Ehe

[625] Ehe heißt die innigste Verbindung, welche unter zwei Personen verschiedenen Geschlechts, den Ehegatten, stattfinden kann, indem sie auf ihrem freien Willen, auf gegenseitiger Achtung und Liebe beruhen, eine ungetheilte Gemeinschaft des Lebens, Erzeugung und gewissenhafte Erziehung der Nachkommenschaft und wechselseitiges getreues Ausharren in Noth und Tod zum Zweck hat. Die Ehe ist die Grundlage alles Familienlebens und dadurch des Staates selbst; sie begünstigt die glücklichste Entwicklung der Anlagen beider Geschlechter und erhebt den gemeinschaftlichen Umgang derselben über die thierische Befriedigung des Geschlechtstriebes. Die echt sittliche Cultur eines Volkes spricht sich immer in seinen Ehegesetzen aus und die frühe Verwerfung der Vielweiberei gereicht den Römern und unsern Vorfahren zum großen Ruhm. Die Beschränkung auf einfache Ehe muß bei jedem Volke vorausgehen, das eine höhere Stufe der Bildung erreichen will, und die Ehe ist daher allerdings etwas Ehrwürdiges und Heiliges und als solches auch ein Gesetz der christlichen Religion. Sie unterscheidet sich durch die bei Eingehung derselben vorgeschriebene Form und durch die Wirkung, daß die Frau Namen und Stand des Mannes erhält, von der morganatischen Ehe und dem Concubinat (s.d.) aus. Die geltenden gesetzlichen Bestimmungen des Eherechtes in Deutschland gehören größtentheils dem kanonischen Rechte an, welches indeß durch ursprünglich deutsche Grundsätze und die Gesetzgebungen einzelner, namentlich der protestantischen Länder mannichfach abgeändert worden ist. Die katholische Kirche betrachtet die Ehe als Sacrament und stellte daher Alles, was auf Schließung, Aufhebung und persönliche Pflichten aus der Ehe Bezug hat, unter die geistlichen Gerichte. Der wirklichen Vollziehung der Ehe muß ein Vertrag vorausgehen, welcher das wechselseitige Versprechen der künftig einzugehenden Ehe enthält und Eheverlöbniß oder nach dem Lateinischen Sponsalien genannt wird und den nur solche Personen rechtsgültig eingehen können, welche eine gültige Ehe zu schließen vermögen. Doch können auch Witwen während des Trauerjahres und Unmündige, wenn sie über sieben Jahre alt sind, mit Einwilligung des Vaters oder des Vormundes ein gültiges Verlöbniß eingehen, sind aber daran nur während der Unmündigkeit gebunden und die erlangte Volljährigkeit stellt ihnen frei, das Verlöbniß zu bestätigen oder aufzuheben. Vor allen Dingen ist aber bei jedem Verlöbniß eine freie, weder durch Zwang, noch durch List oder Irrthum hervorgebrachte Einwilligung beider Theile erfoderlich; bestimmte Formen sind darüber nur von einzelnen Landesgesetzen vorgeschrieben. Die nach diesen Formen eingegangenen Verlöbnisse nennt man öffentliche und setzt sie den verbotenen, heimlichen oder Winkelverlöbnissen, von denen allein die Verlobten Kenntniß haben, entgegen. Öffentliche Verlöbnisse erfodern immer Zeugen, deren Stelle aber auch von den zustimmenden Ältern, wenn diese noch leben, vollkommen ersetzt wird; ferner ist oft die Gegenwart des Pfarrers und bei Militairpersonen die Zustimmung ihres Chefs nothwendig und selbst Staatsdiener sind meist verpflichtet, ihrer vorgesetzten Behörde oder dem Landesherrn ihre Verlobung wenigstens anzuzeigen. Ohne älterliche Einwilligung eingegangene Verlöbnisse sind nichtig, selbst wenn die Kinder bereits der väterlichen Gewalt entwachsen sind; doch ist das kein hinlänglicher Grund, um eine in Folge eines solchen nichtigen Verlöbnisses vollzogene Ehe wieder aufzulösen. Dagegen brauchen die Ältern in solchen Fällen den Kindern kein Heirathsgut zu geben und können sie nach vielen Landesgesetzen sogar enterben. Um aber Misbrauch der älterlichen Gewalt in solchen Fällen zu verhüten, wo kein vernünftiger Grund zur Verweigerung der Zustimmung vorliegt, kann der älterliche Consens auch durch das Gericht ergänzt werden. Das sogenannte Jawort, das Wechseln der Ringe, die Brautgeschenke, insbesondere der sogenannte Mahlschatz u.s.w., gehören nicht zu den wesentlichen Erfodernissen der Verlöbnisse; ebenso wenig