,642.121 M., auf Militärgut 6,692.005 M., auf Vieh einschließlich Pferde, ausgenommen Hunde, 47,980.482 M., auf Leichen 1,076.276 M., auf frachtpflichtiges Dienstgut einschließlich Baumaterialien 10,515.181 M., auf Nebenerträge 56,504.246 M.

Die Anzahl der gegen Frachtberechnung gefahrenen tkm beträgt rund 52 Milliarden, genau 51.814,876.440. Auf das gefahrene tkm entfällt eine Einnahme von 3∙67 Pf. Diese für den Durchschnittspreis der Güterbeförderung maßgebende Zahl ist seit 1905 nur geringen Schwankungen unterworfen gewesen, im genannten Jahr war sie der von 1910 gleich, sank 1907 auf 3∙64 Pf. und hob sich seitdem wieder auf die jetzige Höhe.

Von den beförderten Gütermengen entfallen auf Eil- und Expreßgut 476,284.187 tkm = 0∙92% der geförderten Gesamtmenge, auf Frachtgut 1.758,335.796 tkm = 92∙39% der Gesamtmenge, auf Militärgut 101,579.515 tkm = 0∙20%, auf Vieh 599,638.468 tkm = 1∙16% der Gesamtmenge.

Das geförderte Frachtgut in tkm verteilt sich auf die einzelnen Tarifklassen in Prozenten der Gesamtbeförderung folgendermaßen:[306]


Deutsche Eisenbahnen

Die Gesamtbeförderung einschließlich des ohne Frachtberechnung geförderten Gutes beläuft sich auf 56.275,997.769 tkm. Auf jedes km der durchschnittlichen Betriebslänge entfallen 960.263 tkm, jede t Gut ist durchschnittlich befördert worden 97∙82 km. Jede beladene Güterwagenachse war durchschnittlich beladen mit 4∙37 t. Im Durchschnitt aller Güterwagenfahrten (beladen und leer) war jede Güterwagenachse beladen mit 3∙11 t Die Einnahme auf 1000 Achs/km in beladenem Zustande hat betragen 148 M., auf 1000 Achs/km durchschnittlich (beladen und leer) 105 M.


D. Eisenbahnfinanzen.


Die Gestaltung und Ordnung der Finanzen bei den einzelnen Unternehmungen ist sehr verschieden. Näheres s. in den Einzelartikeln über die betreffenden Unternehmungen. Reichsgesetzliche Vorschriften über die Eisenbahnfinanzen sind nicht vorhanden, nur die Privatbahnen unterliegen, soweit sie die Form einer Handelsgesellschaft, Aktiengesellschaft, Gesellschaft mit beschränkter Haftung u.s.w. haben, den für sie durch das deutsche HGB. und andere Reichsgesetze gegebenen Finanzvorschriften. Über die Bedeutung des Normalbuchungsformulars für die Statistik der Finanzen s. Abschnitt E, S. 310 und 311.


Das Anlagekapital der D. betrug am Ende des Rechnungsjahres 1910 rund 171/3 Milliarden, ziffernmäßig 17.348,397.996 M. bei einer Eigentumslänge von 59.259 km, also auf das km 292.753 M. Von diesem Anlagekapital entfallen auf die Staatsbahnen mit 55.722 km allein fast 17 Milliarden, auf die Privatbahnen mit 3538 km nur rund 353 Mill. M.

Die Gesamtbauaufwendungen der D. betragen rund 229 Mill. M. weniger, weil beim Eigentumswechsel der Bahnen mehrfach der Erwerbspreis höher, in einigen Fällen niedriger war als der Betrag der Gesamtbauaufwendungen.


Bei den Staatsbahnen ist das verwendete Anlagekapital teils durch Staatsanleihen, teils durch Verwendung aus »extraordinären Fonds« (meist Überschüssen aus dem Betriebe) beschafft, bei den Privatbahnen größtenteils durch Ausgabe von Aktien und Obligationen, teilweise auch durch Aufnahme schwebender Schulden. Der Gesamtbetrag des durch Ausgabe von Aktien und Obligationen beschafften Anlagekapitals der deutschen Privatbahnen beträgt rund 271 Mill. M., der Rest des Anlagekapitals dieser Bahnen in Höhe von rund 73,500.000 M. ist durch schwebende Schulden beschafft worden.

Die Höhe der kilometrischen Anlagekosten ist bei den einzelnen Unternehmungen sehr verschieden. Es betrug das kilometrische Anlagekapital:


bei sämtlichen deutschen Bahnen, wie oben292.753 M.
bei den Staatsbahnen allein305.004 M.
bei den Privatbahnen allein 99.782 M.
bei den Reichsbahnen in Elsaß-Lothringen449.773 M.
bei den preußisch-hessischen Staatsbahnen296.401 M.
bei den bayerischen Staatsbahnen262.895 M.
bei den sächsischen386.937 M.
bei den württembergischen387.780 M.
bei den badischen479.672 M.
bei den mecklenburgischen 88.345 M.
bei den oldenburgischen102.910 M.

Von den einzelnen Privatbahnen hat das höchste kilometrische Anlagekapital die Lübeck-Büchener Eisenbahn mit 317.217, das niedrigste die Bad Aibling-Feilnbacher Eisenbahn (der Lokalbahn-Aktiengesellschaft in München gehörig) mit 33.196 M.

