[662] Schachspiel (franz. Echecs, engl. Chess), bekanntes Brettspiel, das verbreitetste und geistreichste aller Spiele, in dem nicht die Zufälle des Glückes, sondern nur Umsicht und Scharfsinn zum Siege führen. Das S. stellt eine Schlacht dar. Zwei gleich starke Heere (nämlich 16 weiße und 16 schwarze Figuren) stehen auf einem in 64 Quadratfelder von wechselnder Farbe geteilten Brett einander geordnet gegenüber, um sich zu schlagen und das Oberhaupt, den König, »matt (v. arab. mât, tot) zu machen«, d.h. ihn so zu umzingeln, daß er, zum letztenmal angegriffen (in Schach gestellt), kein Feld mehr betreten darf, sondern dem Sieger sich ergeben muß. Hiermit ist das Spiel beendet. Hat schließlich keine Partei mehr genügende Kräfte, den Gegner zu überwältigen, so bleibt die Partie unentschieden (remis). Gleiches ist der Fall: 1) wenn ein Spieler den feindlichen König beständig in Schach hält (»ewiges Schach«); 2) wenn eine Partei dem Gegner die Möglichkeit jeglichen Zuges abgeschnitten hat, ohne zugleich den König anzugreifen (Pattstellung). Die 16 Figuren einer jeden Partei sind: König, Dame (Königin), 2 Läufer, 2 Springer (altdeutsch Rössel), 2 Türme (Rochen) und 8 Bauern. Die acht Offiziere (so heißen die höherwertigen Stücke im Gegensatz zu den Bauern) stehen auf der dem Spieler zunächst liegenden Felderreihe des Brettes: die Türme in den Ecken, neben ihnen die Springer, weiterhin die Läufer und auf den Mittelfeldern König und Dame (letztere steht auf dem Feld ihrer Farbe: regina servat colorem). Die acht Bauern stehen unmittelbar vor den Offizieren. Jede Figurenart hat ihre bestimmte Gangweise und daher auch ihren bestimmten Wert. Der Turm bewegt sich geradlinig, der Läufer aber in schräger Richtung, so daß er nur Felder einer Farbe bestreicht; der Springer springt schräg ins dritte Feld, von Weiß auf Schwarz und umgekehrt. Läufer und Springer sind minder stark als der Turm und heißen deshalb im Gegensatz zu diesem und der Dame »leichte Offiziere«. Die Dame, die weitaus mächtigste Figur, vereinigt in sich die Kraft von Turm und Läufer. Der König zieht nach allen Richtungen, aber (majestätisch!) nur einen Schritt; hatte er seinen Platz noch nicht verlassen, so darf man »rochieren«, d.h. den (ebenfalls noch nicht gerückten) Turm dicht an den König heranziehen (wofern keine Figuren dazwischen stehen) und den König auf die andre Seite des Turmes setzen. Der Bauer endlich geht vom Standfeld aus zwei oder einen, nachher aber immer nur einen Schritt vorwärts, während ihm das Schlagen nur nach rechts oder links ins nächste Feld gestattet ist. Das Schachbrett wird so gestellt, daß jeder Spieler ein weißes Eckfeld zur Rechten hat. Die Spieler tun wechselweise je einen Zug. Das moderne Vierschach, eine völlig bedeutungslose, den eigentlichen Geist des Spieles erheblich trübende Abart des Zweischachs, wird so selten gespielt, daß ein Hinweis auf die am Schluß des Artikels zitierte Literatur genügt. Von einem Erfinder des Spieles wissen wir nichts; die allbekannte Geschichte vom Brahmanen Sissa ist nur eine hübsche Fabel. Auch wann das Spiel erfunden wurde, läßt sich nicht mit Gewißheit sagen. Doch ist es mehr als wahrscheinlich, daß die jahrhundertelang beliebten Hypothesen über das Alter des Schachspiels total falsch sind, und daß das Spiel nicht weiter als bis höchstens 500 unsrer Zeitrechnung zurückgeht. Der indische Ursprung des Schachspiels ist sicher, denn nur aus dem indischen Tschaturanga läßt sich das persische Schatrandsch herleiten. Das Tschaturanga (übersetzt: das Vierteilige, das Heer) kam in mehreren Varianten vor, deren älteste, wie es scheint, mit Fußgängern, Rossen, Wagen und Elefanten manövrierte. Die Wagen entsprachen unsern Türmen, die Rosse unsern Springern, die Elefanten konnten nur 5 einfache Schritte machen (die 3 nach vorwärts und die 2 schrägen nach. rückwärts). Dieses Spiel, ein Zweischach, wird seit dem 9. Jahrh. mehrfach erwähnt.[662] Jedenfalls jünger ist die kuriose Abart des indischen Würfelvierschachs. Hier spielten 4 Teilnehmer, 2 verbündete Heere von je 8 Figuren gegen 2 andre gleichstarke, an einem Brette, und der Würfel bestimmte, welche von den Figuren (König, Elefant, Roß, Nachen oder Fußgänger) zu ziehen habe. Der Elefant hatte da die Kraft unsers Turmes, der Nachen »setzte nur über«, d.h. ging schräg ins dritte Feld gleicher Farbe. Das Schatrandsch gab seinen beiden Königen Wesire (pers. Farzin) zur Seite, schwache Stücke, die nur schräg ins nächste Feld gingen. Die mächtigste Figur (Turmkraft) hieß Ruch, die Alfile (Elefanten) zogen wie indische Nachen. Roß, bez. Reiter bleibt sich gleich in allen Varianten des Schachs. Wie es gekommen ist, daß die verschiedenen Spiele dem Elefanten verschiedene Rollen angewiesen haben, ist nicht ausgemacht. Der König hieß im Schatrandsch (persisch) Schah, daher unser »Schach«. Das Schatrandsch kam zuerst durch die Araber nach Europa (Griechen und Römer haben sicherlich nie etwas von dem Spiel gewußt) und herrschte hier ungefähr 500 Jahre lang. Gegen Ende des 15. Jahrh. trat das Spiel durch Einführung der erweiterten Kraft des Läufers und der Dame (mit alten Namen Alfil und Wesir oder Fers) in ein ganz neues Stadium. Der Reichtum an Kombinationen wuchs nun derartig. daß es sich verlohnte, nicht mehr allein die Endspiele, sondern auch die Eröffnungen des Schachspiels zu studieren und die Resultate solcher Forschungen aufzuzeichnen. So entstanden in Spanien die Schachwerke des Lucena (1497), Damiano (1512), Ruy Lopez (1567), in Italien die des Gianuzio (1597), Salvio (1604 u. 1634), Carrera (1617) und Greco (1619). Die Italiener stehen übrigens insgesamt auf den Schultern ihres Landsmanns Polerio, dessen Arbeiten Manuskript geblieben sind. Italien und Spanien waren im 16. und zu Anfang des 17. Jahrh. die Kulturstätten des Schachspiels, und die berühmtesten Spieler der Zeit (Leonardo il Puttino, Paolo Boi und Ruy Lopez) gehörten diesen Nationen an. Vom Dreißigjährigen Krieg an bis Mitte des 18. Jahrh. lag das S. in ganz Europa nieder. Um 1750 entstanden in Frankreich und Italien die Schulen des Philidor und Ercole del Rio; diesen Meistern folgten nach einigen Jahrzehnten Stein in Holland und Allgaier in Wien. In der ersten Hälfte des 19. Jahrh. teilten sich England, Frankreich und Deutschland in die Pflege des Schachspiels; erst neuerdings trat auch Nordamerika hinzu. Die Wettkämpfe (matches) zwischen dem genialen Franzosen de Labourdonnais und dem irischen Meister A. Mac Donnell (1834) wirkten allenthalben anregend; 1841 gründete H. Staunton eine englische Schachzeitung, und fünf Jahre später folgte