werden an sich ungültige und nichtige Verlöbnisse durch den hinzugekommenen Beischlaf gültig. Ein gültiges Verlöbniß dagegen bewirkt die Verbindlichkeit zur nachherigen Vollziehung der Ehe und in der Zwischenzeit sind sich die Verlobten wechselseitige Treue schuldig. Verletzung derselben durch ein zweites Verlöbniß entbindet den unschuldigen Theil von seinem Versprechen; will er aber auf Vollziehung desselben von Seiten des Schuldigen dringen, so muß dieser dazu angehalten werden. Gültige Verlöbnisse gehen stets ungültigen und unter gleich gültigen das frühere dem spätern vor. Unmögliche und unerlaubte, dem Zweck der Ehe widerstreitende Bedingungen, welche dem Verlöbniß hinzugefügt werden, sind als nicht vorhanden zu betrachten; doch ist es erlaubt, die Gültigkeit des Verlöbnisses von dem Eintritt eines Umstandes abhängig zu machen, nach welchem erst auf die Vollziehung der Ehe angetragen werden darf, oder aber die Auflösung des Verlöbnisses an ein Ereigniß zu knüpfen, dessen Eintreten die wechselseitigen Verpflichtungen aufhebt. Dasselbe kann aber auch durch die Übereinkunft beider Theile oder auf Verlangen eines Theils aus einem gerechten Grunde, z.B. wegen verletzter Treue geschehen und Derjenige, dessen Schuld die Auflösung des Verlöbnisses nach sich zieht, wird stets zur Zurückgabe aller empfangenen Geschenke und zum Schadenersatz verpflichtet.

Die Bestimmung der Hindernisse, welche der Schließung einer Ehe entgegenstehen können, nimmt die katholische Kirche als ein eigenthümliches Recht in Anspruch und unterscheidet zwischen vernichtenden Ehehindernissen, welche eine schon geschlossene Ehe wieder aufzuheben die Kraft haben, und aufschiebenden Ehehindernissen, welche nur so lange ein Hinderniß der Ehe sind, als der kirchliche Obere dieselbe nicht ausdrücklich gestattet hat. Zu den aufschiebenden gehören: das Verbot des kirchlichen Obern aus einem gerechten Grunde; Einspruch einer dritten Person wegen eines ältern gültigen Verlöbnisses; die geschlossene Zeit des Advents, der Fasten und der Bet-, Sonn- und Feiertage; ein nicht feierliches Gelübde der Keuschheit; die auferlegte öffentliche Buße; das Trauerjahr der Witwe und alle verbotenen Grade der Verwandtschaft und Schwägerschaft, bei denen Dispensation stattfinden kann. Vernichtende Ehehindernisse sind: Mangel der freien Einwilligung; physische, durch ärztliche Besichtigung oder sonst auf glaubhafte Weise dargethane Unfähigkeit zur Ehe; bei Lebzeiten des ersten Ehegatten begangener Ehebruch, sofern er mit Nachstellungen nach dem Leben desselben oder mit dem Versprechen der künftigen Ehe verbunden war; Entführung, wenn die Entführte nicht später völlig frei [625] in die einzugehende Ehe willigt; noch bestehende rechtmäßige Ehe eines Theils; das feierliche Gelübde der Keuschheit; die höhern geistlichen Orden; die nichtchristliche Religion des einen Theils; zu nahe Verwandtschaft und Schwägerschaft. Das neuere katholische Kirchenrecht verbietet alle Ehen in gerader Linie zwischen Ascendenten und Descendenten ohne Rücksicht auf Grade der Verwandtschaft; in der Seitenlinie untersagt es aber alle Ehen bis zum vierten Grade gleicher Seitenlinie. Wegen der Schwägerschaft sind alle Ehen des einen Ehegatten mit allen Verwandten des andern untersagt, welche dieser, wegen Nähe der Verwandtschaft, nicht würde heirathen können. Außer dieser natürlichen Verwandtschaft gibt es noch eine bürgerliche, welche durch die Annahme an Kindesstatt entsteht, und die Ehe zwischen den Ascendenten des Adoptivvaters und den Descendenten des Adoptivsohnes, sowie zwischen ihnen selbst und ihren Ehegatten verbietet, was in der Seitenlinie sich aber nur bis zum zweiten Grade ungleicher Linie erstreckt. Endlich wird auch noch die sogenannte geistliche Verwandtschaft, welche durch die Taufe, die Firmelung und die Beichte entsteht, als vernichtendes Ehehinderniß betrachtet. Die Befugniß, von diesen Ehehindernissen zu dispensiren, hat allein der Papst, wenn er nicht durch besondere Indulte andere Kirchenobere damit beauftragt hat.

