[734] Lessing (Gotthold Ephraim), einer der literarisch bedeutendsten Geister Deutschlands, der Hauptreformator deutscher Kunst und Wissenschaft im vorigen Jahrh., der fast alle Gebiete derselben mit seinem Scharfsinn reinigend durchdrang und mit Virtuosität weiter förderte.
Er wurde am 22. Jan. 1729 zu Kamenz in der Oberlausitz geboren, erhielt, nach [734] dem ersten Unterricht in der Religion durch seinen streng lutherisch christlich gesinnten Vater, der Prediger jenes Orts war, und in den übrigen Fächern bei dem Bruder des später berühmten Mylius, seine erste höhere Bildung auf der Fürstenschule zu Meißen seit 1441. Im J. 1746 bezog er die Universität Leipzig, um nach seines Vaters Willen Theologie zu studiren, von welchem Studium ihn jedoch bald Ernesti's Vorträge zu dem der Philologie hinüberzogen. Er widmete sich den mannichfaltigsten literarischen Bestrebungen, namentlich dem Studium der Wolf'schen Philosophie und suchte nebenbei seinen Körper durch Leibesübungen auszubilden. Mehr als Alles interessirte ihn indeß das Theater; er machte Bekanntschaft mit dem literarisch bekannten Weiße und mit der Schauspieldirectorin Neuber, nahm Antheil an einer hamburger Wochenschrift: »Ermunterungen«, und brachte bald sein schon auf der Schule begonnenes Lustspiel: »Der junge Gelehrte«, auf die Neuber'sche Bühne. Seine mit seinem Treiben unzufriedenen Ältern bestimmten ihn, in das väterliche Haus zurückzukehren. Hier dichtete er die seiner dermaligen Lage ganz widersprechenden Anakreontischen Lieder, ging dann nach Leipzig zurück, folgte aber bald, da die Neuber'sche Truppe ihre ansehnlichsten Mitglieder verlor und sein Freund Mylius nach Berlin gegangen war, diesem 1750 dahin nach. Er hatte vier Lustspiele geschrieben: »Die Juden«, »Der Mysogyn«, »Der Freigeist« und »Der Schatz«, nahm Theil an einer Wochenschrift, die Mylius leitete, und gab mit diesem »Beiträge zur Historie und Aufnahme des Theaters« und eine Sammlung seiner Gedichte, »Kleinigkeiten« genannt, heraus. Nach kurzem Aufenthalte in Berlin ging er auf seines Vaters Wunsch nach Wittenberg, erwarb sich daselbst mit seinem Bruder, dem nachherigen Conrector in Chemnitz, die Magisterwürde, übersetzte des Spaniers Huarte Buch: »Von der Prüfung der Köpfe«, schrieb eine »Kritik der Messiade« und sammelte Verbesserungen und Zusätze zu dem Jöcher'schen »Gelehrtenlexikon«. Im J. 1753 ging er wieder nach Berlin zurück, lernte Nicolai und Moses Mendelssohn kennen, übernahm für Mylius, der Berlin verließ, den gelehrten Artikel der Voß'schen Zeitung, gab den ersten und dritten Band seiner »Kleinen Schriften« (1753–54) und das erste und zweite Stück seiner »Theatralischen Bibliothek« heraus, und zog sich 1755 auf einige Zeit nach Potsdam zurück, um dort ungestört sein Trauerspiel »Miß Sara Sampson« zu schreiben. Wieder von dort nach Leipzig gehend, nahm er die Stelle eines Gesellschafters bei dem Sohne eines dasigen Kaufmanns an, reiste mit diesem, aber nur bis Holland, weil der indeß ausgebrochene siebenjährige Krieg an der Weiterreise hinderte, und konnte nur durch einen Proceß den Kaufmann zu Haltung seiner eingegangenen Verbindlichkeiten vermögen. Hier, in Leipzig, machte er die Bekanntschaft mit den Dichtern Kleist und Brawe, gab 1757 mit Mendelssohn und Nicolai die »Bibliothek der schönen Wissenschaften«, die erste kritische Zeitschrift in Deutschland, heraus, und begann sein Trauerspiel »Virginia«, welches 1772 unter dem Namen »Emilie Galotti« erschien. Im J. 1759 ging er wieder nach Berlin, schrieb dort den »Philotas«, seine »Fabeln«, gab mit Nicolai und Mendelssohn die »Literaturbriefe« heraus und wurde 1760 Mitglied der königl. Akademie der Wissenschaften. Als Secretair bei dem General Tauenzien nach Breslau berufen, entwarf er hier »Minna von Barnhelm«, ein militairisch-bürgerliches Lustspiel, das sich durch bis dahin in deutscher Poesie ungekannte Schärfe der Charakteristik auszeichnet, und entwarf seinen: »Laokoon, oder über die Grenzen der Poesie und Malerei«. Einem Rufe folgend, ging er 1765 über Berlin, wo er sich ohne bestimmte Beschäftigung aufhielt, 1767 nach Hamburg, schrieb dort das erfolgreichste Werk seines Lebens und Studiums, die »Dramaturgie« (2 Bde., 1768), gerieth mit Klotz in Streitigkeiten und vernichtete diesen durch die »Antiquarischen Briefe«. Mismuthig durch seine Stellung mit den Schauspielern, beschloß er eine Reise nach Italien, von der ihn jedoch 1770 die vortheilhafte Berufung als Bibliothekar in Wolfenbüttel abhielt. Hier entdeckte er eine wichtige Handschrift, gab die »Wolfenbüttelschen Fragmente eines Ungenannten« (Sam. Reimarus), theologischen Inhalts, heraus, gerieth mit Melch. Götze, dem orthodoxen hamburg. Prediger, in theologischen Zwist, woraus er zwar siegreich hervorging, weswegen man ihn jedoch unter den schärfsten Censurzwang setzte, und schrieb seinen Aufsatz über das Alter der Ölmalerei. Eröffnete Aussichten in Wien bewogen ihn 1775 zu einer Reise dahin, von wo er den Prinzen Leopold von Braunschweig nach Italien begleitete. Zurückgekehrt, ließ er 1778 seine Gespräche über Freimaurerei, »Ernst und Falk«, in Wolfenbüttel erscheinen und schloß seine theologische Polemik mit dem dramatischdidaktischen Gedicht »Nathan der Weise«. Seine letzte, dem allgemeinen Werthe ihres Inhalts, sowie der sprachlichen Darstellung nach bedeutendste Schrift war: »Die Erziehung des Menschengeschlechts«, ein viele herrliche Keime enthaltender Beitrag zur bis dahin kaum in der Idee gefaßten Philosophie der Geschichte der Menschheit (1780). Zunehmende Kränklichkeit und stete Verketzerung von Seiten der Theologen verbitterten und verkürzten ihm sein noch übriges Leben, das am 15. Febr. 1781 endete. L.'s vor seinen übrigen Geistesthätigkeiten besonders hervorstechender Scharfsinn bevorzugte ihn namentlich zum Kritiker, der zu der damaligen Zeit, wo der wissenschaftliche und künstlerische Geist Deutschlands allein zwischen Plattheit und Pedanterie sich [735] hin und her bewegte, mit bis dahin ungekannter Energie und Schärfe der Prüfung diesen Zustand in seiner Erbärmlichkeit zu rügen und durchsichtig zu machen verstand. L.'s Geist drang in alle Sphären mit gleich siegreichem Erfolge ein, und wenn auch seine kritischen Schriften beiweitem seine sehr an Calcul didaktischer Absicht leidenden poetischen Productionen an effectivem Werth übertreffen, so hat er doch auch in diesen der deutschen Poesie den Weg zu einer wahren Charakterzeichnung gebahnt. Wenn seine Philosophie auch, ungleich der neuern, durch welche wir ein Kunstwerk als einen Organismus begreifen, nur fragmentarisch blieb, so erweckte und schärfte sie doch das damals ganz gelähmte Kunstgefühl durch tiefdringende Zersetzung. Sein mit richtigem Tacte für das Schöne verbundener Scharfsinn verdrängte die einseitige und falsche Anhänglichkeit an dem Hergebrachten und lehrte neben den Dichtern der Alten und der Franzosen auch die der übrigen romanischen Völker in ihrer Wesenheit kennen und schätzen. In Angelegenheiten der Theologie suchte er vernünftige Klarheit zu bringen, und durch seine vorzüglichste Eigenschaft, seinen Styl, in dem immer Phantasie und Verstand zu durchsichtiger Klarheit verbunden, und der daher im edelsten Sinne witzig ist, hat er die Deutschen zum Selbstdenken gereizt und genöthigt. L.'s sämmtl. Schriften erschienen zuerst (Berl. 1771 ff. und 1796 ff. in 30 Bden); eine Taschenausgabe derselben in 34 Bden (Berl. 1825–28); eine neue Ausgabe in gr. 8. ist eben unter der Presse (1. Bd., Berl. 1838). L.'s »Leben und literarischer Nachlaß« wurde von seinem Bruder (Berl. 1793) herausgegeben. Daran schließen sich: Schink, »L's Leben und Charakteristik« (Berl. 1825) und Fr. Schlegel's Würdigung L.'s in den »Charakteristiken und Kritiken« (Bd. 1). Ein Denkmal wurde ihm in seiner Vaterstadt durch das Lessingsstift errichtet.
Brockhaus-1809: Gotthold Ephraim Lessing
Brockhaus-1911: Lessing [3] · Lessing [2] · Lessing
DamenConvLex-1834: Lessing, Karoline · Lessing, Gotthold Ephraim
Eisler-1912: Lessing, Theodor · Lessing, Gotthold Ephraim
Herder-1854: Lessing [2] · Lessing [1]
Meyers-1905: Lessing [2] · Lessing [1]
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