Die Einnahmen werden in der R. E. St. getrennt nach Verkehrseinnahmen, Einnahmen für Überlassung von Bahnanlagen und für Leistungen zu gunsten Dritter, für Überlassung von Fahrzeugen, Erträgen aus Veräußerungen und verschiedenen Einnahmen nachgewiesen.


Danach betrug die Gesamteinnahme aller D. einschließlich jener der schmalspurigen Bahnen 3.041,581.006 M., d.i. auf das km der vollspurigen Bahnen eine Jahreseinnahme von 51.519 M. Diese Ziffer betrug noch im Jahre 1905 nur 44.642 M. und ist seitdem stetig – mit einer Unterbrechung im Niedergangsjahr 1908 – auf die angegebene Höhe gestiegen.

Die kilometrische Jahreseinnahme betrug bei den


deutschen Staatsbahnen53.923 M.
deutschen Privatbahnen13.946 M.
Reichsbahnen in Elsaß-Lothringen65.701 M.
preußisch-hessischen Staatsbahnen58.131 M.
bayerischen Staatsbahnen36.641 M.
sächsischen Staatsbahnen61.634 M.
württembergischen Staatsbahnen42.856 M.
badischen Staatsbahnen60.265 M.
mecklenburgischen Staatsbahnen17.047 M.
oldenburgischen Staatsbahnen28.188 M.

Von den Privatbahnen hatte die höchste kilometrische Jahreseinnahme – und die höchste überhaupt – die Ludwigs-Eisenbahn (Nürnberg-Fürth)[307] mit 69.272 M., dann folgt die Lübeck-Büchener Eisenbahn mit 65.306 M. Die niedrigste kilometrische Einnahme hatte die Butzbach-Licher Eisenbahn mit 3930 M.


Die Betriebsausgaben werden in der R. E. St. nach persönlichen und sachlichen Ausgaben getrennt nachgewiesen. Die Gesamtausgaben aller deutschen Bahnen (einschließlich der schmalspurigen) betragen rund 2 Milliarden, genau 2.068,310.135 M.


Die Betriebszahl (das Verhältnis der Gesamtausgaben zu den Gesamteinnahmen) betrug 1910 bei den vollspurigen Bahnen 67∙96%. Diese Zahl hatte noch 1905 nur 63∙22% betragen, war 1908 auf 73∙56% gestiegen und ist jetzt wieder, wie angegeben, gesunken. Die kilometrische Gesamtausgabe der vollspurigen Bahnen für 1910 betrug darnach 35.013 M. Sie betrug bei den


Betriebszahl:
deutschen Staatsbahnen36.665 M. 68∙00%
deutschen Privatbahnen9.184. M. 65∙85%
Reichsbahnen in Elsaß-Lothringen49.764 M. 75∙74%
preußisch-hessischen Staatsbahnen39.102 M. 67∙27%
bayerischen Staatsbahnen24.212 M. 66∙08%
sächsischen Staatsbahnen43.566 M. 70∙69%
wüttembergischen Staatsbahnen29.277 M. 68∙31%
badischen Staatsbahnen43.197 M. 71∙68%
mecklenburgischen Staatsbahnen12.998 M. 72∙42%
oldenburgischen Staatsbahnen20.535 M. 72∙85%

Von den Privatbahnen hatte die höchste kilometrische Betriebsausgabe die Ludwigs-Eisenbahn mit 60.331 M., die niedrigste die Lam-Kötzinger Eisenbahn mit 2897 M. Die Betriebszahl war bei den Privatbahnen außerordentlich schwankend, sie betrug bei der Dessau-Wörlitzer Eisenbahn 91∙15%, bei der Mitweida-Deinwerden-Ringtaler Eisenbahn nur 28∙04%.


Der Überschuß der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben betrug 1910 bei den gesamten D. überhaupt 972,571.057 M., unter Ausscheidung der Ausgaben für erhebliche Ergänzungen und für gepachtete Bahnstrecken aber etwas über 1 Milliarde, genau 1.000,390.613 M. Die durch die erstgenannte Zahl dargestellte Verzinsung des verwendeten Anlagekapitals der eigenen Strecken betrug 5∙74%.

Näheres ergibt nachstehende Tabelle:


Deutsche Eisenbahnen

Aus der Tabelle (S. 309) sind die wichtigsten Angaben über Verkehr und finanzielle Betriebsergebnisse der D. seit 1880 zu entnehmen.


E. Reichsaufsicht und Verwaltung der Eisenbahnen.


Das deutsche Eisenbahnwesen ist, wie in Abschnitt A dargelegt, nach Art. 4, Z. 8, der Reichsverfassung der Beaufsichtigung seitens des Reiches und dessen Gesetzgebung mit dem dort erwähnten Vorbehalt betreffs Bayerns unterworfen, es besteht auch beim Bundesrat ein besonderer Ausschuß für Eisenbahnen, Post und Telegraphen, weiter haben sich die Bundesregierung nach Art. 42 u.a. O. verpflichtet, die D. im Interesse des allgemeinen Verkehrs wie ein einheitliches Netz zu verwalten und zu diesem Behuf auch die neu herzustellenden Bahnen nach einheitlichen Normen anlegen und ausrüsten zu lassen.[308]