Bledow, der älteste Meister der Berliner Schule, diesem Beispiel. Die »Deutsche Schachzeitung« besteht noch heute und ist jetzt das älteste Journal ihrer Art (s. unten). Das Verdienst, große Schachturniere ins Leben gerufen zu haben, gebührt den Engländern, die 1851 zum erstenmal die besten Spieler aller Nationen nach London einluden. Der erste Preis fiel bei dieser Gelegenheit einem Deutschen, A. Anderssen (s. d.), zu, der auch in zwei folgenden internationalen Turnieren (1862 in London und 1870 in Baden-Baden) die Palme festhielt. Der geniale Amerikaner Morphy, der in den 1850er Jahren alle seine Landsleute und alle Europäer, mit denen er spielte, besiegt hat, zog sich leider sehr schnell vom S. zurück und hat nie in einem Turnier ersten Ranges mitgekämpft. Die jüngsten derartigen Turniere fanden in Monte Carlo (1901, 1902, 1903, 1904), Cambridge Springs (1904), Ostende (1905, 1906) und Nürnberg (1906) statt. Sehr guten Rufes erfreuen sich die internationalen Turniere des Deutschen Schachbundes (gegründet 1879, umfassend fast alle deutschen Klubs, erster Vorsitzender Professor Gebhardt-Koburg). Auch die zahlreichen kleinern Kongresse der deutschen und englischen Schachassoziationen verdienen Erwähnung. Am großartigsten ist das Schachtreiben in London und New York, wo sich zahlreiche Schachmeister von Beruf aufhalten; auch in Havana und an der Riviera hat in neuerer Zeit öfters ein ganz außergewöhnliches Schachleben geherrscht, indem reiche Mäcene Wettkämpfe zwischen den ersten Meistern der Gegenwart veranstalteten. Endlich stellt neuestens Berlin ein sehr großes Kontingent starker Spieler. Über die künstlichen Schachaufgaben und -Endspiele s. Problemkunst und Endspiel.
Vgl. v. d. Linde, Geschichte und Literatur des Schachspiels (Berl. 1874, 2 Bde.) und Das erste Jahrtausend der Schachliteratur (das. 1880); v. d. Lasa, Zur Geschichte und Literatur des Schachspiels (Leipz. 1897). Anleitungen zum Spiel für Anfänger: Portius, Katechismus der Schachspielkunst (12. Aufl., Leipz. 1901), für Geübtere: v. Bardeleben und Mieses, Lehrbuch des Schachspiels (6. Aufl. des Leitfadens von v. d. Lasa, das. 1894); M. Lange, Lehrbuch (2. Aufl., Halle 1865); Suhle und Neumann, Neueste Theorie und Praxis des Schachspiels (Berl. 1865). Gewissermaßen der Kodex der gesamten bisherigen Ergebnisse der Theorie des Spieles ist v. Bilguer, Handbuch des Schachspiels (7. Aufl. von Schallopp, Leipz. 1891). Für Vierschach die Anweisung von Enderlein (2. Aufl., Berl. 1837). Eine Tabelle der Spieleröffnungen gibt Cordel, Führer durch die Schachtheorie (Berl. 1888). Außer der »Deutschen Schachzeitung«, seit 1846, jetzt herausgegeben von Professor Berger-Graz und C. Schlechter-Wien unter Redaktion von H. Credner (Verlag Veit u. Komp.) in Leipzig, dem »Deutschen Wochen schach«, herausgegeben von H. Ranneforth, B. Hülsen und M. Karstedt (Berl., seit 1885), der »Wiener Schachzeitung« (seit 1898, hrsg. von G. Marcs, Organ der internationalen Schachmeister-Vereinigung) existieren auch im Ausland eigne Organe des Spieles. Schachspalten sind in den meisten illustrierten und auch in vielen großen Tageszeitungen zu finden.
Buchempfehlung
Zwei satirische Erzählungen über menschliche Schwächen.
76 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.
456 Seiten, 16.80 Euro