[940] Handelsbilanz, heißt der Unterschied zwischen dem Geldbetrage der gesammten Einfuhren eines Landes u. demjenigen seiner sämmtlichen Ausfuhren während einer gleichen Periode. Sie spielte in dem nationalökonomischen Systeme der sogen. Mercantilisten eine große Rolle, nach welchem ein Volk um so reicher würde, je mehr der Werth seiner Ausfuhr denjenigen seiner Einfuhr überstiege. Demnach galt die H. als einem Volke günstig, wenn seine Ausfuhr, als ungünstig aber, wenn seine Einfuhr im Geldwerthe überwog; es käme also nur darauf an, möglichst viel aus- u. möglichst wenig einzuführen, um reiche u. glückliche Völker zu machen. Jene Schule stützte sich auf die bekannte Thatsache, daß man, um Vermögen zu sammeln, nicht so viel ausgeben darf, als man einnimmt, die Einfuhr aber nahm sie für die Ausgabe (weil sie zu bezahlen sei), u. die Ausfuhr für die Einnahme, u. da der Werthunterschied zwischen Ein- u. Ausfuhr mit baarem Gelde ausgeglichen werden müsse, so müsse also ein Land, dessen H. andauernd ungünstig sei, allmälig nothwendig verarmen, ein anderes Land aber, dessen Bilanz anhaltend günstig stehe, reich werden. Aber man verwechselte dabei gänzlich die Bedeutung, welche das Geld in der Kasse des einzelnen Kaufmanns u. welche es in dem Umlaufe unter einer Nation hat. Jene Grundsätze über H. beruhen aber nicht allein auf einer falschen Theorie des Geldwesens, sondern vielmehr auf einem unrichtigen Begriff über das Wesen des Handels selbst. Der Hauptzweck des Handels ist Gewinn; folglich besteht das eigentliche Geschäft des Kaufmanns darin, daß er jede Waare von der billigsten Bezugsquelle bezieht u. solche wiederum nach dem Ort der Nachfrage ausführt, d.h. dahin, wo ihm dafür die höchsten Preise gezahlt werden. Nun ist es aber klar, daß keine Art von Waare ausgeführt wird, ohne die Absicht, dafür einen größeren Gegenwerth einzuführen. Dieser Gegenwerth wird aber vom Auslande in den allerseltensten Fällen in Geld gezahlt werden, sondern in Waaren; es sei denn, daß der Verkehr mit einem Bergbau treibenden Volke stattfände, welches viele edele Metalle producirt, od. mit einer Nation, welche großen Überfluß daran hätte, welches indessen nur momentan sein u. auf eine gewisse Zeitperiode beschränkt bleiben wird. In beiden Fällen aber würde das Geld als Waare zu betrachten sein, als das vortheilhafteste Mittel, eine Schuld zu decken, wodurch die betreffenden Nationen nicht armer, sondern reicher geworden wären, indem sie ein Product verkauft, woran sie Überfluß hatten, u. dafür Waare bezogen, welche ihnen nöthig waren. Wenn z.B. die Summe, die Österreich auf England zu ziehen hat, 1,000,000 Gulden mehr beträgt, als diejenige, welche England von Österreich zu fordern hat, so kommt es dem englischen Handelsstande zu, die leichtesten Mittel aufzufinden, um dieses Mehr auszugleichen, u. wenn es ihm gelingt, mit einem Aufwande von 950,000 Gulden, od. 070,000 Gulden, od. selbst 990,000 Gulden Colonialwaaren, Getreide, Baumwolle od. irgend eine andere Waare anzuschaffen, die auf dem österreichischen Markt mit 1,000,000 Gulden bezahlt wird, so wird sicher weder Gold noch Silber ausgeführt werden. Ein Land gewinnt in der That nur dann beim Tausche, wenn es mehr Werthe einführt, als ausführt. Der Gewinn wird aber im regelmäßigen Gang des Handels bei zwei mit einander handelnden Völkern auf beiden Seiten sein, weil jedes von ihnen am Preise der ausgeführten sowohl, als der eingeführten Waaren gewinnt; jedes von ihnen wird demnach auch für die betreffenden Werthe andere Summen aufstellen. Der Geldbetrag der englischen Einfuhr aus den Vereinigten Staaten Nordamerikas überschreitet den der Ausfuhr daher fortwährend (z. B. 1849 betrug dir englische Ausfuhr nach den Vereinigten Staaten 11.971,082 Pfund Sterling, die englische Einfuhr aber 25,554,941 Pfund Sterling von dorther) u. nicht leicht wird Einer glauben, daß England im Handel mit den Vereinigten Staaten Nordamerikas verliere. Abgesehen von dem unstatthaften Bestreben, wo möglich nur (gegen baares Geld) verkaufen, nicht aber kaufen zu wollen, ist es an sich nicht möglich, eine wirkliche H. aufzustellen, denn diese müßte das baare Geld mit umfassen, auf dessen überschüssige Einnahme allein es ja den Mercantilisten ankommt, ein Moment, dessen aber die Ein- u. Ausfuhrlisten (Zolllisten) fast keines Landes gedenken. Es dürften ferner in diesen Listen nicht Waaren in Eine Kategorie gestellt werden, die zwar einander verwandt, aber im Werthe sehr verschieden sind u. die Annahme eines Durchschnittswerthes gar nicht zulassen, wo man die Quantitäten der einzelnen Arten eben nicht auseinanderhält. Demnach sind die Ein- u. Ausfuhrlisten der Zollbehörden für jenen Zweck gar nicht brauchbar u. sie sind überdies unvollständig, weil sie die zollfreien Artikel nicht mit zu enthalten pflegen u. natürlich noch weniger die durch den Schmuggel ein- od. ausgegangenen. In der That haben auch aus solchen Listen verschiedene Schriftsteller die einander gerade entgegengesetzten Resultate herausgerechnet. Wenn ferner die Annahme richtig wäre, daß der Werthunterschied zwischen Ein- u. Ausfuhr mit baarem Gelde ausgeglichen werden müßte, so müßte England, wenn z.B. der Überschuß der Ausfuhr über die Einfuhr, wie ihn die Zolllisten für England seit Jahren nachweisen, in der That mit baarem Gelde ausgeglichen worden wäre, gegenwärtig gegen 500 Mill. Pfd. St. gemünztes u. ungemünztes edles Metall besitzen, während es dessen nur 5060 Mill. Pfd. St. hat. Ein ähnliches Verhältniß zeigt sich in den anderen Ländern, die alle (mit Ausnahme der Vereinigten Staaten von Nordamerika) eine sogenannte günstige H. aufstellen (man ersieht daraus die Unzuverlässigkeit[940] ihrer Listen); sollte ihnen der Saldo dieser Rechnungen in Geld ausgeglichen werden, so würde der Gesammtbetrag aller Bergwerke der Erde, wenn er zehnfach so groß wäre, als er in der That ist, zu diesem Zwecke nicht hinreichen. Die früher allgemein gültige Theorie über das Gleichgewicht des Handels ist also nicht allein unwahr, sondern gerade das Gegentheil ist das Richtige davon, denn übersteigt der Werth der eingeführten Waaren in jedem Lande, welches einen gewinnreichen Handel treibt (u. ein anderer ist auf die Dauer gar nicht möglich), stets den Werth der ausgeführten Waaren; mag die Bilanz nun zu Gunsten od. zum Nachtheil eines Landes stehen, so wird es diese Bilanz nie in baarem Gelde empfangen od. auszahlen, wenn nicht die edlen Metalle gerade diejenige Waare sind, durch deren Ein- u. Ausfuhr die Rechnung am vortheilhaftesten beglichen werden kann. Der Schaden, welchen die irrigen Grundsätze über H. in fast allen Handelsstaaten herbeigeführt haben, war ein außerordentlich beträchtlicher; denn ausgehend von den früheren falschen Ansichten, glaubte man bes. das Schutzzollsystem annehmen zu müssen, um dadurch die Ausfuhr möglichst vieler Waaren zu bewirken u. deren Einfuhr zu beschränken. Wenn auch nicht zu verkennen ist, daß die Schutzzölle in Staaten, deren Industrie noch im Aufkeimen begriffen, den inländischen Gewerbfleiß, indem sie die Erzeugnisse des Auslandes besteuern, einen gewissen Schutz gewähren u. das Aufblühen einzelner Handelszweige momentan befördern, so können dieselben hierauf doch nie dauernd u. noch viel weniger auf das Allgemeine des Handels ohne Schaden für die Nationalwohlfahrt Anwendung finden, denn ein freier u. unbeschränkter Handelsverkehr zwischen zwei Nationen muß für eine wie für die andere den größten Vortheil bringen.