Deutsche Eisenbahnen

[309] Im Art. 43 heißt es dann weiter: »Es sollen demgemäß in tunlichster Beschleunigung übereinstimmende Betriebseinrichtungen getroffen, insbesondere gleiche Bahnpolizeireglements eingeführt werden. Das Reich hat dafür Sorge zu tragen, daß die Eisenbahnverwaltungen die Bahnen jederzeit in einem die nötige Sicherheit gewährenden baulichen Zustande erhalten und dieselben mit Betriebsmaterial so auszurüsten, wie das Verkehrsbedürfnis es erheischt.« Weiter sind nach Art. 44 die Eisenbahnverwaltungen verpflichtet, die für den durchgehenden Verkehr und zur Herstellung ineinandergreifender Fahrpläne nötigen Personenzüge mit entsprechender Fahrgeschwindigkeit, desgleichen die zur Bewältigung des Güterverkehrs nötigen Güterzüge einzuführen, auch direkte Expeditionen im Personen- und Güterverkehr unter Gestattung des Obergangs der Transportmittel von einer Bahn auf die andere gegen die übliche Vergütung einzurichten. Nach Art. 45 steht dem Reiche die Kontrolle über das Tarifwesen zu. »Es wird«, so heißt es da, »namentlich dahin wirken, 1. daß baldigst auf allen D. übereinstimmende Betriebsreglements eingeführt werden, 2. daß die möglichste Gleichmäßigkeit und Herabsetzung der Tarife erzielt, insbesondere, daß bei größeren Entfernungen für den Transport von Kohlen, Koks, Holz, Erzen, Steinen, Salz, Roheisen, Düngungsmitteln und ähnlichen Gegenständen ein dem Bedürfnis der Landwirtschaft und Industrie entsprechender ermäßigter Tarif, u. zw. tunlichst der Einpfennigtarif eingeführt werde«

Weiter regelt Art. 46 die Verpflichtung der Eisenbahnen zur Einführung sog. Notstandstarife und Art. 47 bestimmt, daß den Anforderungen der Behörden des Reiches in Betreff der Benutzung der Eisenbahnen zum Zweck der Verteidigung Deutschlands sämtliche Eisenbahnverwaltungen unweigerlich Folge zu leisten und insbesondere das Militär und alles Kriegsmaterial zu gleichen ermäßigten Sätzen zu befördern haben.

Wie an früheren Stellen erwähnt, sind einheitliche Bestimmungen für die Einrichtungen des Betriebes und Verkehrs getroffen (BO., deutsche Signalordnung und EVO. s. die besonderen Art. hierüber). Endlich ist durch das Gesetz vom 27. Juni 1873 das Reichseisenbahnamt, wie gleichfalls in Abschnitt A dargestellt, geschaffen worden (über dessen Befugnisse s. »Aufsichtsrecht« und »Reichseisenbahnamt«).

Im übrigen ist die Eisenbahnhoheit der einzelnen Bundesstaaten nicht berührt, und es regeln sich daher die Eisenbahnverhältnisse der einzelnen Staaten nach den von ihnen erlassenen Gesetzen und Verordnungen. Soweit die Einzelstaaten Staatsbahnen besitzen, wie dies bei Preußen, Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden, Hessen, Mecklenburg-Schwerin und Oldenburg der Fall ist, wird hier auf die betreffenden Artikel verwiesen. Im Besitze und der Verwaltung des Reiches selbst befinden sich die Reichseisenbahnen in Elsaß-Lothringen, die nicht der dortigen Landesverwaltung untergestellt sind, sondern unter der obersten Leitung des Reichsamts für die Verwaltung der Reichseisenbahnen stehen, zu dessen Chef regelmäßig der preußische Minister der öffentlichen Arbeiten ernannt wird, der als Chef dieses Reichsamts ein Organ der deutschen Reichsregierung und dem Reichskanzler unmittelbar unterstellt ist. Die örtliche Verwaltung führt die dem Reichsamt nachgeordnete kaiserliche Generaldirektion der Eisenbahnen in Elsaß-Lothringen zu Straßburg (s. Näheres unter Elsaß-Lothringische Eisenbahnen).

Über die Verwaltung der Privateisenbahnen bestehen keine besonderen reichsgesetzlichen Bestimmungen; auf sie finden, soweit es Aktien- oder ähnliche Gesellschaften sind, die Bestimmungen des deutschen Handelsgesetzbuchs, soweit es Gesellschaften mit beschränkter Haftung sind, die Bestimmungen des Reichsgesetzes über diese Gesellschaften Anwendung.

Während die Verwaltungen der im Besitze des Reiches oder der Einzelstaaten befindlichen Eisenbahnen Behörden im staatsrechtlichen Sinne sind, besitzen die Verwaltungen der Privatbahnen diese Eigenschaft nicht. Nur die Ausübung bahnpolizeilicher Befugnisse kommt ihnen insoweit zu, als ihre die Unterhaltung und den Betrieb der Bahn leitenden und beaufsichtigenden Beamten nach §§ 45 und 74, BO. zu den Bahnpolizeibeamten gehören.

Zur Verwaltung der einzelnen Privatbahnen sind in Deutschland regelmäßig Direktionen eingesetzt, die bei Aktiengesellschaften und anderen ähnlichen Gesellschaftsformen die Vorstände dieser Gesellschaften bilden und nach Maßgabe der Satzungen die Verwaltung zu führen haben. Um eine Übereinstimmung in den statistischen Grundlagen für die Finanzverwaltung zu erzielen, haben sich die D. unter Leitung des Reichseisenbahnamts über ein den Einnahmen und Ausgaben des Betriebs und Baues zu gründe zu legendes gemeinschaftliches Schema, das sog. Normalbuchungsformular geeinigt, das allgemeine Anwendung findet. Erst dadurch, daß alle Rechnungen der D. nach Maßgabe dieses Formulars aufgestellt werden, ist die Möglichkeit gegeben, daß vom Reichseisenbahnamt[310] die hier vielfach angezogene Statistik der im Betrieb befindlichen Eisenbahnen Deutschlands herausgegeben werden kann, die alljährlich erscheint. Der letzte Jahrgang, der XXXI., erschien für das Rechnungsjahr 1910; ihm sind fast alle statistischen Angaben dieses Artikels entnommen worden.


F. Eisenbahnrecht.


Während die deutsche Reichsverfassung die oben dargestellten Grundsätze über die Verpflichtungen der D. dem Reiche gegenüber aufgestellt und insoweit öffentliches Eisenbahnrecht geschaffen hat, gibt es ein besonderes einheitliches deutsches Eisenbahnrecht nur auf dem Gebiete des Frachtrechts und der Haftpflicht für Tötungen und Verletzungen von Personen im Eisenbahnbetriebe. Jenes wird durch den 7. Abschnitt des 3. Buchs des deutschen Handelsgesetzbuchs geregelt, der in den §§ 453–473 die Beförderung von Gütern und Personen auf den Eisenbahnen behandelt, während der 6. Abschnitt das Frachtgeschäft im allgemeinen betrifft. Im § 453 a. a. O. wird die Beförderungspflicht der Eisenbahn ausgesprochen und es wird festgesetzt, inwieweit diese Pflicht Beschränkungen unterworfen ist. Die §§ 456–471 handeln von der Haftpflicht der Eisenbahn für den Schaden, der durch Verlust oder Beschädigung des Gutes – auch von Reisegepäck – oder durch Überschreitung der Lieferfrist entsteht. Nach § 467 ist jede Haftpflicht auf Grund des Frachtvertrags ausgeschlossen, wenn Gegenstände, die von der Beförderung ganz ausgeschlossen sind oder nur unter besonderen Bedingungen befördert werden, unter unrichtiger Bezeichnung aufgegeben werden. § 472 setzt fest, daß die Vorschriften über die Beförderung von Personen auf der Eisenbahn durch die EVO. getroffen werden. Überhaupt nehmen die angezogenen §§ des HGB. mehrfach auf die näheren Bestimmungen des EVO. Bezug und bestimmen, inwieweit durch diese Beschränkungen der Haftpflicht ausgesprochen werden können; der § 471 setzt fest, daß eine Anzahl der durch das HGB. begründeten Verpflichtungen der Eisenbahn als Frachtführer weder durch die EVO. noch durch Verträge abgeändert werden können. Näheres s. die Artikel: Betriebsreglement, Frachtrecht, Verkehrsordnung.

Das internationale Eisenbahnfrachtrecht, das die Reichsverhältnisse betrifft, die bei Beförderung eines Gutes von einem Orte des Inlands nach einem Orte des Auslands auf Grund eines durchgehenden Frachtbriefs zwischen dem Verfrachter und der Eisenbahnen und zwischen den an der Beförderung des Guts beteiligten Eisenbahnen untereinander entstehen, wird durch das Berner Internationale Übereinkommen über den Eisenbahnfrachtverkehr (I. Ü.) geregelt, dessen letzte Fassung die vom 22. Dezember 1908 an gültige ist (s. hierüber Näheres in Abschnitt A und im Art. Frachtrecht, internationales).

Die Haftpflicht für Tötung und Verletzung von Personen beim Betrieb der Eisenbahnen wird durch ein besonderes Reichsgesetz vom 7. Juni 1871 (das sog. Haftpflichtgesetz) geregelt. Es bezeichnet sich als das Gesetz betreffend die Verbindlichkeiten zum Schadenersatz für die bei dem Betrieb von Eisenbahnen (Bauwerken, Fabriken, Steinbrüchen, Gräbereien) herbeigeführten Tötungen und Verletzungen und bestimmt im § I folgendes: Wenn bei dem Betrieb einer Eisenbahn ein Mensch getötet oder körperlich verletzt wird, so haftet der Betriebsunternehmer für den dadurch entstandenen Schaden, sofern er nicht beweist, daß der Unfall durch höhere Gewalt oder durch eigenes Verschulden des Getöteten oder Verletzten verursacht ist. Die weiteren Bestimmungen des Gesetzes betreffen namentlich den Umfang des zu leistenden Schadenersatzes, sie sind durch das Einführungsgesetz zum deutschen bürgerlichen Gesetzbuch mehrfach abgeändert.

Das besprochene Gesetz hat außerordentlich zahlreiche rechtliche Zweifel wachgerufen und beschäftigt die deutsche Rechtsprechung noch unausgesetzt in so hohem Maße, daß beim deutschen Reichsgericht in Leipzig ein eigener Senat eingerichtet ist, der sich hauptsächlich mit den auf das Reichshaftpflichtgesetz gründenden Streitfällen befaßt. Auch die juristische Literatur, die das Gesetz hervorgerufen hat, ist sehr umfangreich. Namentlich die Fragen, was unter dem Betrieb einer Eisenbahn zu verstehen, und in welchem Umfang der Schadenersatz zu leisten ist, sind heftig umstritten.

Der Entwurf eines Reichshaftpflichtgesetzes, das auch die Haftpflicht für die Beschädigung von Sachen auf der Eisenbahn für das Reichsgebiet einheitlich regeln soll, ist in Vorbereitung. Für Unfälle des Eisenbahnpersonals im Dienste ist das Reichshaftpflichtgesetz ersetzt durch die Unfallsversicherung des Reichs, insbesondere durch das Unfallversicherungsgesetz und mehrere Unfallfürsorgegesetze. Von sonstigen Reichsgesetzen, die das Eisenbahnwesen berühren, ist besonders noch das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich zu erwähnen, das sich in den §§ 315–320 mit Verbrechen und Vergehen befaßt, die auf eine Zerstörung oder Beschädigung von Eisenbahnanlagen,[311] Beförderungsmitteln und deren Zubehör sowie auf die Ingefahrsetzung von Eisenbahntransporten gerichtet sind. Auch die fahrlässige Beschädigung oder Ingefahrsetzung ist strafbar, u. zw. ist die regelmäßige Mindeststrafe Gefängnis von 1 Monat. Im Jahr 1899 ist durch eine Novelle die Annahme mildernder Umstände und alsdann als Mindeststrafe Geldstrafe nachgelassen. Durch § 319 a. a. O. wird ausgesprochen, daß Angestellte, die wegen der vorbesprochenen Handlungen verurteilt sind, zugleich für unfähig zu einer Beschäftigung im Eisenbahndienste oder einzelnen Zweigen erklärt werden.

Zurzeit wird von der Reichsregierung die Ausarbeitung des Entwurfs zu einem neuen Strafgesetzbuch vorbereitet, in dem voraussichtlich auch die obigen Bestimmungen in mehrfacher Beziehung abgeändert werden, nachdem der von einem hierzu eingesetzten Ausschuß praktischer Juristen ausgearbeitete Vorentwurf solche Abänderungen vorgeschlagen hat.

Über die auf Reichsgesetz beruhende Fahrkartensteuer nebst dem Frachturkundenstempel s. die besonderen Artikel.


G. Personal- und Wohlfahrtswesen.


1. Statistisches.


Das bei den D. beschäftigte Personal umfaßt für 1910 eine Gesamtzahl von 700.371 Köpfen, so daß auf 1 km Betriebslänge 11∙9 Köpfe entfallen. Die für dieses Personal aufgewendeten persönlichen Ausgaben beziffern sich auf 1132 Mill. M., so daß davon auf 1 km Betriebslänge 19.244 M. kommen. Von dem Gesamtpersonal entfallen auf etatsmäßige Beamte 260.753, auf diätarische Beamte 21.030, auf Arbeiter 418.588 Köpfe. Die RE. St. teilt den gesamten Eisenbahndienst in 4 Geschäftszweige, u. zw. 1. den Verwaltungsdienst, 2. den Bahnunterhaltungs- und Bewachungsdienst, 3. den Bahnhofs-, Abfertigungs- und Zugbegleitungsdienst, 4. den Zugförderungs- und Werkstättendienst. Auf diese 4 Zweige verteilen sich die Anzahl der Beamten und Arbeiter wie folgt: Es sind beschäftigt


etatsmäßige diätarische
Beamte BeamteArbeiter
zu 1 22.207 6.102 4.123
zu 2 33.972 1.888139.145
zu 3151.54510.958141.271
zu 4 53.029 2.028 134.049
260.75321.030418.588

Die Gesamtsumme der persönlichen Ausgaben verteilt sich so, daß gezahlt sind:


an etatsmäßingen Beamten 606,340.917 M.
an diätarischen Beamten 38,368.058 M.
an Arbeiter 487,944.246 M.
1131,653.221 M.

Hiernach betrug das Durchschnittseinkommen


bei den etatsmäßingen Beamten2325 M.
bei den diätarischen Beamten1824 M.
bei den Arbeiter1165 M.

Wie sehr Gehälter und Löhne seit 1905 gestiegen sind, erhellt aus folgenden Zahlen: Die persönlichen Ausgaben betrugen 1905 insgesamt bei 606.613 Köpfen 829,151.941 M. es entfielen also auf den Kopf 1366 M., während dieser Betrag für 1910 auf 1132.653.221/700.371 = 1617 M., also in 5 Jahren um 181/2 gestiegen war.


2. Anstellung und Beschäftigung des Personals. In dieser Beziehung herrscht auf den D. die größte Mannigfaltigkeit. Als feststehend und überall wiederkehrend ist der schon in der Statistik hervortretende Unterschied zwischen Beamten und Arbeitern zu betrachten. Erstere sind bei den Staatsbahnen Staatsdiener mit besonderen meist gesetzlich oder doch durch Verordnungen festgestellten Rechten und Pflichten, bei den Privatbahnen ist das Verhältnis ähnlich. Man unterscheidet fast überall etatsmäßige Beamte mit festem Gehalt, deren Stellen in dem Etat der Verwaltung aufgenommen und pensionsfähig sind, und diätarische Beamte, die kein Gehalt, sondern meist eine Monatsvergütung erhalten, und deren Verhältnis zur Verwaltung erheblich lockerer ist. Anspruch auf Pension haben auch sie regelmäßig unter der Voraussetzung einer mehrjährigen Dauer der Beschäftigung. Ihre Stellen sind meist nicht einzeln, sondern nur in einer nach dem wechselnden Bedürfnis sich richtenden Gesamtzahl summarisch in den Etat aufgenommen.

