[161] Rossetti, 1) Gabriele, ital. Dichter und Gelehrter, geb. 1. März 1783 in Vasto, gest. 26. April 1854 in London, kam 1804 nach Neapel, wo er die Malerkunst mit der Poesie vertauschte und Konservator am königlichen Museum wurde. Die Revolution von 1820 fand in ihm ihren Tyrtäos; seine herrliche Hymne auf den 9. Juli (»Sei pur bella cogli astri sul crine«) wurde vom ganzen süditalienischen Volke gesungen. Nach der Reaktion verbarg er sich auf einem englischen Schiff. Die Erfahrungen der Epoche entflammten seine geharnischte Muse zu Gesängen von außerordentlicher Energie. 1822 ging er nach Malta, 1824 dauernd nach London und schrieb einen Kommentar zur »Divina Commedia« (182627, 2 Bde.). Sein Bemühen, die Bestrebungen des Jungen Italien in den Grundgedanken des großen Florentiners nachzuweisen, fand schon damals lebhaften Widerspruch, der ihm die Fortsetzung des Kommentars verleidete. Er wurde 1831 Professor der italienischen Sprache und Literatur am King's College und schrieb außer Gedichten noch: »Il mistero dell' amore platonico svelato« (1840, 3 Bde.) und »La Beatrice di Dante« (1842, 3 Bde.). Daß er trotz seiner heftigen Angriffe auf den Papst ein mildes, ja religiöses Gemüt besaß, zeigen seine Dichtungen: »Iddio e l'uomo, salterio« (1833) und »L'arpa evangelica« (1852). Eine Gesamtausgabe seiner oft gedruckten Gedichte besorgte Carducci (»Poesie di Gabriele R.«, Flor. 1861); die »Poesie politiche« erschienen allein Rom 1891. R. steht als politischer Dichter neben Giusti und Berchet; poetisch ihnen nicht völlig ebenbürtig, übertrifft er sie an Kühnheit und Klarheit des politischen Programms. Daher kommt das heutige Italien wieder auf ihn zurück. Vgl. Benelli, Gabriele R., notizie biografiche e bibliografiche (Flor. 1898); Perale im »Giornale storico della letteratura italiana«, Bd. 47 (Tur. 1906), und L'opera di G. R. (Città di Castello 1906).
2) Dante Gabriel, engl. Maler und Dichter, Sohn des vorigen, geb. 12. Mai 1828 in London, gest. 9. April 1882 in Birchington bei Margate, begründete mit Holman Hunt und Millais den Bund der Präraffaeliten (s. d.), nach dessen Grundsätzen auch seine ersten Bilder: Aus Marias Mädchenzeit, Ecce ancilla domini (Nationalgalerie in London) u.a., gemalt sind. Später neigte er mehr der Farben- und Formenwelt der Venezianer zu. Zu seinen größern Kompositionen wurde er besonders von Dante inspiriert (Salutatio Beatricis in Terra und in Eden, Paolo und Francesca, Dantes Traum), außerdem malte er hauptsächlich weibliche Figuren (Beata Beatrix, Proserpina, Venus Verticordia, Astarte Syriaca etc.), für die ihm häufig die Gattin seines Freundes Morris als Modell diente. Eine eigentümliche Mischung von Mystik und Sinnlichkeit liegt in seinen Gestalten, die von einem innern Feuer verzehrt zu werden und ein Traumleben zu führen scheinen. Auch Illustrationen zu englischen Dichtern (z. B. zu Tennyson) hat er geliefert. Literarisch begann er mit »The early Italian poets« als Übersetzer altitalienischer Dichter von Ciullo d'Alcalmo an bis Dante (1861; neue Ausgabe u. d. T: »Dante and his circle«, 1873, wiederholt 1892) und wurde selbständig mit 2 Bänden Gedichte: »Poems« (1870, neue Ausg. 1881; illustrierte Ausg. 1904, 2 Bde.) und »Ballads and sonnets« (1881), deren Formschönheit, kräftige und melodiöse Sprache und Tiefe wie Zartheit der Empfindung den großen Erfolg erklären. Die Sonette seines Zyklus »The house of life« (deutsch von O. Hauser, Leipz. 1900) gelten neben denen Shakespeares und Wordsworths als die vollendetsten der englischen Literatur überhaupt. Seine »Collected works« wurden von seinem Bruder (1886, 2 Bde.; in 1 Bd. 1891) herausgegeben, der auch die »Letters of D. G. R.« (1895, 2 Bde.) und »R. papers 1862 to 1870« (Lond. 1903) veröffentlichte. G. Hill gab »Letters of D. G. R. to William Allingham« heraus (1897). Vgl. Caine, Recollections of D. G. R. (1881); Knight, Life of D. G. R. (1887); Marillier, D. G. R. illustrated memorial of his art and life (das. 1899, Foliowerk; 3. abgekürzte Aufl. 1904); Dunn, Recollections of D. G. R. and his circle (das. 1903); J. Jessen, Rossetti (Bielef. 1905); Waldschmidt, D. G. R., der Maler und der Dichter (Jena 1905); H. W. Singer, D. G. R. (Berl. 1906); A. J. Rossetti, Dante Gabr. R. (Bergamo 1906); W. M. Rossetti, Bibliography of the works of D. G. R. (Lond. 1905). Seine Schwester Maria Francesca (geb. 1827 in London, gest. 1876) schrieb: »A shadow of Dante« (1871, neue Aufl. 1894).
3) William Michael, engl. Kritiker, Bruder und Gesinnungsgenosse des vorigen, geb. 25. Sept. 1829 in London, wurde 1845 bei der Steuerbehörde angestellt. Er hat für die »Saturday Review« und viele andre Zeitschriften geschrieben, auch selbständig herausgegeben: »Dante's Comedy; the Hell« (1865); »Criticism on Swinburne's poems and ballads« (1866), für den damals noch sehr scharf beurteilten Dichter eintretend; »Fine art, chiefly contemporary« (1867); »Lives of famous poets« (1878); »Life of John Keats« (1887). Für die Early English Text Society schrieb er: »Early Italian courtesy books« (1869). R. hat auch die Gedichte von Blake (1868)[161] und Shelley (187078) 4 Chaucers »Troylus and Chryseyde« (1875) sowie eine Biographie und die Briefe seines Bruders (s. oben) herausgegeben.
4) Christina Georgina, Schwester der vorigen, ebenfalls Schriftstellerin, geb. 5. Dez. 1830, gest. im Dezember 1894 in London, veröffentlichte Gedichte und Erzählungen (zum Teil mit Illustrationen ihres Bruders), die besten in ihrem Erstlingswerk: »Goblin Market« (1862). Es folgten: »The prince's progress« (1866), »Commonplace book, and other short stories« (1870), »Singsong« (1871) und Erbauungsschriften, wie »Speaking likenesses« (1874), »Annus Domini« (1874), »A pageant, etc.« (1881), »Letter and spirit« (1883) u.a. Einen neuen Band Gedichte (1896) und ihre »Poetical works« (1904) gab ihr Bruder Will. Mich. R. heraus. Vgl. Ellen A. Proctor, Memoir of Christina G. R. (Lond. 1895); M. Bell, Christina R. (das. 1898); Elisabeth Cary, The Rossettis: Dante Gabriel and Christina (das. 1900).