Großmogul

[717] Großmogul (od. wie einige neuere Schriftsteller schreiben, Großmongole), ist der im Abendlande übliche Name für die einer turanischen (mongolischen) Dynastie angehörigen Beherrscher von Hindostan, welche erst zu Agra, dann aber zu Delhi residirten u. sich selbst den persischen Titel Schah od. Padischah (d.i. Großkönig) beilegten, wie denn überhaupt das Persische ihre Hof- u. Regierungssprache war. Gestiftet wurde das Reich der G-n von Babur, einem Urenkel Tamerlans, der aus seinem Lande Andekan von Schaibeck Khan 1498 vertrieben, nach Gazna geflohen war u. sich anderwärts ein Reich erobern wollte. Er fiel 1526 in Hindostan ein, besiegte den Sultan Ibrahim, der selbst in der Schlacht in den Ebenen von Paniput blieb, u. nahm von Delhi Besitz. Darauf unterwarfen sich die benachbarten Provinzen, bis auf Dekan, Guzerate u. Bengalen. Dieses große Reich erhielt 1530, nach seinem Tode, sein Sohn Humajun Mirza, welcher zwar bis 1538 den größten Theil von Guzerate u. Bengalen eroberte, allein Schir Khan, ein Patane, verband sich mit Humajuns Bruder Kamoran u. nöthigte den Mogul Indien zu verlassen. Dieser floh nach Persien zu Schah Tamasp, welcher ihn auf den Thron zurückführte. Als er 1556 gestorben war, folgte ihm sein 14jähriger Sohn Akbar I., einer der bedeutendsten Fürsten der Dynastie, wie überhaupt einer der größten Herrscher des moslemischen Orients. Anfangs regierte sein Erzieher u. Oberfeldherr Beyram Khan für ihn; nachdem er die Zügel der Regierung selbst ergriffen hatte, unterdrückte er mehrere aufrührerische Radschas, nahm 1574 Bengalen ein, 1585 Kaschmir u. Sind u. machte seit 1594 Einfälle u. Eroberungen in Dekan. Danach verlegte er seine Residenz nach Agra (nun Akbarabad genannt) u. rief viel Ausländer zu sich, bes. Engländer u. Portugiesen. Während die G-s als strenge Muhammedaner intolerant gegen andere Religionen waren u. zum Theil strenge Verfolgungen gegen alle Andersdenkende verordneten, bes. gegen die Religion der Brahminen, u. die religiösen Denkmäler derselben zerstörten od. verstümmelten, so war Akbar rücksichtsvoller gegen dieselben, ja er ließ sogar christliche Missionäre in sein Land kommen (unter diesen war Hieronymus Xavier), doch mehr um die christliche Religion kennen zu lernen, als um dieselbe unter den Seinen zu verbreiten; unter seiner Regierung hatte sich das Großmogulische Reich ausgebreitet über Kandahar, Kabul, Kaschmir, Pendschab, Guzerate, Sind (Tatta), Kandesch, Brampur, Berar, Bengalen, Agra, Delhi, Orissa, Malwa. Er hatte eine Armee von 600,000 Mann u. seine jährlichen Einkünfte beliefen sich auf 202,500,000 Thaler. Sein Minister Abul Fazl veranstaltete die Sammlung eines Gesetzbuches, sowie er auch des Großmoguls Geschichte schrieb. Akbar st. 1605; als er sein Ende merkte, setzte er seinem Sohn Selim, welcher sich 1598 wider seinen Vater empört, aber Verzeihung erhalten hatte, den Turban auf u. umgürtete ihn mit Humajuns Schwerte. Selim nahm den Namen Selim Schah od. Dschihanghir an; seine Gemahlin war Nurmahal, die großen Einfluß auf den schwachen Mogul hatte. Durch ihren Ehrgeiz erregte sie Unruhen im Reiche, u. die Empörungen, welche die Söhne des Moguls, Khosru u. Hurun, u. die Radschas machten, waren um so gefährlicher, da Dschihanghir die Residenz von Agra nach Lahore verlegt hatte. Weil er selbst in Müssiggang, Trunk