Mahratten

[724] Mahratten (Maharatten), ein indisches Volk, ursprünglich die Bewohner der altindischen Landschaft Maharashra im centralen Indien, von der sie ihren Namen haben, seit dem 16. Jahrh. aber über einen großen Theil des mittleren Vorderindien als herrschender Stamm verbreitet; hatten drei Jahrhunderte lang unter der Herrschaft der Muhammedaner gestanden, während welcher Zeit ihre Sprache arischen Stammes u. ihre brahmanische Religion fast die einzigen Momente waren, durch weichste sich von ihren Herren schieden u. unter einander verbanden. Erst um die Mitte des 17. Jahrh. tauchten sie Plötzlich in der Geschichte auf, als der kühne u. abenteuerliche Weise Sevajee das Mahrattische Reich begründete. Sevajee war der Sohn des Shahjee, welcher von seinem Vater Shalolee die Lehnsherrschaft Poona (zum Königreiche Ahmednagar gehörig) geerbt hatte, aber in die Dienste des Königs von Beejapoor getreten u. hier in den Besitz von Tanjore gelangt war. Da Shahjee letzteres Fürstenthum seinen übrigen Kindern hinterließ, wurde Sevajee in Poona unter der Aufsicht eines der Offiziere seines Vaters erzogen. Noch nicht 17 Jahre alt, sammelte er eine Bande um sich, kam zum Besitz der Herrschaft Poona u. vermehrte dieselbe, trotz der fortdauernden Kämpfe des Großmogul gegen ihn, durch Eroberungen der ganzen Küste von Goa bis Damaun u. weiter Strecken in Beejapur; um 1665 nahm er den Titel Radscha an, ließ sich 1674 nach altindischer Sitte zum König krönen u. führte das Sanskrit zur Bezeichnung der Ämter u. Würden statt des Persischen ein, wie denn überhaupt die Brahmanen an seinem Hofe die höchste Achtung genossen. 1673 zog er mit einem Heere nach Golconda, schloß ein Bündniß mit dem dortigen Könige, siel dann in Karnatik ein, behielt aber die bedeutenden Eroberungen, die er machte, für sich. In einem neuen Krieg, welchen er mit Aurengzeb u. dessen Perbündeten, dem Könige von Beejapur, führte, war »fast immer glücklich, starb aber 1680 noch vor Beendigung demselben. Doch hatte er sein Reich abermals um einen bedeutenden Theil von Beejapur vergrößert, welches bei seinem Tode von der Westküste von Gundavi bis Goa reichte u. einen großen Theil des nordwestlichen Dekan umfaßte, wozu noch einzelne Gebiete u. feste Punkte im übrigen Dekan kamen. Über die häuslichen Inriquen u. Kämpfe, welche unmittelbar nach Sevajee's Tode folgten, wußte anfänglich dessen ältester Sohn Sambhajee zu siegen, doch zeigte derselbe sich in der Folge den Verhältnissen nicht gewachsen, verlor viele Theile des väterlichen Reichs an den Großmogul u. wurde zuletzt von diesem gefangen u. 1689[724] hingerichtet. Da sein Sohn Saho (od. Saho) noch ein Kind war, wurde dessen Oheim Ram-Radsch zum Regenten ernannt. Als Raigurh, die bisherige Residenz, genommen u. auch Saho in die Hände Aurengzebs gefallen war, bestieg Ram-Radsch 1690 selbst den Thron. Der Krieg mit dem Großmogul wurde mit wechselndem Glück fortgeführt; bis 1697 drehte sich derselbe fast nur um Ginjee in Karnatik, wohin Ram-Radsch seine Residenz verlegt hatte. Als Ginjee ebenfalls in die Hände Aurengzebs gefallen war, setzte sich Ram-Radsch zu Sattara fest, welche jedoch 1770 ebenfalls an die Muhammedaner verloren ging. Um dieselbe Zeit starb Ram-Radsch, für dessen minorennen Sohn seine Wittwe die Regentschaft übernahm. Nach Aurengzebs Tode (1707) wurde der bisher gefangen gehaltene Saho frei u. wußte sich in Besitz des von seinem Cousin eingenommenen Thrones von Sattara zu setzen. Sein Minister od. Peischwa war ein Brahmine, Namens Balajee Biswanat, welcher Bedeutendes zu Gunsten der Mahrattischen Herrschaft ausführte u. unter and. 1717 einen Vertrag