Eid

[631] Eid und Eidschwur heißt eine jede feierliche Betheuerung unter Anrufung Gottes als Zeugen der Wahrheit und Rächer der Falschheit und bei der Hoffnung auf dessen Gnade, gewöhnlich mit den Worten: »So wahr mir Gott helfe und sein heiliges Wort.« Zu allen Zeiten und bei allen Völkern hat es ähnliche Verstärkungen von Versprechungen und Behauptungen gegeben, und man schwor bei dem Wesen, welches man für heilig und zugleich für mächtig genug hielt, um den Meineid zu strafen, oder auch bei Gegenständen, die dem Schwörenden besonders theuer und werth waren. Bei den Christen gilt jedoch nur die obige Formel, der die Katholiken noch die Anrufung der Heiligen hinzufügen. Einzelne christliche Sekten, z.B. die Mennoniten und Quäker, halten das Schwören für sündlich, und ihnen wird auch eine einfachere Betheuerung gestattet; dagegen verlangt man bei dem Eide der Juden meist noch ganz besondere Solennitäten. Allein es genügt nach Mosaischem Rechte, wenn sie die Hand in ihr Gesetzbuch auf die Worte des zweiten Gebots legen und die Worte »Ich schwöre« aussprechen. Mit dem leichtsinnigen Schwören und Anrufen Gottes zum Zeugen der Wahrheit, womit manche Personen im gemeinen Leben tadelnswerthen Misbrauch treiben, dürfen solche feierliche Eide natürlich nicht verwechselt werden. Die Eide, deren zu häufiger Gebrauch leider ihrer Heiligkeit viel Eintrag gethan hat, [631] sodaß es zur Aufgabe einer guten Gesetzgebung geworden ist, ihre Anwendung möglichst zu beschränken, zerfallen in zwei Hauptabtheilungen. In die erste gehören: die Verpflichtungs-, Versprechungs- oder promissorischen Eide, welche zur Verstärkung einer übernommenen Verbindlichkeit oder eines geleisteten Versprechens abgelegt werden. Solche Eide sind: der Eid, mit welchem das Staatsoberhaupt die Heilighaltung des Staatsgrundgesetzes, der Freiheiten und Privilegien einzelner Stände u.s.w. angelobt und welcher gewöhnlich bei der Thronbesteigung oder Krönung geleistet wird; die Unterthanen-, Lehns-, Amts- und Bürgereide; der Zeugeneid, durch welchen ein Zeuge vor seiner Abhörung verspricht, die Wahrheit aussagen zu wollen, und endlich die sogenannten juratorischen oder eidlichen Cautionen, wodurch ein Angeklagter verspricht, einen bestimmten Ort nicht zu verlassen oder auf Erfodern stets vor Gericht zu erscheinen; und die sogenannte, jetzt selten vorkommende Urphede oder das eidliche Versprechen, sich wegen einer erlittenen Bestrafung nicht rächen zu wollen. Die andere Abtheilung bilden die Versicherungs-, Bestärkungs-oder assertorischen Eide, die zur Bekräftigung der Wahrheit einer Aussage geleistet werden, unter den verschiedensten Gestalten im deutschen bürgerlichen Processe vorkommen und ein nur zu oft zur Anwendung gebrachtes Beweismittel sind. Ein solcher heißt Wahrheitseid (juramentum de veritate), wenn er über das Wissen oder Nichtwissen um eine Sache aus eigner Wahrnehmung, und Glaubenseid (juramentum de credulitate), wenn er blos über das Dafürhalten abgelegt wird. Über eigne Handlungen kann nur ein Wahrheitseid geschworen werden, bei fremden Handlungen kann man aber von einem Dritten ein bestimmtes Wissen nicht wol verlangen und deshalb muß man sich begnügen, wenn er blos Dasjenige beschwört, was er davon glaubt. Schon bei den Römern kamen die Parteien oft in der Güte dahin miteinander überein, von der Leistung eines Versicherungseides die Entscheidung in ihrem Streite abhängig zu machen, und die Idee des Vergleichs, welche diesem außergerichtlichen Gebrauch des Eides zum Grunde lag, ist auch in unsern Proceß übergegangen. Es steht nämlich den Parteien frei, ihr Recht von der Ausschwörung eines Eides abhängig zu machen und bei den von ihnen zur Unterstützung ihrer Ansprüche aufgestellten Behauptungen den Eid als Beweismittel zu brauchen, und die eine Partei kann der andern den Eid antragen. Einen solchen Eid nennt man einen freiwilligen, einen zugeschobenen oder Schiedseid. Um sich dieses Beweismittels bedienen zu können, wird Dispositionsfähigkeit von Seiten des Beweisführenden selbst, von einem Bevollmächtigten aber specieller Auftrag erfodert; Vormünder und Curatoren oder ständige Vertreter von Körperschaften können kraft ihres Amts Eide zuschieben. Die Zeit, in welcher man rechtsgültig einen Eid leisten kann, oder die Eidesmündigkeit, tritt nach gemeinem Rechte mit vollendetem 14., nach sächs. Rechte aber erst mit vollendetem 18. und in Ehe- und Schwängerungssachen mit vollendetem 16. Lebensjahre ein. Nur dem Gegner kann der Eid zugeschoben, angetragen, deferirt werden, er mag eidesmündig sein oder nicht; von dem Eide eines Dritten vermag die Wahrheit nicht abhängig gemacht zu werden, indem er nur als Zeuge auftreten kann. Meineidige und Ehrlose können zwar den Eid deferiren, sie selbst aber sind zu einer Eidesleistung unfähig. Nur über erhebliche (relevante), juristisch noch ungewisse, bestimmt anzugebende Thatsachen kann Eidesdelation stattfinden, doch kann auch über Verbrechen, sobald aus denselben nur der Civilanspruch (nicht aber die Strafe) verfolgt wird, und selbst um die Trennung der Ehe zu bewirken (das sogenannte juramentum contra matrimonium, welches das kanonische Recht verbietet) der Cid deferirt werden. Derjenige, welchem der Eid angetragen ist, kann entweder diesen annehmen oder zurückschieben, in welchem Falle ihn sein Gegner auszuschwören hat, oder sein Gewissen mit Beweis vertreten, d.h. er kann Dasjenige, worüber er schwören soll, durch andere Beweismittel darzuthun suchen. Damit indeß mit dem Beweismittel des Eides kein Muthwille getrieben werde, lassen die Gesetze Denjenigen, welcher einen Haupteid deferirt hat, bevor dieser ausgeschworen wird, zuerst schwören, daß er sich nicht aus Chikane dieses Beweismittels bedient habe. Einen solchen Eid nennt man einen Calumnien- oder Gefährdeeid (juramentum calumniae), und derselbe kann nicht blos bei der Eidesdelation, sondern auch bei andern processualischen Handlungen und selbst zu Anfang des Processes als allgemeiner Calumnieneid vorkommen. – Zu den Versicherungseiden gehören ferner die sogenannten nothwendigen Eide, welche vom Richter auferlegt werden, nämlich der Ergänzungs- und der Reinigungseid. Der erstere wird dann dem Beweisführer zuerkannt, wenn er mehr als halben Beweis, der zweite wird seinem Gegner gestattet, wenn er ihn weniger als halb geliefert hat. Dieser Eid kommt auch im Strafprocesse vor, wenn das Verbrechen nicht vollständig bewiesen werden kann. Ist grade halber Beweis geführt, so steht dem Richter die Wahl zwischen beiden nothwendigen Eiden zu, wobei er die Individualität der Schwörenden und andere Nebenumstände zu berücksichtigen hat. Zu den vom Richter auferlegten Eiden gehört auch der Manifestationseid, wodurch im Concurse der Gemeinschuldner die Richtigkeit seiner Angabe beschwört, und der Schätzungseid, wodurch Jemand die Größe eines ihm zugefügten Schadens eidlich erhärtet, sowie endlich der Diffessionseid. (S. Diffession.) Jede Eidesleistung muß an Gerichtsstelle und in der Regel vor 12 Uhr Mittags geschehen. Es geht derselben nöthigenfalls eine Erklärung der Eidesformel und eine Warnung vor dem Meineide voraus, wobei auch in geeigneten Fällen ein Geistlicher zur Schärfung des Gewissens zugezogen werden kann. Der Richter liest die Eidesformel vor und der Schwörende spricht sie nach, wobei er seine rechte Hand in die Höhe hebt, die drei Vorderfinger aufrichtet und die Fläche der Hand dem Richter zukehrt.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 631-632.
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