Schreibart; Styl

[1047] Schreibart; Styl. (Schöne Künste)

Man pflegt in den Werken des Geschmaks die Materie, oder die Gedanken von der Art sie vorzutragen, oder darzustellen, zu unterscheiden, und das leztere den Styl, oder die Schreibart zu nennen. Aber es ist schweer genau zu bestimmen, was in jedem Werk zu den Gedanken, oder zur Schreibart gehöre, und daher auch schweer zu sagen, worin eigentlich die Schreibart bestehe. Daß beym Schriftsteller nicht blos der Ausdruk, oder die Wörter, ihre Verbindung, ihr Ton und die daraus zusammengesezten längern oder kürzern Einschnitte und Perioden, sondern auch ein Theil der Gedanken zur Schreibart gerechnet werden müsse, wird jedermann zugeben; und eben so rechnet man zum Styl des Mahlers nicht blos seine besondere Art der Zusammensezung, Zeichnung und Farbengebung, sondern auch etwas von dem Materiellen des Gemähldes.

Da mir nicht bekannt ist, daß sich jemand die Mühe gegeben habe, das, was in allen Werken der Kunst eigentlich zur Schreibart gehöret, mit einiger Genauigkeit zu bestimmen, so will ich versuchen, es hier zu thun. Die Sache scheinet um so viel wichtiger, da jedermann empfindet, wie sehr viel in Werken des Geschmaks auf die Schreibart ankomme, und wie wesentlich es für den Künstler sey, eine gute Schreibart in seiner Gewalt zu haben. Aber wie kann man ihm zur Erlangung derselben den Weg zeigen, so lange man nicht recht weiß, was die Schreibart ist?

In dem der Künstler ein Werk verfertiget, bemühet er sich, gewisse Vorstellungen, die er hat, das ist, einen gewissen Gegenstand, andern darzustellen. Indem er aber dieses thut, schildert er in dem Gegenstand auch sich selbst, die ihm eigenthümliche Art die Sachen anzusehen, zu begreifen und zu empfinden, oder wenigstens die, die ihm bey der Arbeit nach seiner Gemüthslage eigen ist. Das besondere Gepräg, das dem Werk von dem Charakter und der, allenfalls vorübergehenden, Gemüthsfassung des Künstlers eingedrükt worden, scheinet das zu seyn, was man zur Schreibart, oder zum Styl rechnet. Das Wesentliche der Materie, wird dadurch nicht verändert, sondern nur das Zufällige. Wenn viel Menschen zugleich über einen Vorfall lachen, so drükt jeder die Empfindung der Lust aus, die wesentlich bey allen dieselbe ist; aber jeder lacht in seinem eigenen Styl, der von dem blos sanften ruhigen Lächeln, bis zum vollen Ausbruch des Gelächters mancherley Schattirung annehmen kann. Dieses wird uns auf die Spuhr führen die verschiedenen zufälligen Eigenschaften eines durch die Kunst dargestellten Gegenstandes, die zum Styl des Werks gehören, von dem Wesentlichen zu unterscheiden. Wir werden uns aber hier hauptsächlich auf die Schreibart im engern Sinne, wie sie sich in den Künsten der Rede zeiget, einschränken, und können uns dieses Mittels den gegenwärtigen Artikel nicht über die Schranken der Größe auszudähnen, um so viel zuversichtlicher bedienen, da sich das, was von dieser Schreibart, als der wichtigsten Art des Styls, gesagt wird, leicht auf andre wird anwenden lassen.

Hier haben wir nun vor allem andern zu untersuchen, was für Dinge in den Werken der redenden Künste, zur Schreibart gehören, und als Eigenschaften derselben anzusehen seyen.

Um dieses zu erforschen, wollen wir uns vorstellen, daß mehrere Menschen zugleich eine Scene, einen Vorfall, oder eine Begebenheit ansehen, und daß jeder der Zuschauer daher Gelegenheit nehme, das was er gesehen hat, zu beschreiben. Wir würden also in kurzem verschiedene Schriften von einerley Inhalt zu lesen bekommen, die sich aber vielfältig durch die Schreibart von einander auszeichneten.

Wir müssen aber, um in diesen Schriften einerley Inhalt zu haben, damit uns das Charakteristische der Schreibart deutlicher werde, voraussezen, daß jeder den Stoff erzählend behandle, und zur Hauptabsicht habe, seinen Leser von dem, was er gesehen hat, zu unterrichten. Denn wo sich etwa ein sehr empfindsamer, und leichte feuerfangender Dichter, unter diesen Zuschauern befände, den die [1047] Scene in die Begeisterung der Ode versezte, so würde sein Stoff nicht der seyn, den die andern bearbeiten, und wir würden desto mehr Mühe haben, aus Vergleichung seines Werks mit den übrigen, das herauszufinden, was zur Schreibart gehört.

Hier können wir nun sogleich einiges bestimmen, was offenbar zur Materie und nicht zur Schreibart gehöret. Denn wenn wir zu dieser nur das zählen, was von dem besondern Charakter des Verfassers herrühret, so kann das Materielle, das dem Orte, wo er gestanden hat, zuzuschreiben ist, nicht hieher gehören. Der, welcher die ganze Scene übersehen hat, konnte mehr davon sagen, als der sie nur halb gesehen hat. Daß dieser die Sache nicht so vollständig, als jener erzählt, kommt nicht von seinem Charakter, sondern von seiner Stellung her; und der erstere, der nun ausführlich ist, würde es auch nicht seyn, wenn er, auch mit Beybehaltung seines Charakters, an dem Plaz des andern gestanden hätte.

Diese und mehr ähnliche Umstände, die man sich an dem zum Beyspiehl gewählten Bilde geschwinder vorstellen kann, als sie sich beschreiben lassen, führen uns auf die Spuhr, was man zu überlegen habe, um von dem Materiellen, oder von den Gedanken das, was zum Wesentlichen der Sache und das was blos zur Schreibart gehöret, richtig zu unterscheiden.

Es ist kaum möglich hierüber besondere Grundsäze anzugeben; und wir müssen uns mit einem einzigen allgemeinen begnügen, davon doch nur die scharfsinnigsten Beurtheiler einen sichern Gebrauch machen können, weil die Sache an sich selbst schweer ist.

Wer also bey jedem Schriftsteller das, was zu seiner Schreibart gehört, es liege in den Gedanken, oder in dem Ausdruk, von dem, was nicht Schreibart ist, unterscheiden will, der suche vor allen Dingen die Art des Inhalts, die Absicht des Verfassers, folglich auch den Standort und Gesichtspunkt aus denen er seinen Stoff angesehen hat, genau zu fassen. Hernach überlege er bey jedem Gedanken und Ausdruk, ob er so wesentlich zur Sache gehöre, oder so natürlich damit verbunden sey, daß jeder Schriftsteller von Genie, Nachdenken und richtiger Urtheilskraft (dann diese werden bey jedem vorausgesezt) der jene Absicht gehabt, und aus jenem Standorte die Sache angesehen hätte, ihn würde haben finden oder bemerken können, oder ob er natürlicher Weise nur dem scherzhaften, oder dem wizigen, oder dem etwas boshaften, dem kaltblütigen, oder dem hizigen Mann; kurz ob er nur dem Schriftsteller von irgend einem besonders ausgezeichneten Charakter, oder einer besondern Laune, habe einfallen können. Alles, was zum leztern Falle gehöret, rechne er zur Schreibart; was aber zu diesem besondern nicht gehöret, das rechne er zum Wesentlichen der Materie.

Wenn wir uns vorstellen Xenophon, Livius und Tacitus hätten einerley Stoff, die Erzählung von irgend einer Staatsveränderung zu behandeln, sich vorgenommen, und jeder hätte dabey die Hauptabsicht gehabt, seinen Lesern eine wahre und richtige Vorstellung von dem Vorfall und den Ursachen desselben zu geben; so werden wir leicht begreifen, daß jeder dieser drey Männer, nicht nur in seiner Art zu erzählen, sondern auch in Anordnung der Materien, in der Wahl der Umstände, in Einführung oder Weglassung der Personen, in Erzählung ihrer Handlungen, und Anführung ihrer Reden, seinem besondern Charakter gemäß, würde zu Werke gegangen seyn. Xenophon würde nur das Nöthige zum klaren und einfachen Begriff der Sache, und der natürlichsten Vorstellung derselben, ohne Leidenschaft, ohne uns für, oder gegen die Sache einzunehmen, erzählen. Livius würde seinem ernsthaften, pathetischen und mit altrömischer Würde bekleideten Charakter zufolge, die Sache von der großen, wichtigen Seite vorgestellt, manchen kleinern Umstand weggelassen, manches ernsthafte Wort, seinen handelnden Personen in Mund gelegt haben; so, daß wir überall an den handelnden Personen, die Patrioten, oder die schlecht und eigennüzig gesinnten Bürger, würden erblikt haben. Tacitus hätte außer den wesentlichsten Hauptsachen, vornehmlich solche Umstände gewählt, die uns tief in die Herzen der handelnden Personen hätten hineinsehen lassen, nicht um sie in ihrem öffentlichen Charakter, als Patrioten, oder Aufrührer, sondern, als gute oder schlechte Menschen zu erkennen; er würde einen Ausdruk gewählt haben, der uns gefließentlich für, oder gegen die Personen hätte einnehmen sollen u.s.f. Also würden wir sowol in der Materie, als in der Form und in dem Ausdruk dieser drey Geschichtschreiber eines jeden besondern Charakter haben erkennen können. [1048] Dieses aber würde drey verschiedene Schreibarten verursachet haben.

Dieses mag hier hinlänglich seyn, den Begriff von dem, was man eigentlich Schreibart nennt, überhaupt zu bestimmen.

Ehe wir uns in nähere Entwiklung dieses Begriffes einlassen, wollen wir anmerken, daß schon hieraus erhellet, was für Wichtigkeit die Schreibart nach dem verschiedenen Inhalt eines Werks haben könne, und was für einen besonderen Charakter sie in besondern Fällen vorzüglich anzunehmen habe.