Die Zahl der Beamtenarten und ihre Bezeichnung ist bei den deutschen Bahnen sehr verschieden, man unterscheidet aber überall die Beamten nach den 4 bei der Statistik angegebenen Beschäftigungszweigen.

Die deutsche BO. führt in ihrem § 45 diejenigen Gattungen von Beamten, Bediensteten und Arbeitern auf, die zu den Eisenbahnbetriebsbeamten gehören. Für diese gilt, daß sie 21 Jahr alt und unbescholten sein, auch die Eigenschaften und die Befähigung besitzen müssen, die ihr Dienst erfordert. Sie müssen schriftliche oder gedruckte Anweisungen über ihre dienstlichen Pflichten erhalten. Bei den meisten Verwaltungen sind zur Feststellung, ob die Betriebsbeamten die erforderlichen Fähigkeiten und Kenntnisse für ihren Dienst besitzen, Prüfungen verschiedener Art eingeführt. Auch sind vom Bundesrat Bestimmungen über die Befähigung von Eisenbahnbetriebsbeamten erlassen. Deren Dienst ist auch insofern durch Anwendung von Reichswegen geregelt, als von den beteiligten Bundesregierungen unter Mitwirkung des Reichseisenbahnamts über die planmäßige Dienst- und Ruhezeit der Eisenbahnbetriebsbeamten gemeinschaftliche Bestimmungen getroffen sind. In ihrem § 74 ordnet die BO. ferner an, daß zu den Bahnpolizeibeamten[312] außer den schon erwähnten Betriebsbeamten noch ferner die Pförtner, Bahnsteigschaffner und Wächter gehören. Die Bahnpolizeibeamten sind zu vereidigen und haben in Ausübung des Dienstes Uniform oder ein Dienstabzeichen zu tragen oder doch einen Ausweis bei sich zu führen.

Die Eisenbahnarbeiter stehen zu der Eisenbahnverwaltung lediglich in einem von beiden Seiten der kurzfristigen Kündigung unterworfenen Vertragsverhältnis, wonach sie die Vergütung für ihre Dienste in Form von Tagelohn oder Stücklohn erhalten. Die Schutzvorschriften des Tit. VII der deutschen Reichsgewerbeordnung finden nach § 6 a. a. O. zwar auf Eisenbahnarbeiter keine Anwendung, es ist aber von den D. für das Wohl der Arbeiter in umfassender Weise durch eine große Anzahl von Einrichtungen Sorge getragen. In erster Linie sind hier die Pensions- und Krankenkassen zu erwähnen, durch die den Eisenbahnarbeitern über die reichsgesetzliche Versicherung hinaus unter finanzieller Beteiligung der Verwaltungen Zuschüsse zu den gesetzlichen Leistungen gewährt werden. Außerdem nehmen die Arbeiter an allen den zum Wohle des gesamten Personals geschaffenen Einrichtungen und Anstalten teil, die nachstehend aufgeführt werden.

3. Soziale Fürsorge. Die D. haben von jeher der Wohlfahrtspflege ihres großen Personals umfassende Fürsorge gewidmet. Es seien hier nur aufgeführt die Errichtung von Dienstwohnungen mit Gärten für Beamte und Arbeiter, von Arbeiterkolonien, die Ordnung des bahnärztlichen Dienstes, die schon erwähnte Festlegung der Dienst- und Ruhezeiten auf ein gewisses Maß, die Anordnung der Sonntagsruhe für die Güterzüge, die Gewährung regelmäßigen Urlaubs für Beamte und neuerdings auch für Arbeiter, die Errichtung von Erholungsheimen und Heilstätten, die Unterstützung von Baugenossenschaften zur Errichtung von Eigenhäusern. Hierher gehören auch die Wasch- und Badeeinrichtungen in Verbindung mit den Aufenthalts- und Übernachtungsräumen für das Personale, die Sorge für Speise- und Leseräume, die Verrichtungen zur billigen und guten Zubereitung von Speisen und Erfrischungsgetränken.

Auf Anregung und mit lebhafter Unterstützung der Verwaltungen sind in dem letzten Jahrzehnt auch zahlreiche Eisenbahnvereine ins Leben getreten, die der Pflege der Zusammengehörigkeit und der gegenseitigen Unterstützung zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage dienen. Der Verband der Eisenbahnvereine der Reichsbahnen und der preußisch-hessischen Staatsbahnen zählte allein im Jahre 1910 nicht weniger als 754 Vereine mit 435.682 Mitgliedern.

Vielfach haben diese Eisenbahnvereine besondere Einrichtungen im Interesse des Personals geschaffen, beispielsweise Darlehens- und Sterbekassen. Auch erleichterte Beteiligung an Lebens- und Feuerversicherungskassen ist mit ihnen verbunden. Sehr häufig sind Vereinigungen zu billigerem Einkauf von Lebensmitteln und Bedarfsgegenständen, sog. Konsumvereine.


H. Verhältnis der Eisenbahnen zur Militärverwaltung, zur Post- und zur Zollverwaltung.


Während sich das Verhältnis der D. zu den Staatsbehörden im allgemeinen nach den besonderen Einrichtungen der einzelnen Bundesstaaten richtet, sind die besonders lebhaften Beziehungen zum Militärwesen, zur Post- und zur Zollverwaltung durch reichsgesetzliche Bestimmungen geregelt. Gegenüber der Militärverwaltung kommen zunächst die bereits in Abschnitt E dieses Artikels erwähnten Bestimmungen der Reichsverfassung in Betracht. Das Aufsichtsrecht des Reiches über die Eisenbahnen im Interesse der Landesverteidigung wird vom Reichseisenbahnamt unter Mitwirkung der obersten Militärbehörden wahrgenommen. Näheres s. in dem Art. über das Reichseisenbahnamt.

Weiter sind nach § 15 des Friedensleistungsgesetzes vom 13. Februar 1875 die Eisenbahnen verpflichtet, die Beförderung der bewaffneten Macht sowie des Materials des Landheeres und der Marine gegen Vergütung nach Maßgabe des vom Bundesrat zu erlassenden allgemeinen Tarifs (Militärtarif) zu bewirken. Von dem Tage an, an dem eine Mobilmachung erfolgt, treten die Vorschriften des Kriegsleistungsgesetzes vom 13. Juni 1873 in Kraft. Nach § 28 dieses Gesetzes treten erweiterte Verpflichtungen der Eisenbahnen ein. Sie müssen nicht nur die Beförderung der bewaffneten Macht und der Kriegsbedürfnisse bewirken, sondern auch ihr Personal und ihr zur Herstellung und zum Betrieb von Eisenbahnen dienliches Material zur Verfügung stellen.

Die militärische Organisation der Benutzung der Eisenbahnen im Frieden und im Kriege wird in umfassender Weise geregelt durch die Militärtranssportordnung vom 18. Januar 1899. Schon im Frieden ist der Chef des preußischen Generalstabes der Armee der Vorgesetzte der Militäreisenbahnbehörden. Als solche gelten im Frieden die Eisenbahnabteilung des preußischen großen Generalstabs, die Linienkommandanturen, die regelmäßig für jede Eisenbahnverwaltung[313] eingesetzt sind, und die Bahnhofskommandanturen.

Die Verpflichtungen der Eisenbahnen zur Post sind im Reichspostgebiet (Deutschland außer Bayern und Württemberg) durch das Eisenbahnpostgesetz vom 20. Dezember 1875 und die dazu erlassenen Vollzugsbestimmungen geregelt. Die wesentlichsten Bestimmungen sind folgende: Der Eisenbahnbetrieb ist mit den Bedürfnissen des Postdienstes in die notwendige Übereinstimmung zu bringen. Die Fahrpläne werden unter Mitwirkung der Postverwaltung festgestellt. Mit jedem für den regelmäßigen Beförderungsdienst der Bahn bestimmten Zug ist auf Verlangen der Postverwaltung ein von dieser gestellter Postwagen unentgeltlich zu befördern. Die unentgeltliche Beförderung umfaßt zurzeit die Briefpost, Zeitungen, Gelder, Juwelen, ferner Poststücke (Pakete) bis zum Einzelgewicht von 10 kg. Für schwerere Poststücke wird von der Postverwaltung Fracht bezahlt. Statt des Postwagens kann ein einzelnes Wagenabteil für die Zwecke der Post benutzt werden. Für weitere zur Befriedigung der Bedürfnisse des Postdienstes gestellte Post- oder sonstige Wagen hat die Post bestimmte Gebühren zu zahlen. Ihre zur dienstlichen Begleitung der Sendungen erforderlichen Beamten sind von der Eisenbahn unentgeltlich zu befördern. Der Wert der unentgeltlichen Leistungen der D. für die Post ist so groß, daß er für die preußischen Staatsbahnen allein jährlich auf rund 40 Mill. M. geschätzt wird. Nach einer allerdings nur summarischen Schätzung kann man den Gesamtwert der unentgeltlichen Leistung der D. für die Post auf rund 60 Mill. M. annehmen.

Das Verhältnis der bayerischen Post zu den Eisenbahnen ist dort anders als im Reich geregelt, u. zw. auf der Grundlage, daß die gegenseitigen Leistungen annähernd nach den Selbstkosten vergütet werden. Ähnliche Grundsätze gelten in Württemberg.

Da das Deutsche Reich nach Art. 33 der Reichsverfassung ein einheitliches Zoll- und Handelsgebiet (mit Einschluß des Großherzogtums Luxemburg) bildet, so sind auch die Beziehungen der Eisenbahnen zum Zollwesen von Reichswegen einheitlich geregelt. Das Vereinszollgesetz vom 1. Juli 1869 (abgeänderte Fassung vom 18. April 1889) besagt u.a., daß die Eisenbahnverwaltung die für zollamtliche Abfertigung und einstweilige Niederlegung nötigen Räume auf den für die Zollabfertigung bestimmten Stationen zu stellen hat. Durch das vom Bundesrat erlassene Eisenbahnzollregulativ vom 5. Juni 1888 sind die näheren Vorschriften für die zollamtliche Behandlung des Güter- und Effektentransports auf den Eisenbahnen gegeben. Seit längerer Zeit ist eine Revision des Vereinszollgesetzes im Werke und es wird beabsichtigt, die jetzigen, für die Eisenbahnen als Transportführer teilweise sehr lästigen Vorschriften in einer den Anforderungen des modernen Verkehrs entsprechenderen Weise zu gestalten.

Literatur: v. Reden, Die Eisenbahnen Deutschlands. Berlin 1843. – Chatelier, Les chemins de fer d'Allemagne. Paris 1845. – Koch, Deutschlands Eisenbahnen. Marburg und Leipzig 1860. – Michaelis, Deutschlands Eisenbahnen. Leipzig 1863. – Schmeidler, Geschichte des deutschen Eisenbahnwesens. Leipzig 1871. – Fischer, Die Verkehrsanstalten des Deutschen Reichs. Berlin 1871. – Die historische Entwicklung des deutschen und deutsch-österreichischen Eisenbahnnetzes vom Jahr 1838 bis 1881, herausgegeben vom kgl. preußischen statistischen Bureau, bearbeitet von Ernst Kühn. Berlin 1883 und 1887. – Riegels, Verkehrsgeschichte der deutschen Eisenbahnen. Elberfeld 1889. – A. v. Meyer, Geschichte und Geographie der deutschen Eisenbahnen. Berlin 1890. – Statistik der im Betriebe befindlichen Eisenbahnen Deutschlands. (Bearbeitet im Reichseisenbahnamt [jährlich ein Band]). Berlin. – Statistische Nachrichten von den Eisenbahnen des VDEV. (Jährlich 1 Band.) Herausgegeben von der geschäftsführenden Verwaltung des Vereins. – Die Eisenbahnen Deutschlands, Englands und Frankreichs, jährlich im Arch. f. Ebw. – Wb. d. d. St.- u. Verwr. Begründet von Prof. Dr. Karl Freiherrn v. Stengel. Tübingen. Verlag von Z. L. B. Mohr (Paul Siebeck). 1911. – Hw. d. St. W. Herausgeg. von Konrad, Elster, Lexis u. Löning. Jena. Verlag von Gustav Fischer. 1899–1901. – v. Maybach, Ein Beitrag zur Geschichte des preußischen und deutschen Eisenbahnwesens. Von Friedrich Jungnickel. Stuttgart und Leipzig 1910. Verlag der J. G. Cottaschen Buchhandlung Nachf. – Das deutsche Eisenbahnwesen der Gegenwart. Verlag von Reimar Hobbing. Berlin 1911. – J. Fritsch, Handbuch der Eisenbahngesetzgebung in Preußen und dem Deutschen Reiche. Berlin 1912. Verlag von Julius Springer.

v. Mühlenfels.

1

Diese Statistik umfaßt alle deutschen Eisenbahnen jener Zeit, allerdings auch die Linien der österreichischen Kaiser-Ferdinands-Nordbahn, der damaligen k. k. österreichischen östlichen und südlichen Staatseisenbahn. Die Linien dieser österreichischen Bahnen hatten damals eine Länge von rund 1043 km, also rund 12% des Gesamtnetzes und fallen für die Zwecke obiger Darstellung nicht ins Gewicht.

2

In diesem Zeitabschnitte wurden u.a. in Baden die Bahn Basel-Konstanz und Heidelberg-Mosbach, in Württemberg die Neckartalbahn bis Rottenburg und die Remstalbahn von Stuttgart ostwärts fertig, in Bayern baute das im Jahre 1856 mit Staatsgarantie begründete private Ostbahnunternehmen die östlichen Eisenbahnlinien München-Regensburg bis Eger und die anschließenden Abzweigungen nach Nürnberg, Bayreuth, Fürth und Passau aus. In dem Gebiet von Nassau, beider Hessen und Thüringen entstanden in dieser Zeit die Verbindung Frankfurt-Mainz-Bingerbrück, die Lahnbahn, die Linien von Kassel nach Göttingen, die Werrabahn von Eisenach über Koburg nach Lichtenfels, die Bahn von Weißenfels nach Gera, in Sachsen die Linien von Dresden nach Freiberg und von Chemnitz nach Werdau. Im Königreich Hannover wurden die vorhandenen Linien durchgehend nach Emden und Bremerhaven gebaut, in Mecklenburg die Bahn Güstrow-Neu-Brandenburg. In Preußen ist außer den schon oben aufgeführten Linien die Fertigstellung der Verbindung von Posen mit Glogau und Breslau, die weitere Verzweigung des oberschlesischen Netzes, das am 1. Januar 1857 in Staatsbetrieb übernommen war, und der Bau der Bahnen von Görlitz zum Riesengebirge, die direkte Verbindung von Wittenberg mit Halle und Leipzig, in Rheinland und Westfalen die Herstellung der Rhein-Nahebahn, der linksrheinischen Verbindung Köln-Bingerbrück, der Bahn Saarbrücken-Trier, der Deutz-Gießener Bahn, endlich die weitere Ausdehnung und Verzweigung des Bahnnetzes im Ruhrrevier hervorzuheben.

3

Einschließlich 1571 km Privatbahnen unter Staatsverwaltung.

Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 3. Berlin, Wien 1912, S. 286-314.
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