u. Wollust lebte, so erlitt das Reich großen Schaden; er verlor Kandahar an die Perser, u. die Uzbeken machten von Kabul her einen Einfall in das Reich. Nach seinem Tode 1625 wurde Bolakhi, sein Enkel, Khosrus Sohn, als Mogul ausgerufen; doch vertrieb ihn sein Oheim Kurun, Dschihanghirs Sohn, mit Hülfe des Feldherrn Asuf-Khans u. setzte sich als Schah-Dschihan auf den Thron. Er nahm seine Residenz in Delhi. Seine Regierung war nicht glücklicher als die seines Vaters, zwar erfocht er einige Vortheile über die Portugiesen, aber sein Geiz machte ihn verhaßt. Der Hof bei allem Glanze war in trauriger Verfassung u. voll Parteien. Endlich ergriffen auch seine Söhne Dara, Sudschah, Morad u. Aurengzeyb die Waffen wider einander. Aurengzeyb, als jüngerer Bruder nicht mm Throne bestimmt, Statthalter zu Dekan, war ein talentvoller, tapferer Mann; er besiegte mit Hülfe des Morad seinen ältesten Bruder Dara, nahm hierauf Morad u. endlich 1658 selbst seinen Vater gefangen; ließ seine drei Brüder ermorden u. übernahm 1660, noch bei Lebzeiten seines Vaters (starb 1666), unter dem Titel Alem Ghir (d.i. Überwinder der Welt) die Regierung. Er eroberte Golko da u. Visiapur, schlug die Radschputen, vertrieb die Maharatten, unterjochte viele andere Völker u. brachte sein Reich zu solcher Größe, daß es sich vom 8–30° nördl. Br. erstreckte u. über 300 Mill. Thaler Einkünfte gab. Seine Söhne rächten das an seinem Vater begangene Verbrechen, vier empörten sich gegen ihn, doch besiegte er sie, nöthigte einen zu fliehen, ließ einen anderen vergiften u. die übrigen ins Gefängniß werfen. Unter seiner Regierung entstand 1687 ein Krieg mit der Ostindischen Compagnie, in dem jedoch die Compagnie den Kürzeren zog u. mit großen Geschenken den Frieden erkaufen mußte. Aurengzeyb behandelte seine Unterthanen mild, beförderte die Wissenschaften, unterstützte die Schulen u. war prachtliebend u. tapfer; die Europäer schätzte er u. benutzte sie am Hofe u. im Heere. Nach Aurengzeybs Tode 1707 folgte sein Sohn Schah Alem I., nachdem er seinen Bruder Azam Schah bei Agra geschlagen u. getödtet hatte; auch gegen seinen Bruder Kambaksch von Golkonda zog er, schlug u. erlegte ihn. Sonst ist er unberühmt. Als er 1711 starb, machten sich seine vier Söhne den Thron streitig; Dschehandar Schah schaffte die anderen aus dem Wege u. wurde Mogul, aber seine Liebe zu einer Tänzerin wurde Veranlassung zu einer Verschwörung, in deren Folge er ab- u. sein Neffe Farukhschir auf den Thron gesetzt wurde. Seine Minister Seyd Abdallah Khan u. Seyd Hassan Khan beherrschten ihn gänzlich, u. als er sich derselben entledigen wollte, entsetzten sie ihn 1718 u. erhoben Raschid Edderedgiat od. Rasierdan, einen Enkel Alems, auf den Thron; den aber ermordeten sie nach drei Monaten u. machten seinen Bruder Raschid Eddaulet zum Mogul, u. als dieser nach wenigen Tagen starb, bestieg Muhammed Schah, auch ein Enkel Schah Alems,[717] den Thron, der sich sogleich der beiden Seyd entledigte. Diese Schwäche des Reiches, die sich durch den häufigen Regentenwechsel u. in der Untüchtigkeit der Moguls selbst offenbarte, benutzten die Statthalter (Subahs, Nabobs, Zemindars) der Provinzen, so wie die Radschas, die als zinspflichtige Vasallen in mehreren eroberten Staaten geblieben waren, um sich unabhängig zu machen; so waren im Großmogulischen Reiche