Da überhaupt jede besondere Schreibart eine getreue Schilderung irgend eines besondern Gemüthscharakters ist, der Charakter der Personen aber, mit denen wir, besonders in der Jugend, am meisten umgehen, sehr viel zur Ausbildung unsers eigenen beyträgt, so läßt sich hier sogleich dieser allgemeine Schluß ziehen; daß Werke des Geschmaks, die für den großen Haufen der Leser bestimmt sind, schon blos durch die Schreibart beträchtlichen Nuzen, oder Schaden stiften können: und es ist zu wünschen, daß diese wichtige Wahrheit von unsern Dichtern, und Prosaisten, die für den Geschmak arbeiten, in ernstliche Ueberlegung genommen werde. Daß die Jugend, um nur ein Beyspiehl anzuführen, durch gewöhnliches Lesen solcher Werke, deren Schreibart leichtsinnig, oder spöttisch, oder unnatürlich und geziehrt, spizfündig, melancholisch, menschenfeindlich ist, an Geschmak und übriger Denkungsart merklichen Schaden leiden würde, bedärf eben keines Beweises; allenfalls könnten vielfältige Erfahrungen ihn überzeugend darstellen. Es kommt also bey Werken des Geschmaks nicht blos darauf an, ob die darin herrschende Schreibart an sich betrachtet, gut oder schlecht sey; es ist auch wol zu bedenken, was für einen Charakter sie habe. Denn schon durch diesen allein, kann ein Werk nüzlich, oder schädlich werden. Das Lesen ist ein Umgang mit den Schriftstellern; ihre Schreibart hat auf die Leser die Würkung, die der persönliche Charakter den sie ausdrükt, im würklichen Umgang haben würde. Hieraus folget nun ganz natürlich, daß in Werken des Geschmaks, die für den großen Haufen der Leser bestimmt sind, jede Schreibart von verdächtigem, oder gar verwerflichem Charakter, so schön sie sonst in ihrer Art seyn mag, zu vermeiden ist. Ich gestehe deswegen, um ein besonderes Beyspiehl anzuführen, daß ich mit Unwillen in einem Buche, das sich so allgemein verbreiten sollte, wie der deutsche Merkur, ein Gedicht über die Freygeisterey, in einem höchst leichtsinnigen Ton, und in eben solcher Schreibart gefunden habe. Wie konnte es irgend einem nachdenkenden Mann einfallen, eine würklich ernsthafte Sache, (denn dergleichen scheinet der Verfasser würklich zum Zwek gehabt zu haben) in einer Schreibart zu behandeln, deren Charakter sich gleich durch die zwey ersten Verse ankündiget?


Ihr Brüderchen, laßt uns fein christlich leben;

Wir müssen doch uns einmal drein ergeben!


dergleichen Ungereimtheiten und Unanständigkeiten dürffen eben nicht mit viel Worten gerüget werden; es ist völlig hinlänglich sie blos anzuzeigen.

Es wäre zu wünschen, daß die wizigen Köpfe sich die Klugheit der alten Philosophen zum Muster vorstellten. Diese hatten einen Exoterischen Vortrag für das allgemeine Publikum, und er war vorsichtig, damit kein Anstoß gegeben würde: denn einen Esoterischen für eine kleine Anzahl auserlesener Zuhörer, die ohne Gefahr schon mehr vertragen konnten. In Schriften die für die kleine Zahl der Kenner geschrieben sind, hat es mit der Schreibart, wenn sie nur reizend genug ist, weniger Bedenklichkeit. Denn für Kenner kann etwas blos belustigend seyn, was dem großen Haufen schädlich wäre. Man muß einen Unterschied zwischen den Personen machen, mit denen man spricht. Ein verständiger Mann erlaubet sich in einer Gesellschaft seines gleichen viel, und kann es sich ohne Bedenken erlauben, dafür er sich in andern Gesellschaften sorgfältig hüten würde. Warum soll man diese Klugheit nicht auch in Schriften beobachten?

Eine andere Art von Wichtigkeit hat die Schreibart zur Unterstüzung der darin vorgetragenen Materie. Es sey, daß die Absicht des Schriftstellers auf Belehrung, auf Belustigung, oder Rührung gehe; so läßt sich leicht einsehen, daß die Schreibart sehr viel zu der Kraft des Inhalts beytrage. Man därf nur bedenken, was für einen ungemein großen Unterschied eines und eben desselben Gedanken, der Ton und die Wendung desselben in seiner Würkung hervorbringen. Wo man nicht gänzlich für speculativen Unterricht schreibet, welche Art ausser dem Gebieth der schönen Künste liegt, da muß nothwendig ein großer Theil der Würkung der Rede [1049] von der Schreibart herrühren. Die Regel, welche Horaz für den rührenden Inhalt giebt:


–– si vis me flere, dolendum est

Primum ipsi tibi.


kann ohne alle Ausnahm auf jede Art des Inhalts angewendet werden. Der Lehrer, welcher den Charakter einer inneren Ueberzeugung, einer auf sein eigenes Herz würkenden Kraft der Wahrheit in seiner Schreibart empfinden läßt, kann sicher seyn, nicht blos den spekulativen Verstand zu überzeugen, sondern die Wahrheit auch würksam zu machen; und wer durch seinen Stoff sanft, oder lebhaft vergnügen oder ergözen will, hat den Endzwek schon zur Hälfte erreicht, wenn seine Schreibart den Charakter dieser Art des Vergnügens empfinden läßt. Darum bedärf es weiter keiner Erinnerung daß bey jedem Werke des Geschmaks besondere Sorgfalt auf die Schreibart zu wenden sey.

Wir wollen nun versuchen die verschiedenen zur Schreibart gehörigen Punkte etwas näher zu bestimmen. Hier entstehen also die Fragen: 1. wie wir in einem Werke von dem Materiellen, oder den Gedanken selbst, das, was zur Schreibart muß gerechnet werden, von dem übrigen unterscheiden sollen, und 2. was auch im Ausdruk als eine Würkung der Schreibart anzusehen sey? Allgemein haben wir die Fragen vorher schon beantwortet. Wir wollen hier die gegebene Regel auf jeden der beyden Punkte besonders anwenden.

1. Man stelle sich bey jedem Werk die Materie, oder den Stoff desselben und den Zwek des Verfassers, so genau und bestimmt als es möglich ist, vor, und beurtheile jeden einzelen Gedanken, jeden Begriff, um zu entdeken, ob er wesentlich zum Stoff und zum Endzwek des Verfassers gehöre, oder doch so natürlich damit verbunden sey, daß er jedem scharfsinnigen und nachdenkenden Verfasser, dem wir izt keinen besonders ausgezeichneten Charakter, keine merkliche Laune zuschreiben, nothwendig oder natürlich eingefallen wäre. Ist dieses, so gehört er zum Stoff und nicht zur Schreibart; finden wir ihn aber von so besonderer Art, daß er mehr aus dem besondern Charakter des Verfassers, oder aus seiner besondern Laune entstanden ist, so müssen wir ihn zur Schreibart rechnen. Beyspiehle werden dieses erläutern. Cicero sagt in seiner ersten catilinarischen Rede unter andern folgendes: »Da nun die Sachen so stehen, Catilina, so fahre fort, wie du angefangen; begieb dich endlich aus der Stadt; die Thore stehen dir offen, zieh heraus – Führ auch alle deine Anhänger mit dir heraus, wenigstens die meisten davon. Reinige die Stadt – Unter uns kannst du nun nicht länger wohnen, das kann ich nicht ertragen, ich will und kann es nicht leiden1.« Das Wesentliche ist hier die ernstliche Mahnung, Catilina soll mit seinem Anhang aus der Stadt weichen; weil er nach dem, was von seinem Anschlag entdekt worden, nicht weiter darin könne gelitten werden. Dieser Gedanken fließt natürlicher Weise aus dem vorhergehenden, und jeder Mann von Ueberlegung, der die Sache aus dem Gesichtspunkt angesehen hätte, aus dem der Consul sie sah, würde denselben gehabt haben. Aber die Nebengedanken: die Thore stehen dir offen; die Wiederholung: zieh heraus; der schimpfliche Vorwurf: reinige die Stadt; der lezte Zusaz – ich will und kann es nicht leiden, sind Gedanken der Schreibart, die aus dem besondern Charakter des Redners entstanden sind, der in allen seinen Reden etwas von diesem Ueberfluß der Gedanken zeiget. Dergleichen Zusäze zu dem Wesentlichen der Gedanken, und solche Nebenbegriffe, die nicht aus genauer Ueberlegung der Sachen entstehen, sondern in dem Charakter oder in der gegenwärtigen Gemüthslage des Redenden ihren Grund haben, mischen sich meistentheils ohne sein Bewußtseyn unter die Hauptgedanken, und gehören deswegen zu seiner besondern Schreibart. Aufgewekten und lustigen Personen kommen scherzhafte, lustige Nebenbegriffe, indem sie an die Hauptsache denken; dem ernsthaften etwas finsteren Manne fallen ernsthafte, auch wol verdrießliche Nebengedanken ein; dem Wollüstigen wollüstige, und so jedem andern solche, die seinem Charakter, oder der gegenwärtigen Laune gemäß sind. Diese Nebengedanken aber machen bey der Schreibart eine Hauptsache, aus. Daher kommt es, daß der spekulative, metaphysische Kopf die Hauptsache, die jeder andere[1050] blos würde genennt haben, durch Beywörter oder ganze Säze, näher und genauer, als irgend ein andrer Schriftsteller bestimmt; daß der empfindsame Mann, Gedanken und Begriffe, die seinem gefühlvollen Herzen bey Gelegenheit der Hauptsachen eingefallen, mit einmischt; daß der wizige Kopf von sehr lebhafter Phantasie alles mit einer Menge sinnlicher Nebengedanken und kleinen Mahlereyen ausschmüket; daß der Mann von gerader und kalter Vernunft, mehr als alle andere bey der Hauptsache bleibet und nichts einmischt, als, was gerade zur Sache gehört; daß der pünktliche und etwas mißtrauische alles durch eine Menge Nebenbegriffe auf das ängstliche zu bestimmen sucht, – und mehr dergleichen Verschiedenheiten in dem was zu den Gedanken selbst gehöret. Dieses ist so offenbar, daß wir nicht nöthig haben Beyspiehle darvon anzuführen.

Der Schwung und die Wendung der Gedanken, die einen wesentlichen Theil der Schreibart ausmachen, kommen von dem Temperament, von dem Stand und der Lebensart des Redenden. Ein feuriger hiziger Mann giebt den Gedanken einen lebhaften Schwung, ein feiner Hofmann, der gewohnt ist überall die gefällige und angenehme Seite der Sachen zu zeigen, und gleichsam immer nur auf den Zeen zu gehen, wird auch allem, was er sagt, eine solche gefällige Wendung geben.

Ferner gehören die Einkleidung, Ordnung und Verbindung der Gedanken ebenfalls zur Schreibart. Wer mehr Verstand als Wiz hat, trägt alles, so zu sagen, in seiner nakenden Gestalt vor; der, dessen Phantasie lebhaft ist, kleidet sie häufig in Bilder ein. Die Wahl dieser Bilder richtet sich wieder nach dem Charakter des Redenden, sind lustig, lieblich, von gemeinen, oder seltenern Dingen hergeholt, nach der. Gemüthsbeschaffenheit dessen, der sie braucht. Und so ist es mit der Ordnung und Verbindung der Gedanken. Ein heller Kopf sucht natürliche Ordnung; ein hiziger versäumt sie ofte; ein etwas ängstlicher Mann sucht die pünktlichste Verbindung u.s.f. Hieraus nun ist offenbar genug, was man von den Gedanken in den Werken der redenden Künste zur Schreibart rechnen soll.

2. Was ist aber in den Worten und Redensarten Schreibart? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir nothwendig auf das Achtung geben, was die Worte, außer dem Bedeutenden, dem Sinn und dem Geiste, der in ihnen liegt, sonst noch an sich haben, daraus man auf die Sinnesart, den Charakter, die Laune des Sprechenden schließen kann. Und hier zeigen sich gleich mancherley Dinge von dieser Art; denn ein Wort und eine Redensart kann bey einerley Bedeutung edel, oder niedrig, anständig und schiklich, oder unanständig, gewöhnlich und also einigermaaßen natürlich, oder gesucht und geziehrt; vergrößernd, oder verkleinernd; fröhlich oder finster, comisch oder tragisch; platt oder fein, u.s.f. seyn. Außer den einzeln Wörtern sind auch die Redensarten und die daraus gebildeten Säze von verschiedenem Charakter. Sie können steif, gezwungen, vernachläßiget, weitschweifend, hart und holpericht, unbestimmt, u.s.f. oder fließend, leicht, kurz, wolbestimmt seyn, und noch auf verschiedene Weise ihre eigene Art haben. Kurz, der bloße Ausdruk kann eben so vielerley Charakter annehmen, als die Gedanken selbst. Dieses Charakteristische gehört nun alles zur Schreibart, die durch die Art des Ausdruks so gut, als durch das besondere Gepräg der Gedanken, ihren eigenen Charakter bekömmt.

Es wär ein völlig vergebliches Unternehmen, und würde sich am wenigsten hieher schiken, die verschiedenen Arten und Schattirungen des Styls beschreiben zu wollen; sie sind so mannigfaltig, als die Physionomien der Menschen selbst. So weit kann sich die ausführlichste Theorie der schönen Künste nicht einlassen.

Was aber bey dieser großen Mannigfaltigkeit der Schreibarten dazu gehöre, daß jede in ihrer Art gut, und einem Werke des Geschmaks anständig sey, und wodurch sie, von welchem Charakter sie sonst sey, schlecht und verwerflich werde, verdienet besonders erwogen zu werden. Es lassen sich auch viel gute und schlechte Eigenschaften derselben überhaupt angeben.

Da wir hier in enge Schranken eingeschlossen sind, so können wir die Sachen blos anzeigen, ohne sie weiter auszuführen. Es ist aber sehr zu wünschen, daß diese wichtige Materie von wahren Kennern etwas umständlich behandelt werde.

Unsers Erachtens verdienet keine Schreibart gut genennt zu werden, wenn sie nicht folgende Eigenschaften hat. 1. Anstand, Schiklichkeit, oder überhaupt gut gesittetes Wesen; denn eine niedrige, pöbelhafte, ausschweiffende, unsittliche Schreibart, ist offenbar dem guten Geschmak entgegen. Dieses [1051] bedarf keiner Ausführung. 2. Uebereinstimmung des Charakters mit dem Inhalt. Wenn dieser ernsthaft, fröhlich, rührend, traurig, von hoher Würde, oder von geringerm Rang ist u.s.w.; so muß der ganze Charakter der Schreibart, in Gedanken und Ausdruk, eben so seyn. Ernsthafte Sachen, mit scherzhaften Nebenbegriffen und einem leichtsinnigen Ausdruk vorgetragen, machen einen wiedrigen Gegensaz aus. 3. Aesthetische Kraft, von welcher Art sie sey;2 weil ohne sie die Schreibart troken, matt und völlig leblos wird. Wo nicht aus der Schreibart entweder vorzügliche Verstandeskräfte, oder eine schöne und lebhafte Phantasie, oder ein empfindsames Herz, oder gute Gesinnungen, hervorleuchten, da fehlet es ihr an Kraft, und sie erwekt gar bald Ueberdruß. Solche Werke gleichen den Gesichtern ohne Physionomie: wie wolgebildet sie auch sonst seyn mögen; so haben sie doch keine Kraft zu gefallen, weil es ihnen an der Seele fehlet. Es ist demnach eine Hauptmaxime zu Erreichung einer guten Schreibart, daß durch sie der Verstand oder die Phantasie, oder das Herz in beständiger Beschäfftigung unterhalten werde. Die Art dieser Unterhaltung aber muß durch den Inhalt bestimmt werden. Spricht man von Empfindung, so muß auch die Schreibart herzlich, und weder wizig, noch tiefsinnig seyn. Ist die Erleuchtung des Verstandes die Hauptabsicht, so muß die Schreibart weder wizig noch empfindsam seyn. Einen gleichgültigen Inhalt mag man mit wizigen Einfällen beleben. 4. Auch ein gewisser Grad der Klarheit, Leichtigkeit, Bestimmtheit und Nettigkeit, muß bey jeder guten Schreibart seyn. Die Rede gleichet einem Instrument, das zu einem genau bestimmten Gebrauch dienet: je genauer jeder kleineste Theil desselben sich zu dem Gebrauch schiket; je leichter man aus der Form seine Tüchtigkeit erkennet, je mehr gefällt es. Entdeket man aber irgend etwas, das seinen Gebrauch unbequäm macht; ist es da, wo es schneiden soll, nicht vollkommen scharf; da wo man es anfassen soll, nicht vollkommen zur Hand; sind überflüßige Theile daran, deren Absicht man nicht erkennt; oder ist etwas, das feste seyn soll, wankend; passen die Theile, die an einander schließen sollen, nicht fest auf einander u.s.f. so kann nur ein Pfuscher sich damit begnügen. So vollkommen, so reinlich, so richtig3 jedes Werk der mechanischen Kunst seyn muß, so bestimmt, nett und klar, muß auch jeder Gedanken und jeder Ausdruk, in der Rede seyn.

Die vierte Foderung betrifft so wol das Ganze eines Werks, als jeden einzelen, größern, oder kleinern Theil. Denn jeder einzele Saz kann Klarheit und Nettigkeit haben, und doch kann dem Ganzen beydes fehlen. Was wir also anderswo von der Anordnung des Ganzen, und von der Gruppirung der Theile gesagt haben, gehöret nothwendig hieher. Dieses ist in der Schreibart vielleicht der schweereste Punkt; weil er ohne langes Nachdenken, ohne viel Verstand, schnelle und richtige Beurtheilung und ein überaus scharfes Aug, nicht kann erreicht werden. Wie bald entschlüpft uns in einzelen Säzen ein etwas unbestimmtes, oder müßiges, oder in seiner Bedeutung etwas dunkeles Wort? Und was gehört nicht dazu, das Wesentliche eines ganzen Werks sich auf einmal so vorzustellen, daß man die natürlichste Ordnung in der Materie entdeken könne?

5. Auch die Einförmigkeit ist eine Eigenschaft jeder guten Schreibart. In einer Rede muß man nicht von einem Charakter auf den andern springen, izt gesezt und kalt; dann lebhaft und feurig; an einem Orte scherzend; denn wieder ernsthaft, oder gar strenge seyn. Jede Rede hat nur einen Inhalt, und dieser muß einen bestimmten Charakter haben, auf den auch die Schreibart passen muß. Darum soll sie nicht abwechselnd, bald diese bald eine andere Art annehmen.

6. Endlich können wir auch den Wolklang und die Reinigkeit des Ausdruks unter die nothwendigen Eigenschaften der Schreibart rechnen. Jeder Fehler gegen die Grammatik, und jeder Uebelklang ist anstößig. Dieses braucht nicht weiter ausgeführt zu werden, da es fühlbar genug ist.

Was nun diesen verschiedenen Foderungen entgegen ist, muß nothwendig die Schreibart schlecht machen. Nämlich 1. das unsittliche, oder schlechte und geschmaklose in dem Charakter derselben überhaupt. Es ist aus dem vorhergehenden gar leicht zu bestimmen, wie der Charakter der Schreibart sowol in Gedanken, als Ausdruk niedrig, grob, schwülstig, ausschweiffend, übertrieben, geziehrt, muthwillig u.s.f. werden könne. 2. Das Wiedersprechende zwischen dem Inhalt und der Schreibart. Wie wenn jener ernsthaft, diese leichtsinnig; jener leicht und gering, diese pathetisch und vornehm ist u. d. gl. 3. Das Kraftlose überhaupt. [1052] Die Materie kann wichtig und interessant seyn, und doch völlig in einer nichtsbedeutenden Schreibart vorgetragen werden, die uns klar sehen läßt, daß der Redende weder Verstand, noch Einbildungskraft, noch Gefühl hat. Man därf, um dieses zu begreifen, nur Achtung geben, wie etwa ein Idiot, ein geschmakloser und unempfindlicher Mensch spricht, wenn er auch etwas würklich wichtiges erzählt, das er gesehen, oder gehört hat. Aber diese Kraftlosigkeit ist vielmehr ein gänzlicher Mangel der Schreibart, als eine fehlerhafte Gattung derselben. Man muß sich aber sehr in Acht nehmen, daß man nicht die edle Einfalt der Schreibart, was die Alten den wahren Atticismus nennen, und davon wir in den Schriften des Xenophons die besten Muster antreffen, für das Kraftlose halte. Das vollkommen natürliche, sanft- und leichtfließende, ist so wenig kraftlos, daß man ihm vielmehr, ohne müd oder satt zu werden, mit anhaltender Lust zuhört; weil der Geist ohne Anstrengung durch Ordnung, natürlichen Zusammenhang, Klarheit und die höchste Richtigkeit und Schiklichkeit der Gedanken und des Ausdruks, sich beständig in einer angenehmen Lage findet.4 4. Auch das Dunkele, Verworrene und Unbestimmte, sind Fehler, die die Schreibart durchaus schlecht machen. Worin dieses bestehe, haben wir nicht nöthig zu entwikeln. 5. Die Ungleichheit und Unbeständigkeit; wenn man nämlich bey einerley Inhalt, bald kalt, bald warm; bald wizig, bald empfindsam, bald scherzhaft, bald streng schreibt. 6. Endlich wenn es der Schreibart an Sprachrichtigkeit und Wolklang fehlet.

Aber wie gelanget man dazu, daß man alle Mittel, wodurch das Gute der Schreibart erhalten, und das Schlechte vermieden wird, in seine Gewalt bekomme? Eine sehr wichtige Frage! Sie ist zwar leicht zu beantworten; aber das, was die Antwort fodert, ist schweer zu erhalten.

Es erhellet aus allem, was wir über diese Materie gesagt haben, daß das Wichtigste davon in dem Charakter dessen, der schreibt, seinen Grund habe. Scribendi fons est sapere. Kein Mensch giebt sich seinen Charakter, man hat ihn von Natur. Aber zwey Dinge sind, die ein Schriftsteller zu Erlangung der guten Schreibart, in Absicht auf seinen Charakter zu thun hat. Das Gepräge oder die Art desselben, die er von der Natur bekommen hat, kann er ausarbeiten, verbessern und zu einem gewissen Grad der Vollkommenheit bringen. Wer sicher seyn will gut zu schreiben, muß seines Charakters gewiß seyn. Unfehlbar mahlt er sich selbst in seinen Reden; darum trete er nicht eher öffentlich auf, bis er gewiß ist, daß er seinen Charakter, er sey nun von welchem Gepräg er wolle, so weit bearbeitet und verbessert habe, daß der verständigen und gesitteten Welt nichts, darin anstößig sey; bis er fühlt, er könne sich mit Ehren und Beyfall in derselben zeigen. Dies ist freylich eine schweere Foderung, besonders da die hizige und unerfahrne Jugend, gerade den stärksten Reiz zum Schreiben empfindet. Dem, der in diesem Stük ernstlich nach Beyfall und Ehre trachtet, weiß ich nichts besseres über diesen wichtigen Punkt zu sagen, als daß ich ihn vermahne, ein bescheidenes Mißtrauen in sich selbst zu sezen. So viel kann man von dem, der sich einfallen läßt, als ein Schriftsteller öffentlich aufzutreten, fodern, daß er überlegende Blike auf die verschiedenen Stände der menschlichen Gesellschaft geworfen habe; daß er wisse, wie ausgedähnt, oder eingeschränkt seine Kenntnis der Menschen, und jedes Standes eigener Art sey. Gehet er mit dieser Kenntnis in sich selbst, so sollte es ihm auch so sehr schweer nicht seyn zu merken, wo er sich ohne Gefahr anzustoßen und mit einiger Zuversicht zeigen könne, und wo er vorsichtig und höchst bescheiden aufzutreten nöthig habe. Dergleichen Ueberlegungen werden ihm einiges Licht über das geben, was etwa in seinem Charakter noch roh, ungebildet, ungesittet, oder doch unzuverläßig ist. Er wird auf Mittel denken, die gefährlichen Klippen, daran er scheitern würde, zu vermeiden, und erkennen, was ihm zu weiterer Bearbeitung und Ausbildung seines Charakters noch fehle. Ist er so weit gekommen, so ist er auf dem rechten Weg [1053] sich selbst immer mehr zu bilden, und endlich dahin zu gelangen, wo er, ohne große Gefahr sich in einer unschiklichen Gestalt zu zeigen, vor das Publicum treten kann.

Ist der Schriftsteller sich bewußt, daß er unter gehöriger Vorsichtigkeit es wagen könne, durch seine Schreibart seinen Charakter an den Tag zu legen; so hat er nun auch ferner in jedem besondern Falle nöthig, das Verhältnis dieses Charakters gegen seine Materie genau zu überlegen, damit er nichts unternehme, das seiner Art zuwieder sey. Will er scherzen, oder sich in ernsthafter Würde zeigen; will er wizig, oder empfindsam schreiben; so muß er auch versichert seyn, daß der Charakter, den er anzunehmen gedenkt, seinem Naturell, oder Temperament nicht zuwieder sey. Denn durch Zwang und Nachdenken richtet man gewiß nichts aus, wo der natürliche Trieb fehlet. Wem die Natur eine lachende Laune versagt hat, dem wird es gewiß nicht glüken, sich in seiner Schreibart, als einen ächten Lacher zu zeigen. Darum ist es höchst wichtig, daß jeder Schriftsteller sich selbst kenne, und in seiner Art bleibe.

Dieses sind also die zwey Hauptmaximen, die man zu Erreichung einer guten Schreibart befolgen muß. Aber allein find sie noch nicht hinreichend zum Zwek zu führen. Zwey eben so nothwendige Eigenschaften müssen noch hinzukommen, nämlich: eine völlig geläufige Kenntnis der Sachen, über die man schreibt, und der Sprache, die man zum Ausdruk braucht.

Die gute Schreibart erfodert ein völlig freyes und durch keine Art des Zwanges gehemmtes Verfahren. Wer seine Materie nicht völlig besizt, kann nicht ohne Zwang, ohne Ungewißheit, ohne einige Aengstlichkeit davon sprechen, er müßte denn ein völlig leichtsinniger Kopf seyn. So lange der Geist durch die Ungewißheit und Dunkelheit der Materie gehemmt ist, kann die Rede nicht frey fließen. So wie ein Tänzer die Leichtigkeit und Annehmlichkeit seiner Stellungen und Bewegungen nicht zeigen kann, wenn er einen ihm noch nicht geläufigen Tanz mitmachen soll; so kann auch ein Schriftsteller, wenn er sonst noch so gut schriebe, die Schreibart nicht in ihrer Vollkommenheit zeigen, wenn ihm seine Materie nicht geläufig ist. Darum laß er es, ehe er die Feder ansezet, seine erste Sorge seyn, alles, was zu seiner Materie gehöret, zu sammeln, wol zu überlegen, richtig zu ordnen, und sich so genau bekannt zu machen, daß er ohne Zwang und mit völliger Zuversicht davon sprechen könne.

Eben diese vollkommene Kenntnis und Geläufigkeit, wird auch in Ansehung der Sprach erfodert. Dieses ist aber zu offenbar, als daß es einer nähern Ausführung bedürfte. Wem nicht die Wörter und Redensarten im Ueberflus zuströhmen, der hat auch nicht die freye Wahl, sie dem Charakter seiner Materie, und seiner Gedanken gemäß zu wählen.

Aus diesem allen erhellet nun, was für eine schweere Sach es sey, zu einer guten Schreibart zu gelangen; wie viel natürliche Gaben, wie viel Kenntnis, und wie viel Fertigkeit im Denken dazu erfodert werde. Und doch muß nun zu allem diesen noch die Uebung hinzukommen, ohne welche man nicht vollkommen werden kann. Wer noch so geübt ist im Denken und im Sprechen mit sich selbst, wird allemal noch große Schwierigkeiten finden, das, was er sich selbst richtig und gut vorstellt, andern eben so zu sagen. Die Ausübung hat in allen Dingen ihre eigenen Schwierigkeiten, die nur durch anhaltendes Arbeiten überwunden werden. Wer zu einer wahren Fertigkeit in der guten Schreibart gelangen will, muß sich täglich darin üben. Hierzu aber braucht er nicht nothwendig Papier und Feder; es giebt noch ein bequämers Mittel dazu. Man därf nur in den stillen Unterredungen mit sich selbst, oder in Gesprächen, die man blos in Gedanken mit andern führet, aufmerksam auf das seyn, was zur Schreibart gehöret. Da kann man in kurzer Zeit, und ohne Papier zu verschwenden, seine Redensarten und Säze vielfältig ändern, bis man glaubt das beste getroffen zu haben. Es ist sehr wichtig, daß man dergleichen Uebungen mit sich selbst fleißig treibe. Wer mit sich nachläßig spricht, und nicht bey jedem Gedanken, den er sich vorsagt, auf den besten Ausdruk sieht, und so lange sucht, bis er glaubt, ihn gefunden zu haben, der wird auch schweerlich zu irgend einem beträchtlichen Grad der guten Schreibart gelangen.

Sehr viel kann man auch durch den täglichen Umgang mit den besten Schriftstellern gewinnen, und, wer hiezu glüklich genug ist, durch den würklich lebendigen Umgang mit Personen, die es in der Kunst zu reden, zu einem hohen Grad der Vollkommenheit gebracht haben. Wer da Gefühl genug hat, wird alle Augenblik durch vorzügliche, bisweilen [1054] höchst glükliche Wendungen der Gedanken und des Ausdruks gerührt. Das Vergnügen, das man daraus schöpfet, erweket nicht blos kahle Bewundrung, sondern auch ein Bestreben eben so gut zu sprechen; und dann findet man sich geneigt, jene Uebungen zu Entdekung des vollkommensten Ausdruks mit sich selbst vorzunehmen.

Ehe ich diesen Artikel beschließe, finde ich nöthig zu erinnern, daß das, was hier von der Wichtigkeit der Schreibart gesagt worden, fürnehmlich von den Werken des Geschmaks gemeinet sey. Zwar ist eine gute Schreibart überall etwas schäzbares, aber bey speculativen Materien und überhaupt da, wo es blos auf Unterricht, er sey dogmatisch, oder historisch, ankommt, hat die Schreibart so viel nicht auf sich, als in Werken des Geschmaks. Doch auch bey diesen muß man ihr keinen höhern Werth beylegen, als sie ihrer Natur nach haben kann. Sie gehört immer zur Form, und muß nothwendig eine Materie zum Grund haben, die mit dieser Form bekleidet wird. Hat die Materie selbst keinen, oder nur einen geringen Werth, so kann die bloße Form in den Augen der Verständigen einem Werke wol Annehmlichkeit, aber keinen hohen Werth, keine beträchtliche Wichtigkeit geben. Es ist damit wie mit den Manieren und dem äußerlichen Betragen der Menschen, die bey einem recht guten innern Charakter von großem Werthe seyn können, aber da, wo dieser fehlt, wenig schäzbares auf sich haben. Ob also gleich zu wünschen ist, daß man in der deutschen Litteratur mit mehr Ernst, als gemeiniglich geschiehet, auf die Vollkommenheit der Schreibart denke; so möchte ich doch nicht erleben, daß es bey uns dahin käme, daß man, wie izt in Frankreich ziemlich durchgängig geschieht, bey Beurtheilung neuer Schriften zuerst und vorzüglich auf die Schreibart sähe, und das Materielle des Werks wie eine Nebensache betrachtete.

1Quæ cum ita sint Catilina, perge quo cœpisti; egredere aliquando ex urbe; patent portæ, prosiciscere. – Educ tecum etiam omnes tuos, si minus quam plurimos. Purga urbem – Nobiscum versari jam diutius non potes; non feram, non patiar, non sinam.
2S. Kraft.
3S. Reinlichkeit; Richtigkeit.
4 Wir wollen den Charakter dieser attischen Schreibart, wie ihn Cicero zeichnet, hieher sezen. Submissus et humilis, consuetudinem imitans, ab indisertis re plus quam opinione differens. Itaque eum qui audiunt, quamvis ipsi infantes sunt, tamen illo modo confidunt se posse dicere. Nam orationis subtilitas imitabilis illa quidem videtur esse existimanti; sed nihil est experienti minus. Etsi enim non plurimi sanguinis est, habeat tamen succum aliquem oportet, ut etiamsi maximis illis viribus careat, sit ut ita dicam integra valetudine etc. Cic. Orat. c. 23.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 1047-1055.
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