Von der protestantischen Kirche werden die bis jetzt erwähnten Eheverbote des kanonischen Rechts nicht anerkannt, theils schon wegen veränderter Religionsgrundsätze, theils vermöge der abweichenden Bestimmungen der einzelnen Kirchenordnungen. Nach den meisten protestantischen Kirchenordnungen ist die Verwandtschaft und Schwägerschaft nur bis zum zweiten und dritten Grade der Seitenlinie ein Ehehinderniß. Das Dispensationsrecht steht dem Regenten oder seinen Consistorien zu und wird, mit Ausschluß des ersten Grades der gleichen und des zweiten Grades der ungleichen Seitenlinie, sowie der Descendenten und Ascendenten gegen gewisse Geldleistungen leicht ertheilt, in Preußen aber sind sehr zweckmäßig die Dispensationen gänzlich abgeschafft. Die Ehe ist nur verboten zwischen Personen in auf-und absteigender Linie, zwischen voll- und halbbürtigen, in oder außer der Ehe erzeugten Geschwistern und zwischen Stief- und Schwiegerältern mit ihren Stief- und Schwiegerkindern ohne Unterschied des Grades; in allen übrigen Graden der Verwandtschaft und Schwägerschaft ist sie erlaubt, ohne daß es einer Dispensation bedürfte. Die geistliche Verwandtschaft existirt nach protestantischem Kirchenrechte gar nicht, die bürgerliche ist aber auch hier ein Ehehinderniß. Als nothwendig zur gesetzlichen Form der Schließung der Ehe selbst verlangt die katholische Kirche: 1) Die Proclamation oder öffentliche Bekanntmachung der zu schließenden Ehe mit der Auffoderung, innerhalb einer bestimmten Zeit etwa dagegen zu erhebende Einsprache vorzubringen, welche an drei aufeinander folgenden Festtagen in der Kirche während der Messe geschehen soll. Auf erfolgten Einspruch muß die Vollziehung bis zur Erledigung desselben ausgesetzt werden; das Recht, Einsprache zu erheben, geht aber mit Ablauf des bestimmten Zeitraums verloren. Für Geld wird indeß auch von der Formalität des öffentlichen Aufgebots Dispensation ertheilt; ist solche aber nicht nachgesucht, so unterliegen zwar die Eheleute und der Pfarrer, welcher sie ohne Aufgebot getraut hat, einer Strafe; die Ehe selbst wird aber dadurch nicht ungültig. Bei den Protestanten gelten dieselben Grundsätze. 2) Die Erklärung des gegenseitigen ehelichen Consenses in Gegenwart des competenten Pfarrers, in der Regel der des Wohnorts der Verlobten, und zweier Zeugen und der Mangel dieses Erfodernisses macht die Ehe ungültig. 3) Die priesterliche Einsegnung, welche indeß nicht immer für wesentlich gehauen wird. Zur gänzlichen Vollziehung der Ehe gehört außerdem noch die Besteigung des Ehebettes, der sogenannte Bettsprung oder die Beschlagung des Ehebettes. Bei den Protestanten ist die priesterliche Einsegnung, Copulation oder Trauung, zur Gültigkeit der Ehe durchaus erfoderlich. – Aus einer gültigen Ehe entspringt die Verpflichtung beider Ehegatten zur ehelichen Treue, sowie zur Leistung der ehelichen Pflicht, außerdem ist die Frau verbunden, dem Wohnsitze des Mannes zu folgen und ihn als ihr Haupt zu betrachten. Der Mann muß dagegen die Frau ernähren und beschützen, ist ihr gesetzlicher Beistand vor Gericht und ihm steht auch die Verwaltung und Nutznießung des ganzen Vermögens zu, selbst wenn dies allein von der Frau herrührt. Hinsichtlich der Kinder bringt eine gültige Ehe die Wirkung der Legitimität hervor und selbst die mit der Frau vor der Ehe erzeugten Kinder verlieren durch die spätere Heirath den Makel der unehelichen Geburt.

Die Ehestiftungen, Eheverträge, Ehezärter oder Ehepacten sind solche vor der Vollziehung der Ehe von den Verlobten eingegangene Verträge, worin ihre Verhältnisse als Ehegatten zueinander, die Mitgift, Erbfolge nach dem Tode des einen, die Erziehung und Erbfolge der Kinder, in gemischten Ehen die Religionsverhältnisse und Manches näher bestimmt, was nach vollzogener Ehe nicht mehr von einem oder dem andern Theile würde erlangt werden können. Doch kann darin nichts festgesetzt werden, was gegen den Zweck der Ehe und gegen ausdrückliche Gesetze streitet. Unter ge mischten Ehen werden übrigens Ehen zwischen verschiedenen christlichen Religionsverwandten verstanden, denn zwischen Christen und Nichtchristen ist jede Ehe verboten. Zur Gültigkeit einer gemischten Ehe ist genügend, daß bei Schließung derselben diejenigen Vorschriften beobachtet werden, welche die Gesetze der Kirche eines der beiden Ehegenossen vorschreiben; dagegen kann die Ehe nur wieder aufgelöst werden, wenn sich ein Nichtigkeitsgrund vorfindet, den die Kirchen beider Eheleute anerkennen; bei der Ehescheidung indeß als einer besondern Art der Auflösung des Ehebandes kommen die Grundsätze derjenigen Kirche zur Anwendung, welcher der unschuldige Theil angehört. Wenn über die religiöse Erziehung der Kinder durch Verträge, Observanz oder Landesgesetze nichts bestimmt ist, so behauptet die väterliche Religion den Vorzug. Doch versteht es sich von selbst, daß die Kinder, wenn sie zu den sogenannten Unterscheidungsjahren gelangt sind, nach eigner Wahl ihren Glauben wieder ändern können. Ein gültig geknüpftes Eheband kann in der katholischen Kirche nur durch den Tod gelöst werden. Wegen Nichtigkeit der Ehe von Anfang an und den oben erwähnten sogenannten vernichtenden Ehehindernissen findet indeß auch bei den Katholiken eine völlige Trennung der Ehe statt, der aber eine gehörige Untersuchung und ein richterlicher Ausspruch vorhergehen muß. Statt der Ehescheidung gibt es aber die sogenannte Trennung von Tisch und Bett, [626] die blos den ehelichen Umgang aufhebt, aber auch nur durch richterlichen Spruch und zwar entweder blos auf eine Zeit lang wegen vorübergehender Ursachen oder auf immer aus genügenden dauernden Gründen erfolgen kann. Bei den Protestanten ist die Trennung von Tisch und Bett nur als Versuch zur Güte auf bestimmte Zeit gebräuchlich und ändert nichts in den Vermögensverhältnissen der Ehegatten. Das protestantische Kirchenrecht gestattet aber eine völlige Trennung der Ehe bei Lebzeiten der Ehegatten aus gerechten Gründen, z.B. wegen Ehebruchs, böslicher Verlassung (s. Desertion), wegen Hauptverbrechen, die der andere Theil begangen hat, unbesieglichen Widerwillens, wiederholter thätlicher Mishandlung und überhaupt aller solcher Ursachen, welche den Zweck der Ehe vereiteln. Die erfolgte Ehescheidung hebt alle gegenseitigen Rechte und Pflichten der beiden Ehegatten hinsichtlich ihrer Person und ihres Vermögens gänzlich auf; oft wird aber nur dem unschuldigen Theile die Wiederverheirathung gestattet, auch erhält dieser in der Regel das Recht zur ausschließlichen Erziehung der Kinder. Über die mehr und minder strenge Anwendung der für Ehescheidungen gültigen Grundsätze bestimmen das Nähere die Landesgesetze.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 625-627.
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