die Reiche zu Oude, Dekan, Allahabad etc. entstanden, dazu kamen die Staaten der Seiks, Maharatten, Radschputen, Rohillas. Dem G. war nur ein Schatten von Macht geblieben. Die größte Demüthigung mußte er aber erfahren durch Nadir-Schah von Persien, welchen Nizam al Muluk, Statthalter von Dekan, beleidigt von zwei Günstlingen des Moguls, zum Sturz des Moguls 1739 herbeigerufen hatte. Dieser eroberte Delhi, plünderte es wegen eines, zufällig nach dem Einrücken entstandenen Tumultes, ließ über 100,000 Menschen umbringen u. gewährte nur nach Abtretung aller Länder jenseit des Indus den Frieden. Nach Nadir-Schahs Abzug setzte der Mogul seine alte Lebensweise fort, der Nizam riß alle Macht an sich u. bes. Dekan behandelte er ganz als eigenes Reich; ebenso wurden in Bengalen, Behar u. Orissa von Usurpatoren neue Herrschaften errichtet. Die Verwirrung wurde noch größer, da der Mogul die Maharatten, denen man vor dem Einbruch Nadir-Schahs Tribut versprochen hatte, an jene abgefallenen Provinzen wies; denn die Maharatten richteten schreckliche Verwüstungen in Bengalen an. Muhammed Schah st. 1747. Ihm folgte Achmed Schah. Die Kämpfe im Inneren dauerten fort, bes. um Dekan war ein langwieriger Kampf unter des Nizams (st. 1648) Söhnen; 1754 wurde der Mogul von seinem Großschatzmeister Ghazioddin, weil er Cabalen gegen ihn Gehör gegeben hatte, geblendet. Das ganze Großmogulische Reich reichte jetzt kaum über einige Meilen östlich über Delhi u. westlich über Lahore, Oude, Agra, die nördlichen Provinzen über Delhi; Bengalen, Behar, Orissa, Dekan, Guzerate waren von Rohillas, Maharatten, Patanen u. einzelnen Radschas abgerissen. Achmeds Nachfolger war Alem Ghir, der an Gesinnung seines Urgroßvaters Aurengzeyb würdig war, aber dem es ebenfalls an Kraft fehlte, seinen Willen durchzusetzen; er blieb abhängig von seinen Großen, u. da er sich nicht mehr gegen den immer mächtiger werdenden Achmed Abdallah in Khorasan halten zu können fürchtete, so lud er denselben nach Delhi ein, daß er ihn von der Gewalt Ghazioddins befreite. Achmed kam, forderte von den Einwohnern von Delhi eine ungeheure Schatzung, aber anstatt den Mogul von Ghazioddin zu befreien, setzte er denselben wieder ein u. kehrte nach Kabul zurück. Ghazioddin trieb es nun ärger als vorher u. hielt den Mogul mit seiner Familie gefangen. Als Alem den Achmed von Neuem zu Hülfe rief, ermordete Ghazioddin den Mogul (1760) u. setzte den Schah Dschihan an seine Stelle. Da aber rückte Achmed (1761) wieder gegen Delhi, u. da die Einwohner, durch eine unmäßige Contribution gedrückt, eine Empörung machten, so wurde ein Blutbad unter ihnen angerichtet u. die Stadt niedergebrannt. Kaum hatte Achmed die Trümmer Delhis verlassen, so drang ein Maharattenhausen heran, die neue Verwüstungen anrichteten, den Schah Dschihan ab- u. den Dschewan Bacht, einen Enkel Alem Ghirs, als G. einsetzten. Doch hatte schon 1750 sein Vater Ali Gohor als Schah Alem II. in Behar die kaiserliche Würde angenommen u. sich zu Schudscha ud-Daulet von Oude, dann nach Allahabad zu Muhammed Kuli Khan begeben. Sein Versuch Bengalen zu eroberen mißglückte, er wurde 1761 von dem, mit den Engländern verbündeten Suba von Bengalen geschlagen u. sah sich genöthigt, sich den Engländern zu ergeben. Da aber die Engländer nichts zu seiner Unterstützung thaten, so warf er sich dem Schudscha ud-Daulet von Oude in die Arme. Dieser vereinigte sich in seinem Namen mit dem aus Bengalen vertriebenen Mir Kossim zur Eroberung dieser Provinz, aber bei Buxar am 22. Oct. 1764 von den Engländern geschlagen, begab sich Alem wieder unter den Schutz der Engländer, denen er, kraft seines Namens, die Provinzen Gazipur u. Benares abtrat u. dagegen von ihnen Unterstützung bei Eroberung Delhis u. einstweilen Allahabad als Wohnsitz angewiesen erhielt. Doch änderten sich nachher die Sachen, nach dem mit Clive zu Allahabad geschlossenen Vertrage (1765) erhielt der aus seinen Staaten vertriebene Schudscha ud-Daulet dieselben zurück; der G. überließ den Engländern statt der zwei genannten Provinzen die Erhebung der landesherrlichen Einkünfte in Bengalen, Behar u. Orissa (3,125,000 Pfd. Sterl.) u. erhielt dafür von Schudscha Corah die Festung Allahabad, wo er seine Wohnung nach dem Vertrage nahm, u. von der Compagnie einen jährlichen Lehnzins von 325,000 Pfd. Sterl. Dem G. ließen die Engländer Titel u. Scheinmacht, damit sie selbst, seine Vormünder, unter seinem Namen willkürlich mit den indischen Fürsten verfahren konnten. Doch war mit der Zeit Schah Alem II. unter dem Schutze der Maharatten nach Delhi zurückgekehrt u. bekriegte mit ihnen von dort aus die Rohillas, um sein Reich wieder zu erweitern. Doch widersetzte sich ihnen der Nabob von Oude u. die Engländer, u. Letztere besetzten die, dem G. verbliebenen Städte Corah u. Allahabad, welche jener den Maharatten für ihren Schutz versprochen hatte, für sich u. entzogen ihm auch den jährlichen Lehnzins. 1794 machte Daulet Rao Scindiah einen Zug gegen Delhi u. bedächtigte sich der Person u. des Restes der Autorität des G-s. Als 1803 Schah Alem II. seinen Namen von dem Franzosen Perron zu einem Unternehmen gegen die Britisch-ostindische Compagnie gebrauchen ließ, dies Unternehmen aber mißglückte, so kam der G. mit Delhi durch General Lake in die Gewalt der Briten, welche nun in seinem Namen herrschten u. ihn durch einen Residenten zu Delhi bewachen ließen. Noch bis zur großen Indischen Rebellion im Jahre 1857 residirte zu Delhi ein Abkömmling jener mächtigen Beherrscher Indiens, Akbar II., welcher auch deren Ehrenbezeigung genoß, aber während seine Vorfahren eine jährliche Einnahme von 2–300 Mill. Thlr. hatten, so daß der Reichthum des G-s sprichwörtlich werden konnte, war ihm von allem Glanze u. Einkommen derselben nichts geblieben, als der Ertrag einiger Ländereien u. der Genuß eines Jahrgehaltes von Seiten der Compagnie, unter deren strenger Vormundschaft er fortwährend gehalten wurde, s. Indien (Gesch.).

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 7. Altenburg 1859, S. 717-718.
Lizenz:
Faksimiles:
717 | 718
Kategorien:

Buchempfehlung

Angelus Silesius

Cherubinischer Wandersmann

Cherubinischer Wandersmann

Nach dem Vorbild von Abraham von Franckenberg und Daniel Czepko schreibt Angelus Silesius seine berühmten Epigramme, die er unter dem Titel »Cherubinischer Wandersmann« zusammenfasst und 1657 veröffentlicht. Das Unsagbare, den mystischen Weg zu Gott, in Worte zu fassen, ist das Anliegen seiner antithetisch pointierten Alexandriner Dichtung. »Ich bin so groß als Gott, er ist als ich so klein. Er kann nicht über mich, ich unter ihm nicht sein.«

242 Seiten, 11.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon