Spiel [1]

[736] Spiel, jede Beschäftigung, die ohne praktischen Zweck um der in ihr selbst liegenden Zerstreuung, Erheiterung oder Anregung willen, meist mit andern in Gemeinschaft, vorgenommen wird; im weitern Sinne daher auch die Kunstübung (Schauspiel, Instrumentalmusik), soweit sie nicht bleibende Gegenstände (als bildende Kunst) schafft. Vgl. Lazarus, Die Reize des Spiels (2. Aufl., Berl. 1907); Groos, Die Spiele des Menschen (Jena 1899). – Im Rechtssinn ist S. (Hasardspiel) ein Vertrag um Vermögensgewinn gegen Vermögenseinsatz, bei dem entweder Gewinn oder Einsatzverlust oder nur der Gewinn von einem ungewissen Umstand abhängig ist. Rechtliche Bedeutung kommt demgemäß allein dem S. um Vermögenswerte (Geldspiel), nicht dem bloßen Unterhaltungsspiel zu, bei dem in erster Linie nur die Absicht des Zeitvertreibs der Beweggrund ist. Durch S. wird eine Verbindlichkeit nicht begründet, d. h. Einsatz und Gewinn kann nicht eingeklagt werden; der bereits bezahlte Einsatz oder Gewinn kann aber nicht deshalb mehr zurückgefordert werden, weil aus dem S. keine Verbindlichkeit entsteht. Auch ein Schuldanerkenntnis, das zur Erfüllung einer Spielschuld dem Gewinner gegenüber ausgestellt ist, ist nicht klagbar (Bürgerliches Gesetzbuch, § 762). Das S. ist a) Kunstspiel (Geschicklichkeitsspiel), wenn körperliche (Preisschießen) oder geistige Gewandtheit (Berechnung) den Ausschlag gibt; b) Glücksspiel, wenn über Gewinn und Einsatzverlust allein oder hauptsächlich der Zufall (Ziehung von Losen oder ein ähnliches auf den Zufall gestelltes Mittel) entscheidet; c) Hasardspiel oder Glücksspiel im engern Sinn, wenn Gewinn und Einsatzverlust in jeder Beziehung, also auch hinsichtlich ihrer Höhe, vom Zufall abhängig sind. Vgl. Mengel, S. und Wette (Leipz. 1902); Majert, S. und Glücksspiel (Berl. 1904), und die Artikel »Glücksspiele, Lotterie und Wette«.

Die Spiele im engern Sinne teilt man am besten ein in Bewegungsspiele, zu denen unter andern Ball-, Kugel-, Kegel- und Fangspiele gehören, und[736] in Ruhespiele, die solche zur Schärfung der Aufmerksamkeit, zur Betätigung von Witz und Geistesgegenwart, also die meisten unsrer sogen. Gesellschaftsspiele, dazu Karten-, Brettspiele, Schachspiel u. a., umfassen. Glücksspiele, um Gewinn betrieben, fallen nicht unter diesen Begriff des Spieles. Doch ist die Grenze fließend; Wettbewerb um kleine Preise, Abzeichen etc. sind auch beim eigentlichen S. nicht unbedingt zu verwerfen, sofern sie geeignet sind, Eifer für das S. selbst, nicht Gewinnsucht, Ehrgeiz oder Neid anzuregen. Das S. beruht meist auf volkstümlicher oder örtlicher Sitte; es kann aber auch pädagogisch und planmäßig zur Förderung leiblicher oder geistiger Kräfte benutzt und demgemäß gestaltet werden. Der erziehliche Wert des Spieles, schon von Gesetzgebern und Philosophen des Altertums erkannt, ist besonders durch Rousseau, die Philanthropisten, Pestalozzi und Fröbel (s. Kindergärten) zur Geltung gekommen. Die Bewegungsspiele hat auch die Turnkunst, insbes. das Schulturnen, in ihren Bereich gezogen. Großer Wert wird diesen Spielen herkömmlich in England beigelegt, wo an allen Unterrichts- und Erziehungsanstalten bis zu den Universitäten hinauf Wettspiele im Schwange sind. In Deutschland hat besonders der preußische Kultusminister v. Goßler der Sache der Jugendspiele durch seinen Erlaß vom 27. Okt. 1882 erfreulichen Aufschwung gegeben; Weiteres und Literatur über Jugendspiele s. d. Vgl. außerdem die Spielsammlung von Guts Muths (8. Aufl., hrsg. von Lion, Hof 1893); Jakob, Deutschlands spielende Jugend (4. Aufl., Leipz. 1896); Georgens, Das S. und die Spiele der Jugend (das. 1884); Wagner, Illustriertes Spielbuch für Knaben (21. Aufl., das. 1906); Gayette-Georgens, Neues Spielbuch für Mädchen (Berl. 1887); Wolter, Das S. im Hause (Leipz. 1888); Raydt, Spielnachmittage (das. 1905); Colozza, Psychologie und Pädagogik des Kinderspiels (deutsch, Altenb. 1900) sowie das »Jahrbuch für Volks- und Jugendspiele« (hrsg. von Raydt, Leipz. 1907, 16. Jahrg.) und die »Zeitschrift für Turnen und Jugendspiel« (Schnell und Wickenhagen, das. 1891 f., seit 1902 u. d. T.: »Körper und Geist«). Über Gesellschafts- und Unterhaltungsspiele im allgemeinen vgl. Alvensleben, Handbuch der Gesellschaftsspiele (9. Aufl., Weim. 1897); »Enzyklopädie der Spiele« (5. Aufl., Leipz. 1890); Georgens, Illustriertes Familien-Spielbuch (das. 1882); Ulmann, Buch der Familienspiele (Wien 1892); A. v. Hahn, Buch der Spiele (3. Ausg., Leipz. 1900); Meerberg, Das große Buch der Gesellschaftsspiele (das. 1901).

Bei den Alten nahmen die großen öffentlichen Kampfspiele (s. d.) die oberste Stelle ein, aber auch gesellige Spiele hatten sie in nicht geringer Zahl, namentlich die Griechen, so bei Gelagen den Weinklatsch (s. Kottabos), das bei Griechen und Römern sehr beliebte Ballspiel (s. d.) und Würfelspiel (s. Würfel), das Richterspiel der Kinder etc. Ein Brettspiel, nach der Sage Erfindung des Palamedes, erscheint bereits bei Homer als Zeitvertreib der Freier in Ithaka (Odyssee I, 107); über die spätern griechischen Brettspiele (petteia kai kybeia) vgl. Becker, Charikles, Bd. 2. Unserm Schach- oder Damenspiel scheint das sogen. Städtespiel ähnlich gewesen zu sein. Von den römischen Brettspielen sind einigermaßen bekannt der ludus latrunculorum (Räuberspiel), eine Art Belagerungsspiel, wobei die Steine in Bauern und Offiziere geteilt waren und es galt, die feindlichen Steine zu schlagen oder festzusetzen, und der ludus duodecim scriptorum, das S. der 12 Linien, bei dem auf einem in zweimal 12 Felder geteilten Wurfbrett das Vorrücken der je 15 weißen und schwarzen Steine durch die Höhe des jedem Zug vorangehenden Würfelwurfs bestimmt wurde. Sehr beliebt war im Altertum das Fingerraten, noch heute in Italien verbreitet als Moraspiel (s. Mora). Vgl. Grasberger, Erziehung und Unterricht im klassischen Altertum (Würzb. 1864–81, 3 Tle.); Becq de Fouqiers, Les jeux des anciens (2. Aufl., Par. 1873); Ohlert, Rätsel und Gesellschaftsspiele der alten Griechen (Berl. 1886); W. Richter, Die Spiele der Griechen und Römer (Leipz. 1887). – Aus der deutschen Vorzeit wird als vornehmstes Volksspiel der Schwerttanz erwähnt, neben dem Steinstoßen, Speerwerfen, Wettlaufen, Eislaufen beliebt waren. Auch das Kegeln und das stets mit Leidenschaft betriebene Würfelspiel sind uralt. Während das Landvolk an diesen Spielen festhielt, wandten sich die höfischen Kreise der Ritterzeit vorwiegend den Kampfspielen zu, aus denen sich unter fremdem, besonders französischem Einfluß die eigentlichen Ritterspiele (Tjost, Buhurt, Turnier) entwickelten. Dagegen wurden das Ballspiel (auch von der weiblichen Jugend) und als beliebteste Verstandesspiele Brettspiel und Schachspiel (seit dem 11. Jahrh.) eifrig betrieben. In der spätern Zeit des Mittelalters trat, namentlich in den Städten, das Spielen um Geld in den Vordergrund. Vgl. Schultz, Das höfische Leben im Mittelalter, Bd. 1 (2. Aufl., Leipz. 1889); Kriegk, Deutsches Bürgertum im Mittelalter (Frankf. 1868, neue Folge 1871); Weinhold, Die deutschen Frauen im Mittelalter (3. Aufl., Wien 1897).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 18. Leipzig 1909, S. 736-737.
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