Würmer

[774] Würmer (Vermes, hierzu Tafel »Würmer I [mit Deckblatt] u. II«), einer der großen Stämme des Tierreiches, und zwar insofern ein sehr vielgestaltiger, als man viele Tierformen, die sich in andern Stämmen nicht unterbringen ließen, hierher gestellt hat. Bei den niedern Vertretern findet man Beziehungen zu den Cölenteraten, besonders den Rippenquallen, bei den höhern solche zu andern gegliederten Tieren, vor allem zu den Arthropoden, vielleicht sogar zu den Wirbeltieren. Wegen der recht verschiedenartigen, hier vereinigten Tierformen läßt sich eine gemeinsame Charakteristik für alle nur schwer aufstellen. Im allgemeinen ist der Körper der W. seitlich symmetrisch, gestreckt, meist vielfachlänger als breit, entweder abgeplattet oder rund, bei den niedern Gruppen gewöhnlich ohne Gliederung, bei den höhern gegliedert (segmentiert), d. h. in hintereinander gelegene Stücke (Segmente, Ringe, Metameren) geteilt, so bei den Ringelwürmern (s. d.). Bei den Bandwürmern (s. d.) erlangen einzelne Körperabschnitte eine große Selbständigkeit, lösen sich sogar vom Körper ab und können eine Zeitlang für sich frei leben. Als Anhänge des Körpers treten bei den höchsten Würmern sogen. Fußstummel auf, außerdem finden sich als Organe zur Beihilfe bei der Bewegung Borsten und Saugnäpfe. Gewöhnlich sind Bauch und Rücken deutlich verschieden; auf ersterm bewegt sich das Tier oder heftet sich mit ihm an fremde Gegenstände an; auch befindet sich dort meist der Mund. Besondere Körperabschnitte lassen sich kaum unterscheiden, jedoch sind bei den Ringelwürmern die vordersten Ringe zu einem Kopfabschnitt vereinigt und durch den Besitz von Fühlern und Augen ausgezeichnet. Die Haut ist bei den niedern Würmern meist weich und häufig mit Wimperhaaren, oft auch mit einer Cuticula bedeckt Unter der Haut liegt die Muskulatur, und zwar zumeist mit jener innig verbunden und mit ihr den sogen. Hautmuskelschlauch bildend, der aus gesonderten Schichten von Längs- und Ringmuskeln besteht und infolge der abwechselnden Zusammenziehung (und Wiederausdehnung) dieser Schichten die bekannten wurmförmigen Bewegungen der W. bewirkt. Es können aber zu diesen noch Muskeln, die schräg, oder die vom Bauche zum Rücken quer durch die Leibeshöhle verlaufen, hinzukommen, und bei manchen Würmern zeigt die Hautmuskulatur nicht mehr die Form eines Schlauches, sondern setzt sich nur aus isolierten Muskelzügen zusammen, die in einer gewissen Regelmäßigkeit an bestimmten Stellen des Körpers auftreten. Das Nervensystem[774] besteht in seiner einfachsten Form aus zwei Ganglien (die aber auch zu einem verschmelzen können) rechts und links über dem Schlunde, von denen Nerven nach vorn und besonders zwei starke Stämme nach hinten ausgehen; bei den Ringelwürmern gehen vom Oberschlundganglion zwei Kommissuren aus, die den Schlund umgreifen und sich ventral zu dem untern Schlundganglion vereinigen; von diesem ausgehend setzt sich dann die Bauchganglienkette oder das Bauchmark in Form eines Strickleiternervensystems, aus zwei Längskommissuren und je einem Ganglienpaar mit verbindender Querkommissur in jedem Segment bestehend, bis an das hintere Körperende fort. Von dem Ganglienpaar jedes Körperrings strahlen reichlich periphere Nerven aus. Als Sehwerkzeuge dienen einfache, mit Nerven zusammenhängende, aus wenigen Zellen und eingelagerten lichtbrechenden Körpern bestehende Augen, die übrigens bei den höhern Würmern bereits einen recht komplizierten Bau erlangen und als Kameraaugen mit Linse, Glaskörper, Netzhaut etc. ausgerüstet sein können. Gehörorgane, vielleicht auch Geruchsorgane, sind gleichfalls vorhanden. Tastorgane sind bei den Eingeweidewürmern die mit Nerven in Verbindung stehenden Papillen der äußern Haut; die frei lebenden W. haben häufig fadenförmige Fühler am Kopf und an den übrigen Segmenten. In hohem Grade