[398] Cevennen (die) sind ein an Erz, besonders Eisen, reiches Gebirge zwischen den Flüssen Rhone, Saone und Loire im südl. Frankreich, welches mit den Gebirgen von Auvergne und Lozère die Verbindung zwischen den Alpen und Pyrenäen bildet, daher abwechselnd für einen Zweig des einen und des andern dieser Hauptgebirge angesehen wird, und dessen höchster Gipfel, der Berg Mezen, sich 5400 F. erhebt. Haupterwerbszweige der betriebsamen Bevölkerung sind im höhern Gebirge die Viehzucht und der Bergbau, in den schönen Thälern des Mittelgebirges der Anbau von Obst, auch von Kastanien, die Zucht der Seidenwürmer und mancherlei Fabriken. Geschichtlich berühmt ist dieses Gebirgsland wegen der religiösen Bewegungen, welche dort schon im 12. Jahrh. die Misbräuche der katholischen Geistlichkeit veranlaßten, und deren Abstellung die damals hier entstandenen Sekten der Albigenser, Armen von Lyon und Waldenser beabsichtigten. Die von den Päpsten gegen sie angeordneten Kreuzzüge und durch Jahrhunderte fortgesetzte Verfolgungen jeder Art vermochten nicht, diese Sektirer auszurotten und die Überreste derselben erhielten durch die in Frankreich frühzeitig viele Anhänger gewinnende Reformation, deren Beförderer hier vorzüglich Calvin (s.d.) war, neuen Zuwachs. Die franz. Reformirten wurden daher Calvinisten, spottweise aber von ihren Gegnern Hugonotten oder Hugenotten genannt, welchen Namen man theils von dem Orte herleitet, wo sie sich zuerst bei Tours versammelten, theils mit der Sage von dem des Nachts dort umgehenden Gespenst des Königs Hugo in Verbindung bringt, unter dessen Schutz die anfänglich nur des Nachts zu Andachtsübungen sich Vereinigenden sich gleichsam gestellt hätten. Trotz aller Verbote und Verfolgungen während der Regierungen Franz I., gest. 1547, und Heinrich II., gest. 1559, hatte die neue Lehre doch so zahlreiche Anhänger gefunden, daß unter der nur 17 Monat dauernden Regierung Franz II. die Hofpartei der Bourbons versuchte, sich derselben wider die den schwachen König gänzlich leitende Partei der Prinzen von Guise zu bedienen. Anton von Bourbon, König von Navarra und sein Bruder Ludwig von Condé leiteten daher ein, daß die Protestanten den in Blois, der jetzigen Hauptstadt des Departements Loir und Cher [398] sich aufhaltenden König um Gewährung freier Religionsübung bitten, wenn diese aber abgeschlagen werde, mit einer bereitgehaltenen Schar sich der Guisen bemächtigen und den König zur Bewilligung ihres Gesuchs und Ernennung des Prinzen von Condé zum Oberstatthalter des Reichs zwingen sollten. Im März 1560 sollte dieser Plan ausgeführt werden, da er aber verrathen war, wurden die bewaffneten Theilnehmer getödtet oder gefangen und Prinz von Condé zum Tode verurtheilt, von welchem ihn nur das bald erfolgende Ableben Franz II. rettete. Unter den Nachfolgern desselben, Karl IX., gest. 1574, und Heinrich III., gest. 1589, vermehrte die Herrschsucht Katharinens von Medici, der Mutter dieser schwachen Fürsten, die Verwirrung, denn um den nicht minder herrschsüchtigen Guisen die Spitze zu bieten, begünstigte sie scheinbar die Protestanten und verfolgte sie wieder mit den Guisen um die Wette, wenn sie ihrer nicht gegen die Letztern zu bedürfen glaubte, und wie sehr sie die Ausrottung der Protestanten wünschte, beweist die von ihr eingeleitete Bluthochzeit (s.d.). Erst Heinrich IV. (s.d.) gab dem seit 1562 bis zu Ende des Jahrhunderts von Religionskriegen verheerten Frankreich den Frieden wieder und sicherte 1598 durch das Edict von Nantes den Protestanten freie Religionsübung und gleiche Rechte auf Ämter und Würden mit den Katholiken; auch blieben sie im Besitz der ihnen früher als Sicherheitsplätze eingeräumten Festungen. Dadurch behielten sie freilich die drohende Haltung einer mächtigen Partei im Staate und der Misbrauch dieser Stellung durch einige protestantische Große gab unter Heinrich IV. armseligem Sohne und Nachfolger, Ludwig XIII., dem Hofe einen Vorwand zur erneuerten Bekämpfung der Hugenotten, deren Verfassung das kön. Ansehen und die Verhältnisse der übrigen Unterthanen allerdings beeinträchtigte. Die von den Reformirten in der Provinz Bearn 1620 verlangte Zurückgabe der Kirchengüter veranlaßte jedoch bald einen neuen Religionskrieg, der nach mehrmaligen Unterbrechungen 1629 mit Entwaffnung der reformirten Partei endigte, die mit la Rochelle am Meerbusen von Biscaya ihren letzten festen Platz verlor und nun weder für sich Unruhen anfangen, noch den misvergnügten Großen zur Stütze dienen konnte. Nachdem der damalige Premierminister, Cardinal Richelieu, diesen Zweck erreicht hatte, ließ er die Hugenotten im Genuß ihrer Religionsfreiheit, die auch bis unter Ludwig XIV. Regierung ungekränkt blieb. Dieser hatte sich frühzeitig vorgesetzt, ganz Frankreich zur katholischen Religion zurückzuführen, und begann in dieser Absicht seit 1660 die Rechte der Hugenotten zu schmälern, bis er endlich, durch Üppigkeit und Wollust zum Werkzeuge verfolgungssüchtiger Höflinge herabgewürdigt, 1685 das Edict von Nantes zurücknahm. Alle reformirte Geistliche wurden nun vertrieben und die von den Cevennen durchzogenen Departements du Gard, de la Lozère und de l'Ardèche, wo die meisten Reformirten wohnten, der Schauplatz der empörendsten Mishandlungen, indem dazu befehligte Dragoner und anderes Militair die Unglücklichen mit Gewalt zur Verleugnung ihres Glaubens bringen sollten. Viele gaben wirklich oder zum Schein nach, gegen eine halbe Million wanderten trotz der erlassenen Verbote nach den protestantischen Nachbarländern aus, die Zurückgebliebenen aber griffen endlich nach 17 Jahren greuelvoller Bedrückung zu den Waffen, und der Aufstand begann 1702 mit Ermordung der Steuereinnehmer und des Abtes Chaila, der die gewaltsame Bekehrung leitete. Die Bauern trugen anfangs Hemden, in ihrer Mundart Camises, über die Kleider, um nicht erkannt zu werden, und bald erhielten davon alle Theilnehmer des Aufstandes den Namen Camisarden. Das rauhe Gebirgeunterstützte den Widerstand der Verfolgten, und Kinder, Frauen und Greise verhießen ihnen mit prophetischem Geiste Sieg, den Fallenden aber die Märtyrerkrone. Kühne und talentvolle Führer, unter denen sich besonders der 23 Jahre alte Jean Cavalier, eines Bauern Sohn, hervorthat, und kleine Unterstützungen, welche ihnen von den Gegnern Ludwig XIV. während des gleichzeitigen span. Erbfolgekriegs zuflossen, steigerten den Muth der Camisarden, welche von ihren Bergen herab den gegen sie abgeschickten kön. Truppen mit Erfolg widerstanden und ihre 40,000 verbrannten, gehangenen, geräderten und sonst zu Tode gemarterten Brüder durch Verheerung von 200 katholischen Kirchen im Sprengel von Nimes und Ermordung von 84 katholischen Priestern rächten. Fast alles Land vom Gebirge bis zur Seeküste war in ihrer Gewalt, als im April 1704 der Marschall Villars zur Tilgung des Aufstandes abgeschickt wurde, die dem Marschall Montreval nicht gelungen war. Wirklich glückte es ihm durch kluge Anwendung von versöhnlichen Maßregeln, von List und Gewalt und indem er vorzüglich die Anführer zu entfernen suchte, das Land zu beruhigen. Die Verkündung einer allgemeinen Amnestie für Alle, welche die Waffen niederlegen würden, die Freilassung Gefangener, wenn sie Treue gelobten, dagegen die Anwendung der Todesstrafe gegen Alle mit den Waffen Ergriffene, vermochte viele Camisarden, den Kampf aufzugeben und Cavalier verglich sich schon im Mai mit Villars auf die Bedingung, mit seinem an 1000 Mann starken Haufen Frankreich verlassen zu dürfen. Ludwig XIV., dem an tapfern Soldaten damals sehr gelegen sein mußte, ernannte jedoch Cavalier zum Obersten, gab ihm ein Jahrgeld von 1200 Livres und die Erlaubniß zur Errichtung eines Regiments. Während er damit beschäftigt war, wollte zwar ein Theil seiner Anhänger ohne ihn den Kampf fortsetzen, mußte aber dies Vorhaben bald aufgeben. Cavalier trat hierauf mit seinem aus Cevennenbewohnern gebildeten Regimente in piemontes. Dienste, zeichnete sich vorzüglich im April 1707 in der Schlacht bei Almanza in Catalonien aus, wo sein Regiment aufgerieben, auch er selbst schwer verwundet wurde, und starb 1740 als engl. Gouverneur auf der Insel Jersey.
Einzelne Haufen Camisarden, die sich in den rauhesten Gegenden der Cevennen noch hielten, wurden 1705 vollends zur Unterwerfung gebracht, und blieben sammt ihren Glaubensgenossen mit wenig Unterbrechung der Verfolgung und Bedrückung ausgesetzt, denen noch viele durch Auswandern zu entgehen suchten, bevor der Einfluß der Duldung fodernden Schriften eines Montesquieu und Voltaire sie seit 1765 wenigstens vor Gewaltthätigkeiten schützte, und ihnen 1788 ein kön. Edict endlich das Recht, Eigenthum zu besitzen und Gewerbe zu treiben, zusicherte. Erst die Revolution gab ihnen im August 1789 gleiche Rechte mit den Katholiken; gleichwol scheint dieser unselige religiöse Zwist im südl. Frankreich im Stillen fortgedauert zu haben, denn er gab nach Wiederherstellung der Bourbons im J. 1815 in Nimes, der Hauptstadt des Departements [399] du Gard und an andern Orten neue Veranlassung zu Verfolgungen, welchen aber weniger die Regierung als die im März 1819 erlassene Drohung der Cevennenbewohner Einhalt that, »daß 30,000 Männer bereit wären, mit den Waffen der Verzweiflung von ihren Bergen herabzusteigen, wenn ihrer Brüder Heil es fodere.«
Buchempfehlung
1880 erzielt Marie von Ebner-Eschenbach mit »Lotti, die Uhrmacherin« ihren literarischen Durchbruch. Die Erzählung entsteht während die Autorin sich in Wien selbst zur Uhrmacherin ausbilden lässt.
84 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.
428 Seiten, 16.80 Euro