mit dem Großmogul schloß, in welchem der König der M. sich zwar als Vasall bekannte, aber ihm alles Gebiet, was einst Sevajee besessen hatte, zugesprochen wurde. Dem Balajee Biswanat folgte sein Sohn Bajee Rao in der Würde des Peischwa, welcher eigentlich zwar nur der Zweite im Staate (der Erste war Priti Nidhi) war, aber bereits alle Macht in sich zu vereinigen begann. Bajee Rao fuhr rüstig fort, das Gebiet wie die Einkünfte des Reichs, jedoch fast nur zu seinen Gunsten, zu vereinigen; seine Unternehmungen litten durch die Kampfe Mit Nadir-Schah nur eine kurze Unterbrechung; 1739 nahm er den Portugiesen Salfette u. Bassein. Nach seinem Tode folgte ihm als Peischwa sein altester Sohn Balajee Rao, welcher, die völlige Schwäche u. Regierungsunfähigkeit des greifen Saho benutzend, alle königliche Macht auf sich übertrug, dem König (seit Saho's Tobe 1749 Ram-Radsch, ein nachgeborener Sohn des zweiten Sevajee) nur den Titel überlassend. Balajee war factisch bis zu seinem Tode (1761) das Haupt des Mahrattischen Reichs, welches sich über ein Areal von 28,000 QM. ausbreitete, aber schon den Beginn des Zerfalls zeigte, da die Machthaber in den einzelnen Provinzen sich dem Einflüsse des Peischwa immer mehr zu entziehen suchten. Der Peischwa residirte in Poona, der Titularkönig in Sattara. Mit dem Tode Balajee's, welcher kurz vorher die Schlacht von Paniput verloren hatte, beginnt die Macht der Peischwas von Poona rasch zu sinken; bereits in den letzten Jahrzehnten war er blos das nominelle Oberhaupt der verschiedenen mahrattischen Staaten, welche in Poona durch einen Rath von 12 Brahminen repräsentirt waren, im Übrigen aber ganz unabhängig waren u. auch bald unter sich Kriege führten. In letztere wurde bald die Ostindische Compagnie verflochten, welche die Abtretung einzelner Provinzen des Mahrattenreiches erlangte, bis nach einem blutigen Kampfe mit den Briten 1817 u. 1318 die letzten Überreste des Reichs von diesen unterworfen u. ihre Herrscher zu englischen Vasallen gemacht wurden. Nur einer derselben, Rao Scindia, bewahrte die Unabhängigkeit bis zu seinem Tode; doch auch der Staat des Scindia (s.d.) mußte nach den Siegen der Engländer bei Maharadschpur u. Puniar (29. December 1843) in die Reihe der englischen. Subsidiarstaaten treten. Die bedeutendsten den noch bestehenden, aber den Engländern unterworfenen mahrattischen Fürstenthümer sind: der Staat des Scindia, welcher den Titel Maha-Radscha (d.i. Großkönig) führt u. zu Gwalior (s.d.) residirt, 1565 QM. mit 3,300,000 Ew.; der Staat des Holkar (s, d.) od. von Indore, 393 QM. mit 815,000 Ew.; der Staat des Guicowar (s.d.) mit der Residenz Baroda, 900 QM. u. 1,500,000 Ew. (mit den tributpflichtigen Herrschaften). Hierzu kamen der Staat des Maharadscha von Sattara, 483 QM. mit l Mill. Ew., welcher 1848. u. den Staat des Bhunsla od. Nagpore, 3600 QM. mit 4,650,000 Ew., welcher 1853 dem unmittelbaren britischen Gebiet einverleibt wurde. Die W. sind von festem, starkem Körperbau, haben mehr od. weniger braune Körperfarbe, sind abgehärtet u. von kriegerischem Geiste, zeigen aber grausamen, wilden u. treulosen Charakter. Auf die Cultur u. Civilisation der Länder, in denen sie das herschende Volk waren, haben sie den nachtheiligsten Einfluß geübt. Vgl. Broughton, Wanderungen unter den M. deutsch Lpz. 1814; Neuestes Gemälde der Mahrattenstaaten, Pesth 1819; Sprengel, Geschichte der M., Halle 1786; Tone, Bemerkungen über die M, deutsch Weim. 1801; Duth, History of the Mahrattas, Lond. 1826, 3 Bde.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 10. Altenburg 1860, S. 724-725.
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