verschieden bei den einzelnen Gruppen sind die Verdauungswerkzeuge, entsprechend der sehr verschiedenen Lebensweise und Ernährung der einzelnen W. Bei manchen Eingeweidewürmern fehlen sie gänzlich, und so erfolgt die Ernährung endosmotisch durch die gesamte Haut, so bei den Bandwürmern (s. d.). Wo ein Darm vorhanden ist, unterscheidet man an ihm meistens einen muskulösen Schlund, Magen und Enddarm. Bei den Ringelwürmern hat der Darm oft von Segment zu Segment Einschnürungen mit Seitentaschen und Blindschläuchen. Der Mund liegt in der Regel ganz oder nahezu vorn auf der Bauchseite, der After, der übrigens auch beim Vorhandensein eines Darmes fehlen kann, hinten. Den meisten niedern Würmern fehlen Blutgefäße, während bei den höchsten ein vollständig geschlossenes System von Gefäßen vorkommt. Das Blut (Hämolymphe) ist zuweilen gelblich oder grünlich, häufiger rötlich, nur in wenigen Fällen sind aber die Blutzellen und nicht die Blutflüssigkeit gefärbt. Die Atmung geschieht meistens durch die gesamte Haut; aber bei den großen Borstenwürmern des Meeres gibt es fadenförmige, büschelige oder verästelte Kiemen als Anhänge der Fußstummel. Besondere Exkretionsorgane sind bei allen Würmern, und zwar in zwei verschiedenen Typen, den Protonephridien und Nephridien, ausgebildet. Die erstern stellen bei den niedern Würmern ein System von engen und weiten Kanälen (sogen. Wassergefäßsystem) dar, dessen zarte Anfangsorgane in Form der birnförmig erweiterten, mit Wimperflimmer ausgerüsteten blindgeschlossenen Endigungen der seinen Kanäle im Gewebe des der Leibeshöhle entbehrenden Körpers liegen, während die stärkern Kanäle, die sich zu zwei Hauptstämmen vereinigen, gewöhnlich gemeinsam hinten am Körper ausmünden. Die Nephridien dagegen treten paarweise und segmental, bei den Ringelwürmern häufig als ein Paar in jedem Körpersegment auf; sie beginnen mit einem wimpernden Trichter in der Leibeshöhle und bestehen größtenteils aus einem vielfach gewundenen Schlauch, der entsprechend der paarigen Anordnung jederseits am Körper ausmündet. Die Schleifenkanäle oder Segmentalorgane können gleichzeitig in den Dienst der Geschlechtsapparate treten, indem sie Eier oder Samenfäden nach außen leiten. – Die Fortpflanzung geschieht bei den niedrigen Formen zuweilen durch Knospung und Teilung; doch beschränkt sich diese ungeschlechtliche Vermehrung häufig auf die Jugendformen (sogen. Ammen). Im übrigen geschieht die Fortpflanzung auf geschlechtlichem Wege; häufig sind die niedern W. (auch manche höhere) Zwitter und besitzen oft äußerst komplizierte Einrichtungen für Eibildung und Begattung, während die getrennt-geschlechtlichen Gruppen meist einfache Geschlechtswerkzeuge haben. Die Entwickelung ist selten direkt. Zahlreiche W. durchlaufen eine Metamorphose, und ihre Larven sind dann entweder am ganzen Körper bewimpert oder haben nur einzelne sogen. Wimperkränze oder Wimperreifen. Bei den meisten Ringelwürmern enthält die Larve von dem zukünftigen Wurm nur den Kopf und das letzte Körpersegment; die übrigen Segmente sprossen in der Richtung von vorn nach hinten dazwischen hervor und strecken sich allmählich in die Länge. Bei Band- und Saugwürmern kommt ein recht komplizierter Generations- und Wirtswechsel vor. – Alle W. leben in feuchter Umgebung, entweder im Wasser oder in nasser Erde oder auch im Innern andrer Tiere. Ganze Gruppen sind Schmarotzer in oder auf Tieren, von deren Säften sie sich nähren. Fossile W. kennt man schon aus den obersilurischen Schichten, besonders Kieferstücke und Röhren von Polychäten, deren Abdrücke häufiger in jüngern Schichten, speziell im lithographischen Schiefer Bayerns vorkommen. In Jura, Kreide und Alttertiär finden sich häufiger Reste von Ringelwürmern, und mehrere Arten geben hier mit ihren Gehäusen dem sogen. Serpulitenkalk den paläontologischen Charakter.

[Einteilung.] Man teilt die unzweifelhaften W. gewöhnlich in sechs größere Gruppen: 1) Plattwürmer; hierher Planarien, Tafel I, Fig. 5, 10, 11 u. 21; Nemertinen (Schnurwürmer), Fig. 3, 12 u. 15, und Tafel II, Fig. 6; Trematoden (Saugwürmer), Tafel II, Fig. 4 u. 10; 2) Fadenwürmer (Rundwürmer), Tafel II, Fig. 1–3, 5, 8 u. 9; 3) Kratzer (Hakenwürmer); 4) Rädertierchen; 5) Sternwürmer (Gephyreen), Tafel I, Fig. 7 u. 14; 6) Ringelwürmer; hierher Polychäten, Tafel I, Fig. 2,4,8,13,16–20 u. 22, und Tafel II, Fig. 7; Hirudineen, Tafel I, Fig. 9. Manche Zoologen trennen die beiden letzten Gruppen ganz ab und bezeichnen nur die übrigen als echte W. Ferner werden neuerdings auch wohl noch die Moostierchen (Bryozoen) und Armfüßer (Brachiopoden), ja sogar die Manteltiere (Tunikaten) den Würmern angegliedert, ohne daß man allerdings sagen könnte, sie ständen mit den Würmern in einem sonderlich engen Zusammenhang. Wegen der Plattwürmer, Fadenwürmer, Kratzer, Sternwürmer, Rädertiere und Ringelwürmer s. die betreffenden Artikel. Besondere, mit den eben genannten nicht ohne Zwang vereinbare kleinere Gruppen sind die Pfeilwürmer (Oesthelminthes, Chaetognatnes, Tafel I, Fig. 1) oder Sagitten (Sagitta; leben nur im Meer) und die Enteropneusten (Balanoglossus u. a., ebenfalls marin, werden über 1 m lang, Tafel I, Fig. 6). Die Onychophoren oder Peripatiden (Peripatus) gehören nicht zu den Würmern, sondern zu den Gliederfüßern. – Die Literatur über W. s. bei den einzelnen Gruppen.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 774-775.
Lizenz:
Faksimiles:
774 | 775
Kategorien:

Buchempfehlung

Prévost d'Exiles, Antoine-François

Manon Lescaut

Manon Lescaut

Der junge Chevalier des Grieux schlägt die vom Vater eingefädelte Karriere als Malteserritter aus und flüchtet mit Manon Lescaut, deren Eltern sie in ein Kloster verbannt hatten, kurzerhand nach Paris. Das junge Paar lebt von Luft und Liebe bis Manon Gefallen an einem anderen findet. Grieux kehrt reumütig in die Obhut seiner Eltern zurück und nimmt das Studium der Theologie auf. Bis er Manon wiedertrifft, ihr verzeiht, und erneut mit ihr durchbrennt. Geldsorgen und Manons Lebenswandel lassen Grieux zum Falschspieler werden, er wird verhaftet, Manon wieder untreu. Schließlich landen beide in Amerika und bauen sich ein neues Leben auf. Bis Manon... »Liebe! Liebe! wirst du es denn nie lernen, mit der Vernunft zusammenzugehen?« schüttelt der Polizist den Kopf, als er Grieux festnimmt und beschreibt damit das zentrale Motiv des berühmten Romans von Antoine François Prévost d'Exiles.

142 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon