Kaspisches Meer

[718] Kaspisches Meer (Kaspisee), größter Binnensee der Erde, auf der Grenzscheide Europas und Asiens vom Astara im SW. bis zum Atrekfluß im SO. von Persien, sonst von russischem Gebiet umschlossen, von N. nach S. 1224 km lang, 185–450 km breit, hat 6380 km Küstenumfang und 438,688 qkm Fläche, wovon jedoch die Inseln 2236 qkm einnehmen. Er füllt die tiefste Stelle einer Senkung der Erdoberfläche aus, die 26 m unter dem Niveau des Schwarzen Meeres liegt. Diese ganze Depression (Aralo-kaspische Senke) war früher ein Meer, aus dem nur einige Höheninseln hervorragten, und das vielleicht mit dem Arktischen und mit dem Schwarzen Meer in Verbindung stand. Als Reste jenes Meeres, das bei einer die Zuflußmenge noch übersteigenden Verdunstung (nach Aragos Ansicht) stetig abnehmen mußte, sind das Kaspische Meer und der Aralsee (74 m über dem Kaspischen Meer) zurückgeblieben, zwei stark salzige Wasserbecken ohne sichtbaren Abfluß, denen jedoch die Fische der offenen See fehlen. Durch die Manytsch-Wasserrinne hing das Kaspische Meer in geschichtlicher Zeit mit dem Asowschen Meer zusammen, während die Isolierung desselben vom Aralsee viel früher stattgefunden hat. Das Kaspische Meer wird von Wolga, Ural, Kuma, Terek, Sulak, Samur, Kura, Safidrud, Atrek etc. gespeist, ohne daß bei der starken Verdunstung sein Wasservolumen vermehrt würde. Die Ufer des Meeres sind meist sandig und niedrig, besonders im N. und NO., wo jedoch der Ust-Urt hohe Felswände bildet; bergig ist der Süden, wo die persischen Landschaften Gilan und Masenderan hoch und steil nach dem See abfallen. Es lassen sich deutlich zwei Abteilungen des Sees unterscheiden, die durch eine unter dem Wasser liegende, von der Halbinsel Apscheron zum Kap Tarta am Busen von Krasnowodsk sich hinziehende Schwelle getrennt werden. Das nördliche Becken ist seicht, doch finden sich in seinem südlichen Teil zwischen dem 41. und 42.° nördl. Br. Tiefen bis 800 m. Der nördliche Teil des Sees friert im Winter zu, und erst im April wird das Fahrwasser nach Astrachan offen. Das Wasser ist brackig, an der Nordküste mit sehr geringem Salzgehalt. Die südliche, mehr hochufrige Abteilung hat schon an den Ufern große Tiefe. Die größte Tiefe, 1100 m, ist im W.; das Wasser ist hier stark salzhaltig (auf 1000 Teile Wasser 15 Teile Salz). Den stärksten Salzgehalt haben die Baien der Ostseite (Cäsarewitsch-Busen mit dem Karasu, Kotschak-, Balchanskischer Busen u. a.), besonders die Karabugasbai. Ein unterseeischer Vulkan bildete sich im Sommer 1894 im südlichen Teil (38°10' nördl. Br., 52°37' westl. L.). Im Klima herrscht ein merkwürdiger Unterschied zwischen Ost- und Westküste. In Krasnowodsk ist der Winter kälter als in Baku, dagegen sind dort Frühjahr und Sommer wärmer; ein sehr mildes Klima hat die Südküste. Außerordentlich groß ist der Reichtum dieses Binnenwassers an vorzüglichen Fischen (Welfen, Stören [Sterlets] etc.). Die Fischerei beschäftigt allein bei Astrachan 50,000 Menschen und liefert im ganzen Meer und den Flußmündungen einen durchschnittlichen Jahresertrag von über 20 Mill. Mk. Sehr große Fischereien sind auch an der Kuramündung (Saljan und Boschij Promysl), von wo bedeutende Mengen Kaviar verschickt werden (1901: 17,068 Pud). Am Ostufer (Krasnowodsk) werden Robben gefangen. Der Verkehr auf diesem größten aller Binnengewässer ist in stetem Wachsen begriffen, wozu nicht nur die zunehmende Gewinnung von Naphtha in Baku etc., sondern auch die Ausbreitung der Baumwollkultur in Persien und Transkaspien beiträgt. Auch der weitere Ausbau der Transkaspischen Bahn sowie die Herstellung einer Kunststraße vom persischen Südufer des Kaspischen Meeres nach Teheran fördern den Verkehr. Die Gesamtzahl der auf dem Kaspischen Meer verkehrenden Schiffe beträgt jetzt 143, wovon 47 Dampfer dem Transport von Personen und trocknen Ladungen dienen und 96 Tankdampfer (Zisternendampfer) Schmieröl und Naphtharückstände nach der Wolgamündung unterhalb Astrachans befördern, um von dort aus die Wolga abwärts mittels Barken, die von Remorkören ins Schlepptau genommen werden, nach dem Innern Rußlands geschafft zu werden. Dort finden die Naphtharückstände zum größten Teil als Heizmaterial Verwendung. Die 47 Dampfer unterhalten einen lebhaften Verkehr zwischen den kaspischen Seehäfen Persiens (Enseli, Astrabad), Transkaspiens, Kaukasiens (Baku, Derbent, Petrowsk, Lenkoran) und Astrachan. Aus den persischen und transkaspischen Häfen werden ausgeführt: Baumwolle, Reis, Rosinen, Mandeln, Granatäpfel, Datteln, Orangen, Pflaumen (Artikel, die im Innern Rußlands ihren Absatz finden), Wolle, Kamelhaar, Rohseide, Seidenwaren und Teppiche, getrocknete Häute, die über Batum nach Marseille gehen, um dann über Frankreich verteilt zu werden. Nach Baku werden über Petrowsk und Astrachan von der Wolga herab gebracht: Eisen, Eisenfabrikate, wie Röhrenarmaturen für Kessel und Schiffe etc., Gußeisen, Zement, Hanfseile, Lebensmittel (Konserven, Getränke), Bauholz. Der russische Hydrotechnische Kongreß beschäftigte sich um das Jahr 1900 mit dem Plan eines Kanals, der das Kaspische Meer mit dem Schwarzen Meer verbinden sollte. Das industrielle Zentrum Rußlands verschiebt sich allmählich nach dem Süden, wo sich die Produktion von Eisen, Kohle und Naphtha immer weiter entwickelt. Gegenwärtig werden dort jährlich über 700 Mill. Pud Naphtha und 600 Mill. Pud Steinkohle gewonnen; gleichzeitig entwickelt sich die metallurgische Industrie und der Handel mit mittelasiatischer Baumwolle. Da die Eisenbahnen dieses Bezirks schon jetzt häufig nicht imstande sind, den Anforderungen des Verkehrs zu genügen, so wird die Schaffung neuer Verkehrswege notwendig. Der geplante Kanal, der mit einer Tiefe von 7 m und einer Breite von 55 m projektiert ist, soll von Astrachan ausgehen und in die Reede von Taganrog am Asowschen Meer münden. Die Kosten sind auf 40 Mill. Rubel berechnet worden. Der Kanal würde nicht nur durch eine erhebliche Verkürzung der Entfernungen zwischen den wichtigsten Städten der beiden Meere dem Handel zugute kommen, sondern auch insofern für die Landwirtschaft eine große Bedeutung haben, als er Bewässerungszwecken dienstbar gemacht werden könnte. Durch die weniger kostspieligen Röhrenleitungen für Naphtha, die von Baku nach Batum in einem Jahr eröffnet werden, von Grosnj nach Noworossisk und von Baku ins Innere Rußlands projektiert sind, dürften dem zu bauenden Kanal die Hauptfrachten genommen werden. Der russisch-persische Vertrag von Turkmantschai vom 10. (22.) Febr. 1828 gewährt nur den Russen das Recht, Kriegsschiffe auf dem Kaspischen Meere zu halten, und schließt alle andern Nationen hiervon wie von der Unterhaltung von Dampfern aus. Die russische Flottenstation lag bis 1843 auf der Insel Sara, nahe bei Lenkoran an der Westküste; damals wurde sie zu großem Schrecken der Perser nach der Insel Aschur-ada am Eingang[718] zum Golf von Astrabad verlegt, im April 1875 aber nach Krasnowodsk am Ostufer, dem damaligen Hauptort des neuen transkaspischen Gebiets, übergeführt (s. die Karten »Ruf;land«, »Kaukasien«, »Persien«). Vgl. v. Baer, Kaspische Studien (Petersb. 1855–59, 2 Hefte); Radde, Fauna und Flora des südwestlichen Kaspigebiets (Leipz. 1886); »Petermanns Mitteilungen«, 1859–62; »Russische Revue«, Bd. 5 und 6.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 10. Leipzig 1907, S. 718-719.
Lizenz:
Faksimiles:
718 | 719
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Der Weg ins Freie. Roman

Der Weg ins Freie. Roman

Schnitzlers erster Roman galt seinen Zeitgenossen als skandalöse Indiskretion über das Wiener Gesellschaftsleben. Die Geschichte des Baron Georg von Wergenthin und der aus kleinbürgerlichem Milieu stammenden Anna Rosner zeichnet ein differenziertes, beziehungsreich gespiegeltes Bild der Belle Époque. Der Weg ins Freie ist einerseits Georgs zielloser Wunsch nach Freiheit von Verantwortung gegenüber Anna und andererseits die Frage des gesellschaftlichen Aufbruchs in das 20. Jahrhundert.

286 Seiten, 12.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon